Das spurenlose Leben

Andreas Reckwitz hat in seinem Buch Die Gesellschaft der Singularitäten den Nachweis erbracht, dass in der Kultur der Postmoderne das Allgemeine und Standardisierte nicht mehr viel zählt. Der Durchschnittsmensch steht unter einem Konformitätsverdacht. Das Maß aller Dinge sind die Besonderen, die authentischen Subjekte mit originellen Biographien und Interessen. Die  spätmodernen Gesellschaften feiern jene, die sich von anderen unterscheiden (vgl. hier).

Timo Frasch bestätigt in einem FAZ-Kommentar die Gier nach Bedeutung und benennt damit verbundene Probleme. Viele Menschen gehe es wie Wladimir Putin: Sie wären gerne eine Großmacht. Sie wollen im Hier und jetzt „die Bewunderung, die Liebe oder die Angst der anderen“.

Und was er dann schreibt, klingt ein wenig nach der „Alles ist eitel“-Passage im biblischen Buch Prediger (vgl. bes. Pred 1,1–11):

Alles, was wir im Leben tun, tun wir im Bewusstsein, dass uns nicht unendlich viel Zeit dafür bleibt. In Wahrheit finden wir uns mit unserer Sterblichkeit aber gar nicht ab, sondern versuchen ihr ein Schnippchen zu schlagen, indem wir Kinder zeugen, Häuser bauen oder Bücher schreiben, von denen wir hoffen, dass sie „bleiben“. Alles vergebens. Denn je mehr Menschen auf der Welt gelebt haben, desto mehr konkurrieren um die knappen Ressourcen Erinnerung und Gedenken. Selbst wenn wir nach unserem Tod noch im Internet zu finden sind – keiner wird mehr danach suchen. Den meisten Literaturnobelpreisträgern geht es ja jetzt schon so. Die angeblich ganz Großen wie Cervantes oder Beethoven werden, sollte die Menschheit überleben, natürlich auch weiterleben. Doch als was? Als Projektionen, die vermutlich von Cervantes und Beethoven im Himmel, sollte es den denn geben, nicht wiedererkannt werden.

Während früher die Religion den Größenwahn noch relativieren konnte, will heute fast jeder – da die Ewigkeitsperspektive fehlt – die maximale Selbstverwirklichung in der Zeit: „Die Selbstermächtigung des Menschen, die natürlich auch viel Gutes gebracht hat, wurde seinerzeit noch abgefedert durch die Religion. Aber auch das könnte sich bald erledigt haben. Dann sagt keiner mehr, Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück, sondern nur noch: Du kannst alles schaffen, wenn du es nur wirklich willst.“

Dabei, so das Fazit von Frasch, braucht es dringend mehr Menschen, die damit zufrieden sind, keine Spuren zu hinterlassen.

Hier mehr (allerdings hinter einer Bezahlschranke): www.faz.net.

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