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Türkei: Mordangeklagte von Malatya auf freiem Fuß

Nachfolgend gebe ich eine Presseerklärung der Vereinigung Protestantischer Kirchen (Türkei) vom 08. 03. 2014 zum Malatya-Mord-Prozess wieder (Türkisches Original: haber.sat7turk.com):

Der 18. April 2007 ist für die in der Türkei lebenden protestantischen Christen ein sehr schwerer Tag gewesen. An jenem Tag wurden die Mitarbeiter des Zirve-Verlags Necati Aydin und Ugur Yüksel sowie der Deutsche Tilman Geske, nur weil sie Christen waren, von fünf jungen Männern unter schwerer Folter und letztlich durch Aufschneiden der Halsschlagadern grausam ermordet.

Die gesetzliche Neuregelung in Bezug auf die Freilassung von Angeklagten, deren Haftzeit fünf Jahre überschreitet, ist zur Ursache einer fürchterlichen Ungerechtigkeit geworden. Die nach dem Massaker im Zirve-Verlag vom 18. April 2007 seit 7 Jahren inhaftierten und vor Gericht stehenden fünf des Mordes angeklagten Män ner, wurden aufgrund dieser Neuregelung gestern Nacht freigelassen. Im bei der letzten Verhandlung vom Staatsanwalt vorgetragenen Plädoyer hatte er für die Mordangeklagten vier mal erschwerte lebenslängliche Haft gefordert. Die jetzt freigelassenen Mordangeklagten hatten während des Prozessverlaufs mehrfach die Familien der Toten, Aktivisten von Menschenrechtsorganisationen, Pressevertreter und Anwälte in schwerster Form bedroht. Dadurch sind die Bedrohten nun in großer Spannung.

Die Freilassungen haben bei den Christen zu großem Bedauern und zum Verlust des Glaubens an die staatliche Gerechtigkeit geführt.

Seit 7 Jahren hat nicht nur die türkische Öffentlichkeit, sondern die Weltöffentlichkeit den Abschluss dieses Prozesses mit großer Geduld erwartet. Die Bemühungen der Anwälte, die sich seit Beginn des Prozesses mit großer Opferbereitschaft für die Gerechtigkeit eingesetzt haben, und der Menschenrechtsorganisationen sind mit einem Schlag zunichtegemacht worden. Durch diese Freilassungen hat der Prozess einen schrecklichen Rückschlag erlitten. Nicht nur die Christen, sondern alle Türken, die auf ihr Gewissen hören, haben erwartet, dass in diesem Prozess Gerechtigkeit geübt wird. Daher hat nun das Gewissen der Türkei Schaden erlitten. Die Mordverdächtigen können sich plötzlich ungehindert in der Gesellschaft bewegen. Wer wird die moralische Verantwortung für diese entsetzliche Entscheidung tragen? Was noch wichtiger ist: Wer wird den hohen Preis für die sehr wahrscheinlichen neuen Taten der Mordverdächtigen zahlen?

Als Christen der Türkei haben wir die Entscheidung für die Freilassung mit großem Schmerz wahrgenommen. Man kann es vielleicht ertragen, dass die Gerechtigkeit seit 7 Jahren verzögert wurde, aber welches Gewissen kann es ertragen, dass die Gerechtigkeit vernichtet wird? Als christliche Staatsbürger sind unsere Sicherheit und die Sicherheit unserer Familie in großer Gefahr. Wir verfolgen die weiteren Entwicklungen mit großem Entsetzen.

Wir rufen die Regierung der Türkischen Republik, den Staat und alle Rechtsorgane angesichts dieser Bedrohung und Gefahr dazu auf, umgehend ihre Pflicht zu tun. Wir erwarten, dass sie gegen diese unsensible und ungerechte Entscheidung umgehend einschreiten.

Während dieser in unserem Land sehr bedrängenden Tage ist es unser flehender Ruf, dass die Gerechtigkeit zum Zuge kommen möge. Wir erklären hiermit vor der Presse und der Öffentlichkeit, dass wir uns unermüdlich weiter dafür einsetzen werden, dass die Gerechtigkeit zum Zuge kommt.

Prozess in Malatya steht vor dem Abschluss

Die ARD-Tagesthemen haben gestern über das absehbare Ende des Malatya-Prozesses in der Türkei berichtet. Wie mehrfach erörtert (z.B. hier), wurden 2007 drei christliche Missionare auf brutalste Art und Weise ermordet. Unter den Opfern war auch ein Student des Seminars, an dem ich tätig bin.

Hier der Link zum Bericht der Tagesthemen, in dem auch Susanne Geske, die Witwe von Tilman Geske, zu Wort kommt: www.tagesschau.de.

Malatya: Ein Anstifter verhaftet

Über die Ermordung von drei Christen in der südosttürkischen Stadt Malatya habe ich bereits mehrfach berichtet, auch, weil einer der drei Märtyrer an dem Seminar, an dem ich tätig bin, als Student eingeschrieben war. Im Prozess ist nun ein mutmaßlicher Anstifter des Attentates festgenommen worden. Die Nachrichtenagentur idea schreibt:

Der Haftbefehl wurde erlassen, nachdem Zeugen ausgesagt hatten, dass der Journalist Varol Bulent Aral an der Vorbereitung der Bluttat beteiligt gewesen sei. Aral soll ein Verbindungsmann zu den Drahtziehern aus der nationalistischen, islamisch orientierten Bewegung Ergenekon gewesen sein. Der dreifache Mord liegt dreieinhalb Jahre zurück. Am 18. April 2007 wurden der Deutsche Tilmann Geske sowie zwei Mitarbeiter des protestantischen Zirve-Verlags in Malatya, Necati Aydin und Ugur Yüksel, ermordet. Fünf junge Männer fesselten und folterten die Opfer, bevor sie ihnen die Kehlen durchschnitten. Aral war schon einmal verhaftet worden. Nach Angaben des Informationsdienstes Compass Direct sagte der Mithäftling Orhan Kartal vor Gericht aus, dass Aral erzählt habe, wie er die fünf Täter psychologisch auf die Morde vorbereitet habe. Hinter ihm stehe eine hochgestellte Persönlichkeit – der frühere General Veli Kucuk. Ein weiterer Zeuge, Erhan Ozen, arbeitete ehemals beim Gendarmerie-Geheimdienst JITEM. Dort habe man bereits 2004 die Ermordung der Christen in Malatya und des armenischen Schriftstellers Hrant Dink geplant. Er wurde am 19. Januar 2007 in Istanbul auf offener Strasse erschossen. Es wird vermutet, dass die Organisation Ergenekon in die Bluttaten verwickelt ist. Ihr gehören frühere Generäle, Politiker und andere Schlüsselpersonen an. Die türkische Generalstaatsanwaltschaft stuft sie als terroristische Vereinigung ein.

In einem Interview mit der katholischen Nachrichtenagentur Zenit beantwortet der Pastor Wolfgang Häde die Frage: »Besteht ein Zusammenhang zwischen diesem [kritischen] Christenbild und gewaltsamen Übergriffen gegen Christen in der Türkei?« folgendermaßen:

Ja, ganz sicher. Im Fall der Ermordung meines Schwagers Necati Aydin und der beiden anderen protestantischen Pastoren in Malatya im April 2007 hatten vorher lokale Zeitungen reißerisch Stimmung gegen die dortigen Christen gemacht mit dem Tenor: »Jetzt sind die Missionare nach Malatya gekommen.« Es wurde mit total übertriebenen Zahlen operiert, zum Beispiel, dass 46 neue Kirchen in Malatya gegründet worden seien.

Zum interessanten Interview geht es hier: www.zenit.org.

Staatsanwaltschaft fordert im Malatya-Mord-Prozess drei Mal lebenslänglich

Am 24. Prozesstag forderte die Staatsanwaltschaft im Prozess um die Ermordung von Necati Aydin, Ugur Yüksel und Tilmann Geske drei Mal lebenslange Haft ohne Bewährung für jeden der fünf Angeklagten. Dies meldet der Informationsdienst Bonner Querschnitte am 9. April 2010 (siehe ausserdem hier).

Die drei Opfer, zwei türkische und ein deutscher Christ, waren am 18. April 2007 brutal von fünf jungen Männern in Malatya, einer südosttürkischen Stadt, ermordet worden. Wie der christliche Informationsdienst Compass Direct weiter mitteilt, würden sowohl die Richter als auch die Staatsanwälte sehr darauf drängen, den jetzt fast drei Jahre währenden Prozess zu Ende zu bringen.

Der Staatsanwalt, der das Ergenekon-Verfahren in Istanbul führt, habe einen Polizei-Bericht an das Gericht in Malatya geschickt, in dem die fünf Angeklagten mit einer größeren Operation des »tiefen Staates« in Verbindung gebracht werden. Seit Oktober 2008 wird gegen Dutzende Mitglieder von Ergenekon der Prozess geführt. Die Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft stuft diese Organisation als terroristische Vereinigung ein. Ihr wird vorgeworfen, für viele politische Attentate verantwortlich zu sein, vor allem aber einen Putsch gegen die Regierung von Ministerpräsident Erdogan geplant zu haben. Unter den Angeklagten sind pensionierte hohe Militärs, Professoren, Journalisten, Rechtsanwälte und Politiker.

Der Richter in Malatya lehnte allerdings eine weitere Untersuchung möglicher Verbindungen zwischen den fünf Angeklagten und Ergenekon ab, obwohl es nach Ansicht der Vertreter der Nebenklage viele Indizien dafür gäbe. So seien die Morde von Malatya Teil einer Serie von Anschlägen gegen die christliche Minderheit, die alle auf das Konto dieser Vereinigung gingen. Dies gelte nicht nur für die Morde an dem katholischen Priester Andreas Santoro (Februar 2006, Trabzon) und dem armenischen Publizisten Hrant Dink (Januar 2007, Istanbul), sondern auch für die Entführung eines syrisch-orthodoxen Priesters, eine schwere Messerattacke gegen einen Priester in Izmir, schwere Bedrohungen gegen einen protestantischen Pastor in Samsun – alles Vorfälle der letzten Jahre. Sollte der Istanbuler Staatsanwalt bis zum Ende des Malatya-Prozesses keinen Plan vorgelegt haben, um diesen Hinweisen im Istanbuler Ergenekon-Verfahren nachzugehen, würden sich die Nebenkläger vorbehalten, den Prozess vor das oberste Berufungsgericht zu bringen, so Erdal Dogan, ein Vertreter der Nebenklage.

Susanne Geske, eine der Witwen, findet es »schade, dass nur die fünf verurteilt werden und die Hintermänner auf freiem Fuß bleiben.« Sie befürchtet, dass sich letztere einfach neue Leute suchen könnten, um Ähnliches zu verüben. Die Nebenklage und die Verteidiger werden am 15. April, dem nächsten Prozesstag, ihre Plädoyers halten, sodass Einschätzungen türkischer Quellen zufolge möglicherweise schon am 16. April das Urteil verkündet werden könnte.

Die kleine protestantische Gemeinde in Malatya hat in den letzten drei Jahren eine schwere Zeit gehabt. Einige Mitarbeiter haben die Stadt verlassen, manche einheimischen Gläubige trauten sich nicht mehr, in die Gemeinde zu kommen. Familie Geske ist wie damals angekündigt in der Stadt geblieben. Im Laufe der Zeit sind aber auch neue Mitarbeiter dazugekommen. Und im letzten Jahr sind auch einige Einheimische zum Glauben gekommen und gehen jetzt gemeinsam mit der Gemeinde den Weg mit Jesus. An Karfreitag gab es gerade einen »Jesu-Kreuzigung-Gedächtnis-Gottesdienst«. Und am Ostersonntag haben die Christen wieder vor Ort zum Gottesdienst eingeladen, und Gäste aus anderen Gemeinden kamen hinzu, um die Gemeinde zu ermutigen.

Aus Anlass des dritten Jahrestages der Morde von Malatya am 18. April hat die Allianz der Protestantischen Gemeinden in der Türkei zu einem »Weltweiten Gebetstag für die Türkei« aufgerufen. Da der 18. April dieses Jahr auf einen Sonntag fällt, werden Gemeinden überall auf der Welt ermutigt, einige Minuten der Gebetszeit in ihren Gottesdiensten dazu zu verwenden, gemeinsam mit Millionen von Christen die Türkei und ihre Kirche vor den Thron Gottes zu bringen, so Pastor Zekai Tanyar (Izmir), derzeit Vorsitzender der Vereinigung Protestantischer Kirchen in einem eMail.

Als Hilfe dafür gibt es ein kurzes, 4-minütiges Video sowie einen Gebetsbrief (beides in verschiedenen Sprachen, darunter auch in deutscher Übersetzung) unter: www.prayforturkey.com.

Türkei: Gefährdung der Religionsfreiheit und der Sicherheit

Der gescheiterte Putschversuch vom 15. Juli 2016 und die darauf folgenden Maßnahmen der Regierung haben den türkischen Staat und die türkische Gesellschaft erschüttert. Der Putschversuch richtete sich gegen normale Bürger, die gewählte Regierung und Schlüsselinstitutionen der Demokratie, und wurde von den verschiedensten politischen Parteien scharf verurteilt. Sowohl der gescheiterte Putsch als auch die in der Folge getroffenen Maßnahmen haben langfristige Auswirkungen auf die verantwortungsvolle Staatsführung, Religionsfreiheit, Sicherheit und auf die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft.

Als Drahtzieher des Putsches wird die Gülen Bewegung gesehen, an deren Spitze der im selbstgewählten Exil lebende sunnitische Kleriker Fethullah Gülen steht. Die Regierung beschuldigt diese Bewegung, die Justiz, das Bildungssystem und mehrere Ministerien unterwandert zu haben. Der Putschversuch wird als der jüngste Versuch der Gülen Bewegung, die Kontrolle im Staat zu übernehmen, dargestellt. Bisheriger Höhepunkt der Spannungen zwischen der Regierungspartei AKP und der früher mit ihr verbündeten Gülen Bewegung waren die von Gülen im Dezember 2014 erhobenen Korruptionsvorwürfe gegen führende AKP Politiker, darunter Präsident Recep Tayyip Erdogan und seine Familie.

Entwicklungen seit dem Putschversuch

Seit dem 15. Juli wurden notwendige rechtliche und institutionelle demokratische Reformen verschoben. Die vom Staat ergriffenen Maßnahmen hatten eine negative Auswirkung auf die Religionsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit. Die Maßnahmen der Regierung, insbesondere im Rahmen des Ausnahmezustandes, haben den rechtlichen Rahmen zum Schutz der Menschenrechte in der Türkei beschädigt. Weitgehende Veränderungen im Justizsystem, die bereits vor dem Putschversuch eingesetzt haben, haben danach die religiös-nationalistische Position in gesellschaftlichen Fragen noch verstärkt.

Die von der türkischen Menschenrechtsstiftung und anderen Organisationen gesammelten Beweise für Misshandlungen in der Haft, insbesondere beim Vorgehen gegen die mutmaßlichen Putschisten in der ersten Phase nach den Ereignissen vom 15. Juli, bzw. generell im Südosten der Türkei, zeigen, dass eine unabhängige Überwachung der Umsetzung der internationalen Menschenrechtsverpflichtungen durch die staatlichen Institutionen dringend erforderlich ist. Die vollen Auswirkungen der aufgrund von Notstandsverordnungen des Staates ergriffenen Maßnahmen, wie etwa der Absetzung von Richtern und sonstigen Personals des Staatsapparats, Schließung von Universitäten, Vereinigungen und Fernsehstationen und des Verbots von Zeitungen auf den Gesamtzustand der Demokratie sind noch nicht absehbar.

Durch diese Maßnahmen wird die Einhaltung der bindenden internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Menschenrechte durch den Staat weiter erschwert.

Diese Entwicklungen schaden der Sicherheit, sowohl des Staates, als auch der Gesellschaft  insgesamt, wie diese in den Verpflichtungen der Regierung im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) festgeschrieben sind. In der Charta von Paris für ein neues Europa heißt es: „Menschenrechte und Grundfreiheiten sind allen Menschen von Geburt an eigen; sie sind unveräußerlich und werden durch das Recht gewährleistet. Sie zu schützen und zu fördern ist vornehmste Pflicht jeder Regierung. Ihre Achtung ist wesentlicher Schutz gegen staatliche Übermacht. Ihre Einhaltung und uneingeschränkte Ausübung bilden die Grundlage für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden“.

Die Justiz

Es gibt schon seit längerer Zeit Anlass für Zweifel an der Fähigkeit der Justiz, Schutz gegen Verletzungen der Religionsfreiheit oder anderer Grundfreiheiten zu bieten. Die Politisierung der Justiz reicht viele Jahre in die Vergangenheit vor der Gründung der AKP im Jahr 2001. Seit 15. Juli 2016 behauptet die Regierung, eine Organisation namens FETÖ (Gulen „Terrororganisation“) hätte die Justiz unterwandert und nimmt dies zum Anlass, gerichtliche Entscheidungen aus der Vergangenheit anzuzweifeln. Seither wurden über 2.700 Richter abgesetzt und insgesamt ca. 80.000 Beamte aus allen Bereichen der Verwaltung entfernt. Diese Tatsache und das Vorgehen der Regierung bei der Ernennung neuer Richter wird zweifellos eine Auswirkung auf zukünftige Entscheidungen im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit und anderen Grundfreiheiten haben. Gerechtigkeit und Unabhängigkeit der Justiz bilden wesentliche Voraussetzungen für den Schutz der Grundfreiheiten.  Doch die Existenz einer gerechten und unabhängigen Justiz wird schon lange und in vielen Fällen in Zweifel gezogen, von Verfahren über die Rückgabe von Eigentum bis hin zu Mordprozessen.

Das außergewöhnlich lange verzögerte Verfahren im Fall der brutalen Morde an drei Christen in Malatya am 18. April 2007, ein Urteil erging erst am 28. September 2016, illustriert diese Problematik in drastischer Weise. Die fünf Angeklagten wurden des vorsätzlichen Mordes für schuldig befunden und zu je drei Mal lebenslänglich verurteilt. Doch alle fünf Mörder wären bis zur Berufungsverhandlung vor einem höheren Gericht lediglich unter routinemäßiger Überwachung auf freiem Fuß geblieben, hätte nicht die Staatsanwaltschaft Berufung wegen Fluchtgefahr ins Ausland eingelegt. Daher wurden die fünf am Abend nach der Urteilsverkündigung verhaftet und ins Gefängnis gebracht. Weiters ergingen Schuldsprüche gegen zwei Gendarmen wegen Straftaten im Zusammenhang mit den Morden von Malatya. Allerdings wurde keiner der anderen Beamten verurteilt, gegen die starke Verdachtsmomente vorliegen, dass sie an der Anstiftung zu den Morden beteiligt waren. Das Gericht stellte fest, dass die fünf Mörder ihre Verbrechen nicht ohne fremde Hilfe hätten begehen können, war jedoch nicht in der Lage, die beteiligte Organisation zu benennen und ordnete „weitere Ermittlungen“ an.

Religiöser Nationalismus

Die religiös-nationalistische Position der Regierung bezüglich gesellschaftlicher Fragen hat sich seit dem gescheiterten Putschversuch noch verstärkt. In der Nacht des Putschversuchs wies die direkt dem Büro des Premierministers unterstehende Religionsbehörde Diyanet alle 110.000 Imame des Landes an, die Menschen zur Verteidigung der Demokratie aufzurufen. Fast alle Teile der Gesellschaft sprachen sich gegen den Putschversuch aus, auch die nicht Religiösen, nicht-Muslime und Aleviten. AKP und Oppositionsparteien traten am 7. August in einer Kundgebung gemeinsam gegen den Putschversuch auf.

Doch trotz der fast einhelligen Ablehnung des Putschversuchs forciert die Regierung seither eine Kombination aus hanafitisch-sunnitischem Islam und türkischem Nationalismus. Das Eintreten für eine einheitliche türkische religiös-nationalistische Identität schafft schon lange Probleme für die Ausübung der Menschenrechte und lässt auch für die Zukunft wenig Gutes erwarten, wenn Präsident Erdogans Pläne zur Reform des Staatsapparats und des Bildungswesens, einschließlich des Religionsunterrichts, und der Diyanet verwirklicht werden, wodurch – in den Worten Erdogans – Missbräuche der Religion verhindert werden sollen. Auch von einer Registrierungspflicht für religiöse Gemeinschaften ist die Rede, insbesondere im Hinblick auf islamische Bruderschaften. Allerdings wurde in der Türkei bisher keiner Religionsgemeinschaft (einschließlich der islamischen) eine eigene Rechtspersönlichkeit zuerkannt. Dies ist ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht (Richtlinien der OSZE/Venediger Kommission für die rechtliche Stellung von Religionsgemeinschaften).

Die auf Zeiten lang vor dem Putschversuch zurückgehenden Probleme der Türkei im Zusammenhang mit Religionsfreiheit erfordern wesentliche Änderungen der Gesetze und der Praktiken des Staates. Dies umfasst auch die Umsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte betreffend die Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensgründen; das Recht, seine Kinder in Übereinstimmung mit der eigenen religiösen oder philosophischen Überzeugung zu erziehen; das Recht, Gottesdienststätten zu errichten; das Verbot der Diskriminierung auf der Grundlage der Religion oder Überzeugung; und das Recht, die eigene Religionszugehörigkeit nicht offenzulegen.

Gefährdung der Sicherheit

Die Sicherheit vor Gewalt ist schon lange ein Problem für viele Religionsgemeinschaften. Der sogenannte „Islamische Staat“ bedroht seit 2015 Aleviten, Christen und Juden. Angeblich vom IS stammende Drohungen wurden per SMS an verschiedene Personen verschickt. Die Vereinigung protestantischer Kirchen forderte die Behörden im September des Vorjahres (2015) auf, auf etwa 100 Morddrohungen zu reagieren, die ihre Pastoren und andere per SMS oder über die sozialen Medien erhalten hatten. Im Zusammenhang mit diesen Drohungen kam es bisher zu zwei Strafverfahren und die Staatsanwaltschaft, die Kontakt mit einigen protestantischen Kirchen aufgenommen hat, ermittelt offensichtlich in weiteren Fällen. Am Ostersonntag und jüdischem Passa genossen Kirchen und Synagogen in den großen Städten sichtbaren Polizeischutz. Doch außerhalb besonderer Zeiten sind die Gemeinschaften auf sich selbst gestellt. Viele von ihnen können sich keine privaten Sicherheitsdienste leisten.

Bei einem verhafteten IS Verdächtigen fand man Fotos eines alevitischen Bethauses und er gab zu, dass er Teil einer Gruppe war, die einen Bombenanschlag auf diese Gebetsstätte geplant hatte.

Im Südosten der Türkei sind nach zweijährigem Waffenstillstand die Kämpfe mit kurdischen Gruppen wieder aufgeflammt. In Diyarbakir und Mardin wurden Moscheen und Kirchen beschädigt. Die Gläubigen konnten sich zeitweise wegen der Ausgangssperre bis August 2016 nicht versammeln. Wegen der Enteignung von etwa 80 % des Stadtbezirks Sur von Diyarbakir, in dem sich auch Kirchen befinden, im Zuge des Ausnahmezustandes, besteht Rechtsunsicherheit über die Möglichkeit, diese in Zukunft zu nützen. Bisher wurden sie nicht geschlossen. Renovierungsarbeiten haben begonnen.

Die Regierung entwickelt derzeit ihre Politik und Strategien für die Ära nach dem Putschversuch, die sich auch auf die Respektierung der Grundfreiheiten für alle auswirken werden. Daher ist die Einbindung der verschiedensten Gruppen der höchst vielfältigen Gesellschaft der Türkei in diesen Prozess von höchster Bedeutung. Wenn dies geschieht, ist eine Verbesserung der Demokratie und der Respektierung der Menschenrechte in der Türkei möglich.

Quelle: Forum 18, Oslo; Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der Österreichischen Evangelischen Allianz. Mehr Infos hier: www.ead.de.

Türkei: Mord an Christen ist für Staatsanwälte kein Terror

Am 18. April 2007 hatten fünf junge Männer in der osttürkischen Provinzhauptstadt Malatya drei Christen grausam ermordet und wurden auf frischer Tat von der Polizei festgenommen. Necati Aydın, Uğur Yüksel und der Deutsche Tilmann Geske hatten sich in den Räumen des evangelischen Zirve-Verlages mit ein paar jungen Männern, die Interesse am christlichen Glauben bekundet hatten, über einige Wochen hinweg zum Bibelstudium getroffen. Dies war offenbar nur ein Vorwand, um sich das Vertrauen der späteren Opfer zu erschleichen.

Obwohl die Taten politisch motiviert waren, ließ man den Terrorverdacht jetzt fallen. Deniz Yücel hat für DIE WELT berichtet:

Wer steht in der Türkei unter Terrorverdacht? Zum Beispiel die Anglistin Meral Camci, der Historiker Muzaffer Kaya, die Psychologin Esra Mungan und der Mathematiker Kivanc Ersoy. Sie gehören zu den insgesamt 2212 Wissenschaftlern, die Anfang des Jahres einen Aufruf zum Ende der Gewalt in den kurdischen Gebieten unterzeichnet und damit den Zorn von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf sich gezogen hatten. Mehrere Dutzend weitere Unterzeichner verloren ihren Job, gegen einige Hundert dieser Wissenschaftler wurden Disziplinar- oder Strafverfahren eröffnet. Und vier sitzen in Haft. Der Vorwurf: Werbung für eine terroristische Vereinigung.

Keine Terroristen sind in den Augen der Staatsanwaltschaft hingegen die fünf Männer, die im April 2007 in der südostanatolischen Stadt Malatya drei Christen ermordet haben. Wie zunächst die Tageszeitung „Cumhuriyet“ berichtete, hat die Staatsanwaltschaft Malatya in ihrem Schlussplädoyer den Anklagepunkt der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung fallen gelassen.

Die Morde an dem 36-jährigen türkischen Pastor Necati Aydin, dem 32-jährigen türkischen Christen Ugur Yüksel und dem 45-jährigen deutschen Missionar Tilmann Geske hatten für internationales Aufsehen gesorgt. Die Täter waren in die Räume des evangelikalen Zirve-Verlags eingedrungen, hatten ihre Opfer geknebelt, sie an Händen und Füßen gefesselt und schließlich ihre Kehle durchgeschnitten. „Ich gehe fest davon aus, dass die türkischen Behörden alles unternehmen werden, um dieses Verbrechen aufzuklären und die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen“, sagte damals Frank-Walter Steinmeier, wie heute Bundesaußenminister.

Und die Voraussetzungen für eine Ahndung des Verbrechens schienen wirklich günstig, immerhin waren die Mörder noch am Tatort festgenommen worden. Doch es folgte eine jahrelange juristische Farce. Im Jahr 2012 wurde die Anklage mit den Prozessen gegen die vermeintliche Putschistenorganisation Ergenekon zusammengeführt, die mit Billigung der AKP-Regierung von Staatsanwälten aus dem Umfeld der Gülen-Bewegung gegen hochrangige Militärs, aber auch gegen Journalisten, Wissenschaftler und andere Personen des öffentlichen Lebens betrieben wurden. So wuchs die Zahl der Angeklagten im Zirve-Prozess auf 21 Personen, darunter Kommandanten der Gendarmerie in Malatya. Nach einer Gesetzesnovelle, mit der die Dauer der Untersuchungshaft auf fünf Jahre beschränkt wurde, wurden die fünf Attentäter im März 2014 aus dem Gefängnis entlassen und unter Hausarrest gestellt.

Etliche Christen in der Türkei werden neuerdings von der Terrororganisation IS bedroht. Die Bonner Querschnitte weisen darauf hin, dass seit einiger Zeit der christliche Radiosender „radio shema 98.0“ in Ankara massiv bedroht wird, so dass die Polizei anhaltend mit zwei Autos vor der Tür steht. Zeitgleich geriet die protestantische Kurtuluş-Gemeinde, zu deren Arbeitszweigen auch Radio Shema gehört, derart unter Druck, dass vor Gottesdiensten bis zu 50 Polizisten jeden einzelnen Gottesdienstbesucher genau kontrollierten, um etwaige Anschläge zu verhindern. Soner Tufan, Generalmanager von Radio Shema, schrieb: „Bislang haben wir noch nie gesehen, dass uns die Polizei so ernsthaft schützt.“ Auch habe er erfahren, dass der Premierminister der Türkei angeordnet habe, „alles zu tun, um uns zu schützen“.

Auch die anderen evangelischen Gemeinden in der Türkei sind informiert worden, dass der IS mit Anschlägen gedroht habe, weshalb die Polizei mit verstärkten Patrouillen versuchen werde, die Gemeinden zu schützen. Auch das Büro des Bibelkorrespondenzkurses in Istanbul hat in den letzten Monaten verstärk Drohungen vor allem per Telefon erhalten, wie aus Mitarbeiterkreisen bekannt wurde. Auch hier wird vermutet, dass dies aus dem Umfeld des IS kommen könnte.

Aufgrund der aktuellen Situation riefen türkische Pastoren und Leiter die Christen in aller Welt dazu auf, verstärkt für ihre Glaubensgeschwister in der Türkei zu beten.

Wohin entwickelt sich die Türkei

Diese Woche finden in Berlin die ersten Deutsch-Türkischen Regierungskonsultationen statt. Bundeskanzlerin Angela Merkel wird den türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu mit militärischen Ehren im Bundeskanzleramt empfangen. Die Türkei wird schließlich gebraucht, sowohl bei der Terrorbekämpfung als auch bei der Eindämmung des Flüchtlingsdrangs. Mit 3 Milliarden Euro will die EU der Türkei dafür unter die Arme greifen.

Gleichzeitig spitzt sich die Situation in der Türkei unter der Regierung von Erdoğan immer mehr zu. Längst geht es um mehr als um Beschränkungen der Pressefreiheit. Türkische Intellektuelle warnen vor den Entwicklungen und sehen das Land in den Faschismus abtriften. Nachfolgend ein Beitrag, der direkt aus der Türkei kommt. Der Autor möchte namentlich nicht genannt werden.

Wohin entwickelt sich die Türkei?

Flag of Turkey svgIn der Türkei mehren sich die Stimmen, die vor einem schnellen Abgleiten des Landes in den Faschismus warnen. So spricht Orhan Kemal Cengiz in seiner Kolumne in der englischsprachigen türkischen Zeitung „Today’s Zaman“ vom 15. Januar von „Unverkennbaren Anzeichen faschistischer Tendenzen“. Hier der Artikel (allerdings auf Englisch): www.todayszaman.com.

Orhan Kemal ist Anwalt und Menschenrechtsaktivist. In der Vergangenheit hat er oft die kleinen evangelisch-türkischen Gemeinden des Landes juristisch vertreten. Im noch andauernden Prozess gegen die Mörder von drei Christen im osttürkischen Malatya im April 2007 hat er sich mit mehreren Anwaltskollegen unentgeltlich für die Christen um Aufdeckung der Hintergründe dieser Morde bemüht.

Was den eher besonnenen Cengiz bewegt, nun von eindeutig „faschistischen Tendenzen“ der derzeitigen türkischen Machthaber zu warnen, ist eine beispiellose Hetzkampagne gegen über 1000 türkische Akademiker. Vor einigen Tagen hatten sie in einem öffentlichen Aufruf das Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte im Osten des Landes scharf kritisiert und zu Friendensverhandlungen mit den Kurden aufgerufen. Der türkische Präsident hat seitdem wiederholt diese Akademiker öffentlich beschimpft und bedroht und in Überschreitung seiner verfassungsmäßigen Aufgaben sowohl die Leitungen der Universitäten als auch die Justiz zum Einschreiten aufgefordert. So widmete er zum Beispiel in seiner ersten Rede nach dem Selbstmordanschlag von Istanbul rund 40 Sekunden der Mordtat, aber rund 10 Minuten seinem Entsetzen über die Wissenschaftler.

Unmittelbar danach eröffneten Staatsanwälte Strafverfahren gegen zahlreiche der Professoren und Dozenten. Einige wurden verhaftet und manche dabei direkt aus der Universität abgeführt. Sondereinheiten der Terrorbekämpfung führten Hausdurchsuchungen bei einigen der Unterzeichner des Aufrufes durch. Universitäten leiteten Verfahren zur Amtsenthebung von Professoren ein. Studentische Gruppen hefteten Drohbotschaften an die Bürotüren von Professoren. Der in der Vergangenheit als Mafiaführer rechtskräftig verurteilte, aber nun für seine Nähe zum türkischen Präsidenten bekannte Sedat Peker, bedrohte in einer öffentlichen Erklärung die Akademiker. Seine Erklärung gipfelte in der Ankündigung, man werde „sich mit dem Blut der Unterzeichner duschen“.

Auch einige der wenigen verbliebenen oppositionellen Zeitungen, die „Cumhuriyet“ („Republik“), titelt am 16. Januar „Tritte des Faschismus“. Der für sein demokratisches Engagement bekannte Chefredakteuer der „Cumhuriyet“, Can Dündar, sitzt seit fast zwei Monaten zusammen mit seinem Kollegen Erdem Gül in Untersuchungshaft, weil er über zweifelhafte Waffenlieferung des türkischen Geheimdienstes nach Syrien berichtet hat. Die „Cumhuriyet“ befürchtet, dass nach Entlassungen und Verhaftungen von unliebsamen Journalisten auch die jetztige Kampagne gegen Akademiker nicht der letzte Schritt sein wird. Direkt neben der Warnung vor dem Faschismus druckt sie das bekannte Zitat des deutschen Pastors Martin Niemöller ab, das er im Rückblick auf die Nazizeit geäußert hat:

„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“

Türkei: Polizei vereitelt Mordplan gegen Pastor

Am 15. Januar verhaftete die türkische Polizei 14 Verdächtige, die offensichtlich geplant hatten, Emre Karaali (33), den Pastor der protestantischen Kirche von Izmit, zu ermorden.

Emre , ein ehemaliger Muslim, der zum Christentum konvertiert ist, berichtet, dass zwei der verhafteten Verdächtigen ein Jahr lang am Leben der christlichen Gemeinschaft teilgenommen und vorgegeben haben, Christen zu sein. Einer von ihnen war innerhalb der Gemeinschaft akzeptiert, der andere legte jedoch ein verdächtiges Verhalten an den Tag, stellte viele Fragen und machte Notizen. Vier weitere Verdächtige waren in den letzten drei Monaten zu Veranstaltungen der Gemeinschaft gekommen. Elf der Verdächtigen sind Männer, drei sind Frauen. „Diese Leute haben sich in unsere Gemeinde eingeschlichen, Informationen über mich und meine Familie gesammelt und einen Anschlag auf uns vorbereitet“, sagte Emre. „Zwei von ihnen besuchten unsere Kirche seit über einem Jahr und waren für uns wie ein Teil unserer Familie.“ „Man hat sie in der letzten Minute gefasst“, sagte Hakan Tastan, ein Christ aus Istanbul, bei einem Besuch in Izmit. „Hätte man noch eine Woche zugewartet, hätten wir sie verloren“, sagte er unter Bezugnahme auf den Pastor, seine Familie und andere Mitglieder der Kirche.

Die 14 Verdächtigen hatten personenbezogene Informationen gesammelt, persönliche Urkunden kopiert, Pläne der Kirche und der Wohnung des Pastors angefertigt, und verfügten auch über Fotos von Christen von auswärts, die als Gastprediger in Izmit dienten. Die Polizei nahm die Telefongespräche der 14 Verdächtigen auf und fand bei einer Hausdurchsuchung in der Wohnung eines der Verdächtigen zwei Feuerwaffen. Mitglieder der Antiterrorabteilung der Polizei der Provinz Kocaeli, deren Hauptstadt Izmit ist, nahm die Gruppe fest, als offensichtlich wurde, dass ein Angriff unmittelbar bevorstand. Konkret hatte man in Erfahrung gebracht, dass die Gruppe einen Auftragsmörder aus Diyarbakir im Osten der Türkei nach Izmit gebracht hatte, um die Bluttat auszuführen. Die Polizei gibt keine weiteren Details bekannt, da die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Pastor Karaali erfuhr aus der Zeitung von den Verhaftungen und wurde dann von der Polizei vorgeladen, befragt und über das Mordkomplott gegen ihn informiert. Der Pastor beschreibt seine Behandlung durch die Polizei als außergewöhnlich gut. Er berichtet, dass er seit Januar 2012 mit der Polizei in Kontakt steht, als er eine gegen ihn gerichtete Morddrohung anzeigte. „Ich erhielt eine telefonische Morddrohung und die Polizei nahm die Ermittlungen auf“. Pastor Karaali berichtet, dass ihm Polizeischutz angeboten wurde, was er jedoch ablehnte. Doch seine Frau und seine zwei Kleinkinder zogen in ein Wohnhaus mit entsprechendem Sicherheitsstandard. Im Sommer gab es eine zweite telefonische Drohung: „Du redest zu viel, wir hören deine Stimme überall und wir werden dir den Schädel brechen“, sagte der Anrufer. Obwohl der Pastor befürchtet, dass nicht nur die 14 Verhafteten an dem Mordkomplott beteiligt waren, setzt die Gemeinde ihre normalen Aktivitäten fort, selbst die geplante viertägige Evangelisation wurde nicht abgesagt. Izmit ist eine Industriestadt 160 km östlich von Istanbul mit etwa 1 Million Einwohnern. Bekannt wurde die Stadt vor allem durch das verheerende Erdbeben von 1999.

Die protestantische Kirche von Izmit besteht seit 13 Jahren. Es handelt sich um eine Gemeinschaft von 20 ethnischen Türken, alle ehemalige Muslime. Emre und seine Frau dienen der Gemeinde seit 4 Jahren. Er beschreibt die Situation als schwierig, da die Menschen in der Stadt relativ verschlossen sind und es viele radikale Gruppen gibt. Bereits der Vorgänger von Emre Karaali, der Deutsche Wolfgang Haade, hatte während seiner Zeit als Pastor in Izmit Todesdrohungen erhalten. Er stand nach den Morden von Malatya ein Jahr unter Polizeischutz. Der angeklagte Kopf der Mörder von Malatya hatte ausgesagt, dass er geplant hatte, Wolfgang Haade als nächsten zu töten. Der Bund der protestantischen Gemeinden von Istanbul, dem auch die Kirche von Izmit angehört, erklärte am 17. Januar gegenüber der Presse: „Mordversuche dieser Art sind ein schwarzer Fleck, den manche vor der Welt über die Türkei bringen wollen. Wir stehen gegen diejenigen, die verschiedene Glaubensrichtungen in unserem Land attackieren. Wir ziehen es vor, die Tugenden der Liebe und Brüderlichkeit hoch zu halten, die das Herz der Toleranz sind.“ Emre Karaali beabsichtigt, seinen Dienst als Pastor fortzusetzen: „Vor zwei Jahren habe ich wegen meiner Krankheit fast mein Leben verloren, doch der Herr hat mich zurück ins Leben gebracht und er hat das jetzt wieder für mich getan“, sagte er. „Er schützt uns, deshalb glauben wir, dass der Herr eine Aufgabe für uns hat. Wir haben unser Vertrauen nicht verloren. Im Gegenteil, wir spüren, dass der Herr mit uns ist, denn er hat nicht zugelassen, dass das (der Mord) passiert und wir werden weiterhin tun, was Gott von uns will. Wir werden weitermachen.

