Das Buch Schnelles Lesen, langsames Lesen von Maryanne Wolf ist etwas detailverliebt. Die Autoren untersucht und vergleicht zahlreiche Studien, um herauszufinden, wie die digitalen Techniken unsere Lesegewohnheiten und Informationsverarbeitung beeinflussen. Das Ergebnis allerdings überzeugt (und entspricht auch meinen eigenen Erfahrungen): Gedruckte Bücher zu lesen, lohnt sich nach wie vor. Das haptische Leseerlebnis fördert Empathie und die Fähigkeit, Komplexe Zusammenhänge zu erfassen und zu analysieren.
Zitat:
Es gibt in der psychologischen Forschung ein sehr altes Konzept namens „mentales Set“, mit dem sich erklären ließe, dass viele von uns, unabhängig davon, in oder auf welchem Medium sie gerade unterwegs sind, inzwischen ganz allgemein zu einer oberflächlicheren, potenziell weniger nuancenreichen Form des Lesens gewechselt haben könnten: Wenn wir stundenlang auf dem Bildschirm lesen, zu dessen typischen Eigenschaften eine hohe Geschwindigkeit bei der Informationsverarbeitung gehört, entwickeln wir unbewusst eine Art innerer Justierung, die uns alles so lesen lässt, wie wir die meiste Zeit des Tages lesen. Wenn der Großteil dieser Stunden darin besteht, dass wir im mit Ablenkungen gespickten Internet surfen, in dem sequenzielles Denken weniger wichtig ist und weniger gepflegt wird, lesen wir irgendwann immer so, auch dann, wenn wir den PC abgeschaltet haben und ein Buch oder eine Zeitung aufschlagen.
Es gibt einen Aspekt an diesem „Abfärben“, der zu Besorgnis Anlass gibt und uns möglicherweise dauerhaft erhalten bleibt, und dieser hat mit den Uberlegungen zur Neuroplastizität zu tun, über die wir in diesen Briefen bereits nachgedacht haben: Je mehr wir an digitalen Geräten lesen, desto stärker reflektiert der Grundschaltkreis unseres Gehirns die Eigenschaften dieses Mediums. In seinem Buch Surfen im Seichten (Originaltitel: The Shallows) erinnert uns Nicholas Carr an eine Mahnung, die Stanley Kubrick einmal geäußert hat: In einer digitalen Kultur sollten wir uns weniger darum sorgen, ob Computer so werden wie wir, sondern eher darum, dass wir werden wie sie. Die Leseforschung liefert Belege dafür, dass diese Sorge berechtigt ist.
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