79 Prozent aller Smartphone-Benutzer fangen nach Schätzungen ihren Tag damit an, dass sie gleich nach dem Aufwachen ihr Gerät checken. Geht die reale Welt langsam unter? Für die digitale Existenz ist die Wirklichkeit auch bloß eine App. Wie uns das Internet abhängig von künstlich erzeugten Gefühlen macht, beschreibt das Buch Hooked: Wie Sie Produkte erschaffen, die süchtig machen.
Mark Siemons gibt uns Einblicke in die guten Manipulationen der Netzwelt und die Sehnsucht nach dem Wirklichen. Lösungen gibt es nicht, aber gute Beschreibungen der Einwicklungen:
In seinem Buch „Hooked“ stellt der amerikanische Verbraucherpsychologe Nir Eyal das Internet als gigantische Manipulationsmaschine dar. Anders als zu Don Drapers Zeiten brauche das Marketing heute nicht mehr von außen in das Bewusstsein seiner Zielgruppen einzudringen, da es die potentiellen Kunden dazu verleiten könne, sich freiwillig selber in sein Inneres zu begeben: Das entscheidende Ziel für große Silicon-Valley-Konzerne ebenso wie für kleinste Start-ups bestehe in der Veränderung habituellen Verhaltens. Mit einer aus der Glücksspielautomaten-Industrie übernommenen Psychologie versuchten die Internetfirmen, die Menschen in einem geschlossenen Zirkel zu fangen.
Bemerkenswert an dieser Diagnose ist, dass sie nicht von einem Kulturkritiker, geschweige denn von einem Netzkritiker stammt, sondern von einem Agenten des beschriebenen Systems. Das Buch ist ein Ratgeber, „wie Sie Produkte erschaffen, die süchtig machen“ – so formuliert es der Untertitel der deutschen Übersetzung. Der Autor präsentiert ein vierstufiges „Hakenmodell“: Ein äußerer Auslöser (Trigger), etwa in Form einer E-Mail oder eines App-Icon, muss die möglichst überzeugende assoziative Verbindung zu einer schon vorhandenen oder erst neu geschaffenen Emotion herstellen, zum Beispiel der Angst vor Langeweile oder Einsamkeit. Es folgt die durch eine möglichst benutzerfreundliche Oberfläche gelenkte Handlung, also das Klicken auf ein Bild oder eine Website, die eine Belohnung, also die Bewältigung des in der ersten Phase aufgerufenen Problems verspricht (zum Beispiel durch Kommunikation). Entscheidend ist dann, dass diese Belohnung variabel ausfällt, also jedes Mal etwas Neues, Überraschendes bietet, weil erst das eine habituelle und nicht bloß einmalige Verhaltensänderung bewirkt: „Variabilität schafft eine Fokussierung, welche diejenigen Gehirnareale unterdrückt, die mit Urteilsfähigkeit und Vernunft verknüpft sind.“ In der vierten Stufe investiert der Nutzer schließlich aus freien Stücken seine Zeit und seine Daten, vielleicht auch sein Geld, und schafft damit die Voraussetzung, dass er den Hakenzyklus immer wieder durchlaufen wird.
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VD: JS