Geerhardus Vos: Das Reich Gottes

Der in den Niederlanden geborene Geerhardus Vos (1862–1947) war von 1893 bis 1932 Professor für Biblische Theologie am Princeton Theological Seminary (USA). Er ist bekannt geworden für seine Pionierarbeit im Bereich der sogenannten „Biblischen Theologie“, als deren „Vater“ er gelegentlich bezeichnet wird. Er gehört zu jenen Theologen, die an die vollständige Inspiration der Heiligen Schrift glaubten und ihr die höchste Autorität in allen Fragen einräumten und zugleich akademisch auf dem höchsten Niveau arbeiteten. Vos zeigte und begründete in seinen Vorlesungen und Schriften, dass Gottes erlösende Offenbarung als ein sich organisch entfaltender historischer Prozess erfolgt und das diese Einsicht für die Auslegung der Schrift sehr bedeutsam ist.

Bis vor Kurzem sind nach meinen Wissen keine Schriften von Geerhardus Vos in deutscher Sprache erschienen. Umso erfreulicher ist es, dass der Betanien Verlag inzwischen das kleine Buch Das Reich Gottes und die Gemeinde publiziert hat. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe heißt es (S. 8–10):

Das vorliegende Buch schrieb Vos im zweiten Jahrzehnt seiner Professur in Princeton im Jahre 1903 und somit ist es eines seiner früheren Werke. Es entstand zu einer Zeit, als er und seine Frau Catherine nach neun Ehejahren endlich ihr erstes Kind bekamen und er tägliche Mittagsspaziergänge mit Benjamin B. Warfield unternahm, denen sich oft auch weitere Princeton-Theologen wie J. Gresham Machen anschlossen. Kurz zuvor hatte Vos begonnen, neben seiner akademischen Tätigkeit auch allgemeinverständliche Artikel für eine breite Zielgruppe zu schreiben und in einem neuen Journal namens „The Bible Student“ zu veröffentlichen, das ein bibeltreues Schriftverständnis unter Christen fördern sollte. Seine Schriftauslegung in diesen Artikeln hatte dabei einen starken heilsgeschichtlichen Fokus. „Das Reich Gottes und die Gemeinde“ ist die Weiterentwicklung einiger Artikel und Rezensionen, die Vos in „The Bible Student“ veröffentlich hatte. Er wollte mit diesen Artikeln damals aufkommende irrige Sichtweisen des Reiches Gottes korrigieren, die insbesondere aus deutschsprachiger Richtung die bibeltreue Theologie zu beeinflussen begannen: So verbreitete der deutsche Theologe Wilhelm Lütgert (ein Schüler Adolf Schlatters) eine allein diesseitige Sicht des Reiches Gottes; der Schweizer Paul Wernle publizierte ein Buch über seine rein eschatologische Auffassung des Reiches. Andere jüngere theologische Richtungen vertraten eine strikte Trennung zwischen Reich Gottes und Gemeinde, insbesondere der von John Nelson Darby eingeführte Dispensationalismus, der auch unter den Old-School-Presbyterianern, denen Vos angehörte, Anklang fand. Die Darstellung und Kritik falscher Auffassungen nimmt jedoch nicht sonderlich viel Raum in diesem Buch ein; Vos legt den Schwerpunkt auf eine konstruktive Darlegung dessen, was der Herr Jesus ganz in Harmonie mit dem AT und mit Paulus über Gottes Königsherrschaft lehrt. Da das Thema Reich Gottes einer der ganz großen „roten Fäden“ der biblischen Heilsgeschichte ist – wenn nicht sogar das eine große vereinende Thema der Bibel kommt Vos’ theologische Brillanz als Experte für heilsgeschichtliches Verständnis hier besonders gut zum Ausdruck.

Geerhardus Vos soll noch selbst zu Wort kommen. Über den Glauben sagt er, dass letztlich Gott diesen im Menschen wirkt, er also ein Geschenk von oben ist. Leider muss das innerhalb der evangelikalen Szene heute wieder herausgestellt werden, da in ihr die Anschauung verteidigt wird, der Glaube sei ein Werk des Menschen. Vos schreibt (S. 110):

In letzter Analyse ist Glaube gemäß Jesu Aussage eine Gabe Gottes. Glaube muss das Werk Gottes im Menschen sein, denn nur so lässt er sich mit der Erkenntnis in Einklang bringen, dass wir alles dem Wirken Gottes für uns und in uns verdanken. Der Vater ist es, der den unmündigen Kindern das offenbart, was er „vor Weisen und Verständigen verbirgt“ (Mt 11,25). Jesus betet für Petrus, dass sein Glaube nicht aufhört. Gebet ist also ein Anerkennen, dass das, wofür wir beten, abhängig ist vom Willen und Wirken Gottes. Als Petrus bekannte: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Mt 16,16), antwortete Jesus, dass nicht Fleisch und Blut ihm dies offenbart haben, sondern der Vater im Himmel.

Im Johannesevangelium werden in den Reden Jesu einige wichtige Punkte seiner Lehre über den Glauben klarer und ausdrücklicher herausgestellt als bei den Synoptikern. Glaube ist hier durchweg Glaube an Jesus, und nicht nur an Jesus als Werkzeug Gottes, sondern an ihn als Ebenbild und Inkarnation Gottes, so dass an ihn zu glauben heißt, an Gott zu glauben. Folglich wird dieser Glaube an Jesus auch eindeutig dargestellt als umfassender Glaube an ihn als Retter in Sachen Leben und Tod, für Zeit und Ewigkeit, und nicht nur als Glaube an Jesus als Helfer in einer konkreten Notsituation. Ja mehr noch, unser Herr beschreibt hier vorausschauend, in welcher Beziehung Glaube zu seinem Sühnetod und seiner Auferstehung stehen wird, und wie dieser Glaube zu einem Glauben an den himmlischen, verherrlichten Christus wird (Joh 3,14; 6,51; 7,29.38; 11,25; 15,7.16; 16,23–24). Weil das Selbstzeugnis Jesu in diesem Evangelium so viel umfassender und reichhaltiger ist, wird der Glaube hier stärker mit Erkenntnis gleichgesetzt (Joh 6,69; 8,24.28; 14,9–10.20; 16,30). Doch wie bereits gesagt, bedeutet Erkenntnis hier weit mehr als intellektuelle Einsicht. Sie beinhaltet praktische Kenntnis, Vertrauen und Liebe (Joh 10,4.14.15; 17,25.26). Und schließlich: Unser Herr äußert sich hier viel deutlicher zu den Ursachen von Glauben und Unglauben als in den synoptischen Evangelien. Glaube und Unglaube sind praktische Zustände und Handlungen, anhand derer die gesamte geistliche Verfassung des Einzelnen ans Licht kommt. Nicht zu glauben ist die große Hauptsünde, weil die tiefe, innewohnende Sündigkeit des Herzens in der Sünde des Unglaubens ihren wahren Charakter der Feindschaft gegen Gott zeigt (Joh 9,41; 15,22.24; 16,8–9).

Das Buch kann direkt beim Verlag Betanien bestellt werden: www.cbuch.de.

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