Januar 2018

„Falscher Narrativ“

Die Wahrheit hat ihren Preis. Besonders innerhalb einer Kultur, der die Wahrheitsliebe verloren gegangen ist. Ein aktueller Fall aus Griechenland illustriert das. Vor einigen Monaten war der frühere Chef des griechischen Statistikamtes zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden, weil er die Wahrheit sagte. Andreas Georgiou hat nachgewiesen, dass das Haushaltsdefizit Griechenlands höher ist als die offiziellen Zahlen das angeben. Das passte der regierende Linkspartei Syriza von Ministerpräsident Alexis Tsipras und anderen Gruppierungen überhaupt nicht. Deshalb wurde Georgiou als Staatsfeind hingestellt. „Das endgültige Ziel ist es, einen falschen politischen Narrativ zu schaffen, der die Schuld an der Krise auf einen Technokraten schiebt“, meint die Ökonomin Miranda Xafa.

Inzwischen kommt mehr und mehr Licht in das Dunkel. Etliche renommierte Volkswirtschaftler haben sich inzwischen hinter die Daten von Andreas Georgiou gestellt:

Die FAZ berichtete:

Georgiou war 2010 als Elstat-Chef berufen worden und hatte die zuvor falschen Defizit- und Schuldenangaben Griechenlands überarbeitet und nach oben korrigiert. Der Wert für das Defizit 2009 wurde von ihm von 13,6 auf 15,4 Prozent des BIP angehoben, vor allem, indem entsprechend der europäischen Regeln verlustbringende Staatsinstitutionen und Staatsunternehmen in die Rechnung einbezogen wurden. Inzwischen wurde Georgiou von zwei Gerichten in Athen wegen angeblicher Pflichtverletzung und angeblicher übler Nachrede verurteilt. Die von der Syriza-Regierung ernannte Generalanwältin des Landes fordert sogar eine lebenslange Haftstrafe für den früheren Chefstatistiker, weil er angeblich das Land in die Rezession und Schuldenkrise gerissen haben soll.

Mehr: www.faz.net.

VD: WR

Justin Trudeau: Meinungsfreiheit ja, aber

Vor einigen Tagen stellte sich Justin Trudeau, der Premierminister von Kanada, an der McMaster Universität in Hamilton (Ontario, Kanada) den Fragen einiger Gäste, Dozenten und Studenten.

Ein junger Student hat folgende Frage gestellt:

Ich bin ein Student im ersten Jahr hier bei McMaster. Ich möchte nur etwas über ihre Ansichten zur Redefreiheit erfahren. Denn in der heutigen Gesellschaft ist eine linke Sicht der Dinge sehr verbreitet. Wenn Leute nicht die gleichen Meinungen haben, werden sie belächelt und als Rassisten, Fanatiker und alles andere bezeichnet. Zum Beispiel: Abtreibung. Wenn du für das Leben bist, dann wirst du lächerlich gemacht und beleidigt, aber wenn du Pro-Choice bist, dann wirst du gelobt. Ich möchte nur wissen, ob ihnen das wichtig ist?

Hier nun Auszüge aus der Antwort des smarten Justin Trudeau:

Hören sie, ich meine, ich habe immer wieder demonstriert, dass die Verteidigung von Rechten und Freiheiten der Kern dessen ist, wer ich bin, und ehrlich gesagt, es ist der Kern dessen, was Kanada ist. In diesem Land verteidigen wir gegenseitig diese Rechte, auch wenn sie unpopulär sind, wie wir es schon einige Male gesehen haben. Gleichzeitig müssen wir wissen, dass zwischen der Meinungsfreiheit und dem Handeln auf der Grundlage dieser ausgedrückten Freiheiten und Überzeugungen ein Unterschied besteht.

Das bedeutet nicht, dass religiöse Gruppen und Glaubensgemeinschaften sich nicht dafür [gemeint sind finanzielle Zuschüsse, R.K.] bewerben können. Im Gegenteil, so viele der großen gemeinnützigen Organisationen, die unglaublich hart arbeiten, sind in diesem Land auf Glauben gegründet und sie sind ein wichtiger und wunderbarer Teil unserer Gesellschaft. Es bedeutet jedoch – und hier kommen wir zum Kern der Sache -, dass eine Organisation, die ausdrücklich darauf abzielt, die Rechte von Frauen einzuschränken, indem sie das Recht auf Abtreibung, das Recht von Frauen, ihre eigenen Körper zu kontrollieren, aufhebt, nicht im Einklang mit dem steht, wo wir als Regierung, und ganz ehrlich, wo wir uns als Gesellschaft, befinden.

Klare Worte!

Den Videomitschnitt gibt es hier. Der Student fragt ca. ab der 30. Minute.

Kinderrechte im Grundgesetz

In der finalen Fassung der Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD steht lapidar auf S. 10: „Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern.“

Kinderrechte im Grundgesetz. Das klingt gut. Die linken Parteien wollten schon länger den direkten, staatlichen Zugriff auf die Kinder erleichtern. Im Jahre 2012 bekannte die SPD-Politikerin Manuela Schwesig, damals Familienministerin, unverblümt im Deutschlandfunk: „Wir müssen die Kinderrechte im Grundgesetz verankern. Oftmals sind Elternrechte oder andere Rechte höher als die Kinderrechte. Das halte ich für falsch.“ Folglich soll der Staat im Blick auf die Kinder mit größerer Autorität ausgestattet werden als die Eltern. Das kommt nicht ganz überraschend. Frau Schwesig stammt aus Frankfurt an der Oder und wurde sozialistisch erzogen. Heute, also nur 5 Jahre später, stimmen ihr die Eliten der CDU und CSU in diesem Ansinnen zu.

Was ist denn falsch an so einer Verfassungsänderung? Meist werden schnell Fälle von vernachlässigten oder misshandelten Kindern herangezogen, um die Stärkung von Kinderrechten zu begründen. Dabei sind die Rechte von Kindern in solchen Fällen ausreichend geschützt. Behörden können in Verdachtsmomenten bereits heute aktiv werden.

Gewollt wird etwas anderes. Mutti Staat möchte direkt in die Familien hineinregieren und sich das Recht sichern, im Zweifel gegen die Interessen und Überzeugungen der Eltern bestimmen zu können, was für die Kinder gut ist. Auf diese Weise werden die Elternrechte, die durch die Verfassung zugesichert sind, abgemildert. Jenes: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“, wird zugunsten des: „Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft“ abgeschwächt. Bei einer Pflichtenkollision, also in jenem Fall, beim dem die Vorstellungen des Staates mit den Absichten der Eltern rivalisieren, können sich die staatlichen Behörden leichter durchsetzen. Derzeit keine unmittelbare Bedrohung. Aber totalitäre Staatsmächte lieben solche Möglichkeiten zurecht.

Ich zitiere aus dem empfehlenswerten Buch Gender von Christoph Raedel (Gender: Von Gender Mainstreaming zur Akzeptanz sexueller Vielfalt, Brunnen, 2017, S. 164–165):

Totalitäre Staaten haben von jeher gewusst, warum sie die Kinder beim Staat besser aufgehoben sahen als in der Familie. Wer Leitbilder wie das Verständnis von Geschlecht und sexueller Vielfalt in der Gesellschaft verankern möchte, der muss möglichst früh bei den Kindern ansetzen. In seiner ersten Stufe verfolgte der Ansatz von GM zunächst das Ziel, Frauen durch eigene Erwerbstätigkeit zu wirtschaftlicher Selbstständigkeit zu führen, was für Mütter nur durch Abgabe der Kinder in eine Betreuungseinrichtung möglich ist.

Die radikalisierte Variante von GM, die bereits Kinder in ihrer „aufgezwungenen Identität“ heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit verunsichern will, kann bei der immer stärker ausgebauten Fremdbetreuung der Kinder ansetzen. Denn je mehr Kinder von Anfang an die Kita besuchen, desto mehr Kinder kommen in den Genuss einer staatlichen Sexualerziehung, die nach WHO-Vorgaben „mit der Geburt“ beginnt (vgl. 5.1). Dagegen geraten Familien, in denen die Kinder in den ersten Lebensjahren zu Hause betreut werden, unter den Verdacht, sich den Maßnahmen zur kollektiven „Beglückung“ zu widersetzen und mutmaßlich Horte der Intoleranz zu sein.

Flankiert werden diese Maßnahmen durch Bestrebungen, im Grundgesetz „Kinderrechte“ festzuschreiben. Es scheint, als seien Kinder durch das Grundgesetz in seiner geltenden Fassung nicht hinreichend geschützt. So konkret möchten das Politiker dann aber doch nicht behaupten. Sie sprechen allgemeiner von den besonderen Bedürfnissen von Kindern und der Absicht, mit einer Ergänzung des Grundgesetzes das Bewusstsein der Bevölkerung für die Rechte der Kinder zu stärken. Allerdings wird eine Gruppe (wie die der Kinder) nicht erst dadurch Grundrechtsträger, dass sie im Grundgesetz ausdrücklich erwähnt wird – zumal dies bei den Kindern bereits der Fall ist, nämlich in Art. 6 Abs. 2, wo das Recht und die Pflicht der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder festgeschrieben ist.

Genau diese explizite Einbindung der Kinderrechte – nämlich ihres Rechts darauf, von ihren Eltern erzogen zu werden – stört die Befürworter von Kinderrechten im Grundgesetz. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundesrates hat in seinem Gutachten zur Sache vorliegender Änderungsentwürfe den Paradigmenwechsel klar identifiziert: „Bislang ist das Wächteramt [des Staates] im Wesentlichen in Bezug zur (grundsätzlich vorrangigen) Eltemverantwortung ausgestaltet. Die vorgeschlagene Neuregelung würde hingegen eine davon losgelöste Verantwortung des Staates für die Schaffung besonderer, kindgerechter Lebensbedingungen festschreiben.“ Und genau dies scheint gewollt, auch wenn z.B. UNICEF die Kodifizie-rung der Kinderrechte – wenig plausibel – mit den Elternrechten zu begründen sucht. Nicht die Fürsorge für Kinder, wohl aber ein seine eigentlichen Anliegen verschleiernder Aktionismus ist entbehrlich. Denn die Pointe des „Menschenwürdeschutzes, den unsere Verfassung verspricht, liegt freilich darin, dass Merkmale nicht zählen. In der Abstraktion von Alter, Geschlecht und Herkunft behauptet der Mensch seine Würde – und mit ihm das Kind“.

VD: AW

 

Rache-Sex tut gut

Ein postmoderner Beziehungsrat: Rache-Sex nach einer Trennung ist therapeutisch gar nicht so schlecht:

Nein, es ist kein allzu feines Verhalten, jemandem absichtlich Schmerz zuzufügen. Und das auch noch zu genießen. Und nein, niemand von uns ist stolz darauf. Am wenigsten meine Freundin Paula. Und doch ist es nicht so, als hätte sie die Fensterscheiben von Antons sorgsam poliertem Mustang zertrümmert  oder tödliche Gerüchte über seine Qualitäten als Liebhaber in die Welt gesetzt. Sie sorgte lediglich dafür, dass es ihr in ihrem Elend wieder besser ging. Denn wenn wir am Boden liegen, ist nichts schöner, als es dem „Übeltäter“ ein ganz kleines bisschen heimzuzahlen. Betrachten wir Rache-Sex doch einfach als emotionale Notwehr, die überaus angebracht ist, wenn wir nichts mehr wollen, als unsere posttraumatischen Depressionsanfälle loszuwerden. Und zwar sofort.

Und dann gibt es noch einen kleinen, aber wirksamen Nebeneffekt bei der Sache: „Sieh her, ich weine dir keine Träne nach“, ist in diesem Augenblick vielleicht noch gelogen. Aber „Fake it ‚til you make it“ hat sich schon oft als wirksam erwiesen.

Wohlgemerkt, der Rat kommt aus einem kulturellen Milieu, das sehr viel wert auf „Authentizität“ legt.

Dümmer geht’s immer.

Hier: www.jetzt.de.

Mehr Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern

Solche „Rechnungen“ kommen heraus, wenn die fiskalische Perspektive den Blick auf die Familie dominiert:

Würden die Betreuungszeiten so stark ausgeweitet, dass Eltern von Grundschulkindern bis abends und samstags arbeiten gehen könnten, so ergäben sich dem Gutachten zufolge je Familie sieben zusätzliche Arbeitsstunden in der Woche. Das führe zu Mehreinnahmen für die Sozialversicherungen in Höhe von ungefähr 2900 Euro im Jahr und zu Steuermehreinnahmen von 3260 Euro im Jahr. Hochgerechnet auf 330.000 Ganztagsschulplätze kommen die hohen Einnahmen von 2,1 Milliarden Euro heraus.

Einseitig. Traurig. Staatlich. Ein kleines Studium der Bindungstheorie könnte die Perspektive weiten.

Hier der Artikel: www.faz.net.

Turbulenzen am Moody Bible Institute

Das Magazin CHRISTIANITY TODAY berichtet über Turbulenzen am Moody Bible Institute (MBI) in Chicago (USA). Der Präsident der Einrichtung, J. Paul Nyquist, und der Geschäftsführer, Steve Mogck, haben ihr Amt niedergelegt. Der Verwaltungsdirektor Junias Venugopal ist in den Ruhestand gegangen. Das Leitungsgremium gab bekannt, dass die Zeit für eine neue Leitung gekommen sei.

Erst im Oktober 2017 hatte eine Absolventin des MBI einen Offenen Brief eingereicht und sich darin über die Einstellung einiger Dozenten und Studenten beschwert. Die Disziplinlosigkeit sei offensichtlich und bedrückend gewesen. Die Autorin des Briefes thematisierte zudem eine Verflachung der Lehre am Institut. Es werde mehr über Gesellschaftstransformation als über die Verkündigung des Evangeliums für Verlorene gesprochen. Besonders auffällig sei diese Tendenz beim Thema „Urbane Mission“.

Der Leiter der Abteilung betonte konsequent menschliche Handlungen und Heilmittel gegenüber dem Evangelium und betonte, dass es wichtig sei, unsere Werte zu leben, anstatt explizit zu sein. Als ich respektvoll sagte, dass das Evangelium das Unterscheidungsmerkmal christlichen Engagements sei, da Nichtchristen soziale Projekte ebenfalls durchführen könnten, sagte er: „Wir können uns bewusst um Menschen kümmern, ohne sie geistlich zu betreuen“. Ich kam nach vielen Diskussionen zu der Schlussfolgerung: Die Definition des Evangeliums steht der Befreiungstheologie und dem sozialen Evangelium näher als den biblischen Anliegen. Seine Idee, die er in allen Klassen, die ich besucht habe, konsequent darlegte, war, dass es im „Dienst“ nicht um Erlösung gehe; stattdessen müsse die Kirche anderen helfen, sich von den gesellschaftlichen und politischen Zwängen der Gesellschaft zu befreien.

Julie Roys, Moderatorin einer bekannten Radiosendung des Moody Bible Institutes, hatte vor wenigen Tagen außerdem den übertriebenen Luxus und fehlende Transparenz im Umgang mit Geld in der Führungsetage der Einrichtung geschildert. Sie schrieb etwa:

Von 2000 bis 2008 soll das Institut wieder eigenmächtig gehandelt haben, indem es Jerry Jenkins, dem Autor der beliebten Bücher „Left Behind“ und dann Vorsitzender des Board of Trustees von Moody, eine Luxus-Suite im obersten Stockwerk der Jenkins Hall zur Verfügung gestellt hat. 1999 spendete Jenkins Moody eine ungenannte Summe, die es dem Institut ermöglichte, das Gebäude zu erwerben, das seinen Namen trägt. Und laut einem Artikel aus dem Jahr 2006 in der Chicago Tribune verwandelte MBI zwei ehemalige große Einheiten im obersten Stockwerk des Gebäudes in eine Suite für Jenkins und seine Frau, was laut von Regierungsbeamten „verstörend“ sei.

Julie Roys wurde daraufhin ohne Angabe von Gründen gekündigt.

„Anything goes“ ist eine riskante Devise

Moral ist ein Wort, das keiner mehr hören mag, zuallerletzt in der Literatur. Der israelische Schriftsteller Abraham B. Jehoschua hat die Gründe dafür abgewogen – und für zu leicht befunden. Seiner Meinung nach behandeln die heute dominierenden Massenmedien „moralische Fragen oft oberflächlich, aber äusserst schnell und effizient“. Die Literatur, die viel mehr leisten kann, dürfe sich nicht zurückziehen.

Jehoschua:

Wenn Künstler und Kulturschaffende sich von moralischen Fragestellungen verabschieden und sich stattdessen auf Werterelativismus, Postmodernismus, ethischen Nihilismus oder blosse politische Korrektheit zurückziehen, dann geben sie eine Rolle auf, die bisher in der Kulturgeschichte ebenso wichtig wie geachtet war: eine Rolle, die niemand anderes übernehmen kann.

Hier der bedenkenswerte Text des in Jerusalem geborenen Schriftstellers Abraham B. Jehoschua: www.nzz.ch.

Das Böse, der Teufel und Dämonen

Folgende Rezension erschien zuerst in Glauben und Denken heute (Nr. 20, 11. Jg., 2/2017, S. 63–64):

  • Jan Dochhorn, Susanne Rudnig-Zelt u. Benjamin Wold. Das Böse, der Teufel und Dämonen – Evil, the Devil, and Demons. WUNT II 412. Tübingen: Mohr Siebeck, 2016. 84,00 Euro

8527 00 detailIm Zentrum des Sammelbandes steht die Frage nach dem Bösen in den monotheistischen Religionen. Der Schwerpunkt liegt auf dem Judentum und Christentum sowie insbesondere dem Alten Testament als dem Buch, das beide Religionen entscheidend geprägt hat. Berücksichtigt werden aber auch neutestamentliche Passagen, Texte aus Qumran und mittelalterliche Überlieferungen.

Die Beiträge des Bandes zeigen, dass es in den antiken jüdischen und christlichen Traditionen eine Vielfalt von Vorstellungen und Verkörperungen des Bösen gibt. Wir finden etwa das Böse als Dämonen oder den Teufel. Etliche Texte deuten das Böse auch als menschliches Vermögen. Prinzipiell sind schon in der Antike beide Sichtweisen zu finden. Das Böse wurde sowohl internalisiert als auch externalisiert.

In der alttestamentlichen Forschung ist seit Langem umstritten, ob dort ein Dualismus zwischen Gut und Böse vorliegt. Ein Schlüsseltext in der Debatte ist zweifellos der Prolog des Hiobbuches (1,6–12). Der Text, der bei unvoreingenommener Lektüre einen Dialog zwischen Gott und Satan schildert, wird heute zumeist nicht­dualistisch interpretiert. Demnach spiegele dieser Text ein widersprüchliches Gottesbild. Satan repräsentiere nicht eine selbstständige Macht jenseits eines allmächtigen Got­tes, sondern vielmehr die dunkle Seite dieses einen Gottes. Dämonen und ihr schädliches Wirken seien in Jahwe integriert worden und folglich habe dieser einen dämonischen Charakterzug bekommen. Der Teufel sei maximal ein Beamter Gottes.

Susanne Rudnig­Zelt hinterfragt genau diese prominente Deutung und zeigt in ihrem Aufsatz „Der Teufel und der alttestamentliche Monotheismus“, dass der Satan im Buch Hiob und anderswo als „weitgehend selbstständige Größe“ erscheint und auch nur so seine theologische Funktion erfüllen könne. „Es scheint, dass die alttestamentliche Forschung zum Satan zu sehr von einer modernen Sicht des Monotheismus bestimmt wurde, nach der Gott nicht nur der einzige Gott, sondern auch die

einzige Macht ist“ (S. 3). „Einen Monotheismus im modernen Sinne, der die Existenz aller Mächte außer Gott ausschließt, wird man im Alten Testament folglich nur schwer finden“ (S. 17). Allerdings ist der alttestamentliche Dualismus nicht mit manichäischen Konstellationen vergleichbar, in denen Gott und dem Satan vergleichbare Machtfülle zukommt. „Vielmehr scheint man von der Herrschaft Jahwes über andere Himmelsmächte auszugehen, seien das Götter oder der Satan. Ähnliche Vorstellungen finden sich in zwischentestamentlichen Texten und im Neuen Testament (vgl. z. B. 1 Kor 8,5f; Phil 2,10; Kol 1,16), so dass hier eine größere Kontinuität zwischen dem Alten Testament und jüngerer Literatur besteht, als die bisherige Forschung gesehen hat“ (S. 17).

Im Sammelband werden viele andere Fragen behandelt, etwa geht Ryan E. Stokes in „What is a Demon, What is an Evil Spirit, and What is a Satan?“ der Frage nach, ob die heute geläufige Gleichsetzung von Dämonen und bösen Geistern durch die frühjüdische Literatur gedeckt ist. Stokes belegt, dass bis ins 1. Jahrhundert n. Chr. zwischen Dämonen und bösen Geistern unterschieden wurde. „In Anknüpfung an das Alte Testament wurden die falschen Götter, die die Heiden verehren, meist als Dämonen bezeichnet. Böse Geister waren dagegen dafür zuständig, die Menschen zu quälen, mit Krankheiten zu schlagen und zu bösen Taten zu verführen“ (S. XI).

Oda Wischmeyer favorisiert in ihrem Beitrag „Zwischen Gut und Böse: Teufel, Dämonen, das Böse und der Kosmos im Jakobusbrief“ eine internalisierte Sichtweise. Zwar lasse der Brief eine Verselbständigung des Bösen erkennen. Diese Tendenz werde freilich zugleich abgebremst (S. 167):

„Das Böse spielt im Jakobusbrief eine entscheidende Rolle, in gewisser Weise kann man das Böse als die Größe beschreiben, die für den Verfasser die eigentliche Realität im Kosmos und auch in den christlichen Gemeinden darstellt. Die Kategorie des Bösen ist für die Anthropologie des Briefes von entscheidender Bedeutung. Der Brief endet mit der Schlussklausel: ‚die Menge der Sünden‘ (5,20). Die Sünden sind die konkrete Erscheinungsform des Bösen, so wie die guten Taten die konkrete Erscheinungsform des Glaubens sind. Demgegenüber sind die Dämonen Staffage des von der Religion des Judentums bestimmten Weltbildes des Verfassers, Teil des als negativ erlebten Kosmos und haben keine eigene positive Bedeutung. Auch der Teufel hat keine eigene Rolle. Ex negativo macht das religiös korrekte Bekenntnis der Dämonen aber deutlich, dass sie zur Welt des Bösen gehören, die destruktiv und zu guten Taten unfähig ist. Das Böse selbst liegt weder im Teufel noch in den Dämonen, sondern im Menschen, und der Mensch muss es bekämpfen, indem er das königliche Gesetz bzw. das Gesetz der Freiheit hält, das Gebot der Nächstenliebe nach Lev 19,18 (2,8.12).“

Eine aus meiner Sicht befangene Deutung, schreibt doch der Autor des Briefes (Jak 4,7): „So seid nun Gott untertan. Widersteht dem Teufel, so flieht er von euch.“ Dass der Teufel und die Dämonen bei Jakobus nur als polemische Strategie im Kampf gegen Ängste und Sünde in Anschlag gebracht werden und das Dämonische letztlich zur Sphäre des Psychischen gehört, ist eine Anschauungsweise, die von der Annahme: Satan oder Dämonen kann es aus heutiger Sicht nicht geben, bestimmt ist.

Obwohl so manche präsentierte These kritische Rückfragen oder sogar Einspruch provoziert, ist es erfreulich, dass durch das Buch ein neues Interesse an der theologischen Durchdringung des Bösen erkennbar wird. Es ist tragisch, dass die christliche Theologie angesichts der grauenhaften Präsenz des Bösen bei dieser Frage so zurückhaltend auftritt. Bleibt zu wünschen, dass man sich nicht nur religionswissenschaftlich und religionshistorisch dem Thema nähert, sondern es auch wieder biblisch­theologisch aufarbeitet. Die Heilige Schrift hat zu dieser Thematik erstaunlich viel zu sagen.

Sehr erfreulich finde ich, dass trotz divergierender Auffassungen im Resümee zum Ausdruck gebracht wird: a) die jüdisch­christliche Literatur kennt sehr wohl den Dualismus und zugleich ist b) das Böse dem souveränen Gott deutlich untergeordnet (vgl. XIII).

(rk)

 

Mehr & Mehr

Mitreißend, faszinierend, evangelistisch, bibeltreu, wunderbar! Das haben einige liebe Freunde über die MEHR-Konferenz 2018 gesagt oder geschrieben. Wirklich?

So einfach ist das alles nicht. Ich habe mehrmals in die Konferenz hineingehört. Ich habe viel Gutes gehört. Oft war es klarer als alles, was ich in den letzten Jahren aus dem Raum der evangelischen Eliten gehört habe. MEHR noch: Es war klarer, als vieles, was ich in letzter Zeit innerhalb der Evangelikalen Bewegung vernommen habe. Denken wir nur an: „Die Kirche ist ihrem Wesen nach missionarisch!“ Danke.

So war das.

Aber ist es biblisch und evangelisch (dem Evangelium gemäß)? Machen wir es uns nicht zu einfach. Meiden wir pragmatische und gefühlige Abkürzungen! Klärungen sind oft anstrengend und schmerzhaft. Ohne sie gibt es aber kein nachhaltiges und gedeihliches Wachstum.

Gott mutet uns Wahrheit zu, weil sie es ist, die zum Leben führt. Die Wahrheit enthält keine doppelten Böden. Sie muss die Grundlage unserer Leidenschaft sein. Um sie muss es gehen, wenn wir über Vergebung, Rechtfertigung, ewiges Leben, Kirche oder Mission sprechen.

Ich empfehle, dem Gottesdienst vom 7. Januar genau zu lauschen:

P.S. Lieber Johannes! Falls Du das liest, dann nimm mir bitte ab, dass das nicht einfach so dahingesagt ist. Mir geht es nicht um schnelle und billige Nörgelei. Es geht um mehr, um die Wahrheit und Schönheit des Evangeliums.

Das Wort Gottes treiben

Gerhard Ebeling beschreibt in seiner Einführung zu Luther, wie dieser im Anschluss an die Zeit auf der Wartburg nach Wittenberg zurückkehrte, um das Wort zu predigen (Gerhard Ebeling, Luther: Einführung in sein Denken, Tübingen: Mohr Siebeck, 1965, S. 67):

In Wittenberg aber geht Luther auf die Kanzel, Tag für Tag, eine Woche lang, und hat durch das Wort dem rechten Gang der Reformation die Bahn gemacht, indem er klarstellte, daß das, was der Inhalt des Evangeliums ist, auch bestimmend sein muß für die Frage des reformatorischen Handelns, nämlich daß alles abzustellen ist auf Wort und Glauben: „Denn das Wort hat Himmel und Erde geschaffen und alle Dinge; das muß es tun und nicht wir armen Sünder. Summa Summarum: Predigen will ich’s, sagen will ich’s, schreiben will ich’s. Aber zwingen, dringen mit der Gewalt will ich niemand. Denn der Glaube will willig, ungenötigt angezogen werden. Nehmt ein Exempel von mir: Ich bin dem Ablaß und allen Papisten entgegen gewesen, aber mit keiner Gewalt. Ich habe allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst hab ich nichts getan. Das hat, wenn ich geschlafen habe, wenn ich Wittenbergisch Bier mit meinem Philippus und Amsdorf getrunken habe, also viel getan, daß das Papsttum so schwach geworden ist, daß ihm noch nie kein Fürst noch Kaiser so viel Abbruch getan hat. Ich hab nichts getan, das Wort hat es alles getan und ausgerichtet.“

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