Die anglikanische Kirche auf der Suche nach einem Oberhaupt

Justin Welby ist als Oberhaupt der anglikanischen Kirche, die außerhalb Großbritanniens vor allem in Afrika und Amerika viele Gemeinden hat, zurückgetreten. Sie verliert damit nun ein geistiges Oberhaupt, das in den vergangenen zwölf Jahren versucht hat, die religiösen und gesellschaftlichen Fliehkräfte durch Kompromissen zu bremsen.

Die FAZ berichtet (23.11.2024, Nr. 274, S. 10): 

Die Führungskrise trifft die Church of England in einer Zeit, in der sie von der Glaubenskrise erfasst ist, die alle Konfessionen in der westlichen Welt erschüttert. Die Zahl der Einwohner von England und Wales, die sich selber als „Christen“ einschätzen, ist erstmals auf weniger als 50 Prozent gefallen – die größten Zuwächse gibt es in der Gruppe jener, die sich gar keiner Religion zuordnen. Und die Zahl der Teilnehmer an Sonntagsgottesdiensten sinkt immer weiter, obwohl doch die Königsfamilie jede Woche den Kirchgang durch Fotos vorbildhaft dokumentiert. Während 2012, zu Beginn der Ära Welbys, noch mehr als eine Million regelmäßige sonntägliche Kirchgänger gezählt wurden, waren es im vergangenen Jahr weniger als 700.000.

Der ausgeschiedene Erzbischof ist mit den Konflikten in seiner Kirche ebenso öffentlich umgegangen wie mit seinen persönlichen Anfechtungen – bis hin zu Phasen der Depression. Es wird dauern, bis nach seinem Abgang ein Nachfolger gefunden ist, auch weil die Erwartungen an dessen Rolle immer vielfältiger werden. Wo sich die einen eher einen politischen Krisenmanager wünschen, hoffen die anderen auf einen spirituellen Führer, der die geistliche Faszination der Kirche stärkt. Wo viele englische Kirchenfunktionäre die Hoffnung hegen, die Zeit könne reif sein für die erste Erzbischöfin von Canterbury, droht der Klerus in manchen afrikanischen Ländern, dies werde endgültig zur Spaltung führen.

In der Findungskommission, die dem britischen Premierminister einen Namen präsentieren (und einen zweiten in Reserve halten) muss, sind erstmals auch die fünf Weltregionen der anglikanischen Gemeinschaft von je einem Geistlichen repräsentiert. Das wird die Zeit der Suche nach dem 106. Erzbischof von Canterbury kaum verkürzen. 

 

Ähnliche Beiträge:

    Keinen Beitrag gefunden

Abonnieren
Benachrichtige mich bei

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

7 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments
Udo
1 Monat zuvor

Geistliche Leitung wäre seine Aufgabe gewesen. Stattdessen war er nur ein Moderator und Türöffner für faule Kompromisse. Gut, dass er zurück tritt. Bezüglich Nachfolger*in wird man sicher jemanden finden, der/die noch weniger geeignet ist. Alles andere wäre ein Wunder.

M.B.
1 Monat zuvor

Faule Kompromisse bemängeln und gleichzeitig Gendersternchen benutzen….und das in einem Satz – das habe ich bisher auch nicht gesehen

Stephan
1 Monat zuvor

Als Außenstehende fällt es leider leicht Welbys Entscheidungen und Kompromisse zu kritisieren. Aber eigentlich sollten wir froh sein, dass wir selbst nicht in dieser Position und Funktion dienen müssen. Schaut man sich z.B. auf Wikipedia seinen Lebenslauf an, dann erkennt man einen „Spätberufenen“, der wohl zum Glauben gekommen ist und dann als Berufung den Weg eines Pastoren eingeschlagen hat. Und anscheinend hat er in seinen ersten Verwendungen die Anzahl der aktiven Gemeindemitglieder deutlich erhöhen können. Soweit ein vorbildlicher Weg, den vielleicht manche von uns selbst eingeschlagen haben oder sofort einschlagen würden, wenn sie das als Gottes Auftrag wahrnehmen. Und dann kommt er in eine Position, in der er in einer Zwickmühle steckte. Auf der einen Seite steht es in der Bibel, dass Vergehen innerhalb der Gemeinde auch innerhalb der Gemeinde geklärt werden sollen und nicht vor weltlichen Gerichten, auf der anderen Seite besteht ein nachvollziehbares und sicherlich auch berechtigtes Interesse der Öffentlichkeit, dass derartige Mißbrauchsfälle nicht unter den Tisch gekehrt… Weiterlesen »

