Oktober 2011

Bonhoeffer: Von der Bedrohung durch die Organisation

Dietrich Bonhoeffer (Widerstand und Ergebung, 1951, S. 190–191):

Natur wurde früher durch die Seele überwunden, bei uns durch technische Organisation aller Art. Das uns unmittelbar Gegebene ist nicht mehr die Natur, sondern die Organisation. Mit diesem Schutz vor der Bedrohung durch die Natur entsteht aber selbst wieder eine neue Bedrohung des Lebens, nämlich durch die Organisation selbst. Nun fehlt die seelische Kraft! Die Frage ist: Was schützt uns gegen die Bedrohung durch die Organisation? Der Mensch wird wieder auf sich selbst verwiesen. Mit allem ist er fertiggeworden, nur nicht mit sich selbst. Gegen alles kann er sich versichern, nur nicht gegen den Menschen.

Christentum nicht mehr »Religion des weißen Mannes«

Die größte Veränderung in der 2000-jährigen Geschichte der Christenheit hat sich in den vergangenen hundert Jahren ereignet. Ihr Schwerpunkt hat sich in dieser Zeit vom Norden der Erdhalbkugel in den Süden verlagert. Heute befinden sich fast drei Viertel aller Christen in Afrika, Lateinamerika und Asien. Das berichtete der australische Religionsstatistiker Peter Crossing jetzt bei einer Veranstaltung in Indonesien am Freitag. 1910 lebten ungefähr 66 Prozent aller Christen in Europa; ein Jahrhundert später sind es noch 26 Prozent.

Radio Vatikan berichtet (mit Berufung auf idea): www.oecumene.radiovaticana.org.

Die Umkehr des Augustinus

Possidius, ein Schüler des Kirchenvaters Augustin, schreibt in der Biografie über seinen Lehrer  (Vita Augustini, Paderborn: Schöningh, 2005, S. 31):

Und bald gab er alle Begierden nach irdischen Dingen, die er im Innersten seines Herzens noch hegte, auf. Er wollte nun weder Frau noch Kinder des Fleisches (vgl. Rom 9,8), keine Reichtümer und auch keine Ehren dieser Welt. Statt dessen hatte er beschlossen, mit seinen Freunden Gott zu dienen. Er wollte in und aus jener kleinen Herde sein, zu der Christus mit den Worten spricht: Fürchte dich nicht, du kleine Herde. Es hat eurem Vater gefallen, euch das Reich zu geben. Verkauft, was ihr besitzt, und gebt Almosen. Macht euch Beutel, die nicht veralten und einen Schatz im Himmel, der nicht vergeht (Lk 12,32f). Und auch jenes Wort, das wiederum der Herr gesagt hatte, wollte der heilige Mann verwirklichen: Wenn du vollkommen sein willst, dann verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben. Dann komm und folge mir nach (Mt 19,21). Er wollte auf dem Fundament des Glaubens ein Gebäude errichten, nicht aus Holz, Stroh oder Spreu, sondern aus Gold, Silber und Edelsteinen (vgl. 1 Kor 3,12). Das dreißigste Lebensjahr hatte Augustin überschritten, nur seine sehr an ihm hängende Mutter lebte noch. Sie freute sich über seinen Entschluss, Gott zu dienen, mehr, als wenn er ihr Enkel des Fleisches geschenkt hätte. Sein Vater war schon früher gestorben. Augustin verzichtete nun auch auf seine Schüler, die er als Rhetoriklehrer unterrichtet hatte, und legte ihnen nahe, sich einen anderen Lehrer zu suchen. Denn er selbst war fest entschlossen, Gott zu dienen.

Schneider: »Christliche Mission heute«

Nikolaus Schneider hat heute bei einem Vortrag in Düsseldorf seine Interpretation des hier schon diskutierten Verhaltenskodex »Christliches Zeugnis in einer multireligiösen Welt« offengelegt. Der Vortrag enthält einen bemerkenswerten Schlenker. Zuerst ist ein Bekenntnis zur Schrift als dem tragenden Fundament für das missionarische Gespräch zu hören:

Zuallererst: das Dokument ist über weite Strecken eine Auslegung von Texten aus der Heiligen Schrift. Darin wird deutlich, dass bei allem Disput und Diskurs in hermeneutischen Fragen die Bibel das tragende Fundament für alle unsere christlichen Kirchen und Konfessionen ist, auf dem wir uns in der Sprache des Glaubens begegnen und gemeinsam etwas aussagen können. Gott sei Dank!

