Die neue Jakobusperspektive

Kenneth Wilson ist bekannt für seine Polemik gegen Augustinus und seine kritische Sicht auf die Reformation, insbesondere auf Luther und Calvin. Mit der Unterstützung von Roger Liebi hat er – was mich überrascht – auch in Deutschland eine gewisse Popularität erlangt. Mir scheint sogar, dass er hierzulande stärker wahrgenommen wird als in der viel größeren englischsprachigen Welt. Natürlich kann ich mich irren.

Vor vier Jahren hat Ken Wilson im Journal of Biblical Literature den Aufsatz „Reading James 2:18–20 with Anti-Donatist Eyes: Untangling Augustine’s Exegetical Legacy“ (Vol. 139, Nr. 2, 2020, S. 385–407) publiziert. Dort stellt er die These auf, dass auch die Lektüre des Jakobusbriefes durch den Einfluss Augustins verdorben sei. Er versucht, dies konkret an der Unterscheidung zwischen zwei Arten des Glaubens in Jak 2,19 zu demonstrieren. Es gibt demnach einen dämonischen Glauben ohne Werke, der geistlich gesehen in sich tot ist. Daneben gibt es einen rettenden Glauben, der gute Werke hervorbringt. Wilson behauptet nun, Augustinus habe den Begriff des „dämonischen Glaubens“ neu erfunden und damit einen dunklen Schatten über die Auslegung von Jak 2,18–20 gelegt. Kenneth Wilson liest V. 19 so, dass die Aussage über den Glauben der Dämonen nicht von Jakobus selbst stammt, sondern von seinen Gesprächspartnern. Augustinus habe seine irreführende Auslegung von Jak 2,19 politisch instrumentalisiert, um die Donatisten als außerhalb der christlichen Glaubensgemeinschaft stehend zu verteufeln.

Jeffrey Dale hat inzwischen Wilsons Behauptung – nach meinem Dafürhalten – exegetisch erfolgreich widerlegt. Seine Antwort erschien ebenfalls im Journal of Biblical Literature als „Demonic Faith and Demonic Wisdom in James: A Response to Kenneth M. Wilson“ (Vol. 141, Nr. 1, 2022, S. 177–95).

Sein Fazit:

Die Anmerkung, mit der Wilson seinen Artikel beendet, lässt vermuten, dass er mit einer gewissen Ablehnung gerechnet hat. Im letzten Absatz spricht er die Möglichkeit an, dass viele Gelehrte nicht bereit sein werden, seine Lesart von Jak 2 zu akzeptieren. Er führt diesen Unwillen darauf zurück, dass „die anachronistische Neuerung des Augustinus“ als „fast unantastbar heilig“ fortbesteht.

Es ist zwar theoretisch möglich, dass ich aufgrund meiner unbewussten Abhängigkeit von Augustinus’ weitreichendem Einfluss nicht von Wilsons Vorschlag überzeugt bin. Allerdings glaube ich nicht, dass dies der Fall ist. Wie ich argumentiert habe, gibt es im Jakobustext eine starke Grundlage dafür, Jak 2,19 als Teil der Antwort auf den Gesprächspartner in Vers 18a zu lesen und als einen entscheidenden Teil der Argumentation von 2,14–26 zu betrachten. Der Begriff des dämonischen πίστις [dt. Glaubens] stammt von Jakobus, nicht vom Gesprächspartner, und er leistet einen wichtigen Beitrag zu Jakobus’ Kernaussage in diesem Abschnitt: Wahrer Glaube ist nicht nur etwas, das behauptet oder behauptet werden kann, sondern etwas, das durch Werke erwiesen werden muss. Auch die Dämonen halten an dem Glauben fest, dass „Gott einer ist“, aber das ist nicht die Art von πίστις, die zum Heil führt.

Diese Lesart von Jak 2 wird dadurch gestützt, dass der Abschnitt über zwei Arten von Weisheit (Jak 3,13–18) als interpretative Parallele verstanden wird, die Einblick in das jakobinische Denken bietet. Auf diese Weise bringt mein Vorschlag die Diskussion über die Einheit des Jakobusbriefs voran und hebt einige bedeutende thematische Resonanzen hervor, die ihn miteinander verbinden. Für Jakobus sind Glaube und Weisheit unterschiedliche Konzepte, aber sie funktionieren in einem ähnlichen Paradigma. Mangelhafte Formen der Weisheit und des Glaubens gehören zum dämonischen Bereich, aber wahre Weisheit und wahrer Glaube sind Gaben, die von oben kommen und zu guten Werken führen, d.h. zu Werken des Mitgefühls, der Barmherzigkeit, des Segens und der Harmonie, die das ausmachen, was Jakobus „reinen und unbefleckten Gottesdienst“ nennt (Jak 1,27).

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Schandor
1 Tag zuvor

Immer wieder mal im Sommer, wenn es warm genug ist, taucht jemand aus der Versenkung auf und nützt das Unverständnis der Christen über das, was Glauben ist und worin die vermutete Diskrepanz zu Paulus besteht. Glauben ist die innere Zustimmung zu einer Aussage – nicht mehr und nicht weniger. Ein „toter Glaube“ ist nur die Umschreibung für Unglaube. Es gibt keinen dämonischen Glauben. Genausowenig wie politische Korrektheit etwas mit Korrektheit zu tun hat, so wenig hat ein toter Glaube etwas mit Glauben zu tun. Toter Glaube = kein Glaube. Es gibt aber Leute, die *behaupten*, zu glauben, es aber nicht tun ––– was man am Fehlen jeglicher Auswirkungen deutlich sehen kann. Dagegen richtet sich Jakobus‘ Polemik. Der Bruder Jesu wusste genau, was er sagen wollte (er war ja als „der Gerechte“ weithin bekannt in und über Jerusalem hinaus), und hätte er den sogenannten dämonischen Glauben einem Gesprächspartner in den Mund schieben wollen, er hätte es wahrlich gekonnt. Die jakobinische Polemik… Weiterlesen »

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