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Quelle: Morning Star News (ehemals Compass Direct) Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der Österreichischen Evangelischen Allianz

Festnahmewelle wegen Christenmorden in der Türkei

Bei landesweiten Durchsuchungen hat die türkische Staatsanwaltschaft mindestens 20 Personen festnehmen lassen, darunter mehrere Angehörige des Militärs. DIE WELT berichtet:

Die türkische Staatsanwaltschaft hat vier Armee-Angehörige festnehmen lassen, die im Verdacht stehen, in den Mord an drei Christen im Jahr 2007 verwickelt gewesen zu sein. Unter den Festgenommenen sei ein ehemaliger Regimentskommandeur der Gendarmerie aus dem ostanatolischen Malatya, berichtete der türkische Nachrichtensender NTV.

Nach dem Anschlag auf einen türkischen Bibelverlag im April 2007 tragen Polizisten ein Opfer aus dem Gebäude. Fast vier Jahre später sind 20 Verdächtige festgenommen worden

Den Berichten zufolge untersucht die Staatsanwaltschaft, ob es einen Zusammenhang zwischen den Christenmorden und der mutmaßlichen Putschisten-Gruppe Ergenekon gibt.

Der DER STANDARD hat berichtet. Hier der Beitrag von WELT online: www.welt.de.

Der Tod in Anatolien

Noch immer läuft in der Türkei das Verfahren gegen die Männer, die im April 2007 drei Christen in Malatya brutal ermordeten. Anfänglich hieß es, die Täter seien »irrgeleitete Fanatiker«. Doch der Prozess offenbart, dass sie wohl gut vernetzt waren mit einer unheilvollen Parallelwelt: Dem »tiefen Staat«. Michael Martens schreibt für die FAZ:

Das Massaker von Malatya erregte nicht nur in der Türkei Aufsehen. Ausländische Medien berichteten, türkische Politiker verurteilten die Tat. Die Festgenommenen waren junge Männer im Alter zwischen 19 und 20 Jahren. Irregeleitete Fanatiker, hieß es. Zunächst war das Medieninteresse groß, auch noch im November 2007, als der Prozess um die Christenmorde begann. Doch die Welt dreht sich weiter, Interessantes geschieht jeden Tag, und der Fall geriet aus dem Blick. Wer hat schon die Zeit, akribisch einen Prozess in einer türkischen Provinzstadt zu verfolgen, Akten zu lesen, Zeugenaussagen zu vergleichen, mit Anwälten zu sprechen? Die »European Stability Initiative« (ESI), eine in Berlin beheimatete Denkfabrik, hat sich die Zeit genommen. In ihrem an diesem Mittwoch erschienenen Bericht »Mord in Anatolien – Christliche Missionare und türkischer Ultranationalismus« hat sie den bisherigen Verlauf des Prozesses auf mehr als 45 Seiten skrupulös analysiert. Das Ergebnis ist eine Beschreibung türkischer Zustände, die lesen sollte, wer sich für die Türkei interessiert, zumal der Bericht nicht nur Ansichten, sondern vor allem empirische Belege oder zumindest überzeugende Indizien für diese Ansichten enthält. Im Kern steht die Frage, wer hinter den Messerwetzern von Malatya steht, da sich der Verdacht, die fanatische Jungmännerbande habe nicht allein gehandelt, im Prozess schnell bestätigte. Der Anführer des Quintetts repräsentiert den Typ des früh Gescheiterten, der sich mit einer »großen Tat« aus seiner raskolnikowschen Grüblerexistenz befreien will. Zweimal war er durch die Aufnahmeprüfung für die Universität gefallen, ein dritter Versuch scheiterte auf halbem Wege. Wo in Petersburg eine alte Pfandleiherin als Opfer herhalten musste, richtete sich der Hass des Untüchtigen in Malatya gegen ausländische Missionare und türkische Konvertiten – allerdings nach sorgfältiger Anleitung.

Hier mehr: www.faz.net.

Schirrmacher: Islamisten bestrafen wachsenden Mut der Christen

In der islamischen Welt werden alteingesessene Christengemeinschaften zum Ziel von Terror. Die Zeitschrift DIE WELT hat mit Thomas Schirrmacher über die Lage der Christen im Orient gesprochen:

Welt Online: Die Christen werden selbstbewusst – und dafür bestraft?

Schirrmacher: Ja, der historische Deal zwischen muslimischer Mehrheit und christlicher Minderheit wird zunehmend aufgekündigt. Er bestand darin, dass die orientalischen Christen nicht laut und schon gar nicht gegenüber dem Ausland über ihre rechtlichen Benachteiligungen klagten. Im Gegenzug ließ man sie als Bürger zweiter Klasse in Ruhe.

Welt Online: Wo sonst beobachten Sie das Ende dieses »Deals«?

Schirrmacher:
Offenkundig im Irak. Nachdem einige irakische Bischöfe begannen, die Weltöffentlichkeit über ihr Leid zu informieren, verschlimmerte sich die Lage der irakischen Christen noch.

Welt Online: Stehen die irakischen Bischöfe denn geschlossen hinter der Strategie öffentlicher Hilferufe?

Schirrmacher: Keineswegs! Viele Bischöfe plädieren dafür, lieber leise diskriminiert zu werden, statt sich laut zu beschweren und dafür ermordet zu werden. Ähnlich riskant leben die Christen in der Türkei: Der Mord an den drei Evangelikalen von Malatya lässt sich ebenfalls als Bestrafungsaktion verstehen. In Malatya war ein Zentrum alteingesessener Türken entstanden, die sich zum christlichen Glauben bekehrt hatten und nun offensiv Gleichberechtigung einforderten. Einige verlangten, in ihrem Ausweis den Eintrag »Muslim« durch »Christ« zu ersetzen, andere wagten, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen – gegen ihren Staat. So viel Selbstbewusstsein dulden Radikalislamisten nicht.

Hier: www.welt.de.

Susanne Geske auf CNN Turk ausführlich interviewt

Nach der erneuten Verschiebung des Prozesses um die Ermordung von Necati Aydin, Ugur Yüksel und Tilmann Geske am 18. April 2007 in Malatya geht die Verhandlung am kommenden Freitag weiter – und unter normalen Umständen auch zu Ende. Wie der Informtionsdienst Bonner Querschnitte heute meldet, war der neue Termin nötig geworden, da zwei der Verteidiger der fünf Angeklagten nicht zur Verhandlung am 15. April erschienen waren. Sie begründeten ihr Fernbleiben damit, dass sie noch mehr Zeit bräuchten, um ihre Schlussplädoyers fertigstellen zu können.

Derweil geht der mutmaßliche Rädelsführer weiterhin davon aus, vom »Staat« weiterhin beschützt zu werden und bald nach Urteilsverkündigung wieder frei zu kommen. Er wird in seiner Meinung nicht zuletzt dadurch bestärkt, dass ihm ein hoher Beamter seine Tochter anverlobt hat, wie türkische Medien meldeten. Sollte dies zutreffen, wäre dieses Zeichen der Solidarität tatsächlich ein Hinweis darauf, dass zumindest dieser Beamte davon ausgeht, dass der dann Verurteilte nicht allzu lange im Gefängnis bliebe und die geplante Hochzeit in absehbarer Zeit stattfinden könnte.

Rückblick Prozess 15. April 2010

Erdal Dogan trug das gemeinsame Plädoyer der Nebenklage, ein Team von neun Rechtsanwälten, vor. In der 28-seitigen Schrift, die BQ im Wortlaut vorliegt, ging er unter anderem noch einmal ausführlich auf die – aus Sicht der Nebenklage sicheren – Verbindungen der Angeklagten zu der Geheimorganisation »Ergenekon« ein. Er bezog sich dabei auf ein internes Strategiepapier, den »Kafes-Operations-Plan« ( »Käfig-Plan«), der bei einer Razzia gegen Ergenekon in Istanbul gefunden wurde. In diesem Papier, das auf den März 2009 datiert ist, werden gleich zu Beginn die Morde an dem katholischen Pater Santore (Trabzon, Februar 2006), dem armenischen Publizisten Hrant Dink (Istanbul, Januar 2007) und an den drei Christen im Zirve-Büro in Malatya (April 2007) als »Operationen« bezeichnet. Dieser Begriff sei, so Kenner der Lage in der Türkei, ein ausgesprochen militärischer Begriff, was damit einer Selbstbezichtigung gleichkomme.

Weiter unten entfaltet das Papier den Plan einer neuen »Operation« in vier Phasen (hier zusammenfassend wiedergegeben):

1. Phase: Vorbereitung: Adressen und Namen von Nichtmuslimen feststellen, deren Zeitungen, Schulen, Schüler, »Orte der Anbetung« [gemeint sind Kirchen und Synagogen], Stiftungsräume und Friedhöfe feststellen.

2. Phase: Einschüchterung: Abonnementen von AGOS [armenische Wochenzeitung; Hrant Dink war bis zu seinem Mord deren Chefredakteur] veröffentlichen, Wände der Häuser der Armenier auf Adalar beschmieren [Adalar ist die türkische Bezeichnung für die Prinzeninseln, die zu Istanbul gehören und wo verhältnismäßig viele Christen leben].

3. Phase: Öffentlichkeit schaffen: Abonnenten-Liste in der Presse publizieren, Auftragskommentare sollen über diese Dinge erscheinen, in Diskussionssendungen sollen es darüber Berichterstattung geben verbunden mit dem Vorwurf, dass sich die AKP [gegenwärtige Regierungspartei] nicht kümmere, an die Übergriffe von 1955 und 1942 [massive Übergriffe gegen Juden und Christen] soll erneut erinnert werden, Aktivitäten gegen die AKP im Internet sollen stark zunehmen.

4. Phase: auf den Prinzeninseln bomben: die Leute umbringen, die die Rechte der Minderheiten vertreten; Bomben zünden in der Umgebung der Agos Gazeti [armenische Zeitung]; Polizei beschäftigen mit Paketen, die wie Bomben aussehen; Anschläge auf die Landestege der Fähren auf den Prinzeninseln; Anschläge auf nichtmuslimische Friedhöfe; bekannte nichtmuslimische Künstler und Industrielle entführen; Brandanschläge auf Häuser, Fahrzeuge und Arbeitsstätten von Nichtmuslimen; in Istanbul und Izmir ähnliche Anschläge; an den Anschlagstellen mit einer Art Bekennerschreiben kommunizieren, dass »reaktionäre Gruppen« [Chiffre für AKP-Umfeld] hinter den Anschlägen stünden.

Dann zählte Dogan noch einmal minutiös die 35 ganz unterschiedlichen Angriffe auf Christen aus den Jahren 2007 und 2008 auf, um deutlich zu machen, dass die Morde von Malatya nicht völlig isoliert dastünden, sondern eingebettet seien in eine Vielzahl von Übergriffen. Um doch noch etwas über die mutmaßlichen Hintermänner herauszufinden, beantragte Dogan, einen neuen Zeugen zu hören. Da sowieso ein neuer Termin angesetzt werden musste, wurde dem Antrag Dogans vom Gericht stattgegeben.

CNN-Interview mit Susanne Geske

Bild1.JPG.jpegUm den letzten Verhandlungstag herum hat Susanne Geske, die Witwe des ermordeten Tilmann Geske, erneut viele Interviewanfragen von deutschen und türkischen Medien erhalten, so z.B. von CNN-Turk für ein Live-Interview am Freitag Abend (16. April). Dieses dauerte am Ende fast doppelt so lange als geplant. Hier einige Auszüge:

Susanne Geske zeigte sich zunächst »ein Stück enttäuscht«, dass der Prozess, »der nun schon so lange dauert«, nicht wie geplant zu Ende gegangen sei, sondern erneut verschoben wurde. Ihren Alltag betreffe dies aber nicht. »Wir bleiben hier, die Kinder gehen in die Schule. Alles wird so weitergehen, wie bisher. Wir sind sehr gern in Malatya, das war schon vorher so und ist auch heute. Die Menschen kennen uns jetzt, sind sehr freundlich. Die Nachbarn sehr hilfsbereit. Darüber freue ich mich natürlich sehr.«

Auf die Frage nach ihrem Empfinden gegen die Mörder ihres Mannes sagte sie: »Am Tag nach dem Ereignis konnte ich den Mördern vergeben. Das hat sich auch bis heute nicht geändert. Ich empfinde ihnen gegenüber keinen Hass, das kann ich aus tiefstem Herzen bestätigen, Rache oder ähnliches empfinde ich nicht.« Im Zentrum des Prozesses stehe für sie nicht die Verurteilung der fünf Angeklagten, »sondern die Frage nach den Hintermännern … Wer steht dahinter, wer waren die Auftraggeber für diesen grausamen Mord.«

CNN fragte, wie es zu der Idee gekommen sei, die fünf Männer zu besuchen: »Ja, die fünf Mörder im Gefängnis aufzusuchen und ihnen persönlich zu sagen, dass wir ihnen vergeben hätten, war der Gedanke meiner jüngeren Tochter. Sie hatte den schon gleich zu Anfang und sprach vor ein paar Wochen wieder davon. Aber ich denke, dass wir erst einmal das Ende des Prozesses abwarten, etwas Zeit verstreichen lassen sollten.« Hintergrund dieser Idee der 11-jährigen Tochter war, den Mördern des Papas eine Bibel zu schenken, damit sie auch Jesus kennenlernen, dadurch am Ende im Himmel sein und so den Papa um Vergebung bitten könnten.

Ob sie als Familie psychologische Hilfe in Anspruch genommen hätten, war die nächste Frage. »In dieser Hinsicht haben wir alle keinerlei psychologische Hilfe in Anspruch genommen. Unser Psychologe ist Jesus Christus, mit dem wir ständig im Gebet verbunden sind. Wir lesen in der Bibel und empfangen Trost. Was die Vergebung anbetrifft: So wie Jesus Christus mir meine Schuld vergeben hat, so vergebe ich auch Menschen, die mir gegenüber schuldig geworden sind. Das ist mein Glaube. Normalerweise ist es doch so, dass Menschen in einer solchen Situation Hass und Rache empfinden Aber so ist es nicht, wenn jemand aus dem Glauben heraus lebt und auf Jesus Christus schaut. Die Kraft, vergeben zu können, kommt allein von Gott.«

Gedenkgottesdienste an den Gräbern zum 3. Todestag

Am Sonntag, den 18. April 2010 jährten sich zum dritten Mal die Morde. Aus diesem Anlass gab es an den Gräbern aller drei Märtyrer Gedenkveranstaltungen.

Zunächst trafen sich die Teilnehmer am Grab von Ugur Yüksel, der in einem kleinen Dorf in der Nähe von Elazig (ca. 100 km östlich von Malatya) beerdigt ist. Dafür waren insgesamt etwa 150 Christen zusammengekommen – von Van ganz im Osten der Türkei bis hin nach Istanbul ganz im Westen. Zudem waren etwa ein Dutzend Vertreter der Presse gekommen.

Danach fuhren alle nach Malatya, um Tilmann Geske zu gedenken. Er wurde damals unter schwierigen Umständen auf einem alten armenischen Friedhof beerdigt. Die Stadtverwaltung wollte das damals unbedingt verhindern, nicht zuletzt mit dem Hinweis, dass dort seit Jahren niemand mehr beerdigt worden sei (was nachweislich unzutreffend war). Nur durch die starke Intervention der deutschen Behörden (Botschaft in Ankara, Auswärtiges Amt in Berlin) war damals die Beerdigung in Malatya möglich geworden.

