Siegfried Zimmer

Nochmal: Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben?

51To8PG9o9L SX296 BO1 204 203 200Warum man die Bibel mit gutem Wissen und Gewissen anders lesen kann als Siegfried Zimmer, beschreibe ich in dem Artikel „Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben?“. Darin heißt es:

In den vergangenen Jahren bin ich mehrfach Leuten begegnet, die ganz begeistert von Worthaus-Konferenzen zurückgekehrt sind. Einige dieser Besucher erklärten mir unverblümt, dass sie die biblizistischen Predigten in ihren Heimatgemeinden leid sind. So wie Peter, dem es schwer viel, überhaupt noch zuzuhören, wenn ein Bruder auf der Kanzel stand und nur das wiederholte, was jeder Leser sowieso im Bibeltext vorfand. „Bei Siegfried Zimmer habe ich endlich mal was Neues gehört“, schwärmte er. „Der nimmt die Bibel auch sehr ernst. Aber er gräbt tiefer und berücksichtigt die Kultur, in der die Texte entstanden sind. Dieser Mann ist nicht nur ein glänzender Rhetoriker, er legt die Schrift wissenschaftlich und relevant aus“, teilte mir Peter mit einem gewissen Stolz mit. Dann wollte er wissen, was ich von Siegfried Zimmer halte.

Siegfried Zimmer bin ich bis heute persönlich nicht begegnet. Worthaus-Vorträge hatte ich freilich schon gehört. So bestätigte ich, dass Zimmer ein wortgewaltiger Redner ist, der seine Hörer in den Bann zieht und manchmal kräftig gegen andere austeilt. Zu seiner Sicht auf die Heilige Schrift konnte ich auch etwas sagen, denn sein Buch Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben? habe ich gelesen. Also fing ich an, zu berichten, was ich dort entdeckt habe. Einiges davon will ich auf den folgenden Seiten erzählen. Ich weiß, dass ich manchem Leser damit viel abverlange.

Der evangelische Pädagoge und Theologe Prof. Dr. Siegfried Zimmer plädiert für ein Bibelverständnis jenseits von radikaler Kritik und Bibelgläubigkeit. Mit geradezu missionarischem Eifer versucht er seit vielen Jahren, evangelikale Christen vom Nutzen der Bibelwissenschaft zu überzeugen. Was soll auch schlecht sein an der Bibelwissenschaft? Sollen wir nicht alle gründlich und nachvollziehbar die Bibel studieren? Würde Zimmer für eine methodisch sorgfältige und nachprüfbare Schriftauslegung werben, würde er bei vielen – mindestens bei mir – offene Türen einrennen. Doch wenn Zimmer von Bibelwissenschaft spricht, meint er eigentlich Bibelkritik, denn beide Begriffe bezeichnen für ihn „das Gleiche“ (S. 147). Das Wort „Bibelkritik“ meidet er im nichtwissenschaftlichen Gespräch aus strategischen Überlegungen. Er möchte nicht unnötig verunsichern. Gemeint ist mit Bibelwissenschaft jedoch ein kritischer Umgang mit der Bibel in „positiver Absicht“. „Der entscheidende Schritt, um dieses Ziel zu erreichen, heißt: Die Bibel erst einmal aus ihrer Zeit heraus verstehen zu lernen“ (S. 146). Um dieses Ziel zu erreichen, müsse die Bibel traditionskritisch, kirchenkritisch, dogmenkritisch, frömmigkeitskritisch und selbstkritisch gelesen werden (vgl. S. 146). Neuzeitliche Methoden wie die Literarkritik oder die Redaktionskritik sollen helfen, die eigentliche Botschaft der Texte für die Leser von heute verständlich zu machen.

Mehr hier: www.evangelium21.net.

Ausgabe Nr. 25 (1/2020) der Zeitschrift „Glauben und Denken heute“ online

GuDh2020 1Die Ausgabe Nr. 25 (1/2020) der Zeitschrift für Theologie und Gesellschaft Glauben und Denken heute ist erschienen.

Der Rektor des Martin Bucer Seminars, Dr. Frank Hinkelmann, schildert die Pest als große Pandemie des Mittelalters und fragt nach dem, was wir heute daraus lernen können.

