Kommunikation des Evangeliums

Da es immer schwieriger erscheint, den säkularisierten Menschen das Evangelium verständlich zu machen und sie zum Glauben zu rufen, ist in der neueren Diskussion unter der Formulierung „Kommunikation des Evangeliums“ der Prozess der Vermittlung in den Fokus gerückt. Es geht dabei nicht um eine möglichst große Verständlichkeit bei der Weitergabe der Guten Nachricht vom Sender an den Empfänger, sondern um den Prozess der Erzielung eines Einverständnisses zwischen beiden.

Unter dem Leitgedanken „Kommunikation des Evangeliums“ soll die frontale oder deduktive Predigt durch dialogische oder induktive Verfahren der Verkündigung ersetzt werden. Zur Erzielung des Einverständnisses kommt es zum Austausch in beide Richtungen. Dem Hörer soll dabei die Möglichkeit eröffnet werden, auf die Gestalt des Evangeliums selbst einzuwirken. Die Idee eines Evangeliums, das für alle Zeiten und an allen Orten inhaltsgleich verkündigt wird, wird ersetzt durch ein Evangelium als einen lebendigen Prozess, der durch den Verkündigungskontext bestimmt ist und der den Inhalt des Evangeliums mitgestaltet.

In den letzten Jahren hat sich im deutschen Sprachraum vor allem Christian Grethlein mit der Kommunikation des Evangeliums beschäftigt. Evangelium als Zentrum christlichen Glaubens erschließt sich nach ihm den Menschen in Form von Kommunikation. Was kommuniziert wird, hänge dabei auch vom Verstehen des Empfangenden ab. Der Hörer sei ein echtes Gegenüber. „Denn das Evangelium von der liebenden und wirksamen Gegenwart Gottes erschließt sich Menschen nur im gegenseitigen Austausch und ist keine feststehende Doktrin, der gegenüber Wissende und Unwissende unterschieden werden könnten …“ (Praktische Theologie, S. 169). „Die ganze Christentumsgeschichte durchzieht eine katastrophale Spur der Fehl- und Missverständnisse von Evangelium, wenn dessen Offenheit für pluriforme Aneignung auf eindimensionale Doktrinen reduziert wurde“ (ebd., S. 170). Evangelium sei „eben keine feststehende Lehre, sondern ein lebendiger Kommunikationsprozess“ (Kirchentheorie, S. 37). Von Anfang an sei es in unterschiedlicher Gestalt erschienen. Grethlein schreibt (Kirchentheorie, S. 40):

‚Evangelium‘ gibt es demnach nicht kontextlos. Es wird nur in konkreten Situationen von konkreten Menschen kommuniziert – und zwar ergebnisoffen. Jesus vertrat also kein feststehendes Lehrgebäude, sondern entwickelte den Inhalt von Evangelium in kommunikativen Prozessen.

Tatsächlich kontextualisierte der Apostel Paulus in einem gewissen Rahmen das Evangelium, was durchaus als vorbildlich gelten kann. Sein Ziel ist es, ein bestmögliches Verständnis dafür zu schaffen, was es bedeutet, dass Jesus Christus der von Gott verheißene Retter ist. Dabei knüpft er – wie es für jede Kommunikation notwendig ist – an den Verstehenshorizont der Adressaten seiner Missionspredigt an. Allerdings – und das ist wichtig – sind die Erwartungen, Bedürfnisse, Erkenntnisse oder Erfahrungen seiner Hörer keine Quellen, die auf den Inhalt seines Evangeliums einwirken. Paulus hat den Juden das Evangelium anders verkündigt als den Griechen. Aber er hat den Juden kein anderes Evangelium verkündigt als den Griechen.

Ein Aufsatz, in dem Thomas Jeising und ich das Konzept „Kommunikation des Evangeliums“ untersuchen und kritisieren, ist in der Ausgabe Nr. 31 von Glauben und Denken heute enthalten, die hier heruntergeladen werden kann: GuDh031.pdf.

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Udo
11 Monate zuvor

Ich würde es mal so sagen: „Die ganze Theologiegeschichte durchzieht eine katastrophale Spur der Fehl- und Missverständnisse von Evangelium, wenn dessen Klarheit in den Zeugnissen des Neuen Testaments durch beliebige Neuinterpretationen der angeblich Besserwissenden ersetzt wird.“

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