A. Schlatter: Selbsterkenntnis durch Introspektion?

Adolf Schlatter schreibt über die Selbsterkenntnis (Die christliche Ethik, 5. Aufl., 1986, S. 261–262):

Die Beziehung unseres Lebens auf Gott verschafft ihm eine Tiefe und einen Ernst, der unseren Blick mit der größten Aufmerksamkeit zu uns selber wendet. Wir haben aber zugleich den wirksamen Schutz empfangen, der es uns verbietet, uns nur mit den Bewegungen unseres eigenen Bewußtseins zu beschäftigen. Denn wir erkennen, daß es seinen Inhalt durch die Beziehungen bekommt, in die wir hineingesetzt sind. Wir verschaffen uns also die Selbsterkenntnis durch die Kenntnis der Natur, die uns das Leben gibt, und der Geschichte, die uns die Gedanken und Motive verschafft, und Jesu, der uns Gottes Gnade zeigt. Unser Vermögen, unser eigenes Erlebnis und Verhalten richtig aufzufassen und zu beurteilen, fließt uns mit der Kenntnis Gottes zu, die uns zeigt, wie er uns durch Natur und Geschichte, durch den Christus und den Geist regiert. Heben wir dagegen den Verkehr mit der Natur, den Menschen und den Boten Gottes auf, so bewirken wir durch die Vereinsamung die Entleerung des Ichs, seinen Tod. Darum gehört es zum christlichen Beruf, die phantastischen Beschreibungen des Menschen abzuwehren, die dann entstehen, wenn wir uns Selbsterkenntnis ohne die Hilfe der Natur, ohne die menschliche Gemeinschaft und ohne den Anschluß an das Werk der göttlichen Gnade verschaffen wollen. Die Hoffnung, daß wir durch die Ausschaltung der außer uns liegenden Gründe unseres Lebens dahin kämen, die Form des inwendigen Geschehens zu erklären, strebt nach Phantastischem.

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