Prof. Dr. Thomas Schirrmacher befasst sich mit dem „Menschensohn“-Verständnis von Prof. Dr. Siegfried Zimmer.

Dr. Markus Till hat mit viel zeitlichem Aufwand 11 Vorträge der 9. Worthaus-Tagung nachgehört und fasst in seinem Beitrag „Quo Vadis Worthaus? Quo Vadis evangelikale Bewegung?“ die wesentlichen Inhalte zusammen und ergänzt diese mit kurzen Kommentaren.

Die Entstehung des Neuen Testaments war Gottes größtes Geschenk an seine Kirche nach dem Kommen Jesu und der Ausgießung des Heiligen Geistes. Dr. Franz Graf-Stuhlhofer blickt in das geheimnisvolle Jahrhundert, in dem der neutestamentliche Kanon entstanden ist.

Dr. Christian Bensel fordert in seinem Beitrag mehr Apologetik im pastoralen Dienst.

In der Rubrik „Von den Vätern lernen“ drucken wir diesmal eine Predigt über die Buße ab, die der Baptistenpastor Charles Haddon Spurgeon gehalten hat.

Wie gewohnt enthält diese Ausgabe zahlreiche Rezensionen und Buchhinweise.

Hier der Inhalt:

Artikel

  • Editorial: Predige das Wort (Ron Kubsch)
  • Die Pest – die Pandemie des Mittelalters (Frank Hinkelmann)
  • Siegfried Zimmer und der „Menschensohn“ (Thomas Schirrmacher)
  • Quo Vadis Worthaus? Quo Vadis evangelikale Bewegung? (Markus Till)
  • Das geheimnisvolle Jahrhundert in Bezug auf den neutestamentlichen Kanon … (Franz Graf-Stuhlhofer)
  • Apologetik im pastoralen Dienst (Christian Bensel)
  • Von den Vätern lernen: Buße und Glaube (Charles Haddon Spurgeon)

Rezensionen

  • Johannes Fried: „Kein Tod auf Golgatha“ (Fabian F. Grassl)
  • Joel R. Beeke u. Mark Jones: Systematische Theologie der Puritaner (Ron Kubsch)
  • Gerhard Kardinal Müller: Der Glaube an Gott im säkularen Zeitalter (Ron Kubsch)
  • Don Kistler (Hrsg.): Allein die Schrift … warum eigentlich? (Tanja Bittner)
  • John Lennox u. David Gooding: Was ist der Mensch? (Ron Kubsch)
  • Ludwig Neidhart: Gott und Zeit (Franz Graf-Stuhlhofer)
  • John Nicholas Gray: Seven Types of Atheism (Daniel Vullriede)

Buchhinweise

  • Michael J. Kruger: The Ten Commandments of Progressive Christianity (Tanja Bittner)
  • Tim Dowley: Illustrierter Atlas zur Geschichte des Christentums (Ron Kubsch)
  • Elijah Hixson u. Peter J. Gurry (Hrsg.): Myths and Mistakes in New Testament Textual Criticism (Thomas Kinker)

Ein technischer Hinweis zur Lektüre: Der Acrobat-Reader eignet sich für das digitale Lesen unserer Zeitschrift besonders gut. Falls sich im Text Links auf Internetseiten befinden, können diese aufgerufen werden, indem einfach auf den entsprechenden Link geklickt wird.

Die Zeitschrift kann hier heruntergeladen werden: gudh_1_2020_final.pdf.

Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben?

In der Zeitschrift PERSPEKTIVE mit dem Thema „Vernünftig glauben“ ist mein Artikel „Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben?: Warum ich die Heilige Schrift anders lese als Siegfried Zimmer und die Bibelwissenschaft trotzdem schätze“ erschienen (Ausgabe 3/2020, 19. Jg., S. 32–36). Der Artikel beginnt wie folgt:

In den vergangenen Jahren bin ich mehrfach Leuten begegnet, die ganz begeistert von Worthaus-Konferenzen zurückgekehrt sind. Einige dieser Besucher erklärten mir unverblümt, dass sie die biblizistischen Predigten in ihren Heimatgemeinden leid seien. So wie Peter, dem es schwerfiel, überhaupt noch zuzuhören, wenn ein Bruder auf der Kanzel stand und nur das wiederholte, was jeder Leser sowieso im Bibeltext vorfand. „Bei Siegfried Zimmer habe ich endlich mal was Neues gehört“, schwärmte er. „Der nimmt die Bibel auch sehr ernst. Aber er gräbt tiefer und berücksichtigt die Kultur, in der die Texte entstanden sind. Dieser Mann ist nicht nur ein glänzender Rhetoriker, er legt die Schrift wissenschaftlich und relevant aus“, teilte mir Peter mit einem gewissen Stolz mit. Dann wollte er wissen, was ich von Siegfried Zimmer halte.