Udo
1 Monat zuvor

@M.B.: Ironie versteht halt nicht jeder. 😉

Udo
29 Tage zuvor

@Stephan: Kurze kritische Kommentare haben natürlich oft eine überspitzte Tendenz. Das heißt allerdings noch lange nicht, dass sie nur Stammtisch-Niveau haben. Die Anforderungen an ein Kirchenleitungsamt sind hoch, und es braucht viel Stärke, eine Kirche zu führen, Veränderungen zu ermöglichen, dabei aber nicht vor zeitgeistlichen Strömungen und Wünschen einzuknicken, sondern Bibel und Bekenntnis treu zu bleiben. Wenn man sich dabei an Mitgliederzahlen, Besucherzahlen und Zustimmungswerte orientiert, gerät man gerade in einer entchristlichten und verwöhnten westlichen Gesellschaft schnell aufs Glatteis. Es gibt auch leider zu viele Leiter, die zu spät erkennen, dass sie einer Aufgabe nicht mehr gewachsen sind. Missbrauchsfälle sind im Übrigen ein schlimmes Verbrechen und gehören wie alle Verbrechen angezeigt und vor ein Gericht. Sie sind weder in der Kirche noch in Sportvereinen und anderen Organisationen eine nur interne Angelegenheit. Bezüglich Kompromisse kann man übrigens viel von Salomon (Negativbeispiel: Bereits anscheinend kleinere Kompromisse haben das Potential, alles zu ruinieren.) und Jesus (Positivbeispiel: Kompromisslos sein heißt, aber nicht, lieblos zu… Weiterlesen »

Stephan
29 Tage zuvor

Ich wollte Deinen Beitrag nicht als „Stammtisch-Parole“ diffamieren, sondern lediglich darauf hinweisen, dass ich froh bin, kein Kirchenleiter zu sein. „Wenn man sich dabei an Mitgliederzahlen, Besucherzahlen und Zustimmungswerte orientiert, gerät man gerade in einer entchristlichten und verwöhnten westlichen Gesellschaft schnell aufs Glatteis.“ Ja. Aber … Mir sind heute zwei Headlines über den Weg gelaufen. St.-Martini läßt Aufgaben und Pflichten in der BEK ruhen Organisationsforscher: Kirche sollte gesellschaftlich relevante Angebote ausbauen Spontaner Gedanke zu 1.: wurde ja auch Zeit. Allerdings hat so ein Schritt möglicherweise Konsequenzen. Es droht die gänzliche Abspaltung, was in organisatorischer und ggf. finanzieller Hinsicht eine kleine Katastrophe ist. „Dienstleistungen“ des bisherigen Kirchenbundes (Besoldung, Ausbildungsstellen, Verträge, Gebäudeunterhalt, …) mögen dann entfallen, auch die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit als Kirche wird geringer – möglicherweise spricht man künftig nicht mehr als Mitglied einer Landeskirche, sondern als eine unabhängige Gemeinde (wird also eher als fundamentlistische Sekte wahrgenommen und kann daher weniger wirken). Nun trifft sich so eine Entscheidung auf dieser… Weiterlesen »

Udo
29 Tage zuvor

Dazu kann man dann aus den Leitsätzen zur Kommunikation von St. Martini direkt einmal Nummer 3 zitieren: „3. Mit allem, was wir tun (Predigt, Lehre, praktische Dienste, etc.) sind wir zuerst Gott dem Allmächtigen verpflichtet.“
Eine Kirche, die sich dem Zeitgeist anbiedert und Gottes Wort verachtet, hat keine Zukunft. Sie ist wie Israel zur Zeit der Propheten „ein Haus des Widerspruchs“ und steht unter dem Zorn Gottes. Da hilft auch kein Geld, da hilft nur Umkehr. Dazu aufzurufen, wäre die Aufgabe von Kirchenleitung

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner