Die Mär von der Freiwilligkeit des Genderns 

Staatsminister Wolfram Weimer hat in seiner Behörde Gendersonderzeichen verboten und dafür viel Kritik geerntet. Vor allem wird behauptet, dass dieses Verbot ideologisch motiviert sei, da es nie enen Genderzwang gegeben hatte. Fabian Payr verteidigt das Vorgehen von Wolfram Weimer. 

Vielfach wird Weimer vorgeworfen, er verböte mit seinem Vorstoß etwas, was nirgends geboten sei. Er beantworte Nichtzwang mit Zwang. Genderzwang – ein Phantasieprodukt? Samira El Ouassil schreibt im „Spiegel“: „Es musste vorher niemand gendern, wohlgemerkt, aber jetzt darf es dank der neuen Sprachpolizei auch niemand mehr.“ Will man einen Zwang zum Gendern empirisch belegen, wird man sicher nicht hinter der Bäckereitheke fündig, in der Schreinerwerkstatt oder beim Schneider. Anders im universitären Milieu, wo laut der Bundeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen rund 700 „Gleichstellungsakteur*innen“ sich auch mit dem Sprachgebrauch an den Unis befassen. Die von ihnen erstellten „Leitfäden“ zum geschlechtergerechten Sprachgebrauch sind „Empfehlungen“, entfalten aber eine erstaunliche normative Kraft: Wissenschaftler bringen ihre Aufsätze nicht in Fachzeitschriften oder Fachpublikationen unter, wenn diese nicht gegendert sind, Anträge auf Fördermittel haben in ungegenderter Form keine Chance auf Bewilligung, und Studenten müssen mancherorts mit Punkteabzug rechnen, wenn ihre Arbeiten nicht gegendert sind. Als die „Zeit“ 2023 Universitäten zu ihrem Umgang mit Gendersprache befragte, antworteten 41 von 132 Einrichtungen auf die Frage „Ist es Professoren und anderen Dozenten an Ihrer Hochschule freigestellt, geschlechtergerechte Sprache in Prüfungsleistungen einzufordern?“ mit Ja.

Dass der Gebrauch von Gendersprache keine Sache der Freiwilligkeit ist, belegen auch die vielen teils seit Jahrzehnten gültigen Gesetze und amtlichen Regelungen, die den Sprachgebrauch im öffentlichen Dienst regeln. Wer unbefangen hinschaut, wird ihn entdecken – den Genderzwang in Behörden, Stadtverwaltungen, Ministerien und Firmen. Und es sind beileibe keine exotischen Einzelfälle, wie gern kolportiert wird. Der Soziologe Steffen Mau berichtet 2023 in einem „Spiegel“-Interview, dass ihn ein Bundesministerium zu einem Vortrag eingeladen hatte. Vertraglich sollte er sich verpflichten, „geschlechtergerechte Sprache zu nutzen“. Mau, der in seinen Publikationen selbst gendert, war irritiert: „Ich spreche gern geschlechtergerecht, aber freiwillig.“ Wenn Kulturstaatsminister Weimer also von „erzwungenem Gendern“ spricht, dann beschreibt er einen in vielen Bereichen tatsächlich existenten und nicht eingebildeten Druck zum Gendern.

Die gegen Weimer vorgebrachten Argumente erweisen sich als wenig substanziell, teils sogar kontrafaktisch, wie etwa die Mär von der Freiwilligkeit des Genderns. Sie verschleiern, dass Weimer einen reichlich harmlosen Vorstoß „gewagt“ hat: Er fordert von seinen Mitarbeitern die Beachtung geltender orthographischer Regeln. Macht ihn das zum Kulturkämpfer? Weimer unterstreicht: „Wer im öffentlichen Auftrag spricht, sollte eine Sprache wählen, die für alle nachvollziehbar ist und breite Akzeptanz findet.“ Ein Kulturstaatsminister hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass unsere Sprachgemeinschaft imstande ist, sich in einer allgemein verständlichen Sprache mit allgemein gültigen Regeln zu verständigen.

Mehr: zeitung.faz.net.

Ehrliche Auseinandersetzung mit dem politischen Islam fehlt

In manchen linken Kreisen herrscht Solidarität mit islamistischen Strukturen. Die Aktivistin Schilan Kurdpoor warnt in ihrem aufschlussreichen Interview vor gefährlichen Diskursverschiebungen in Deutschland. Unter anderem sagt sie:

Präsident Erdogan macht keinen Hehl daraus, dass er vom Osmanischen Reich träumt. Er versucht, die arabische und kurdische Welt gezielt für sich zu gewinnen – und setzt dabei ganz bewusst auf den politischen Islam. Islamismus ist für ihn ein Werkzeug zur Machterweiterung. Die Besetzung kurdischer Gebiete wie Afrin im Nordwesten Syriens seit 2018 ist längst Realität.

Doch gerade in Europa – insbesondere in linken Diskursen – fehlt oft jedes Bewusstsein für diesen spezifischen Imperialismus. Es gibt kaum eine Auseinandersetzung mit der imperialen Ideologie. Stattdessen wird jede Kritik daran schnell als „rassistisch“ oder „islamophob“ abgetan. Diese analytische Leerstelle ist gefährlich. Denn sie verhindert eine ehrliche Auseinandersetzung mit der realen Bedrohung, die von autoritären, islamistisch geprägten Regimen ausgeht – und damit auch eine klare Positionierung im Sinne echter Solidarität gegenüber denjenigen, die unter deren Herrschaft leiden.

Mehr: www.welt.de.

Über die Anziehungskraft eines „objektiven“ Gottesdienststils

Kenneth J. Stewart geht in seinem Werk In Search of Ancient Roots unter anderem der Frage nach, warum sich jüngere Evangelikale dem Katholizismus oder der Orthodoxie zuwenden? Die Entwicklung ist nicht monokausal erklärbar. Für manche geht es um eine Rückkehr zur Kirche der eigenen Kindheit (so war es z.B. bei Francis Beckwith der Fall). Viele sind auf der Suche nach der „historischen Kirche“. Das Bedürfnis, endlich wieder liturgische Gottesdienste zu haben, spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle. Stewart streicht heraus, dass manche Evangelikale genug haben von den eher „gefühligen“ und „freien“ Gottesdienstformen und von ästhetischen Aspekten der Gottesdienstgestaltung angezogen werden. 

Er schreibt (In Search of Ancient Roots, Downers Grove, IL: IVP Academic, 2017, S. 263–264): 

Als starke Reaktion auf die Tendenz einiger evangelikaler protestantischer Gottesdienste, das Sentimentale zu betonen und eine passende „Stimmung“ zu schaffen, hat ein Teil der in der evangelikalen Tradition aufgewachsenen Menschen gelernt, dies zu hinterfragen und nach Formen des Gottesdienstes zu suchen, die weder die emotionale Beteiligung der Gottesdienstbesucher voraussetzen noch versuchen, diese zu fördern. Es ist nicht so, dass sie emotionale Strenge an sich wünschen; sie bewundern vielmehr die liturgische Schönheit und erfreuen sich an dem, was man als den „ästhetischen“ Aspekt der Gottesverehrung bezeichnen kann. Aber sie möchten weder bedrängt noch beeinflusst werden, wenn sie sich zum Gottesdienst versammeln.

Christian Smith, ehemaliger evangelikaler Protestant und heute römisch-katholischer Soziologe, schreibt: „In der Kirche geht es um eine gemeinsame Identität in Christus, um das sakramentale Leben und um die Bildung zu einem rechtschaffenen christlichen Leben. Es ist nicht erforderlich, dass alle einander gut kennen, geschweige denn ‚Intimität‘ miteinander erleben. Es ist jedoch erforderlich, dass die Menschen an der Liturgie teilnehmen, Gott anbeten, die Sakramente feiern und Gutes im Namen Christi tun.“

Nun halte ich die Sichtweise von Christian Smith für übertrieben. Natürlich ist es hilfreich, wenn die Glieder einer Gemeinde sich kennen, miteinander reden, füreinander beten usw. Und doch ist es nachvollziehbar, dass Christen von Gottesdiensten angezogen werden, in denen die horizontale Ebende (Beziehungen untereinander) zugunsten der vertikalen Ebene (Gott begegnen, auf ihn hören, über ihn staunen, ihn anbeten) zurückgefahren wird. Ich habe evangelikale Gottesdienste erlebt, in denen bei genauem Hinhören fast nur über die eigenen Empfindungen gesprochen wurde. Da geschah nicht „Objektives“ mehr. Zum weglaufen. Wie schön sind hingegen Gottesdienste, in denen es vorbereitete Textlesungen gibt, Sünden bekannt werden, gemeinsam das Vaterunser gebetet wird und die Predigt erkennbar versucht, Gottes Gedanken nachzudenken und seinem Volk zuzusprechen.

Das Fundament der westlichen Zivilisation bröckelt

Ich gehöre wahrscheinlich zu den wenigen Leuten, die noch der Meinung sind, dass Gott sich in seiner Schöpfung so deutlich vor Augen gestellt hat, dass man ihn erkennen kann, und dass wir Menschen keine Entschuldigung dafür haben, ihm nicht zu danken. Insofern kann ich dem Schweizer Schriftsteller Giuseppe Gracia nicht darin folgen, Gott von dem Verdacht freizusprechen, dass es ihn nicht gibt.

Aber ich weiß, was er mit seinem Plädoyer „Die absolute Menschenwürde war einst garantiert. Heute ist sie verhandelbar“ zeigen möchte und wunderbar zeigt. Er will Europa daran erinnern, was wir verlieren, wenn wir uns gänzlich vom christlichen Erbe verabschieden. Wir verlieren zum Beispiel viel im Raum des Rechts und der ethischen Entscheidung. Die Würde des Menschen pulverisiert. Ein Präferenz-Utilitarismus, wie ihn Peter Singer vertritt, zieht dafür in das westliche Denken und Entscheiden ein:

Singer lehnt die moralisch höhere Gewichtung menschlichen Lebens gegenüber dem tierischen Leben ab. Er postuliert ein Drei-Stufen-Modell des moralischen Status. Auf der tiefsten Stufe stehen Wesen ohne Bewusstsein, auf der zweiten Stufe bewusst empfindende Lebewesen (Tiere oder Neugeborene) und auf der dritten Stufe entwickelte Personen: Damit gemeint sind Lebewesen mit Selbstbewusstsein und Zukunftsbezug, aber nicht nur Menschen, sondern auch Affen oder Delfine.

Solche Lebewesen geniessen nach Singer den höchsten moralischen Schutz, während die Tötung von Wesen ohne Bewusstsein oder Zukunftsbezug ist für den Ethiker weniger problematisch. Gemäss Singer dürfen auch schwerbehinderte Neugeborene unter Umständen getötet werden. Eine Position, die 2015 breite Kritik auslöste, nicht nur von Behindertenverbänden, sondern auch von Politikern, Ethikern und Theologen.

Der Präferenz-Utilitarismus läuft auf eine ethische Kosten-Nutzen-Rechnung hinaus, mit welcher der Wert eines Lebens bestimmt wird, gemessen am Interesse aller. Das Ziel ist eine ausgewogene Gesamtbilanz. Das steht im Gegensatz zur klassischen Idee einer Würde des Menschen, die voraussetzungslos und in jeder Lebensphase gilt.

Und so stehen wir vor der Wahl: 

Deswegen hat Guardini vor 75 Jahren prophezeit: Statt der absoluten Menschenwürdegarantie wird es in Zukunft „Wertedebatten“ geben, bis man schliesslich alle Werte zu Sentimentalitäten erklären wird, um sie ganz aufzugeben.

Das führt zur Frage, wie eine rechnende Hightech-Zivilisation menschlich bleiben kann. Entweder wird der Wert des Lebens von Experten einer nutzenorientierten Ethik oder Rechtsprechung festgelegt. Oder aber der Mensch glaubt auch in Zukunft an eine absolute Würde, die von Gott kommt, so dass niemand das Recht hat, sie zum Gegenstand einer Güterabwägung zu machen.

Politiker, Medienschaffende und Bischöfe, die sich gegen die Berufung von Brosius-Gersdorf ans Bundesverfassungsgericht ausgesprochen haben, sind gut beraten, sich der ganzen Dimension des Falles zu stellen und einen möglichst breiten Diskurs zu fördern. Einen Diskurs, der klarmacht: Es geht nicht um linke oder rechte Richter, um ideologische oder verfassungsrechtliche Differenzen, sondern um den vorpolitischen Raum der Grundüberzeugungen, um das Fundament der westlichen Zivilisation. Dieses steht auf dem Spiel, wenn in Europa Millionen von Menschen glauben, eine Zukunft ohne Christentum werde mehr Freiheit und Toleranz bringen – ohne sich darüber im Klaren zu sein, wohin die Abwesenheit einer göttlichen Menschenwürdegarantie führt.

