Martin Luther

Die am Kreuz geborene Liebe

Wir kennen sie, unsere lieben christlichen Autoren, die uns in ihren vielen Büchern erzählen, wie schön und wertvoll wir alle sind. Du bist ein so wunderbarer Mensch, dass Gott sich aufgemacht hat, dich zu suchen! Weißt du nicht, wie schön du bist?

Was für eine erbärmliche und kraftlose Botschaft! Wer die Güter, die Gott angenehm stimmen, in sich selbst sucht, hat nichts begriffen.

Wie wunderbar heilsam ist dagegen, was Martin Luther uns zu sagen hat (HD, XXIV):

[Gottes Liebe, wenn sie am Menschen lebendig wirksam ist, liebt] „Sündige, Böse, Törichte und Schwache, um sie zu Gerechten, Guten, Klugen und Starken zu machen und so strömt sie heraus und teilt Gutes aus. Denn die Sünder sind deshalb schön, weil sie geliebt werden, sie werden nicht deshalb geliebt, weil sie schön sind. Menschliche Liebe flieht daher die Sünder als Böse. So sagt Christus: ‚Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu suchen, sondern Sünder‘ (Matth. 9, 13). Das aber ist die am Kreuz geborene Liebe des Kreuzes, die sich nicht dorthin wendet, wo sie Gutes findet, um es für ihre eigenen Zwecke zu gebrauchen, sondern dorthin, wo sie den Bösen und Armen Gutes bringen kann.

Wenn gute Werke dem Glauben im Weg stehen

In seiner Römerbriefvorlesung von 1515/16 sagte Martin Luther:

Wohl finden sich viele, die die Güter zur Linken, die zeitlichen, um Gottes willen für nichts achten und gerne preisgeben, wie Juden und Ketzer tun; aber die auch die Güter zur Rechten, die geistlichen Güter und die rechtschaffenen Werke für nichts achten, um Christi Gerechtigkeit zu erlangen, deren sind es wenige. Das vermögen Juden und Ketzer nicht. Und doch wird, es sei denn, dass dies geschehe, niemand selig werden. Immer wollen und hoffen sie darauf, dass ihre eigenen Werke vor Gott geachtet und belohnt werden. Aber unverrückbar fest steht der Satz: „Es liegt nicht an jemandes Wollen und Laufen, sondern an Gottes Erbarmen“ (Röm. 9,16).

Anm.: „Jude“ ist hier im Sinne von „Werkgerechtigkeit“ zu verstehen und nicht antisemitisch gemeint.

Die Freundlichkeit Luthers

Am 20. November 1539 beschrieb Calvin in einem Brief an seinen Freund Farel, wie wertschätzend Luther sich in einem Schreiben an Martin Bucer zu ihm geäußert hatte. Da sage doch mal einer, die Reformatoren seien kaltherzig gewesen!

… Krafft, einer unserer Buchdrucker, kam neulich von Wittenberg zurück und brachte einen Brief Luthers an Butzer mit, in dem stand: „Grüße mir Sturm und Calvin ehrerbietig; ich habe ihre Büchlein mit großem Vergnügen gelesen.“ Nun erinnere dich an das, was ich dort vom Abendmahl sage und bedenke Luthers Aufrichtigkeit. Leicht ists jetzt zu sehen, wie wenig Grund die haben, die sich so hartnäckig von ihm fernhalten. Philippus aber schrieb: „Luther und Pommer lassen Calvin und Sturm grüßen. Calvin ist sehr in Gunst gekommen.“ Ferner ließ Philippus durch den Boten erzählen, man habe, um Luther aufzuhetzen, ihm gezeigt, wie scharf er samt den Seinen von mir getadelt werde. Er habe also die Stelle näher angesehen und gemerkt, dass sie ohne Zweifel auf ihn gehe. Schließlich habe er gesagt: „Ich hoffe, er wird einmal besser von uns denken; es ist nur billig, dass wir von einem so tüchtigen Geist einmal etwas hinnehmen.“ Wenn uns nun solche Mäßigung nicht überwände, wir müssten wahrlich von Stein sein. Ich bin überwunden. So habe ich etwas geschrieben, das ihm Genugtuung leistet; das soll ins Vorwort zum Römerbrief eingerückt werden. Wenn du noch nicht gelesen hast, was Philippus über die Autorität der Kirche schreibt, so lies es, bitte. Du wirst ihn da viel mutiger sehen, als er in seinen andern Schriften schien. Capito, Butzer, Sturm, Hedio, Bedrot und Andere grüßen freundlich. Grüße auch alle Brüder, bitte, gar sehr.

Leb wohl, bester Bruder.

Straßburg, 20. November.
Dein Calvin.

[Die Anführungsstriche habe ich eingefügt, um den Brief lesbarer zu machen. Für ihre Korrektheit kann ich nicht garantieren.]

Gefunden habe ich den Brief auf der wunderbaren Seite von Andreas: www.glaubensstimme.de. Danke für diesen wertvollen Dienst, es lohnt sich!

Die anonymen Pelagianer

Martin Luther vom Feinsten, zu finden in seiner Auslegung zu Römer 14,1 (WA, Bd. 56, S. 502–504):

Im Wesentlichen aber ist der Kern dieses Irrtums die pelagianische Anschauung. Denn wenn es auch jetzt keine Leute gibt, die sich zum Pelagianismus bekennen und danach benennen, so sind doch die meisten in Wirklichkeit und ihrer Anschauung nach Pelagianer, auch ohne dass sie’s wissen, wie z.B. die, die glauben, wenn man nicht dem freien Willen das Vermögen zuerkenne, „das zu tun, was an einem ist“, schon vor der Gnade, dann würde man von Gott zur Sünde gezwungen und müsse notwendigerweise sündigen. Obwohl es der Gipfel der Gottlosigkeit ist, so zu denken, so glauben sie doch ganz sicher und dreist, sie würden, wenn sie nur eine „gute Meinung“ zustande brächten, ganz „unfehlbar“ die Gnade Gottes erlangen, die eingegossen werde. Alsdann gehen sie in größter Sicherheit ihres Weges dahin, dessen gewiss, dass die guten Werke, die sie tun, Gott wohlgefällig seien, und ohne dass sie sich fürderhin auch nur im geringsten ängstigen und darüber beunruhigen, dass man Gottes Gnade anflehen müsse. Denn sie fürchten nicht, dass sie eben damit vielleicht böse handeln könnten, sondern sind gewiss, dass sie recht handeln (Jes 44,20). Warum? Weil sie nicht begreifen, dass Gott die Gottlosen auch in ihren guten Werken sündigen lässt. Damit werden sie freilich nicht zur Sünde gezwungen, sondern sie tun nur, was sie wollen und zwar nach ihrer eigenen „guten Meinung“, wenn sie dies einsehen würden, so wandelten sie in der Furcht, in der Hiob lebte, und sprächen auch mit ihm: „Ich fürchtete alle meine Werke“ (Hiob 9,28); und abermals sagt ein anderer: „Wohl dem, der sich allewege fürchtet“ (Spr 28,14). Darum tun die, die in Wirklichkeit Gutes tun, nichts, ohne dass sie sich nicht immer dabei denken: Wer weiß, ob Gottes Gnade solches mit mir tut? Wer gibt mir die Gewissheit, dass meine „gute Meinung“ wirklich von Gott ist? Wie weiß ich, dass, wenn ich getan habe, was mein ist oder was an mir ist, es Gott wohlgefällt? Die wissen, dass der Mensch aus sich selbst heraus nichts tun kann. Ganz widersinnig und eine starke Stütze für den pelagianischen Irrtum ist daher der bekannte Satz: „Dem, der tut, was an ihm ist, dem gießt Gott unfehlbar die Gnade ein“, wobei man unter dem Ausdruck „tun, was an einem ist“ versteht: irgendetwas tun oder vermögen. Und so kommt’s, dass beinahe die ganze Kirche untergraben ist, nämlich durch das Vertrauen auf diesen Satz. Jeder sündigt mittlerweile unbekümmert darauf los, weil es ja jederzeit in seinem freien Willen steht zu tun, was an ihm ist und so auch die Gnade in seiner Hand liegt. Also gehen sie ohne Furcht ihres Weges dahin, nämlich mit dem Gedanken, sie würden schon zur rechten Zeit tun, was an ihnen ist, und also die Gnade erlangen, über sie sagt Jesaa (44,20): „Auch werden sie nicht sagen: vielleicht ist das Trügerei, was meine rechte Hand treibt“, und Sprüche 14,16: „Ein Weiser fürchtet sich und meidet das Arge. Ein Narr aber fähret hindurch trotziglich“, d. h. er fürchtet nicht, „dass es vielleicht Lüge ist, was seine rechte Hand treibt“. Er zittert nicht, dass sein Gutes vielleicht Böses sein könnte, sondern er ist voller Vertrauen und ist sicher. Warum gebietet dann auch der Apostel Petrus „Fürchtet Gott“? (1.Petr 2,17) und Paulus: „Wir reden den Menschen zu, Gott zu fürchten“ (2.Kor 5,11); und abermals: „Schaffet eure Seligkeit mit Furcht und Zittern“ (Phil 2,12). Und im Ps 2,11 heißt es: „Dienet dem Herrn mit Furcht und freuet euch mit Zittern.“ Wie kann aber einer Gott fürchten oder die eigenen Werke, wenn er sie nicht für arg oder verdächtig hält? Furcht nämlich kommt nur vom Bösen her. Darum schauen die Heiligen in banger Sorge aus nach der Gnade Gottes, die man ohne Unterlass anrufen muss. Sie bauen nicht auf ihre „gute Meinung“ oder auf ihren Eifer insgesamt, sondern sie fürchten noch immer, dass sie Böses tun. Durch solche Furcht gedemütigt trachten sie nach der Gnade und seufzen danach; mit dieser demütigen Bitte aber gewinnen sie sich auch Gottes Huld. Die größte Pest sind heutzutage die Prediger, die von Zeichen vorhandener Gnade predigen, um die Menschen sicher zu machen. Obschon doch gerade dies das deutlichste Zeichen von Gnade ist, wenn man in Furcht und Zittern lebt, und umgekehrt dies das offenkundigste Zeichen göttlichen Zornes, wenn man sicher ist und zuversichtlich auf sich selbst vertraut. Und doch lechzen alle gerade danach mit einer seltsamen Leidenschaft. So findet man nur durch die Furcht die Gnade und nur durch die Gnade wird der Mensch willig zu guten Werken, ohne sie aber ist er unwillig dazu. Durch solche – wenn ich so sagen darf – Unlustigkeit wird er ein Mensch ohne Furcht, hart und sicher, weil er nach außen hin in seinen eigenen Augen und vor den Menschen jene guten Werke vollbringt.

