T.S. Eliot hatte 1939 in einer Reihe von Vorlesungen an der Universität von Cambridge eine berühmt gewordene Weggabelung beschrieben. Die westliche Zivilisation könnte den christlichen Weg weitergehen, sagte er voraus, oder sie könnte das „moderne Heidentum“ annehmen. Eliot, der zum Christentum konvertiert war, hoffte auf das Erstere, befürchtete aber, dass wir uns bereits auf das Letztere eingestellt haben.
Die britische Journalistin Louise Perry beschreibt in einem Artikel für FirstThings, dass die Wiederkehr der Kindstötung, die – wie wir wissen – durch das Christentum verdrängt wurde und nun etwa in Kanada wieder erlaubt werden soll, singnalisieren könnte, dass das Heidentum mit aller Wucht zurückkehrt ist. Das läge auch daran, dass das Christentum in mancher Hinsicht immer heidnisch geblieben sei.
Sie schreibt:
Eliots Dualismus ist die Grundlage eines 2018 erschienenen Buches des Rechtshistorikers Steven Smith mit dem Titel Pagans and Christians in the City. Man könnte vernünftigerweise fragen, warum unsere Wahlmöglichkeiten auf diese beiden Optionen beschränkt sein sollten, nämlich Heiden oder Christen zu sein. Wenn wir das Christentum vollständig aufgeben, so sagen die säkularen Reformer, sollte das dann nicht den Weg für eine neuere und bessere Leitphilosophie frei machen?
Während Kanada [im Blick auf die gewünschte Sterbehilfe] immer mehr auf die schiefe Bahn gerät, wird in der kanadischen Regierung bereits in aller Ruhe über die Legalisierung der Kindstötung diskutiert. Im Oktober erklärte Louis Roy vom Quebecer Ärztekollegium vor dem „Gemeinsamen Sonderausschuss für ärztliche Sterbehilfe“, dass Eltern die Möglichkeit haben sollten, den Tod von Säuglingen bis zu einem Jahr zu arrangieren, wenn „sehr schwere und schwerwiegende Syndrome“ festgestellt werden. Wenn die Kindstötung wieder legalisiert wird – zuerst in Kanada und dann unweigerlich in der ganzen entchristlichten Welt – werden wir mit Sicherheit wissen, dass sich das Christentum in die Katakomben zurückgezogen hat. Und das Datum wird, so vermute ich, als eine klare historische Linie angesehen werden: der Moment, in dem wir an T.S. Eliots Weggabelung angekommen sind und den älteren, dunkleren Weg gewählt haben.
Das Christentum wird oft als Wasser vorgestellt. „Aber das Recht fließe wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein immerwährender Strom“: die Worte aus Amos 5,24, die von Martin Luther King Jr. neu interpretiert wurden. „Wer an mich glaubt“, verspricht Christus, „aus seinem Herzen werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Wasser tauft, spendet Leben, löscht den Durst, reinigt den Schmutz, vertreibt die Flammen, verwandelt die Dinge zum Besseren. Wenn das Christentum Wasser ist, dann ist es eine unaufhaltsame Kraft: Es fließt nach unten und sickert nach oben, egal wie groß das Hindernis ist.
Was aber, wenn das Christentum kein Wasser ist? Was wäre, wenn wir stattdessen das christliche Zeitalter als eine Lichtung in einem Wald verstehen? Der Wald ist das Heidentum: dunkel, wild, kraftvoll und bedrohlich, aber auf seine Weise auch magisch. Zweitausend Jahre lang haben die Christen den Wald zurückgedrängt, mit Brennen und Hacken, aber auch mit Beschneiden und Kultivieren, um auf der Lichtung einen Garten mit Blick zum Himmel zu schaffen.
Aber sehen Sie, wie sich die Wurzeln ausbreiten und neue Triebe aus dem Boden sprießen. Das Stückchen Himmel weicht zurück. „Das Heidentum musste nicht neu erfunden werden“, schreibt Steven Smith: Es ist nie verschwunden. „In gewissem Sinne ist die westliche Welt wohl immer mehr heidnisch als christlich geblieben. In mancher Hinsicht war das Christentum eher eine Verkleidung als eine substantielle Realität.“
Da es niemanden mehr gibt, der den Garten pflegt, erobert sich der Wald seinen Boden zurück.
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