Siegfried Zimmer bin ich bis heute nicht persönlich begegnet. Worthaus-Vorträge hatte ich freilich schon gehört. So bestätigte ich, dass Zimmer ein wortgewaltiger Redner ist, der seine Hörer in den Bann zieht und manchmal kräftig gegen andere austeilt. Zu seiner Sicht auf die Heilige Schrift konnte ich auch etwas sagen, denn sein Buch Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben? habe ich gelesen. Also habe ich berichtet, was ich dort entdeckt habe. Einiges davon will ich auf den folgenden Seiten erzählen. Ich weiß, dass ich manchem Leser damit viel abverlange.

Die Ausgabe kann hier bestellt werden: www.cv-perspektive.de.

Skizze zur Dreieinigkeit

Philipp Melanchthon schreibt in seiner Apologie, die bekanntlich zu den lutherischen Bekenntnisschriften zählt, über den dreieinen Gott (BSLK, S. 145):

Den ersten Artikel unsers Bekenntnisses lassen ihnen die Widersacher gefallen, in welchem angezeigt wird, wie wir glauben und lehren, daß da sei ein ewiges, einiges, unzerteiltes göttliches Wesen und doch drei unterschiedene Personen in einem göttlichen Wesen, gleich mächtig, gleich ewig, Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist. Diesen Artikel haben wir allzeit also rein gelehrt und verfochten, halten auch und sind gewiß, daß derselbe so starken, guten, gewissen Grund in der Heiligen Schrift hat, daß es niemand möglich sei, den zu tadeln oder umzustoßen. Darum schließen wir frei, daß alle diejenigen abgöttisch, Gotteslästerer und außerhalb der Kirche Christi seien, die da anders halten oder lehren.

Es ist ein geradezu ökumenischer Artikel. Die Reformatoren haben die Dreieinigkeit gelehrt und verfochten, weil sie ihrer Überzeugung nach einen festen Grund in der Schrift hat. Weil die Schrift den dreieinen Gott offenbart, konnten sie nicht anders, als dies rein zu lehren.

Das ist allerdings 500 Jahre her. Heute sehen das viele anders. Sehr viele.

Nehmen wir Siegfried Zimmer. Für ihn ist die altkirchliche und reformatorische Trinitätslehre etwas für den „Hasen“. Vorstellungen wie diese seien seit der Aufklärung – so sagte er 2015 in einem Worthausvortrag –  zu einem großen Anstoß für denkende Menschen geworden. Die altkirchliche Lehre sei in dieser Form nicht zu retten. Die Dreieinigkeit Gottes stehe zudem dem interreligiösen Gespräch im Weg. Muslime vermögen mit einem dreieinen Gott nichts anzufangen. Vor allem aber liefere die Heilige Schrift selbst keine Begründung für die kirchliche Lehre der Dreineinigkeit. Die Theorie vom dreieinen Gott werde vielmehr, nachdem sie einst von der Alten Kirchen in von Blut und Machtpolitik getränkte trinitarische Begriffe und Formeln gekleidet worden ist, in die Bibel hineinprojiziert.

Was wir heute vom Geheimnis der Trinität lernen könnten, gehe in eine andere Richtung als die alte Dogmatik sie vorgab. Zimmer greift Überlegungen von Eberhard Jüngel und Jürgen Moltmann auf. Nämlich: Die drei Metaphern Vater, Sohn und Heiliger Geist kommen gut miteinander klar. Es geht um die Lebendigkeit Gottes. Gottes Sein ist im Werden. Gott bejaht das andere in sich selbst. Es geht um das Leben. Zimmer: „Was [den] frühen Christen in ihrem Erkundungsgang Trinität […] mehr oder weniger deutlich klar geworden ist […]: Leben ist ein Leben in Beziehungen. Leben heißt, aufeinander bezogen sein. Leben ist ein Verhältnis. Das merken wir an Gott. Gott lebt in sich selber ein beziehungsreiches Leben […] Das Lebendige am Leben ist der Beziehungsreichtum. Gott ist ein Verhältniswesen. Sein ist ein Zusammensein […] Gott duldet in sich selbst auch Unterschiede […] Gott hat einen eigenartigen Reichtum“ (ab 1:11h im vollständigen Vortrag).

Der Ertrag dieser Einsichten könne uns eine Inspirationsquelle werden. Es gehe um etwas Erfahrungsgesättigtes. Davon könnten wir allerhand lernen. Daran dürfen wir uns – so Zimmer – orientieren: Denn ich kann in meinem urpersönlichen eigenen anderen mich einbetten in eine Gemeinschaft. Wir sind einig, obwohl wir verschieden sind. Weil wir verschieden sind, sind wir einig. Das, was uns unterscheidet, trennt uns nicht, sondern ist unsere Einheit. Je verschiedener wir sind, desto einiger können wir uns werden. Aus der Trinität lernen wir das Ja zum anderen, auch zum anderen in uns selbst. Man könne das gut zusammenfassen: Von der Herrschaft zur Gemeinschaft.

Viele Einwände, die Siegfried Zimmer gegen die Dreieinigkeitslehre vorbringt, kommen mir recht bekannt vor. In der Gemeinde, zu der ich zwischen 1986 bis 1987 gehörte, machte sich eine „Jesus only“-Gruppierung breit. Die Dazugehörenden, meist jungen Leute, waren felsenfest davon überzeugt, dass die Lehre der Dreieinigkeit eine Idee sei, die maßgeblich erst im vierten Jahrhundert entfaltet wurde und die sich nicht auf die Bibel berufen könne. Die Lehre von der Dreieinigkeit sei ein menschliches Konstrukt und blockiere den Glauben an den einen wahren Gott. Auch wenn Siegfried Zimmer keinen großen Gefallen an der „Jesus only“-Bewegung haben dürfte, immerhin versucht er ja die Trinität noch irgendwie zu retten, trägt er ähnlich kritische Thesen vor.

Ich wurde damals von der Gemeindeleitung gebeten, in einem Vortrag dazu Stellung zu nehmen. Nachdem ich mir den Vortrag von Siegfried Zimmer angehört hatte, habe ich das Skript noch einmal ausgegraben. Auch wenn ich nicht mit allem zufrieden bin, habe ich es digital erfasst und kann es zur Verfügung stellen.

Ich war damals 21 Jahre alt. Eine gewisse Unreife und Naivität wird dem Leser mit geschultem Blick schnell in’s Auge springen. Dennoch kann der Text ein Einstieg dafür sein, die Bibeltexte selbst zu befragen. Getragen sind die Ausführungen nämlich von einer Überzeugung, die Melanchthon und die anderen großen Lehrer der Kirche und der Reformation geprägt hat: Die Trinität hat einen so starken, guten und gewissen Grund in der Heiligen Schrift, dass es niemandem möglich ist, diese zu tadeln oder umzustoßen.

Heute würde ich stärkere Argumente vorbringen als mir das damals möglich war. Ich verweise deshalb ich im digitalisierten Skript auf weiterführende Literatur.

Hier der Vortragstext aus dem Jahre 1986: Dreieinigkeit1986.pdf.

Die Vorlesung von Siegfried Zimmer gibt es hier in voller Länge. Nachfolgend die Kurzversion:

Worthaus

Worthaus ist unter Evangelikalen in den letzten Jahren recht populär geworden. Gerade neugierige und aufgeweckte junge Leute fühlen sich von den Worthaus-Vorträgen angezogen, verstanden und gut informiert. Es werden viele Themen angesprochen, die in ihren Gemeinden oder Hauskreisen unterbelichtet bleiben. Markus Till hat sich viele Vorträge angehört und schreibt in seiner hilfreichen Analyse: „Die evangelikale Bewegung steht vor einer grundlegenden Entscheidung, wenn sie nicht in den Abwärtsstrudel der liberalen Kirchen mit hineingezogen werden möchte.“

Er schreibt weiter:

Worthaus ist kein einheitlicher Block mit einheitlicher Theologie. Jedoch gibt es eine klare gemeinsame Prägung (weshalb in diesem Artikel meist vereinfachend von Worthaus als Ganzem gesprochen wird). Worthaus bekennt sich klar zur historisch-kritischen universitären Theologie, will aber gleichzeitig bibeltreu sein – sogar wesentlich bibeltreuer als konservative Christen. Durch die Berücksichtigung moderner bibelwissenschaftlicher Erkenntnisse soll ein „unverstellter Blick“ auf die Bibel gewonnen werden. Biblische Textgattungen sollen sauber unterschieden werden und das historisch-kulturelle Umfeld sowie die Entstehungsgeschichte der biblischen Texte berücksichtigt werden, um viel fundierter beleuchten zu können, was die biblischen Texte ursprünglich wirklich sagen wollten (z.B. ob die Geschichten historisch gemeint waren oder nicht). Entsprechend lautet die Vision von Worthaus: „Alles auf Null“. Das will sagen: Wir stellen vorurteilsfrei noch einmal alles in Frage, um zu gut begründeten Überzeugungen zu gelangen. Das klingt auch für viele konservative Zuhörer gut, die ja zuallermeist längst nicht so wissenschaftsfeindlich sind, wie das von Worthaus oft behauptet wird.

Auf dem Blog Aufatmen in Gottes Gegenwart kann der Beitrag auch als PDF-Datei heruntergeladen werden: blog.aigg.de.

Überredungskunst à la Zimmer

Im Sommer letzten Jahres hielt Siegfried Zimmer beim „Freakstock“-Festival einen Vortrag zum Thema „Das Verständnis der Moderne als ein Schlüssel zum angemessenen Verständnis von biblischen Texten“. Holger hat sich den Vortrag angehört und analysiert. Danke!

Zimmers Ausführungen zum historischen Denken enttäuschen daher auf ganzer Linie. Der Boden ist bei ihm nun bereitet für ein aktuelles Beispiel. Er wendet sich natürlich wieder den konservativen Christen zu, denjenigen unter ihnen, die sagen, Frauen dürfen in der Gemeinde nicht leiten. „Jetzt gibt es tatsächlich fromme Leute, die meinen, man könne die Genderrolle der Frauen im Neuen Testament auch heute anwenden.“ Das sei ja wohl „granatendoof“. „Berücksichtigt den historischen Wandel! Der Fundamentalismus kann des net.“

Überredungskunst à la Zimmer. Die konservativen Christen, so die Unterstellung, können nicht historisch denken, weil sie die historische Bedingtheit des Lebens ignorieren, Beispiel Geschlechterrollen. Hier kann man dem Professor das Kompliment nur zurückgeben: granatendoof, dass es einem die Socken auszieht.

Zimmer tut so, als wollten diese Frommen das erste Jahrhundert kopieren bzw. 1:1 abbilden. Was Christen schon immer taten und bis heute tun, ist die Anwendung der biblischen Normen, Prinzipien, Vorgaben usw. in unserer Zeit. Zimmer reißt hier Gräben auf, die so gar nicht existieren. Auch evangelikale Theologie berücksichtigt natürlich den historischen Wandel! So ist das Verhältnis von Mann und Frau heute zweifellos ein anderes als in der Antike. Der Knackpunkt ist dabei einfach dieser: Gibt es in der Bibel Normen, die mit Autorität an uns herantreten? Hier einfach den historischen Wandel aus dem Zylinder zu ziehen, hilft nicht weiter. Das Eheleben hat sich so gewandelt, dass in vielen modernen Gesellschaften jede zweite Ehe geschieden wird. Dies ist in Theologie und Ethik, Predigt und Seelsorge natürlich zu berücksichtigen. Aber noch immer lehren und verkündigen die Christen, dass Gott – laut Bibel – will, dass Mann und Frau ein Leben lang zusammenbleiben. Würde Zimmer so jemand nun „das ist wohl granatendoof!“ entgegenschleudern?