Im Zuge dieser Gedenkveranstaltungen der letzten Jahre kam Susanne Geseke auch in Kontakt mit der (nichtchristlichen) Familie, die auf dem Friedhof wohnt und für die Ordnung von den Behörden eingesetzt ist. Irgendwann kam die Tochter der Familie und fragte nach einem »Evangelium«. Bereits wenige Tage, nachdem sie es bekommen hatte, erklärte sie, dass sie jetzt mit Jesus leben wolle.

Am Sonntagnachmittag kamen dann noch einmal alle zu einem Gebetstreffen zusammen. Im Mittelpunkt stand das Gebet für die Christen in der Türkei, für ihren Dienst in diesem Land und für die Menschen der Türkei, so wie es im Vorfeld von den Verantwortlichen der Allianz der Protestantischen Gemeinden in der Türkei für diesen Tag vorgeschlagen worden war.

Türkei: Werden Christen bespiztelt?

Die drei Missionare, die im Jahr 2007 in der Türkei brutal ermordet wurden, standen unter polizeilicher Überwachung. Auch andere aktive Christen wurden offenbar bespitzelt. Dies wirft ein Schlaglicht auf die schwierige Position der Kirchen in der Türkei und die Vorurteile in der Bevölkerung. DIE WELT schreibt heute:

Seit zwei Jahren wird in dem Fall ›Malatya‹ ermittelt und prozessiert, und ständig wird die Geschichte rätselhafter und beunruhigender. Eines aber scheint ganz klar: Die Missionare waren vor ihrem Tod von der Gendarmerie bespitzelt und ausspioniert worden.

Hier der Bericht von Boris Kalnoky: www.welt.de.

Der Prozess

Bild3.JPGIm Jahr 2007 wurden drei christliche Missionare in der Türkei von einer Bande türkischer Nationalisten in der ostanatolischen Stadt Malatya erbarmungslos ermordet. Zu den Opfern gehört Necati Aydin, der am Martin Bucer Seminar studierte. Die Mörder drangen bei einem Bibelverlag ein, folterten ihre Opfer und ermordeten sie anschließend, indem sie ihnen die Kehle durchschnitten.

Sieben Monate nach den blutigen Morden eröffnete der Staatsanwalt ein Verfahren gegen die Verbrecher. Die Verteidiger der Täter verstehen es, den Mordprozess von Malatya zur Hexenjagd auf christliche Missionare umzufunktionieren.

Lesen Sie die Eindrücke von Barbara Baker, die den Prozess beobachtet: prozesstuerkei.pdf.

Jahrbuch zur Christenverfolgung »Märtyrer 2007« erschienen

Von den weltweit rund 2,1 Milliarden Christen leiden ca. 200 Millionen wegen ihres Glaubens unter Diskriminierungen, schwerwiegenden Benachteiligungen und zum Teil heftigen Anfeindungen bis hin zu Verfolgung. Informationen dazu liefert das neue Jahrbuch zur Christenverfolgung, das von den Herausgebern, der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) und der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM), bei einer Presskonferenz am 10. Oktober in Bonn vorgestellt worden ist.

Im vergangenen Jahr ist die Lage der meisten betroffenen Christen gleichbleibend angespannt geblieben oder hat sich sogar noch weiter verschlechtert. Vor allem im Irak hat sich die Situation dramatisch zugespitzt. Drei Viertel der christlichen Iraker haben wegen gezielter Einschüchterungen, Übergriffen und Entführungen ihre Heimat verlassen. Auch in Indien und Pakistan ist die Zahl der Drohungen und Gewalttaten durch nichtstaatliche Extremisten weiter gestiegen. Völlig neu sind in Pakistan Drohungen gegen Christen, entweder zum Islam überzutreten oder vertrieben zu werden.

Informationslage hat sich verbessert

Bei der Vorstellung des Jahrbuches in Bonn erläuterte Prof. Dr. mult. Thomas Schirrmacher, Vorstandsmitglied der IGFM und Geschäftsführer des Arbeitskreises Menschenrechte der Deutschen Evangelischen Allianz:

Es ist erfreulich, dass es wie bei anderen Menschenrechtsverletzungen immer selbstverständlicher wird, Verletzungen der Religionsfreiheit und Verfolgung aus religiösen Gründen zu dokumentieren und anzuprangern und Medien und Politik das Thema nicht mehr verschämt verschweigen.

Dass der Weg von der Dokumentation von Verbrechen bis zu ihrer Überwindung noch lang ist, betonte IGFM Mitarbeiter Max Klingberg:

Es ist erschreckend, wie sehr sich unsere Gesellschaft an die alltägliche Entrechtung christlicher Minderheiten gewöhnt hat. Nimmt man internationale Rechtsstandards als Maßstab, so ist die Lage von Millionen von Christen haarsträubend und zum Teil auch eine einzige Katastrophe. Im beschaulichen Mitteleuropa braucht es ein gehöriges Maß an Vorstellungskraft, um sich auch nur annähernd in die tägliche Lebenswirklichkeit von Millionen anderer Christen hinein zu denken.

Religiös und politisch motivierte Verfolgung von Christen

Dabei ist die Liste der Staaten, in denen Christen diskriminiert, ja zum Teil heftig diskriminiert oder verfolgt werden, bedrückend lang. Dazu zählen neben Indien, in dem extremistische Hinduisten für eine Vielzahl von Gewaltverbrechen an Christen verantwortlich sind, vor allem die verbliebenen Einparteiendiktaturen sozialistischer Prägung und auch das neomarxistische Regime in Eritrea. Bei der Mehrheit der Länder, in denen Christen um ihres Glaubens willen leiden, handelt es sich allerdings um islamisch geprägte Staaten. Darunter sind mitnichten nur die ärmsten Entwicklungsländer, sondern auch wohlhabende Golfstaaten und Urlaubs-»Paradiese« wie Ägypten.

Zum Inhalt des Jahrbuches

Das Jahrbuch dokumentiert unter anderem den Beschluss des Bundestages, der die Bundesregierung auffordert, sich weltweit gegen Christenverfolgung und Verfolgung anderer Religionen einzusetzen, so wie die Rede der menschenrechtspolitischen Sprecherin der Unionsfraktion Erika Steinbach in der dazugehörenden Bundestagsdebatte. Fachleute, wie Dr. Tessa Hofmann vom Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, liefern geschichtliche und aktuelle Länderberichte zu Indonesien und der Türkei. Thomas Schirrmacher legt seinen Vortrag zugunsten eines Ethik-Codes der Weltweiten Evangelischen Allianz gemeinsam mit Vatikan und Weltkirchenrat vor. Die Gesellschaft für bedrohte Völker warnt vor dem Ende der christlichen Minderheit im Irak. Open Doors dokumentiert die Lage weltweit sowie Übergriffe gegen Christen in Indien. Dazu gibt es weitere Dokumente und Informationen, so eine Darstellung des wegweisenden Asyl-Urteils des Verwaltungsgerichts Stuttgart zugunsten einer zum Christentum konvertierten Iranerin und Hintergrundinformationen zur Ermordung von drei Christen in Malatya (Türkei).

Literaturangaben

Studien zur Religionsfreiheit / Studies in Religious Freedom – ISSN 1618-7865, Bd. 12
Max Klingberg, Thomas Schirrmacher, Ron Kubsch (Hg.): Märtyrer 2007 – Das Jahrbuch zur Christenverfolgung heute, zugleich idea-Dokumentation 10/2007, 234 S. Pb. 9,90 €, ISBN 978-3-938116-35-7.

Wenn Christen als Bedrohung gesehen werden

Die Ermordung von drei evangelischen Christen in der 400.000 Einwohner zählenden Stadt Malatya in der Türkei am Dienstag sorgte weltweit für Entsetzen. Doch die Tat macht erneut deutlich, unter welchen Spannungen die Türkei leidet und mit welchen Kräften und Ideologien sie sich auseinander setzen muss. Von Religionsfreiheit ist das Land noch weit entfernt.

Am 19, April hat die Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Christine Schirrmacher, wissenschaftliche Leiterin des Islaminstituts in Bonn, eine Erklärung zur Religionsfreiheit in der Türkei abgegeben.

Download der Pressemeldung: pmweb2007-27.pdf

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