Philosophie

Wer sind die wahren Fundis?

Die Katholische Akademie in Bayern (München) veranstaltet am 15. September 2011 eine »Nacht der Philosophie« zum Thema: Wer sind die wahren Fundis? Prof. Gerhard Schurz von der Heinrich Heine Universität in Düsseldorf wird als humanistischer Aufklärer und Vertreter einer verallgemeinerten Evolutionstheorie die religionskritische Position vertreten. Prof. Daniel von Wachter, im Jahr 2010 Referent während der Apologetik-Studienwoche in Berlin, verteidigt ein vernünftiges Christentum. Von Wachter:

Es gibt starke Indizien für die Existenz Gottes. Deshalb ist der Theismus vernünftiger als der Atheismus. Nicht die sich als ›Aufklärung‹ bezeichnende Bewegung, sondern das Christentum hat die Vernunft gefördert. Die Behauptung vieler Säkularsten, das Christentum sei an den meisten Kriegen schuld und fördere die Unvernunft, ist falsch. Die größten Feinde der Religions- und Meinungsfreiheit in Europa sind heute Säkularsten. Der einzige Weg zur Religions- und Meinungsfreiheit ist die Achtung des Wertes und der Rechte der Andersdenkenden.

Hier die Einladung zur Veranstaltung: JA_Philosophie.pdf.

»Ich esse gerade ein Eis«

Soziale Netzwerke liefern uns die Welt frei Haus. Aber die Nähe ist trügerisch. Von der wirklichen Welt sind nur noch Tweeds wie »Ich esse gerade ein Eis« übrig geblieben. Uns droht die Verbitterung.

Hier ein Artikel von Jörg Wittkewitz über die postmoderne Völkerwanderung in einer Kultur des wahren Mülls:

Dank Googles Algorithmen bestimmen wir den Preis der Anzeigen für Online-Magazine und Suchoberflächen durch unser eigenes Verhalten im Netz. Gleichzeitig zementieren wir damit auch unsere eigene Sicht auf die dort vermittelte Sicht auf die Welt. Denn seit Günther Anders und Jean Baudrillard ist es offensichtlich, dass wir nur noch einen medial aufbereiteten Blick auf die Welt haben. Und der direkte Kontakt ist nicht erst durch die digitalen Codes verstellt worden. Anders hatte in seinem Buch »Die Antiquiertheit des Menschen« Mitte der fünfziger Jahre am Beispiel des Fernsehens erkannt, dass uns die Welt nunmehr als Ware mit ästhetisch geformten Stilmitteln präsentiert wird. Der Warencharakter der künstlichen Welt drückt sich aber besonders darin aus, dass man per Knopfdruck darüber entscheiden kann, ob und wann man die Welt nun sehen will oder eben nicht.

Was damals die Kanalwählschalter der ersten Fernseher waren, ist heute unsere Computer-Maus. Sie wählt den Kanal aus, der ein harmonisches Übereinstimmen mit unseren Wünschen liefern kann. So lesen konservativ eingestellte Leser Zeitungen, Bücher und Websites, die diesen Lebensstil begründen können. Progressive Menschen bevorzugen die Herausforderungen mit dem ständigen Blick auf die drohende Zukunft. Dazwischen befindet sich eine große Menge von Menschen, die durch den modernen Hochleistungs-Lebensstil so erschöpft sind, dass sie den Zeitpunkt des Tiefschlafs nur noch mit künstlicher Berieselung herauszögen können. In diesem, dem Wachkoma ähnlichen Zustand sind sie höchstens noch in der Lage, kohlenhydratreiche Kost und Unterhaltung zu konsumieren.

Mehr: www.faz.net.

Der Medienversteher: Marshall McLuhan

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Marshall McLuhan

»Das Medium ist die Botschaft« – mit diesem Satz wurde der Medientheoretiker Marshall McLuhan in den sechziger Jahren weltberühmt. Am heutigen Donnerstag wäre er hundert Jahre alt geworden. Seine Thesen polarisieren noch immer.

Ohnehin war McLuhan schon zu seiner Zeit als akademischer Lehrer untragbar, und er wäre es unter heutigen Modulverantwortlichen und Doktoratsprogramm-Strukturierern umso mehr. Niemals deckte er in Vorlesungen »ein Thema« ab, niemals gab es Zusammenfassungen zum Mitschreiben; für sorgfältig recherchierte und genau belegte Hausarbeiten gab er schon aus Prinzip null Punkte, und statt Klausuren kündigte er am liebsten »ein lockeres Gespräch« an, »in dem Sie mich mit Ihrer Textkenntnis überwältigen werden«. Ganze sieben Doktorarbeiten hat er in dreißig Dienstjahren betreut. Umso mehr gilt vielleicht sein Ausspruch: »Wir wissen nicht, wer das Wasser entdeckt hat, aber mit Sicherheit war es kein Fisch.«

Gerade deshalb war McLuhan ein kurzes Jahrzehnt lang eine Kultfigur. Als Produkt wurde er, der Werbung einmal als die einzig lohnende Quelle zum Verständnis der Gegenwart bezeichnet hatte, selbst von einem Werbefachmann vermarktet: in Form des »Distant Early Warning Line Newsletters«, den eine »Human Development Corporation« nahe den Werbern an der Madison Avenue vertrieb. Dort sollte man erfahren, warum der Computer das Ende der Geschichte bedeute und warum das Nasa-Programm bereits obsolet sei, und man konnte Spielkarten mit McLuhan-Zitaten zur Lösung eigener Probleme bestellen. »Read them yourself – at our risk!« Und sie wurden gelesen: 346 Formulierungen sind in den Sprachschatz des »Oxford English Dictionary« eingegangen.

Hier der Artikel von Claus Pias: www.faz.net. Siehe auch hier.

Gottesbeweise

29546.jpgFolgt man dem Alltagsgeschwätz, verbreiteten Lehrbüchern der Philosophie oder der Demagogie des »Neuen Atheismus«, sind seit Immanuel Kant die theoretischen Gottesbeweise erledigt. Kant hatte Gottesbeweise als ehrsüchtige Absichten eingestuft und in den Bereich der über die Grenzen aller Erfahrung hinausgehenden spekulativen Vernunft verwiesen (I. Kant, Kant-W., Bd. 4, S. 693). Niemand, so der akademische Standpunkt mit und nach Kant, würde sich mehr »rühmen können: er wisse, dass ein Gott« sei ( I. Kant, Kant-W, Bd. 4, S. 693.). »Wer die Theologie, sowohl diejenige des christlichen Glaubens als auch diejenige der Philosophie, aus gewachsener Herkunft erfahren hat, zieht es heute vor, im Bereich des Denkens von Gott zu schweigen«, hat uns Martin Heidegger gesagt (zitiert nach Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen, Bd. 2, S. 280). Selbst der durchaus »offene« Logiker Franz von Kutschera kommt nach ausführlicher Analyse der bekannten Gottesbeweise zu dem Resümee: »Es gibt zumindest gegenwärtig keinen brauchbaren rationalen Gottesbeweis« (Franz von Kutschera, Vernunft und Glaube, Berlin; New York: de Gruyter, 1991, S. 41).

Hinter den Kulissen steigt allerdings das Interesse an der Gottesfrage (vgl. auch hier). Zwei Beispiele: Erst kürzlich veranstaltete die Universität Tübingen eine Tagung zum Thema »Gottesbeweise als Herausforderung für die moderne Vernunft« mit sehr honorigen Referenten wie Peter van Inwagen, Armin Kreiner, Richard Swinburne oder Robert Spaemann (hier das Programm). Außerdem ist kürzlich eine umfängliche Darstellung der Gottesbeweise von Joachim Bromand und Guido Kreis beim Suhrkamp Verlag herausgegeben worden. Das Buch:

  • Joachim Bromand und Guido Kreis (Hg.): Gottesbeweise von Anselm bis Gödel, Berlin: Suhrkamp Verlag 2011, 20 Euro

versammelt die großen Gottesbeweise des Mittelalters und der Neuzeit ebenso wie die klassischen Einwände von Hume und Kant. Einleitende Essays führen in die Problematik ein und bieten gut verständliche Rekonstruktionen der jeweiligen Argumentationen. Auch die sprachanalytische Debatte wird ausführlich dokumentiert. Dem Mathematiker Kurt Gödel, dessen ontologischer Gottesbeweis bis heute nicht überzeugend widerlegt worden ist (vgl. dazu auch hier), wurde ein ausführliches Kapitel gewidmet (S. 381487). Sogar der Kalām-Beweis von William L. Craig wird eingehend behandelt (S. 564–598). Im Vorwort schreiben die Bonner Autoren:

Hatte Adorno in der Negativen Dialektik noch generalisierend vermutet, daß »übrigens wohl eine jede [Philosophie] um den ontologischen Gottesbeweis [kreist]«, so scheint sich demgegenüber im nachmetaphysischen Zeitalter jeder ernsthafte Versuch eines Gottesbeweises von selbst zu verbieten. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die philosophische Debatte über Gott ist seit einigen Jahren wiedereröffnet und aktueller denn je. Einer der Hauptbeiträge der Philosophie zu dieser Debatte liegt im Projekt der Gottesbeweise. In der sprachanalytischen Metaphysik und Logik werden sie seit Jahrzehnten ausführlich diskutiert. Es ist an der Zeit, die entscheidenden Fragen erneut zu stellen: Was sind eigentlich Gottesbeweise, und wozu sollen sie gut sein?

Obwohl die Verfasser sehr viel wert auf Verständlichkeit legen, ist das Buch keine Profanlektüre, teilweise werden Grundkenntnisse der formalen Logik vorausgesetzt. Aber für Philosophen, Theologen und interessierte Laien ist Gottesbeweise von nun an ein unentbehrliches Nachschlagewerk.

Hier eine Leseprobe mit dem Inhaltsverzeichnis.

Die Habermas-Methode

Der von mir geschätzte Althistoriker Egon Flaig (siehe auch hier) hat kürzlich eine Polemik gegen die Habermas-Methode veröffentlicht. Anlässlich des inzwischen 25 Jahre alten »Historikerstreits« wirft er dem Sozialphilosophen vor, zu jener Zeit journalistische Tricks verwendet zu haben, »die sonst dem Lumpenjournalismus vorbehalten waren«. Es hätte, so Flaig, »keine Nachsicht geben dürfen, denn das Ausmaß der Zitate-Verkrümmungen war gigantisch«.

Der Streit um die deutsche Verantwortung bei der Judenvernichtung im Dritten Reich ist für Flaig allerdings auch Anlass, um allgemein eine Wissenschaft zu kritisieren, die sich von der Leitidee der Wahrheit verabschiedet hat. Die Suspendierung des Diskurses über Wahrheitsansprüche führt nach Flaig zu einer Atmosphäre der Denkverbote und moralischen Diffamierungen. Originalton (FAZ vom 13. Juli 2011, Nr. 160, S. N4):

Wir sind Zeugen geworden eines Kulturbruchs, nämlich einer weitgehenden Negierung der Errungenschaften des Griechentums. Da die Verbindlichkeiten nicht mehr über den Streit entlang von Wahrheitsregeln herstellbar sind, müssen neue, ganz anders geartete Verbindlichkeiten moralisch erzwungen werden. Daher die pestartige Virulenz der Political Correctness und des Gutmenschentums mit seiner spezifischen Intelligenz. Die moralischen Diffamierungen müssen folglich immer mehr zunehmen. Bequemer als das logon didonai [Anm.: Diese griech. Formulierung, die wörtlich mit »Sprache o. Rede geben« zu übersetzen ist, spielt auf das plantonische Ideal eines philosophierenden Menschen an, der Rechenschaft ablegt für das, was der sagt.] ist die habermassche Diskursethik: Audacter calumniare, semper aliquid haeret [Anm.: lat. für »nur keck verleumdet, etwas bleibt immer hängen«].

Die ausführliche Darlegung Flaigs dazu findet sich in: Mathias Brodkorb (Hg.): Singuläres Auschwitz? Ernst Nolte, Jürgen Habermas und 25 Jahre ›Historikerstreit‹, Banzkow 2011.

Krumme Wege der Vernunft

Fynn Ole Engler und Jürgen Renn stellen für die FAZ den Arzt und Wissenschaftstheoretiker Ludwik Fleck (1896 bis 1961) vor. Sein Hauptwerk Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache (1935) enthält etliche Thesen über die soziologischen Dimensionen von Wissenschaft, die den Logischen Empirismus des Wiener Kreises infrage stellten. Thomas Kuhn sollte später mit ähnlichen Behauptungen Ruhm erlangen.

Doch wie verhält sich eigentlich Schlicks Versuch, den Anspruch der Wissenschaft auf Wahrheit zu rechtfertigen, zu den historischen und sozialen Prozessen der Entwicklung der Wissenschaft, die für Fleck im Vordergrund standen? Lässt sich überhaupt beides zusammendenken: der Anspruch auf Rationalität und die Tatsache, dass Wissenschaft durch und durch ein Teil unserer unvollkommenen, stets im Wandel begriffenen Menschenwelt ist? Diese Fragen sind nicht nur für eine und dazu noch kontrafaktische Geschichtsschreibung relevant, sondern gewinnen gerade mit Blick auf die immer noch zunehmend wichtige Rolle der Wissenschaft für die Zukunft der Menschheit an Brisanz.

Für einen die beiden Perspektiven vereinigenden Ansatz spricht immerhin, dass einige der Fragen Flecks auch in der Nachfolgetradition des »Wiener Kreises« eine Rolle gespielt haben, bis hin zu Thomas Kuhn, der selbst direkt auf Fleck zurückgegriffen hat und ihm wohl vor allem auch seine Sicht auf die soziologische Dimension der Wissenschaft verdankt. Indes vermochten weder Fleck noch Kuhn, das Verhältnis zwischen dem Wahrheitsanspruch der Wissenschaft und der historischen Veränderlichkeit selbst wissenschaftlicher Grundbegriffe wie Raum oder Zeit durch wissenschaftliche Revolutionen zu klären. Allerdings, nach Kuhn vollziehen sich diese Umbrüche, jedenfalls in ihrer entscheidenden Phase, geradezu wie religiöse Bekehrungserlebnisse, durch das ein neues, mit dem alten nicht mehr zu vereinbarendes Paradigma den Platz des alten einnimmt. Fleck hingegen sah hier langfristige komplexe Prozesse am Werk, die er nicht nur mit Hilfe soziologischer Kategorien zu klären versuchte, sondern auch mit Rückgriffen auf Einsichten der Psychologie.

Hier treffen sich die Ansätze von Schlick und Fleck auf eine überraschende Weise, die jedoch in den nachfolgenden Auseinandersetzungen zwischen Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie keine so zentrale Rolle mehr gespielt hat, obgleich Kuhn ihre Bedeutung noch sah. Beide orientierten sich nicht nur an der Naturwissenschaft ihrer Zeit, sondern auch an der zeitgenössischen Denkpsychologie, etwa der Gestaltpsychologie, über die Einstein 1922 an Schlick schrieb: »Ich habe ein wenig den Eindruck, dass in Deutschland gegenwärtig die Psychologie gegenüber der Erkenntnistheorie etwas vernachlässigt wird.«

Hier: www.faz.net.

»Als Christ brauche ich keine Gemeinde«

In den letzten Jahren haben etliche Publikationen die Bedeutung einer Gemeindeanbindung relativiert (vgl. z.B. Wayne Jacobsen o. Dave Coleman). Die Botschaft lautet ungefähr so: Auf authentische Beziehungen kommt es an, die Gemeinde als Körperschaft spielt letztlich nur eine sehr untergeordnete Rolle. Manchmal steht die Gemeinde einem erfüllten Christenleben sogar im Weg.

Nun weiß ich, dass einige Christen wirklich schmerzhafte Gemeindeerfahrungen gemacht haben und es nicht immer einfach ist, eine »gesunde Gemeinde« zu finden. Aber ist es wirklich eine Lösung, ohne Gemeinde zu leben? Ist es nicht eher Flucht oder Ausdruck einer postmodernen Ich-Orientierung?

Hanniel hat einige Gedanken zum Thema zusammengestellt: www.hanniel.ch.

Völlig Gaga

Lady Gaga ist in den Feuilletons der Hochkultur angekommen. Sie tritt auf als Fleisch-Klops, tanzende Zahnbürste, als Porno-Rotkäppchen und jetzt erscheint ihr neues Album »Born this Way«.
Nicht jeder wird sich – das kann ich gut verstehen – für die illustre Dame interessieren. Aber Gaga verstehen heißt, Pop (ein wenig) zu verstehen. SWR2 Kontext hat am 16. Mai 2011 eine informative Sendung über Lady Gaga als Gesamtkunstwerk des Internetzeitalters ausgestrahlt. Elisabeth Brückner spricht dort mit Udo Dahmen, dem Leiter der Popakademie Mannheim.

Hier ein Mitschnitt der Sendung, die zum besseren Verständnis der Crossover-Kultur beiträgt:

[podcast]http://mp3-download.swr.de/swr2/kontext/2011/05/16/swr2-kontext-20110516-1905-voellig-gaga.6444m.mp3[/podcast]

Die postmoderne Ich-Orientierung als Krisis

Für den von mir bereits schon einmal zitierten Rainer Funk ist die Ich-Orientierung das herausragende Kennzeichen des postmodernen Menschen. Funk schreibt (Ich und Wir, S. 55):

Der postmoderne Ich-Orientierte strebt leidenschaftlich danach, frei, spontan, unabhängig und ohne Begrenzungen durch Vor- und Maßgaben selbst bestimmen zu können. Das entscheidende Movens ist die postmoderne Lust an der selbstbestimmten, ich-orientierten Erzeugung von Wirklichkeit, und zwar der den Menschen umgebenden Wirklichkeit, die er sich selbst schafft, ebenso wie der Wirklichkeit, die er selbst ist, indem er sich selbst erschafft – nach dem Motto: »Nur wenn du etwas aus dir machst, bist du was!« Diese Lust an einer ich-orientierten Wirklichkeitserzeugung ist der Grund, warum diese Gesellschafts-Charakterorientierung postmoderne Ich-Orientierung genannt wird.

Die Grundüberzeugung postmoderner Ich-Orientierung lautet: »Lass dir von niemandem sagen, wer du bist. Du bist der, der du bist.« (»Bleib du du!« war schon vor Jahren der Slogan der Zitronenlimonade »Sprite«.) Nur in der radikalen Ich-Orientierung einer spontanen und freien Selbstsetzung und Selbstinszenierung lässt sich das Authentische und Eigene postmodern in Erfahrung bringen. Alles ist beliebig. Mit jedem und allem kann und soll spielerisch umgegangen werden. Es gibt nichts, was es nicht gibt, und deshalb geht alles. Und alles, was geht, ist o.k. Es gibt nichts, was nicht im Fluss wäre. Alles ist fließend. Keiner hat das Recht zu sagen, was gut oder böse, richtig oder falsch, gesund oder krank, echt oder unecht, realitätsgerecht oder illusionär ist. Was zählt, ist allein die ich-orientierte Erzeugung von Wirklichkeit: »dass ich ich selbst bin«.

Auch wenn es hierzu sehr viel zu sagen gäbe, möchte ich kurz anregen, diese Ich-Orientierung mal aus der Perspektive der Logotherapie wahrzunehmen. Die Logotheraphie geht ursprünglich auf Viktor E. Frankl zurück (1905–1997), der davon überzeugt war, dass wir Menschen existentiell auf Sinn ausgerichtet sind und ein nicht erfülltes Sinnerleben zu seelischen Erkrankungen führt (hier gibt es übrigens eine gut lesbare Einführung zu Frankl von Hanniel).

Frankl behauptet, dass Sinn gefunden werden muss. Dieser Sinn hat einen objektiven Charakter. Wir können ihn entdecken, aber er steckt nicht in uns (Konzept der Selbstverwirklichung) und kann auch nicht von uns erzeugt werden (Konzept des Existentialismus). Er beschreibt die Transzendenz des Menschen so (zitiert bei Hanniel, S. 12):

Der Mensch ist im Grunde ein Wesen, das nach Sinn strebt – einen Sinn zu finden und zu erfüllen. Er will nicht nur sich Triebe und Bedürfnisse erfüllen. Der Mensch weist über sich selbst hinaus. Er ist ausgerichtet auf die Welt, in der es gilt, einen Sinn zu erfüllen oder anderen liebend zu begegnen.

Wenn der Mensch seinen Platz und damit die Möglichkeit, sich verantwortungsvoll in diese Welt einzufügen, findet, dann lebt er ein erfülltes Leben, sogar dann, wenn es, wie bei Frankl, schweres Leid mit einschließt (Frankl war Jude und wurde deportiert. Während seine Familie die Konzentrationslager nicht überlebte, wurde er selbst von den Amerikanern 1945 aus einem Außenlager des KZ Dachau befreit).

In einem kurzen Interview, dass ich hier wiedergebe, erläutert Frankl das transzendente Wesen des Menschen anhand eines Bildes. Das gesunde Auge, so meint er, nimmt die Welt, andere Menschen etc. wahr, nicht sich selbst. Wenn das Auge sich selbst wahrnimmt, dann »stimmt etwas nicht«.

Wie würde er wohl einen Ich-orientierten Lebensentwurf einordnen, bei dem das Auge nicht einmal mehr sich selbst, sondern nur noch eine Projektion des Selbst wahrnimmt? Ist das nicht geradezu das Gegenteil von dem, was er als »Selbstvergessenheit« oder das »sich selbst hinter sich lassen« bezeichnet?

Hier das kurze Gespräch:

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