Gibt es Ordnungen und Normen, die zeitlos gültig sind, die aber natürlich in unterschiedlichen Kulturen und Epochen unterschiedlich anzuwenden sind? Zimmer fängt dies an einer Stelle auf: „Natürlich gibt es Wahrheiten über den Menschen, die werden immer gelten.“ Jeder Mensch will geliebt sein; er hat Ängste Sorgen, Sehnsüchte – „das stimmt immer“, dies sind „tiefe Existenzwahrheiten“. Schön und gut, aber ist dies alles? Gibt es so etwas wie Offenbarungswahrheiten? Mehr als reine Existenzwahrheiten? Wie z.B., dass ein Herrscher einen Untertanen nicht nach Belieben töten darf, weil auch der König unter dem Recht steht? Hier ist natürlich an 2 Sam 11 zu denken (Davids Auftragsmord). Ist das etwa keine Wahrheit, die immer gilt?

In der nachaufklärerischen Theologie haben diese Offenbarungswahrheiten natürlich einen schweren Stand. Zimmer sollte hier mit offenen Karten spielen und seine Position klarstellen. Ich kann nicht erkennen, dass es unvernünftig sein sollte, dass ein personaler Gott sich personalen Wesen in Worten und Handlungen mitgeteilt hat, autoritativ mitgeteilt hat. Dies geht gewiss über Existenzwahrheiten, die der Mensch in sich selbst finden kann, hinaus. Jeder Mensch will nicht nur geliebt sein; die viel wichtigere Frage ist: Ist da ‘oben’ jemand, der mich liebt? Und was hat dies Wesen für einen Charakter? Hier gibt die Bibel eine definitive, ‘zeitlose’ Antwort.

Was soll man dazu sagen?

Die KBA, die „Konferenz Bibeltreuer Ausbildungsstätten“ mit über drei Dutzend Mitgliedern im deutschsprachigen Raum und Hort der zimmerschen Konservativen, formuliert im ersten Punkt der gemeinsamen Glaubensgrundlage, dass man an „die göttliche Inspiration und die Unfehlbarkeit der ganzen Heiligen Schrift“ glaubt. Nun gibt es hohe Verantwortliche in Werken der KBA, die „Worthaus“ ganz toll finden, empfehlen und verlinken.

Mehr: lahayne.lt.

Die Verborgenheit Gottes bei Siegfried Zimmer

Siegfried Zimmer hat es bei den Evangelikalen in Deutschland wie Rob Bell geschafft, populär zu werden. Dabei ist es interessant, wie sehr Zimmer die Verborgenheit Gottes „hervorhebt“. Ein Zitat aus meinem Aufsatz „Bibel und Bibelkritik“ (Daniel Facius (Hg.), Der Bibel verpflichtet: Mit Herz und Verstand für Gottes Wort, 2015, S. 277–279):

Letztlich ist Siegfried Zimmer – wie viele andere – auf der Suche nach einer metaphorischen oder symbolischen Wahrheit. Die Texte sind auf einen tieferen Sinn, auf einen allgegenwärtigen sensus plenior hin zu untersuchen. Wird die tiefere Wahrheit, also der Geist der Schrift im Gegensatz zu ihren bloßen Buchstaben, offengelegt, kann dies der Kirche geistliches Leben stiften.

Nun ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, in der Bibel nach mehr als nur nach historischen Wahrheiten zu suchen. Die Bibel enthält viele Erzählungen, Lieder, Gebete, Gleichnisse, Visionen usw. Das Ernstnehmen dieser Gattungen fördert zweifelsohne die ertragreiche Lektüre. Eine hervorstechende Leistung der vom Strukturalismus beflügelten Exegese ist es, Eigenarten von Textformen bis ins kleinste Detail zu beobachten und dadurch oft übersehene Feinheiten zutage zu fördern. Verfänglich wird es dann, wenn literarische Beobachtungen gegen die historische Verankerung von Erzählungen (so sie denn vorliegt) ausgespielt oder Denkfiguren einer doppelten Wahrheit eingeführt werden. Wir nehmen nach Zimmer die Bibel erst dann wirklich ernst, wenn wir (viele) ihrer Geschichten von ihrem Geschichtsbezug entbinden und symbolisch deuten. Der Graben zwischen der „Welt der Geschichte“ und der „Welt der Bibel“ bleibt also bestehen, ja es wird der Eindruck erweckt, Jesustreue ist daran abzulesen, dass dieser Graben akzeptiert wird. Auf der einen Seite haben wir die geschehene Offenbarung, auf der anderen die in der Heiligen Schrift aufgezeichneten Offenbarungszeugnisse.

Wir werden freilich mit den Schiffen oder Brücken der Symbolik, Allegorese oder Liturgie den garstigen Graben nicht queren. Wie soll aber Gott da noch klar reden? Führt das nicht zwangsläufig in die Unwirklichkeit Gottes? Ich finde es bemerkenswert, wie stark Zimmer die Verborgenheit Gottes herausstellt. Gottes „Wirken ist geheimnisvoll und unberechenbar“. Je „näher ich“ Gott „komme, desto geheimnisvoller wird er“. „Gott ist ein Geheimnis.“ „Auch in seiner Offenbarung bleibt Gott der verborgene Gott …“ „Wer sich dem verborgenen Gott anvertraut, wird erfahren, wie Gott durch die Bibel wirkt.“ „Es ist ein wichtiges Kriterium für die geistliche Qualität einer christlichen Gruppe, ob sie die Verborgenheit Gottes gebührend ernst nimmt, gerade auch in ihrem Verständnis der Bibel.“

Wie anders redet doch Paulus. Natürlich kennt auch er den unausforschlichen, verborgenen Gott (vgl. Röm 9, vgl. Jes 45,15). Doch weiß er, dass sich dieser unsichtbare Gott in seinen Werken allen Menschen so unzweideutig offenbart, dass sie keine Entschuldigung für ihren Undank haben (vgl. Röm 1,18–22). Vor allem aber hat Gott ihm und anderen Aposteln und Propheten durch den Geist das Geheimnis des Christus, welches früheren Generationen verborgen blieb, offenbart (vgl. Eph 3,3–9). Der Apostel ist eingesetzt, das Wort Gottes auszurichten, nämlich „das Geheimnis, das seit Urzeiten und Menschengedenken verborgen war – jetzt aber seinen Heiligen offenbart worden ist“ (Kol 1,26). In Jesus, in dem gekreuzigten Christus, im Evangelium also, ist Gott offenbar und wird von den Seinen im Glauben erkannt. Der verborgene Wille Gottes – so hat Luther es einmal gesagt – ist „nicht zu erforschen“, sondern als ein Geheimnis „in Ehrfurcht anzubeten“. Erkannt und verkündigt wird Gott im Evangelium, bei dem allein wir Menschen Rettung und Trost finden (vgl. 1Kor 1,18–2,16). Jenen, die gerettet werden, ist dieses Evangelium Gottes Kraft und herrliche Freude (1Kor 1,18; 1Petr 1,8). „Was kann denn in der Schrift noch Erhabenes verborgen sein“ – schreibt Luther, „nachdem die Siegel gebrochen sind und der Stein von der Tür des Grabes weggewälzt worden ist? Womit das höchste Geheimnis an den Tag gekommen ist, dass nämlich Christus, der Sohn Gottes, Mensch geworden ist, dass Gott dreieinig ist und ein einziger, dass Christus für uns gelitten hat und in Ewigkeit herrschen wird.“ „Gott selbst wäre uns fern und verborgen, wenn uns Christus nicht mit seinem Glanz umstrahlte“, schreibt Calvin. Aber der „Vater hat alles, was er hatte, dem Eingeborenen gegeben, um sich uns in ihm zu offenbaren“. Deshalb ist in Christus „Gottes Herrlichkeit für uns sichtbar“.

Diffamierung als „bestes” Argument

Siegfried Zimmer hat in den letzten Wochen durch seinen Vortrag zur Frage der Homosexualität für viel Aufregung gesorgt. Der Ludwigsburger Theologe verbindet seine Argumentation für eine Akzeptanz homosexuellen Lebens in der Bibel mit einer vehementen Verächtlichmachung von Christen, die mit biblischen Argumenten am „Nein“ zur Homosexualität festhalten. Das sind immerhin recht viele. Alle christlichen Konfessionen haben bis vor wenigen Jahren die gleichgeschlechtliche Liebe abgelehnt und auch in der Gegenwart sehen das die allermeisten Christen so.

Zimmers eigene Argumente für seine Sichtweise erweisen sich bei genauem Hinschauen als äußerst schwach, meint Michael Kotsch. Dafür hören wir aber polternde Polemik:

In etwa einem Viertel seines Vortrags bringt Zimmer seinen – man kann es leider nicht anders nennen – Hass auf konservative Christen zum Ausdruck. Mit zahlreichen üblen Unterstellungen und Anklagen diskreditiert er jede konservativ-christliche Stellungnahme zur Homosexualität. Wie er selbst mutmaßt, seien die darin vorkommenden Verurteilungen der Homosexualität möglicherweise Teil einer Verarbeitung der eigenen Biographie.

Ganz allgemein haben konservative Christen, so Zimmer, zahlreiche Vorurteile. Sie seien „dümmlich“, „rechthaberisch“ und verstehen die Bibel nicht wirklich. Konservative und entschiedene Christen „haben ihre Ausblendungen“ und „Einseitigkeiten“. Sie sind „engstirnig“ und haben kein Interesse, sich zu informieren, meint Zimmer. Konservative Christen sind „tragisch“, bei ihnen wird die Bibel „dumm zitiert“. Sie „liegen fürchterlich daneben“ in ihrem Umgang mit der Bibel, weil sie „nicht einmal das ABC historischer Hintergrundkenntnis“ mitbringen.

In ihrem Umgang mit der Bibel seien sie keinesfalls bibeltreu, wie sie selbst behaupten, sondern „bibelverkorkst“. Mit ihrer Theologie betrieben sie „schwerste Bibelmanipulation“. In ihren Argumentationen „eiern hin und her“. Bei den konservativen Christen wird die Bibel „missbraucht“ und „instrumentalisiert“. Sie „haben die Bibel in ihrem Schwitzkasten“ und „bauen eine eigene Ideologie auf“, behauptet Zimmer. Aber nicht genug!

Hier die vollständige Stellungnahme von Michael Kotsch: bibelbund.de.

Entmythologisierung für Evangelikale

Die ersten Kapitel der Bibel wollen nicht über die zeitlichen Anfänge der Menschheit berichten, sondern den tiefsten Grund des menschlichen Daseins erklären. Adam und Eva seien entsprechend nicht als bestimmte Personen zu verstehen. Der Theologieprofessor Siegfried Zimmer (ehemals Pädagogische Hochschule Ludwigsburg) begründet diese Auffassung damit, dass es in der Antike kaum ein historisches Interesse gegeben habe, weiterhin dass die biblischen Begriffe für „Anfang“ nicht zeitlich, sondern im Sinne von „grundsätzlich“ gemeint seien, und schließlich mit verschiedenen Beobachtungen an den Texten von Genesis 1–5. Außerdem würde ein historisches Verständnis von Genesis 2 und 3 zahlreiche Unstimmigkeiten beinhalten und sei daher auszuschließen.

Ein seinem Aufsatz „Entmythologisierung für Evangelikale: Haben Adam und Eva wirklich nicht gelebt?“ weist Reinhard Junker darauf hin, dass es in der Antike sehr wohl ein Interesse an der Historie gab, erst recht bei den Verfassern der alttestamentlichen Bücher. Im Weiteren wird anhand zahlreicher Beispiele gezeigt, dass in den Texten, in denen es um den „Anfang“ geht, der zeitliche Aspekt wichtig ist und dass die für einen „Anfang“ verwendeten Begriffe in den biblischen Sprachen ausdrücklich und in erster Linie den zeitlichen Aspekt beinhalten. Das Wort „Adam“ wird im Alten Testament zwar mehrheitlich im Sinne von „Menschheit“ gebraucht, kann aber in 1Mose 1–5 an mehreren Stellen nur im individuellen Sinne verstanden werden, und in diesem Sinne wird „Adam“ auch an prominenten Stellen des Neuen Testaments als erster Mensch verstanden (vgl. Röm 5; 1Kor 15,22; 1Tim 2,13). Schließlich wird gezeigt, dass der Verlust der biblischen Aussagen über einen zeitlichen Beginn und über historische Veränderungen zu einem Verlust des Verständnisses des Menschen als Geschöpf und erlösungsbedürftigen Sünder führen. Es geht also nicht darum, die biblischen Texte über die Anfänge auf historische Aspekte einzuschränken. Vielmehr werden viele wichtige Aspekte der Gegenwart und des Soseins des Menschen erst von der Geschichte her verständlich.

Hier der empfehlenswerte Aufsatz: a17.pdf.

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