Luther und die Fürsten

Zwischen Dresden, Leipzig und Wittenberg liegt die Renaissancestadt Torgau. Als kursächsische Residenz war Torgau das politische Zentrum der Reformation. Für Martin Luther selbst sind über 40 Besuche in der Residenzstadt seiner Landesfürsten, den Kurfürsten zu Sachsen, nachgewiesen. Hier weihte er auch den ersten nach seinen Vorstellungen erbauten protestantischen Kirchenneubau ein.

Eine Sonderausstellung im Schloss Hartenfels, in der Kurfürstlichen Kanzlei und der Superintendentur lässt am historischen Ort mit einzigartigen Kunstwerken, Dokumenten und Kostbarkeiten die Zeit der Reformation wiedererstehen. Nachfolgend ein Deutschlandradio-Beitrag zur Ausstellung, in dem auch die komplizierte Verkettung von Reformation und Fürstentümern zur Sprache kommt:

 

Die Ausstellung „Luther und die Fürsten“ geht noch bis zum 31. Oktober 2015. Wohnte ich in Leipzig oder Dresden, schaute ich gewiss mal vorbei.

Hin zur Schrift?

Bernhard Rothen schreibt in Die Klarheit der Schrift (Bd. 2, 1990, S. 96) zu Karl Barths Hinterlassenschaft:

Eine der m. E. schwerwiegendsten Fragen, die man an das Werk Barths richten muß, ist die, ob das rein äußerlich gesehen noch evangelisch ist: eine menschliche Lehre, die von den Mitarbeitern des spezifisch theologischen Dienstes am Wort so viel Zeit für ihr besonderes Denken fordert? Es hätte der Betonung der Begrenztheit des Lebens entsprochen, auch die eigene Lehre auf einem begrenzten Raum und möglichst leicht zugänglich zu entfalten. So breit und fordernd wie er sie nun vorträgt, hat Barth seine Lehre in den praktischen Konsequenzen mystifiziert, gegen Angriffe immunisiert und gleichzeitig längerfristig auch verflachenden Deutungen preisgegeben.