Bürgerlich-konservative Kreise mögen so tun, als sei es möglich, ohne Rekurs auf Gott an säkularisierten Christlichkeiten festzuhalten, durch das mediale Beschwören entsprechender „Werte“ oder die Berufung auf ein C im Parteiprogramm, das seine religiöse Substanz verloren hat. In Wahrheit besitzt Gott für die Mehrheitsgesellschaft keine lebenspraktische Relevanz mehr. Man lebt, als würde sich der Mensch selber machen und als müsse man es nicht länger hinnehmen, über das subjektive Empfinden und Wollen hinaus eine ewige Wahrheit zu akzeptieren. Relativismus und Utilitarismus sind dann die passenden Philosophien.

Hier: www.nzz.ch.

Revierkampf unter dem Regenbogen

Wie sehr die LGBTQ+Bewegung zerstritten ist, dokumentiert der Streit um korrekte Regenbogenflagge. Thomas Thiel schreibt in seiner Besprechung des Jahrbuch Sexualitäten 2025 (FAZ, 19.08.2025, Nr. 191, S. 10):

Auch bei der Wahl der Regenbogenflagge ist die Selbstverständlichkeit verloren gegangen. Denn welche soll man nehmen? Neben die sechsstreifige Fahne, die der amerikanische Designer Gilbert Braker 1978 als Banner der Schwulenbewegung entwarf, ist eine bunte Vielfalt von Alternativen getreten. Die Progress Pride Flag, 2018 von Daniel Quasar entworfen, fügt dem Regenbogen einen Keil mit den Farben der Transgender Pride Flag hinzu. Das Auswärtige Amt hisste die Flagge vergangenes Jahr, damals noch unter Annalena Baerbock. Daneben gibt es Flaggen für Bisexuelle, Aromantiker, Sexarbeiter, Genderfluide und andere Minderheiten, die das Original jeweils mit eigenen Motiven und Farbgebungen variieren.

Till Randolf Amelung interpretiert die wundersame Flaggenvermehrung im neuen „Jahrbuch Sexualitäten“ als Symptom der Spaltung innerhalb der LGBTQ-Bewegung, die sich von den ursprünglichen Anliegen der Lesben- und Schwulenbewegung immer weiter entferne. Der Herausgeber des Jahrbuchs, Jan Feddersen, hat schon vor Jahren auf Schwulenfeindlichkeit in der LGBTQ-Szene aufmerksam gemacht. Von Trans- und Queer-Seite wird Homosexuellen verübelt, das binäre Geschlechtsschema zu bestätigen, das man dringend loswerden will, und die körperlichen Aspekte von Geschlecht in Erinnerung zu rufen, die im neuen Konzept der Geschlechtsidentität nicht mehr interessieren. Amelung weist demgegenüber darauf hin, dass man den Geschlechtspartner nicht abstrakt nach der Identität wählt, sondern durchaus auch nach der körperlichen Anziehung. Queeraktivistische Forderungen, das biologische Geschlecht zu verabschieden, nennt er homosexuellenfeindlich.

Die Überhöhung des Zweifels bei Paul Tillich

Klaus Bockmühl hat sich in seiner Vorlesung kritisch zur Überhöhung des Zweifels bei Paul Tillich geäußert (Verantwortung des Glaubens im Wandel der Zeit, 2001, S. 221):

Etwas ist jedenfalls ganz sicher, daß nämlich der biblische Glaube durchaus keinen Platz für den Zweifel hat. Der biblische Glaube zielt darauf, den Zweifel zu entfernen. In Matthäus 21,2I sagt Jesus: „Wenn ihr Glauben habt und nicht zweifelt …“  Glaube und Zweifel sind also Gegensätze. In Matthäus 28,17 heißt es: „Einige aber zweifelten“ zur Zeit zwischen Auferstehung und Himmelfahrt Jesu. Aber nach Pfingsten war es anders. Das Evangelium beschreibt also den Glauben nicht als Einbau, sondern als Überwindung des Zweifels.

Ich gebe zu, daß die Überwindung des Zweifels ein andauernder Prozeß ist, aber das ist nicht dasselbe wie die Einverleibung des Zweifels in den Glauben. Im Hebräischen bedeutet das Wort für Glauben „festmachen, konsolidieren, gewiß machen“, was soviel sagen soll wie, die Unstabilität, die Möglichkeit von zwei miteinander im Konflikt stehenden Wahrheiten muß überwunden werden. Wenn wir auf Abraham als den Vater des Glaubens schauen, dann wird Glaube dort als Vertrauen verstanden. Da geht es nicht wesentlich auch um den Zweifel, sondern die wesentliche Konsequenz des Glaubens ist der Gehorsam. Zweifel führt zum Zögern und zum Ungehorsam, aber Glaube ist die vertrauensvolle Überbrückung der Wartezeit zwischen der Verheißung und der Erfüllung, und zwar im bewußten Handeln. Dabei spreche ich nicht von gegen alle Zweifel gefeiter Sicherheit, über die Tillich sich lustig machte – fundamentalistische Sicherheit. Es ist vielmehr so, daß der Glaube ständig mit dem Zweifel kämpft, aber nicht bereit ist, dem Zweifel eine Berechtigung einzuräumen, sondern versucht, ihn zu überwinden. Ich denke, daß Tillich mit seiner Behauptung, daß der Zweifel im philosophischen Betrieb, aber auch in der biblischen Religion dazugehört, in beiden Fällen irrt.

A Textual Commentary on the Greek New Testament (2025)

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Ein neuer Textual Commentary on the Greek New Testament ist bei der Deutschen Bibelgesellschaft erschienen. Das gleichnamige Werk von Bruce M. Metzger, das sich in seiner letzten Auflage auf das GNT4 aus dem Jahr 1993 bezog, ist damit abgelöst (er ist aber immer noch sehr wertvoll und kann derzeit für nur 9,95 Euro bei der Bibelgesellschaft bezogen werden). 

Der neue Textual Commentary präsentiert nicht mehr das Ergebnis einer Arbeitskommision, sondern wird von H.A.G. Houghton verantwortet. Houghton ist Mitglied des Herausgebergremiums für NA29 und GNT6.

Aber was ist das Anliegen des Buches? Der Textual Commentary on the Greek New Testament ist kein Bibelkommentar. Er kommentiert Entscheidungen zur sogenannten Textkritik des Neuen Testaments. Neutestamentliche Textkritik ist ein Teilgebiet der Bibelwissenschaft, das sich mit der Rekonstruktion des ursprünglichen Wortlauts des griechischen Neuen Testaments befasst. Da die die Originalhandschriften (auch Autographen genannt) nicht mehr existieren, stützt sich die Textkritik auf die Auswertung und den Vergleich von Handschriften und anderen Textzeugen, um die wahrscheinlich ursprüngliche Lesart zu ermitteln.

Tanja Bittner hat die Neuausgabe rezensiert und schreibt u.a.:

Um fundiert Textkritik zu betreiben, ist ein beträchtliches Maß an Fachwissen nötig, zum Beispiel in Bezug auf die Charakteristika einzelner Handschriften. Vom durchschnittlichen Theologiestudenten, Pastor oder Bibelübersetzer ist das kaum zu leisten, obwohl textkritische Fragen durchaus für ihn relevant sein können.

Auf eben diese „non-specialists“ (S. VII) ist der Textual Commentary ausgerichtet. Er soll dem Leser helfen, die Arbeit der Textkritiker nachzuvollziehen und sich ein Stück weit eine eigene Meinung zu bilden.

In einer ausführlichen Einleitung (36 Seiten) wird zunächst das nötige Grundwissen vermittelt. Der Leser erhält einen Überblick über die verschiedenen Arten von Zeugen (Papyri, Majuskeln, Minuskeln usw.) und die Prinzipien der Textkritik (äußere und innere Kriterien, die neuen Möglichkeiten der CBGM). Im Abschnitt „Who Changed the Text and How?“ (dt. „Wer veränderte den Text und auf welche Weise?“ Vgl. S. 23–27) geht es um die immer wieder geäußerte Vermutung, die antiken Schreiber hätten sich gewisse Freiheiten beim Abschreiben der Texte genommen und zum Beispiel theologisch nicht genehme Stellen verändert. Damit verkennt man aber die Situation in antiken Schreibstuben und die üblichen Abläufe der damaligen Buchproduktion. Man sollte bei der überwiegenden Zahl der Varianten davon ausgehen, dass es sich um Versehen oder unbewusste Änderungen handelt.

Houghton geht in der Einleitung außerdem kurz auf das Konzept der Texttypen anhand der vermeintlichen geographischen Verortung ein (alexandrinischer, westlicher, Caesarea-Text): Der Textbefund erlaubt es heute nicht mehr, diese Kategorien aufrechtzuerhalten, man sollte sie deshalb nicht mehr als Kriterium verwenden. Einzige Ausnahme ist die Kategorie des Byzantinischen Texts, dessen Vertreter tatsächlich ein hohes Maß an Übereinstimmung aufweisen.

Mehr: www.evangelium21.net.

Schlatter kannte das Neue Testament auswendig

Klaus Bockmühl sagte über Adolf Schlatter (Verantwortung des Glaubens im Wandel der Zeit, 2001, S. 74):

Als Neutestamentler wurde Schlatter weltbekannt. Unter den Neutestamentlern des 20. Jahrhunderts wandte er sich als einer der ersten der frühen jüdischen Tradition und Literatur aus der Zeit des Neuen Testaments zu. Seine beachtliche Kenntnis von Philo und Josephus war ihm dabei eine große Hilfe. Er verfaßte seine eigene Konkordanz zu Josephus. Schlatter war führend auf diesem Gebiet. Wesentlich aufgrund seiner Arbeit wandte sich die neutestamentliche Forschung von ihrer Voreingenommenheit für die griechischen Mysterienreligionen ab und begann sich für die gedankliche Struktur des frühen Judentums zu interessieren.

Schlatter war auch einer der wenigen, die das griechische Neue Testament auswendig konnten; seine griechische Konkordanz war sein eigenes Gedächtnis. Aber er war auch ein hervorragender Systematiker – eine wenig bekannte Tatsache.

Monitor: Sieg der Glaubenskrieger?

Mit der Sendung „Gotteskrieger: AfD und radikale Christen“ erreicht das ARD-Magazin MONITOR einen neuen Tiefpunkt im gebührenfinanzierten Nicht-Journalismus. Es geht gar nicht mehr um eine inhaltliche Klärung von Fragen zum Lebensrecht, sondern darum, gegen Menschen zu hetzen, die sich für den Lebensschutz Ungeborener einsetzen. Natürlich werden Lebensschützer dabei pauschal mit christlichen Nationalisten in den USA in Verbindung gebracht. Es geht ihnen gar nicht so sehr um den Schutz der Menschenwürde, sondern um den politischen Umsturz – wird unterstellt.

Franziska Harter von der TAGESPOST hat die Sendung treffend kommentiert

Einen Nachweis für die angebliche Diffamierung und Hetze sucht man in der gesamten Sendung freilich umsonst. Ebenso fehlt jeglicher Hauch einer Bereitschaft zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Argumenten der Lebensschützer. Wozu auch, wenn es doch so viel einfacher ist, genau das zu tun, was die Produzenten der Sendung den Gegnern von Brosius-Gersdorf vorwerfen, nämlich faktenfrei Meinung zu machen. Deswegen kommt in der gesamten Sendung auch niemand aus dem Kreis der herbeifantasierten rechts-religiösen Verschwörung zu Wort. Stattdessen suggeriert Monitor durch Bildauswahl und Hintergrundmusik nur allzu platt, dass gläubige Menschen zu mehr als hysterisch-irrationalen Ausfällen und dem Schwenken von Jesus-Fahnen nicht fähig sind. Journalismus, der diesen Namen verdient, sieht anders aus. Aber gebührenfinanzierte Sender stehen ja nicht unter Konkurrenzdruck, da braucht man an journalistische Qualität wohl keine hohen Ansprüche stellen.

Christen wird ja gern Lobbyarbeit vorgeworfen. Was macht eigentlich MONITOR?

Das Magazin präsentiert sich als Sprachrohr von Neil Datta, dessen Kampf gegen den Lebensschutz von der International Planned Parenthood Federation, der Open Society, dem UN-Bevölkerungsfonds und der EU-Kommission finanziert wird. Neil Datta ist Sekretär des Europäischen Parlamentarischen Forums für sexuelle und reproduktive Rechte (EPF). Dieses in Brüssel ansässige Netzwerk von Europaparlamentariern setzt sich für die Verteidigung der sexuellen und reproduktiven Menschenrechte in Europa und der ganzen Welt ein. Ziel ist es, ein europaweites Menschenrecht auf Abtreibung zu schaffen (vgl. hier). 

Datta ist also ein lupenreiner Lobbyist. Das darf er in einer freien Welt auch sein. Er arbeitet allerdings nicht mit fairen Mitteln. Er geht so weit, dass er Lebenschützern vorwirft, zu lügen und mit Faschisten zusammenzuarbeiten. Datta begrüßt es, dass Lebensrechtler als „Hassgruppen“ eingestuft und vor Gerichte gezerrt werden. Das klingt dann so

Aber im Unterschied zu progressiven Organisationen versuchen sie ihre Absichten zu verbergen, indem sie offen darüber lügen, was sie tun und wer sie sind. Sie präsentieren sich der Öffentlichkeit als Menschen mit guten Absichten, aber hinter verschlossenen Türen kooperieren sie mit der extremen Rechten und den Faschisten, mit denen sie die gleichen Ziele teilen. Sie würden das niemals zugeben, aber jetzt, da dies an die Öffentlichkeit gelangt, sind sie gezwungen, mit den Folgen all dessen zu leben.

Gut, dass man sich in einer freien Gesellschaft mit friedlichen Mitteln gegen solchen ideologischen Aktivismus zur Wehr setzen darf!

Der Universalismus des David Bentley Hart

David Bentley Hart, Professor an der University of Notre Dame (USA), gilt als einflussreicher akademischer Theologe in der heutigen englischsprachigen Welt. Mit seinem Buch That All Shall Be Saved: Heaven, Hell, and Universal Salvation (dt. „Dass alle gerettet werden: Himmel, Hölle und universale Erlösung“) hat der orthodoxe Christ eine Allerlösungslehre vorgelegt. Michael McClymond hat die Darlegung  kritisch gelesen. 

Hier ein Auszug:

In That All Shall Be Saved umgeht Hart die Kraft biblischer Passagen, die seinen Universalismus untergraben, indem er argumentiert, dass keine der „eschatologischen Formulierungen des Neuen Testaments … als etwas anderes als eine intentionale heterogene Phantasmagorie verstanden werden sollte, deren Absicht ebenso sehr darin besteht, zu desorientieren wie zu belehren“. Er fügt hinzu: „Je genauer man sich die wilde Mischung von Bildern ansieht …, desto mehr löst sich das Bild in Evokation, Atmosphäre und Dichtung auf“. Hier hebt sich Harts Argumentation selbst auf, denn wenn die biblischen Autoren nichts als evokative Phrasen und Symbolik bieten, dann kann weder der Universalist noch der Partikularist auf der Grundlage der Schrift irgendetwas Gesichertes über das Leben nach dem Tod behaupten. Um die universale Erlösung aufrechtzuerhalten, ist Hart bereit, nicht nur die endlose Dauer des Himmels (siehe oben) infrage zu stellen, sondern auch die Autorität der Schrift und den erkennbaren Inhalt der göttlichen Offenbarung.

Wie andere universalistische Exegeten hat auch Hart in seiner biblischen Sichtweise blinde Flecken. Wie andere Anhänger Origenes’ hält er an einem eher überredenden als zwingenden Modell für Gottes Überwindung des Bösen fest. Doch 2. Mose und Offenbarung zeigen, dass das Böse nicht immer auf sanfte Überredung reagiert, sondern manchmal durch überlegene Macht besiegt werden muss. Der Pharao wird letztlich nicht überredet, sondern durch die Macht Jahwes vernichtet. Auch dem Tier, dem Teufel und dem falschen Propheten wird das Böse nicht ausgeredet, sondern sie werden gefasst und in den Feuersee geworfen. In all diesen Fällen ist die Ausübung der Macht Gottes zur Überwindung des Bösen etwas Gutes und nicht etwas Böses. Die himmlischen Heiligen rufen „Halleluja!“, als der monströsen Bosheit Babylons endgültig und vollständig ein Ende bereitet wird (vgl. Offb 19,1–5).

Mehr: www.evangelium21.net.

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