Markus Gabriel: „Kulturrelativisten haben zu viel Bullshit gelesen“

Die NZZ hat heute ein Gespräch mit dem Bonner Philosophen Markus Gabriel über den Kulturrelativismus und die Cancel-Culture veröffentlicht, das ich gern empfehle (27.10.2020, S. 30–31). Hier ein Auszug:

NZZ: Ist es ein Ausweis von Toleranz zu sagen,
dass man selbst eine Wahrheit habe und
die anderen eben eine andere?

M. Gabriel: Nein. Es verhält sich genau andersherum
– das führt zu fundamentalistischen
Aussagen ersten Ranges und ist
ausserdem furchtbar verworren.

NZZ: Weil Menschen in unterschiedlichen Welten
leben würden, wenn es unterschiedliche
Wahrheiten gäbe?

M. Gabriel: Genau. Und wenn jeder in seiner Welt
lebte, dann hätten wir uns nichts mehr zu
sagen, sondern könnten nur noch kämpfen.
Diese Ansicht ist zwar nachweislich
falsch, aber wenn wir uns so gebärden,
als wäre sie wahr, dann werden wir uns
irgendwann tatsächlich die Köpfe einschlagen.
Wer also auf diese Weise von
der Wahrheit im Plural spricht und meint,
was er sagt, droht mit Gewalt.

NZZ: Kulturrelativisten sehen das aber tatsächlich
so: andere Länder, andere Sitten.
Und der Kulturrelativismus hat ja mittlerweile
an den Universitäten eine ziemlich
starke Lobby.

M. Gabriel: Überzeugte Kulturrelativisten haben zu
viel Bullshit gelesen, an den sie irgendwann
zu glauben beginnen, und verwechseln
Toleranz mit Arroganz. Das ist traurig,
doch bleiben sie letztlich eine ideologisch
verblendete Minderheit. Zu ihren
Gunsten wäre immerhin zu sagen, dass
sie in der Imbezillität ihrer Position
immer noch besser sind als die Vertreter
der Cancel-Culture.

VD: PP

Ähnliche Beiträge:

Abonnieren
Benachrichtige mich bei

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

2 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments
Helge Beck
3 Jahre zuvor

Gabriel selbst scheint ziemlich viel BS zu produzieren. Ein Verriss von Christian Weidemann
http://www.kath.ruhr-uni-bochum.de/aktuelles/ph-th/news01017.html.de

Ein Auszug
„Seine Formulierungen und Begriffsklärungen sind, um im Bild zu bleiben, nicht ausgefeilt, sondern zweideutig, unpräzise und widersprüchlich, die Gegner, mit denen er sich befasst, ausnahmslos Strohmänner, die auch mit bloßer Hand zerrupft werden könnten.“

Clemens Altenberg
3 Jahre zuvor

@ Helge

Ach, erfolgreiche Philosophen, die ein breites Publikum erreichen haben immer Neider innerhalb der Zunft.

In diesem Interview findet sich kein BS, hab es jetzt endlich gelesen und bin beeindruckt so gute Philosophie in einer Zeitung zu lesen. Gabriel erklärt was auch ich hier schon mehrmals erwähnt habe: Trump ist Postmoderne in Reinkultur:

„Er (Trump) liebt das Spiel «Meine Wahrheit, deine Wahrheit», mit dem die postmodernen Linken begonnen haben, und treibt es auf die Spitze. …Trumps Überlegung dahinter: Wenn wir schon in einer Nietzsche-Verfilmung sind, in der es nur auf die Interpretation ankommt, aber nicht auf die Tatsachen, nun ja, dann drücken wir unsere Sicht der Dinge eben skrupellos durch.“

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner