Philosophie

Gottesbeweise

29546.jpgFolgt man dem Alltagsgeschwätz, verbreiteten Lehrbüchern der Philosophie oder der Demagogie des »Neuen Atheismus«, sind seit Immanuel Kant die theoretischen Gottesbeweise erledigt. Kant hatte Gottesbeweise als ehrsüchtige Absichten eingestuft und in den Bereich der über die Grenzen aller Erfahrung hinausgehenden spekulativen Vernunft verwiesen (I. Kant, Kant-W., Bd. 4, S. 693). Niemand, so der akademische Standpunkt mit und nach Kant, würde sich mehr »rühmen können: er wisse, dass ein Gott« sei ( I. Kant, Kant-W, Bd. 4, S. 693.). »Wer die Theologie, sowohl diejenige des christlichen Glaubens als auch diejenige der Philosophie, aus gewachsener Herkunft erfahren hat, zieht es heute vor, im Bereich des Denkens von Gott zu schweigen«, hat uns Martin Heidegger gesagt (zitiert nach Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen, Bd. 2, S. 280). Selbst der durchaus »offene« Logiker Franz von Kutschera kommt nach ausführlicher Analyse der bekannten Gottesbeweise zu dem Resümee: »Es gibt zumindest gegenwärtig keinen brauchbaren rationalen Gottesbeweis« (Franz von Kutschera, Vernunft und Glaube, Berlin; New York: de Gruyter, 1991, S. 41).

Hinter den Kulissen steigt allerdings das Interesse an der Gottesfrage (vgl. auch hier). Zwei Beispiele: Erst kürzlich veranstaltete die Universität Tübingen eine Tagung zum Thema »Gottesbeweise als Herausforderung für die moderne Vernunft« mit sehr honorigen Referenten wie Peter van Inwagen, Armin Kreiner, Richard Swinburne oder Robert Spaemann (hier das Programm). Außerdem ist kürzlich eine umfängliche Darstellung der Gottesbeweise von Joachim Bromand und Guido Kreis beim Suhrkamp Verlag herausgegeben worden. Das Buch:

  • Joachim Bromand und Guido Kreis (Hg.): Gottesbeweise von Anselm bis Gödel, Berlin: Suhrkamp Verlag 2011, 20 Euro

versammelt die großen Gottesbeweise des Mittelalters und der Neuzeit ebenso wie die klassischen Einwände von Hume und Kant. Einleitende Essays führen in die Problematik ein und bieten gut verständliche Rekonstruktionen der jeweiligen Argumentationen. Auch die sprachanalytische Debatte wird ausführlich dokumentiert. Dem Mathematiker Kurt Gödel, dessen ontologischer Gottesbeweis bis heute nicht überzeugend widerlegt worden ist (vgl. dazu auch hier), wurde ein ausführliches Kapitel gewidmet (S. 381487). Sogar der Kalām-Beweis von William L. Craig wird eingehend behandelt (S. 564–598). Im Vorwort schreiben die Bonner Autoren:

Hatte Adorno in der Negativen Dialektik noch generalisierend vermutet, daß »übrigens wohl eine jede [Philosophie] um den ontologischen Gottesbeweis [kreist]«, so scheint sich demgegenüber im nachmetaphysischen Zeitalter jeder ernsthafte Versuch eines Gottesbeweises von selbst zu verbieten. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die philosophische Debatte über Gott ist seit einigen Jahren wiedereröffnet und aktueller denn je. Einer der Hauptbeiträge der Philosophie zu dieser Debatte liegt im Projekt der Gottesbeweise. In der sprachanalytischen Metaphysik und Logik werden sie seit Jahrzehnten ausführlich diskutiert. Es ist an der Zeit, die entscheidenden Fragen erneut zu stellen: Was sind eigentlich Gottesbeweise, und wozu sollen sie gut sein?

Obwohl die Verfasser sehr viel wert auf Verständlichkeit legen, ist das Buch keine Profanlektüre, teilweise werden Grundkenntnisse der formalen Logik vorausgesetzt. Aber für Philosophen, Theologen und interessierte Laien ist Gottesbeweise von nun an ein unentbehrliches Nachschlagewerk.

Hier eine Leseprobe mit dem Inhaltsverzeichnis.

Die Habermas-Methode

Der von mir geschätzte Althistoriker Egon Flaig (siehe auch hier) hat kürzlich eine Polemik gegen die Habermas-Methode veröffentlicht. Anlässlich des inzwischen 25 Jahre alten »Historikerstreits« wirft er dem Sozialphilosophen vor, zu jener Zeit journalistische Tricks verwendet zu haben, »die sonst dem Lumpenjournalismus vorbehalten waren«. Es hätte, so Flaig, »keine Nachsicht geben dürfen, denn das Ausmaß der Zitate-Verkrümmungen war gigantisch«.

Der Streit um die deutsche Verantwortung bei der Judenvernichtung im Dritten Reich ist für Flaig allerdings auch Anlass, um allgemein eine Wissenschaft zu kritisieren, die sich von der Leitidee der Wahrheit verabschiedet hat. Die Suspendierung des Diskurses über Wahrheitsansprüche führt nach Flaig zu einer Atmosphäre der Denkverbote und moralischen Diffamierungen. Originalton (FAZ vom 13. Juli 2011, Nr. 160, S. N4):

Wir sind Zeugen geworden eines Kulturbruchs, nämlich einer weitgehenden Negierung der Errungenschaften des Griechentums. Da die Verbindlichkeiten nicht mehr über den Streit entlang von Wahrheitsregeln herstellbar sind, müssen neue, ganz anders geartete Verbindlichkeiten moralisch erzwungen werden. Daher die pestartige Virulenz der Political Correctness und des Gutmenschentums mit seiner spezifischen Intelligenz. Die moralischen Diffamierungen müssen folglich immer mehr zunehmen. Bequemer als das logon didonai [Anm.: Diese griech. Formulierung, die wörtlich mit »Sprache o. Rede geben« zu übersetzen ist, spielt auf das plantonische Ideal eines philosophierenden Menschen an, der Rechenschaft ablegt für das, was der sagt.] ist die habermassche Diskursethik: Audacter calumniare, semper aliquid haeret [Anm.: lat. für »nur keck verleumdet, etwas bleibt immer hängen«].

Die ausführliche Darlegung Flaigs dazu findet sich in: Mathias Brodkorb (Hg.): Singuläres Auschwitz? Ernst Nolte, Jürgen Habermas und 25 Jahre ›Historikerstreit‹, Banzkow 2011.

Heidegger: Warten auf Gott

Für Heidegger ist die Geschichte des Abendlandes eine Geschichte des Abfalls. Je mehr wir Menschen versucht haben, das Seiende auf den Begriff zu bringen, desto weiter haben wir uns vom Unwesentlichen in den Bann ziehen lassen (und damit vom Wesentlichen entfremdet). Das Wesentliche ist das Sein. Der Philosoph hat immer wieder eindrücklich davor gewarnt, dass die moderne Technik, die vor allem verdinglicht, uns den Blick für das Sein des Seienden verstellt.

Für Heidegger ist weder Gott noch der Mensch das Sein, die Sprache ist »das Haus des Menschen«. Deshalb rückt er ein notwendiges neues Denken in die Nähe der Sprache. Sprache ist geschichtlich und somit ein Weg zum Ursprung. Indem wir auf die Sprache hören, erfahren wir, wie es um uns bestellt ist. Besonders die Dichtung vermittelt eine Weise unseres Gestimmtseins und enthüllt somit das Seiende. Wenn Heidegger mahnt, auf die Dichter zu hören, geht es ihm weniger um die Inhalte als um die Art und Weise, wie der Dichter spricht und was er dadurch vom Sein preisgibt.

Die heideggersche Kritik an der Moderne und dem technischen Weltverständnis ist kraftvoll und hilfreich. Das neue Denken, welches das Sein enthüllt, hat Heidegger nicht gefunden. Es ist noch nicht da. Wir müssen darauf warten. In einem SPIEGEL-Gespräch, das im September 1966 Rudolf Augstein und Georg Wolff mit Heidegger führten und das auf seinen Wunsch erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde, bekannte der Philosoph (Der Spiegel, Nr. 23 vom 31. Mai 1976, S. 193–219):

Die Philosophie wird keine unmittelbare Veränderung des jetzigen Weltzustandes bewirken können. Dies gilt nicht nur von der Philosophie, sondern von allem bloß menschlichen Sinnen und Trachten. Nur noch ein Gott kann uns retten. Uns bleibt die einzige Möglichkeit, im Denken und im Dichten eine Bereitschaft vorzubereiten, für die Erscheinung des Gottes oder für die Abwesenheit des Gottes im Untergang; dass wir im Angesicht des abwesenden Gottes untergehen.

Hier ein SPIEGEL-Artikel über Heideggers Abkehr vom christlichen Glauben: PPM-SP197202001460149.pdf.
Nachfolgend außerdem einige Impressionen, die Einblick in das Sein des Dichterphilosophen ermöglichen:

Augustinus: Lehrer der Gnade (Teil 2)

Mit der Bekehrung des Herzens begann bei Augustinus auch die Bekehrung des Denkens. Die ersten Schriften sind von den Auseinandersetzungen mit dem Manichäismus geprägt und deutlich platonisch. Nach und nach wächst der Einfluss der biblischen Schriften und es gelingt Augustinus, das Verhältnis von Erfahrung, Vernunft und Glauben auf höchstem Ni­veau zu durchdenken und zu systematisieren.

Sehr bewegend ist die Schrift Über den Nutzen des Glaubens, die er – ent­weder 391 o. 392 verfasst –, an seinen ehemaligen Studienkollegen Honora­tus schrieb. Augustinus hatte Honoratus während seiner Studienzeit für den Manichäismus gewonnen. Inzwischen Christ, hörte er davon, dass Honoratus öffentlich gegen das Christentum polemisierte. So ver­suchte er mit dieser Schrift seinen Freund davon zu überzeugen, dass das Christentum die Wahrheit ist. Sein Werk Der Gottesstaat gilt als das Meis­terstück der altkirchlichen Apologetik und gehört zu den bedeutendsten Büchern für die abendländische Kultur überhaupt. Gegen Ende seines Lebens verfasste er die Retractationes (426–427), ein Werk, in dem er seine Lehrirrtümer benennt und Teile seiner Schriften korrigiert.

Von großer Bedeutung für die Apologetik ist Augustinus‘ Behandlung der Frage nach der Beziehung von Glaube und Wissen. Das Verhältnis von Glaube und Wissen (oder Glaube und Vernunft) spielt durch die ganze Philosophiegeschichte hindurch eine zentrale Rolle. Die Philoso­phie gilt als die Vernunftswissenschaft, die Erkenntnis rational zu be­schreiben und zu begründen versucht. Dem gegenüber steht die Religion oder die Theologie, die vorrangig einen Glaubensanspruch und keinen Erkenntnisanspruch stellt. Wie können wir die Dialektik von Glaube und Wissen auflösen? Augustins Lösungsvorschlag entwickelte sich zu einem »Meilenstein« der christlichen Theologie und hat den Weg des christlichen Denkens bis in die Gegenwart hinein geformt.

In der Diskussion um das dialektische Verhältnis von Glaube und Wis­sen haben sich zwei große Traditionen herausgebildet. Die erste große Tradition ist sich darin einig, dass zwischen Glaube und Wissen ein Wi­derspruch oder zumindest eine problematische Spannung besteht. Der Widerspruch oder die Spannung wurden innerhalb dieser Tradition bis zu Augustin in zwei Richtungen aufgelöst. Gemäß der ersten Lösung steht das Wissen über dem Glauben. Wir kön­nen diese Auflösung Rationalismus nennen, da die Vernunft innerhalb dieser Tradition maßgebliches Leitprinzip ist. Der Rationalismus möchte gerade den unsicheren Glauben oder das bloße Meinen (doxa) überwin­den und zur Erkenntnis vordringen (episteme). Für Platon ist beispiels­weise die Meinung nur einer Vorform des Wissens. Glaube ist vage, Wis­sen dagegen ist sicher. Demgegenüber behauptet die zweite Lösung, dass der Glaube über dem Wissen steht. Wir können diese Auflösung Fideismus nennen, auch wenn der Fideismus als Bewegung sich erst im Frankreich des 18. und 19. Jh. ausbildete. Für den Fideismus ist der übernatürliche Glaube die einzige Quelle des Glaubens und Ursprung wahren Wissens. Das Christentum steht im Widerspruch zur Philosophie. Zwischen der korrupten mensch­lichen Vernunft und der Weisheit Gottes wird ein unüberwindbarer Ab­stand postuliert. Glaube ist nicht vollendete Philosophie, Glaube zer­trümmert alle Philosophie. Die Weisheit dieser Welt ist dem wahrhaftig Glaubenden bloße Torheit (vgl. 1Kor 1,18ff). Bis heute gilt Tertullians »credo quia absurdum« (dt. »Ich glaube, weil es unvernünftig ist.«) als uner­reichter Leitspruch der fide­istischen Denktradition (Von Tertullian selbst ist der Ausspruch nicht überliefert, siehe dazu hier und die Kommentare zu diesem Beitrag).

Beide Lösungen konnten den Kirchenvater Augustinus von Hippo nicht überzeugen. Er suchte nach einem ausgewogenes Verhältnis von Glaube und Wissen (oder Glaube und Vernunft). Anregungen von Cle­mens von Alexandria und Origenes aufnehmend entwickelte er eine zweite große Tradition, der gemäß Glaube und Wissen aufeinander bezogen bleiben. Der Akt des Glaubens und der Akt des Wissens sind interaktiv miteinander verwoben. Augustinus wertet damit das Meinen bzw. den Glauben gegen Platon auf. Der Glaube durchdringt den gesamten Er­kenntnisprozeß. Glaube und Vernunft sind für Augustinus nicht zwei psychologisch streng zu unterscheidende Kapazitäten, sondern sie gehö­ren zusammen. Das heißt in der Konsequenz: Wahre Philosophie ist wahre Theologie, wie auch umgekehrt wahre Theologie wahre Philoso­phie ist. In einer Predigt hat Augustinus seine Auflösung der dialekti­schen Beziehungen von Glaube und Wissen auf die Formel »crede, ut intelligas« (dt. »glaube, um erkennen zu können«) gebracht. Diese Formel steht als Leitspruch über der Denktradition, die Raum schafft für eine Vernunftlehre im Rahmen des Glaubens. Die Vernunft regiert nicht den Glauben, sondern die Vernunft wird vom Glauben umschlossen. In sei­nem Werk Über den Lehrer schreibt Augustinus: »Was ich demnach erkenne, das glaube ich auch; aber nicht alles, was ich glaube, erkenne ich auch. Alles aber, was ich erkenne, weiß ich; nicht jedoch weiß ich alles, was ich glaube.« Gewisse Dinge können demnach nur geglaubt werden, andere können dagegen gewusst werden. Die Denkinhalte, die gewusst werden, werden aber zugleich geglaubt. Es gilt also: Ohne Glaube kein Wissen, ohne Glaube kein Wissenserwerb, ja ohne Glaube kein Existieren (vgl. die Kind-Elternbeziehung). So sinnvoll es also sein kann, zwischen Glaube und Wissen zu unter­scheiden, so überflüssig ist die scharfe Trennung der Begriffe. In einem gewissen Sinne sind die Begriffe sogar austauschbar.

Die Lösung von Augustinus lässt sich so darstellen:
Synthese_Ver1.0.jpg

Augustinus ist demnach weder Fideist noch Rationalist. Er stellt die Ver­nunft nicht über den Glauben, will jedoch auch nicht vernunftlos glau­ben. Der wahre Glaube ist ein vernünftiger Glaube (intellectus fidei). Anders als manche Kirchenväter (z.B. Hieronymus) lehnt Augustinus die weltliche Bildung nicht ab. Er relativiert sie und macht den Glauben zum regulativen Prinzip. Er ordnet die »freien Künste« der heidnischen Ge­lehrten der Offenbarung Gottes un­ter.

Postmoderne als Abwehrmechanismus

Globalisierung und digitale Technisierung haben einen neuen ich-orientierten Persönlichkeitstypus hervorgebracht. Er entzieht sich verbindlichen Strukturen und will ständig Wirklichkeit neu schaffen. Der »neue Mensch« sucht sein Glück eklektisch bei Spiel, Sport, Lifestyle, Wellness oder in sonstigen Erlebniswelten.

Rainer Funk, von der analytischen Sozialpsychologie Erich Fromms geprägt (sein letzter Assistent), machte als Erster den Versuch, diesen neuen Persönlichkeitstypus psychoanalytisch zu verstehen und zu beschreiben. Dabei kommt er zu interessanten Ergebnissen. Besonders aufschlussreich finde ich, dass er das tiefe Bedürfnis nach Dekonstruktion als psychologischen Abwehrmechanismus beschreibt. Ein postmoderner Mensch empfindet Verbindlichkeit oder Begrenzung als bedrohlich und rationalisiert deshalb möglichst alle auoritären Ansprüche an ihn weg (z.B. den Anspruch eines bindenden Bibeltextes wie in Mt 6,24; das ist mein Beispiel, nicht das von R. Funk). Hinter der Lust an der Dekonstruktion, diesem fast schon demagogischen sich nie festlegen wollen (das kann man natürlich so oder so sehen, ich bin ich und du bist du) oder der notorischen Verweigerung steckt ein Abwehrmechanismus. Funk schreibt (Rainer Funk, Ich und Wir, München: dtv, 2005, S. 219)

Postmoderner Lebensstil zeichnet sich gegenüber den bisherigen Lebensformen vor allem durch die programmatische Befreiung von gesellschaftlichen Mustern des Selbsterlebens und des Umgangs mit der natürlichen und menschlichen Umwelt aus. Die Befreiung wird dabei nicht durch neue Lebensstile und Muster erreicht, die die alten ersetzen, sondern durch die Entgrenzung von allem Vorgegebenen. Dekodierung und Dekonstruktion stehen im Dienste dieser Entgrenzung. Im Hinblick auf das geistige und spirituelle Selbsterleben des Menschen kommt es zu einer Patchwork-Identität und Patchwork-Religiosität; das Lebensskript besteht im je neuen projekthaften »Basteln an der eigenen Biografie« (U. Beck 1997, S. 191). Schließlich geht mit der Entgrenzung der Verlust eines kohärenten Welt-, Geschichts- und Menschenbildes einher, der insofern zu einer dramatischen Orientierungslosigkeit führt, als kein Mensch psychisch überleben kann, ohne das »Bedürfnis nach einem Rahmen der Orientierung und nach einem Objekt der Hingabe« (E. Fromm 1955a, GA IV, S. 48-50) zu befriedigen.

Bestimmte Aspekte des Anspruchs postmodernen Denkens als typische »Zeitgeist-Phänomene« können deshalb »psychoanalytisch demaskiert und dekodiert werden« (S. 199).

Dies betrifft in erster Linie den Anspruch, den die postmoderne Art zu leben erhebt: Jeder habe das Recht, seine Art zu leben frei und selbstbestimmt zu wählen. Begründet wird dieses Recht damit, dass Wirklichkeit immer Konstruktion sei. Psychoanalytisch lassen sich solche Ansprüche als Abwehr unbewusster Befindlichkeiten (etwa des Gefühls der Abhängigkeit oder der Begrenztheit) deuten. Die Begründung (Wirklichkeit sei immer Konstruktion) wird durch eine solche Deutung zu einer Scheinbegründung, zu einer Rationalisierung.
Rationalisierungen haben – das wurde aufgezeigt – die Aufgabe, ein faktisches Verhalten so zu begründen, dass dieses als sinnvoll und ethisch wertvoll deklariert wird. Unterschiedliche Verständnisse von Wirklichkeit und Wirklichkeitserzeugung, aber auch unterschiedliche Menschenbilder lassen sich deshalb als Wandel von Bedeutungsgehalten verstehen, der sich auf Grund der Notwendigkeit ergibt, das veränderte Verhalten mit Hilfe von Rationalisierungen zu legitimieren.

Gott als die einfachste Erklärung des Universums

Richard Swinburne ist der wahrscheinlich renommierteste Vertreter eines probabilistischen Gottesbeweises. Jetzt hat Swinburne einen neuen Aufsatz mit dem Titel »Gott als die einfachste Erklärung des Universums« veröffentlicht. Er fasst dort seine Argumentation wie folgt zusammen:

Unbelebte Erklärung ist durch Bezug auf Substanzen mit Fähigkeiten und Dispositionen, ihre Fähigkeiten unter bestimmen Umständen auszuüben, zu analysieren; personale Erklärung ist durch Bezug auf Personen, ihre Überzeugungen, Fähigkeiten und Absichten zu analysieren. Ein entscheidendes Kriterium dafür, daß eine Erklärung wahrscheinlich wahr ist, ist, daß sie die einfachste ist (unter den Erklärungen, welche die Daten erwarten lassen). Einfachheit besteht in der Annahme weniger Substanzen, weniger Arten von Substanzen, weniger Eigenschaften (einschließlich Fähigkeiten und Dispositionen), weniger Arten von Eigenschaften und mathematisch einfacher Beziehungen zwischen Eigenschaften. Die Erklärung der Existenz des Universums durch das Handeln Gottes bietet die einfachste Art von personaler Erklärung, die es geben kann, und einfacher als jede unbelebte Erklärung. Im Lichte neuer Herausforderungen verteidige ich diese Sicht gründlicher als bisher.

Professor Daniel von Wachter, der unter anderem bei Swinburne promovierte, hat freundlicherweise eine deutsche Fassung des Aufsatzes besorgt. Die deutsche Ausgabe, erschienen in der Fachzeitschrift Logos, kann hier heruntergeladen werden: fzwp.de.

Spaemann: Das Scheitern des Christentums ist christlich

Robert Spaemann sprach mit der Tagespost über die christlichen Verstehensvoraussetzungen der Aufklärung, die Diktatur des Relativismus, das Naturrecht, die Grenzen des Fortschritts und den Antichrist.

Tagespost: Herr Professor Spaemann, durch Ihr ganzes Denken, haben Sie einmal geschrieben, ziehe sich wie ein roter Faden das Bemühen, die Aufklärung gegen ihre Selbstdeutung zu verteidigen. Warum muss man die Aufklärung vor sich selbst in Schutz nehmen? Ihrem Selbstverständnis nach ist sie doch der Mut, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Sie sollte also ganz gut alleine zurechtkommen …

Spaemann: Der erste, der das sah, war Nietzsche. Nietzsche schreibt einmal, dass die Aufklärung letzten Endes zum Atheismus führe. Wenn aber dieses Ziel erreicht wird, wird die Aufklärung selbst sinnlos, denn sie bringt eine Voraussetzung mit, die sie vom Christentum geerbt hat, nämlich dass es Wahrheit gibt und – wie Nietzsche sagt – dass die Wahrheit göttlich ist. Wenn es Gott nicht gibt, sagte Nietzsche, dann gibt es keine Wahrheit, dann gibt es nur die individuellen Perspektiven jedes Menschen auf die Welt, und die Frage nach einer wahren Perspektive stellt sich nicht, denn das wäre die Perspektive Gottes. Wenn dem aber so ist, folgt daraus, dass das ganze Geschäft der Aufklärung rückblickend sinnlos war.

Hier geht es zu dem sehr lesenswerten Interview »Aufhalten ist alles!« : www.die-tagespost.de.

VD: EP

Hitchens versus Dembski: Kann es einen guten Gott geben?

Der schwer erkrankte Religionskritiker Christopher Hitchens (Der Herr ist kein Hirte: Wie Religion die Welt vergiftet) hat am 18. November 2010 mit dem christlichen Gelehrten William Dembski (The End of Christianity: Finding a Good God in an Evil World) über die Frage diskutiert: Existiert ein guter Gott?

Hier der Mitschnitt der Diskussion (ca. 2:18 Stunden):

Universum ohne Gott?

»Gott ist tot«, das hat Friedrich Nietzsche einstmals behauptet. Aber nun provoziert ein Wissenschaftler die Welt, indem er behauptet, dass es Gott nie gegeben hätte. Mit dieser These hat der Astrophysiker und Bestsellerautor Stephen Hawking in seinem neuesten Erfolgsbuch Der große Entwurf einen lautstark geführten Disput über den Ursprung des Universums ausgelöst. Auch das »Philosophische Quartett« wird sich in der Nacht vom Sonntag zum Montag mit dieser Frage beschäftigen:

Indem Hawking die widerstreitenden Thesen der Relativität und der Quantenphysik zur »Theorie von allem« zusammen zu führen versucht, glaubt er herausgefunden zu haben, dass das Weltall »nicht auf Intervention eines übernatürlichen Wesens oder Gottes angewiesen« sei. Es gibt also keinen Gott, der das Licht angezündet und das Universum in Gang gesetzt hat. Universum ohne Gott? Darüber diskutieren Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski mit einem der prominentesten deutschen Theologen, Friedrich Wilhelm Graf, und dem profilierten Wissenschaftsjournalisten Gero von Randow von der »Zeit«.

Das »Philosophische Quartett« läuft am 28. November 2010 von 23:55–00:55 Uhr im ZDF.

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