Im Vergleich dazu Luther: Er weist überdeutlich von seinen Büchern weg zum Studium der Schrift allein, und er verlangt zur Kritik seiner Lehre nicht ein Verständnis seiner Gedankengänge, sondern eine bessere biblische Textkenntnis, als er sie hat. Am besten, sagt er, würde man seine Bücher alle vergraben wegen des schlechten Beispiels, das ihre Vielzahl gibt. „Denn ich wohl sehe, was für Nutzen es in der Kirche geschafft hat, wenn man hat außer und neben der heiligen Schrift angefangen viele Bücher und große Bibliotheken zu sammeln“, sagt er mit polemischer Ironie in der Vorrede zu seinen deutschen Schriften. „Summa, wer im Text der Bibel wohl gefaßt ist, der ist ein Doktor.“ Damit ist bei Luther überdeutlich herausgestellt, daß der Gegenstand, auf den sich in der alltäglichen theologischen Arbeit das entscheidende Bemühen richten muß, der für alle gleichermaßen gegebene, die Gemeinschaft der Kirche stiftende und erhaltende Bibeltext ist.

Heil liegt außerhalb eigener Kräfte

Martin Luther schreibt (WA 18, 633):

Der Mensch kann aber erst dann vollständig gedemütigt werden, wenn er weiß, dass sein Heil gänzlich außerhalb seiner eigenen Kräfte, Absichten, Bemühungen und seines eigenen Willens, seiner Werke liegt und ganz und gar von der Entscheidung, der Absicht, vom Willen und Werk eines anderen abhängt, nämlich Gottes allein. Solange er sich nun einredet, dass er auch nur ein klein wenig zu seinem Heil beitragen kann, bleibt er im Vertrauen auf sich selbst und verzweifelt nicht vollständig an sich, demütigt er sich nicht vor Gott. Statt dessen nimmt er sich Ort, Zeit oder irgendein Werk vor oder hofft es oder wünscht es mindestens, mit dem er schließlich zum Heil gelange. Wer aber in keiner Weise daran zweifelt, er hänge ganz vom Willen Gottes ab, der verzweifelt gänzlich an sich selbst, der wählt nichts, sondern erwartet den wirkenden Gott. Der ist der Gnade am nächsten, dass er heil wird.

Wo die Kirche Evangelium lehrt, gibt es Verfolgung

Martin Luther schreibt in seiner Vorlesung zu Gal 5,12:

Alles in allem: die Kirche muß Verfolgung leiden, wenn sie das Evangelium rein lehrt. Das Evangelium predigt die Barmherzigkeit und Ehre Gottes und öffnet den Blick für die Bosheit und die List des Teufels, ja, es malt ihn mit seinen Farben und reißt ihm die Larve der göttlichen Majestät herunter, durch die er der ganzen Welt Eindruck macht, d. h. das Evangelium zeigt, daß alle Kultübungen, Religionsübungen, Ordensstände, die von Menschen erdacht sind, ferner alle Traditionen von dem Zölibat, von Speisen etc., dadurch die Menschen Vergebung der Sünden und die Rechtfertigung erwerben wollen, gottlose und dämonische Lehren sind. Durch keine Sache wird der Teufel mehr gereizt, als durch die Predigt des Evangeliums, die nimmt ihm die Larve Gottes weg und verrät, was er in Wahrheit ist, nämlich der Teufel und nicht Gott. Darum ist es unmöglich, daß dort, wo das Evangelium blüht, keine Verfolgung statthabe oder aber der Teufel ist mit Sicherheit noch gar nicht richtig getroffen, sondern höchstens leicht berührt. Wenn er wirklich getroffen wird, ruht er nicht, sondern fängt furchtbar an zu toben und alles zu verwirren.

Luther und die Mystik

Vittorio Subilia schreibt über Luthers Sicht der Mystik (Die Rechtfertigung aus Glauben, 1981, S. 133):

Auch wenn zuzugeben ist, daß sich Luther in gewissem Maße der Sprache der Mystik bedient hat, um sein neues Verständnis der Gottesgerechtigkeit zu erläutern, wofür eine literarische Abhängigkeit nicht immer sicher und ohne Vorbehalte nachweisbar ist, muß man trotz seines Lobes für Tauler sagen, daß er Ausdrücke mit mystischem Klang in einem von jeder mystischen Voraussetzung entschieden abweichenden Sinn benutzt. Nicht umsonst erklärt er ganz deutlich, daß die mystische Theologie eher in platonische als in christliche Richtung führt und folglich nicht lehrt, Christus zu erkennen, sondern daß sie Gefahr läuft, ihn zu verlieren, selbst wenn man ihn kennt: Sie ist eine Theologie der Herrlichkeit, die nichts vom gekreuzigten Christus weiß.

Siehe dazu auch den Beitrag Martin Luther und die deutsche Mystik (der dazugehörige DLF-Beitrag ist leider nicht mehr online).

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