Das gewöhnliche Leben

Andreas Reckwitz hat in seinem Buch Die Gesellschaft der Singularitäten den Nachweis erbracht, dass in der Kultur der Postmoderne das Allgemeine und Standardisierte nicht mehr viel zählt. Der Durchschnittsmensch steht unter einem Konformitätsverdacht. Das Maß aller Dinge sind die Besonderen, die authentischen Subjekte mit originellen Biographien und Interessen (Die Gesellschaft der Singularitäten, 2017, S. 4–5):

Das spätmoderne Subjekt performed sein (dem Anspruch nach) besonderes Selbst vor den Anderen, die zum Publikum werden. Nur wenn es authentisch wirkt, ist es attraktiv. Die allgegenwärtigen sozialen Medien mit ihren Profilen sind eine der zentralen Arenen dieser Arbeit an der Besonderheit. Das Subjekt bewegt sich hier auf einem umfassenden sozialen Attraktivitätsmarkt, auf dem ein Kampf um Sichtbarkeit ausgetragen wird, die nur das ungewöhnlich Erscheinende verspricht. Die Spätmoderne erweist sich so als eine Kultur des Authentischen, die zugleich eine Kultur des Attraktiven ist.

Sanft aber beharrlich hat sich diese Kultur des Besonderen auch in das Christliche eingeschlichen. Sichtbar sind diejenigen, die sich zu etwas Außergewöhnlichem gemacht haben.

Die Folgen sind fatal. Die treuen und „unscheinbaren“ Christusnachfolger werden nicht mehr wahrgenommen. Sichtbar ist, wer eine gute Performance hinlegt und durch Einzigartigkeit glänzt. Schlichtheit, Demut, Dienstbereitschaft und Beständigkeit werden eher negativ besetzt. Die Botschaften und Ansprüche gehen oft in diese Richtung: Du bist etwas ganz Besonderes! Lass nicht zu, dass jemand dein Potential einschränkt! Du bist für mehr geschaffen. Mach mehr Sport. Ernähre dich besser. Ein Pastor versteckt sich nicht hinter der Kanzel, er nimmt die ganze Bühne ein! Nimm dir Zeit für dich selbst. Beschaffe Dir einen Doktortitel! Eröffne deinen eigenen YouTube-Kanal. Werde ein Influencer!

Ich glaube, hier sind die Prioritäten ganz schön durcheinandergeraten. Ich empfehle dazu – nicht nur für Frauen – den Artikel „Eva, du darfst ein gewöhnliches Leben führen!“ von Melissa Kruger: www.evangelium21.net.

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1 Jahr zuvor

[…] Andreas Reckwitz hat in seinem Buch Die Gesellschaft der Singularitäten den Nachweis erbracht, dass in der Kultur der Postmoderne das Allgemeine und Standardisierte nicht mehr viel zählt. Der Durchschnittsmensch steht unter einem Konformitätsverdacht. Das Maß aller Dinge sind die Besonderen, die authentischen Subjekte mit originellen Biographien und Interessen. Die  spätmodernen Gesellschaften feiern jene, die sich von anderen unterscheiden (vgl. hier). […]

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