Im nächsten Absatz erklärt N. Schneider dann, was nicht im Dokument steht, aber angeblich unausgesprochen vorausgesetzt wird (Hervorhebung von mir):

Gleichzeitig wird aber als selbstverständlich vorausgesetzt: Dieses biblische Zeugnis kann nicht mehr als die verbindliche Grundlage und das verbindende Element für alle Menschen in unserer Gesellschaft angesehen werden. Wir leben in einer multi-religiösen Welt. Besonders wir Christinnen und Christen in Deutschland haben das im Laufe der letzten Jahrzehnte lernen müssen. Es ist in unserem Land nicht mehr selbstverständlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung einer christlichen Kirche angehört.

Im Blick auf die Judenmission wird der Verhaltenskodex von N. Schneider sogar unzweideutig ›korrigiert‹ bzw. ›ergänzt‹:

Was das Dokument in diesem Zusammenhang nicht anspricht, ist das spezifisch jüdisch-christliche Verhältnis. Diese Fragestellung war meines Erachtens bei den Verfasserinnen und Verfassern schlicht nicht im Blick und vermutlich würden wir den Text überfordern, wenn wir Fragen zu diesem Thema an ihn herantrügen. Wohl aber wäre das Dokument aus unserer Sicht in dieser Hinsicht fortzuschreiben – gerade von unserer Evangelischen Kirche in Deutschland mit unseren besonderen Erfahrungen und Erkenntnissen aus dem christlich-jüdischen Dialog.

Der Gott, den unser Herr Jesus Christus uns offenbart hat, ist und bleibt nach biblischem Zeugnis der Gott Israels. Wir Christenmenschen geben mit unserer Mission Zeugnis von der Treue Gottes und zu dem Treuehandeln Gottes gehört das Fortbestehen des Bundes Gottes mit seinem Volk Israel. Deshalb gilt: Judenmission ist uns Christenmenschen nicht geboten.

Da freue ich mich über die Kapstadt-Verpflichtung aus dem Jahr 2010 (Teil IIB, Punkt 1), die sehr klar sagt:

Wir bestätigen, dass im Gegensatz dazu, wie Paulus die Heiden beschreibt, das jüdische Volk die Bünde und Verheißungen Gottes zwar kannte, es jedoch noch immer die Versöhnung mit Gott benötigt durch den Messias Jesus Christus. Zwischen Juden und Heiden gibt es weder einen Unterschied bei der Sünde noch bei der Errettung. Nur im und durch das Kreuz können beide zu Gott, dem Vater kommen, durch den einen Geist

Deshalb werden wir weiterhin erklären, dass die ganze Gemeinde die gute Nachricht von Jesus als dem Messias, Herrn und Erretter, mit dem jüdischen Volk teilen muss. Und im Geiste von Römer 14-15 bitten wir die heidnischen Gläubigen, messianische jüdische Gläubige zu akzeptieren, zu ermutigen und für sie zu beten, wenn sie unter ihrem eigenen Volk Zeugnis geben.

Hier eine Mitschrift der Rede des EKD-Ratsvorsitzenden: www.ekd.de.

Zur Gestalt des Christlichen

Ein kluger Theologe lese christliche Ratgeberliteratur der Gegenwart und messe sie an diesem Lutherzitat (geschrieben 1525 an Erasmus):

Die von dir beschriebene Gestalt des Christlichen enthält unter anderem Folgendes: Wir sollen uns mit allen Kräften anstrengen, das Heilmittel der Buße erstreben und auf jede Art und Weise das Erbarmen des Herrn anstreben, ohne das weder der menschliche Wille noch eine Bemühung wirksam sind. Ebenso soll niemand zweifeln an der Vergebung Gottes, der von Natur aus grundgütig ist. Diese deine Worte sind ohne Christus, ohne Geist, kälter als selbst das Eis; sogar deine Beredsamkeit, sonst deine Zierde, leidet Schaden – diese [Worte] hat dir Armem vielleicht gerade noch die Angst vor Bischöfen und Tyrannen ausgepresst, um nicht völlig gottlos zu erscheinen. Das aber behaupten deine Worte doch als Wahrheit: Es gebe in uns Kräfte; es gebe eine Anstrengung aus allen Kräften; es gebe ein Erbarmen Gottes; es gebe Wege, das Erbarmen anzustreben; es gebe einen Gott, der von Natur aus gerecht, von Natur aus grundgütig ist usw. Wenn also einer nicht weiß, was jene Kräfte sind, was sie vermögen, was sie erleiden, welche Anstrengung ihnen eigen ist, was ihre Wirksamkeit, was ihre Unwirksamkeit ist – was wird der tun? Was wirst du ihn zu tun lehren?

Objektiv auf unendlich

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Der kreative Thomas Gerstmann aus Aachen fotografiert gern analog und schwarzweiss. Seit kurzem hat er ein eigenes Blog eröffnet, das ich hiermit empfehle. Über »Obektivaufunendlich« schreibt Thomas:

Ich habe vor, Menschen aller Kulturen, Milieus, sozialen Schichten, Weltanschauungen und Religionen möglichst realistisch und unverfälscht zu fotografieren. Hierfür besuche ich unterschiedlichste Anlässe, Orte und Veranstaltungen. Ich fotografiere analog und schwarzweiss. Auf weitere gestalterische Effekte und Hilfsmittel wie Weitwinkel- oder Teleobjektive, zusätzliche Blitze oder Aufheller versuche ich weitgehend zu verzichten. Um insbesondere bei wenig Licht dennoch gut fotografieren zu können, werden vor allem hochsensible Filme (und hoffentlich bald auch ein Stativ) verwendet.

Meine Gedanken und Reflexionen füge ich den Fotografien bei oder schreibe darüber weitere Blogbeiträge. Dabei fließen sicherlich und vor allem meine weiteren Interessen mit ein, sofern sich thematische Schnittmengen mit diesen ergeben: mein Glaube an Jesus Christus und Theologie sowie digitales Marketing, Multimedia-Konzeption oder Web Analytics.

Hier die URL: objektivaufunendlich.de.

Steve Jobs mit 56 gestorben

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»Mich daran zu erinnern, dass ich bald tot sein werde, ist mein wichtigstes Hilfsmittel dafür, große Entscheidungen im Leben zu treffen.«

Steve Jobs im Jahre 2005

»Unsere Tage zu zählen, lehre uns, damit wir ein weises Herz gewinnen.«

Psalm 90,12

Google-Forscher sagt: »Treffer sind keine Antworten«

Googles Suchmaschine wirkt schlauer als sie ist. Tatsächlich versteht die Software das Netz nicht – sie analysiert nur, was Menschen für wichtig halten. Dan Russell beobachtet für den Konzern die Nutzer. Im Interview warnt er: Überlasst der Technik nicht das Denken!

Wenn ich Seminare zum Thema Web-Glaubwürdigkeit gebe, sage ich immer: Interpretieren Sie Treffer nicht als Antworten – das sind unterschiedliche Dinge. Google befreit nicht von der Verantwortung zu denken. Das können wir nicht übernehmen. Wir haben bisher keinen Weg gefunden, Nutzern zu sagen, was die Wahrheit ist. Wir können nur urteilen: Das ist eine von Nutzern sehr gut angenommene Quelle.

Hier: www.spiegel.de.

Seit 50 Jahren erster Christ im Türkischen Parlament

Vor knapp 100 Jahren lag der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung in der Türkei bei 30 Prozent. Heute sind nur noch ca. 0,2 Prozent der in der Türkei lebenden Menschen Christen (siehe dazu hier). Nun wurde mit Erol Dora seit 50 Jahren erstmals wieder ein Türke ins Parlament gewählt, der zu einer christlichen Konfession gehört.

Der DLF hat ihn kurz vorgestellt:

[podcast]http://podcast-mp3.dradio.de/podcast/2011/10/05/dlf_20111005_0948_60c3a658.mp3[/podcast]

Bavinck: Der christliche Glaube passt zum Leben

Hermann Bavinck schreibt in Christliche Weltanschauung (Bonn: VKW, 2008, S. 21–22):

Denn dort, wo die Versöhnung, welche das Christentum bietet, abgewiesen wird, kommt unvermeidlich der Zwiespalt zum Vorschein, der inwendig in des Menschen Herzen wohnt. Hat doch alle Disharmonie in unserem Wesen darin ihren Ursprung, dass wir, nach dem Zeugnis unseres Gewissens, durch unsere Sünden von Gott geschieden sind und doch die Gemeinchaft mit ihm nicht entbehren können. Wenn wir das Christentum als für uns nicht passend verwerfen, erweist es sich in demselben Augenblick für uns als unentbehrlich. Wenn die Welt ruft: »Fort mit Christus«, zeigt er gerade in seinem Tode, dass er allein der Welt das Leben gibt. Zu den Inbegriffen, die der moderne Mensch sich über Welt und Leben bildet, passt das Christentum nicht, es steht ihnen diametral gegenüber. Aber desto besser passt es zu Welt und Leben, wie sie in Wirklichkeit sind. Wer sich los macht von den Idolen des Tages, von der öffentlichen Meinung, von den herrschenden Vorurteilen in Wissenschaft und Schule; wer die Dinge mit freiem Blick anschaut, nüchtern und mit offenem Sinn, wer Welt und Menschen, Natur und Geschichte nimmt, wie sie in sich wirklich sind, dem wird sich stets stärker die Überzeugung aufdrängen, dass das Christentum die einzige Religion ist, deren Welt­ und Lebensanschauung auf Welt und Leben passt.

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