Zygmunt Bauman (1925–2017)

Zigmunt BaumanDer streitbare jüdisch-polnisch-britische Soziologe Zygmunt Bauman ist am 9. Januar 2017 im Alter von 91 Jahren gestorben. Er gehörte zu den bedeutenden Geisteswissenschaftlern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und gilt als ein Wegbereiter postmodernen Denkens. In seinem Hauptwerk Flüchtige Moderne (in dt. Sprache 2003) beschrieb er, wie DER SPIEGEL korrekt berichtet, „die Schattenseiten der postmodernen Gesellschaft: Überbetonung des Marktes, ungefilterte Kommunikation, Fehlen von Gemeinsamkeiten“.

Linken Kategorien und einer spätmodernen Anthropologie blieb Bauman bis ins Alter treu, obwohl er mit der kommunistischen Partei in Polen brach und die Spassgesellschaft mitunter scharf kritisierte („Postmoderne ist ein Freibrief, zu tun, wozu man Lust hat, und eine Empfehlung, nichts von dem, was man selbst tut oder was andere tun, allzu ernst zu nehmen“ (Ansichten der Postmoderne, 1995, S. 9)). Ein Zitat aus einem Interview, dass er im Jahre 2005 der ZEIT gegeben hat, bündelt wesentliche Thesen seines Denkens. Einerseits finden wir darin seine berechtigte Kritik an einer konsum- und interessengeleiteten Lebensweise, andererseits auch das Lob auf den Menschen, der sich selbst Gesetz ist.

Wir leben heute in der flüchtigen oder flüssigen Moderne, wie ich sie nenne, in Konsumgesellschaften, in denen menschliche Beziehungen auf flüchtigen Genuss beschränkt sind. Menschen sind nur so lange wertvoll, wie sie Befriedigung verschaffen. Zwei elementare Bedürfnisse stehen einander in diesen Gesellschaften entgegen: der Wunsch, im aufgewühlten Meer einen sicheren Hafen zu haben, und das Bedürfnis, zugleich ungebunden zu sein, die Hände frei zu haben, über Spielräume zu verfügen. Wer sich aus Bindungen lösen kann, muss sich nicht anstrengen, um sie zu erhalten. Er kann sie als freier Konsument genießen und dann wegwerfen. Aber wenn jeder eine menschliche Beziehung zum Umtausch in den Laden zurückbringen kann, wo bleiben dann Räume, in denen das Gefühl moralischer Verantwortung für den anderen wachsen kann? In der traditionellen modernen Ethik galt es, Regeln zu gehorchen, die postmoderne Moral aber verlangt von jedem, selbst Verantwortung zu übernehmen. Nun ist der Mensch als Vagabund unterwegs, der individuell entscheiden muss, was gut ist, was böse. Das war so lange eine gute Nachricht, bis der Konsum die zwischenmenschlichen Beziehungen kolonisierte.

Angesichts solcher düsteren Analysen leuchten die Kraft und Schönheit der jüdisch-christlichen Sicht auf das Leben gerade zu auf. Der Gott der Bibel bietet dem Menschen nämlich Bindung, Freiheit und Heimat an. Doch mit einem Gott, der dem Menschen Würde und Verantwortung schenkt, wollte Bauman nicht mehr rechnen. Für ihn war das „ein schöner Traum, den wir nicht aufhören werden zu träumen“. Freiheit ist nach Bauman nur zum Preis von Ambivalenz, Uneindeutigkeit und Ungewissheit zu haben.

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3 Kommentare
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ali
7 Jahre zuvor

Der Literat Stefan Zweig schrieb in „Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers“: „Wir aber, die wir noch die Welt der individuellen Freiheit gekannt, wir wissen und können es bezeugen, daß Europa sich einstmals sorglos freute seines kaleidoskopischen Farbenspiels. Und wir erschauern, wie verschattet, verdunkelt, versklavt und verkerkert unsere Welt dank ihrer selbstmörderischen Wut geworden ist.“

Jörg
7 Jahre zuvor

Wobei Zweig damit kaum die Postmoderne gemeint haben kann

Johannes Strehle
7 Jahre zuvor

Eine gute Diagnose der Postmoderne, der „flüchtigen Moderne“, bis auf den un-sinnigen Schluss: Dass der Mensch „individuell entscheiden muss, was gut ist, was böse, … war so lange eine gute Nachricht (Evangelium), bis der Konsum die zwischenmenschlichen Beziehungen kolonisierte.“ Es ist klar: Wenn jeder Mensch für sich entscheidet, was gut ist und was böse, dann ist eine Anarchie der Beziehungen die zwangsläufige Folge dieser „guten“ Nachricht. Auf der Strecke bleiben „konsumierte“, benutzte, verbrauchte Psychen. Nichts ist wichtiger für ein gutes, glückliches Leben als Beziehungsfähigkeit und gute private Beziehungen. Das Zitat von Bauman ist ein gutes Beispiel dafür, dass Hybris (jeder Mensch müsse für sich entscheiden, was gut ist und was böse) an entscheidenden Stellen blind für naheliegende Zusammenhänge und folgerichtiges Denken macht, wie Paulus sinngemäß an die Gemeinde in Ephesus schrieb. Schon für die alten Griechen war Hybris der sichere Weg in den Untergang. Einstein formulierte es so: Zweierlei ist unendlich: Das Weltall und die menschliche Dummheit. Aber beim Weltall… Weiterlesen »

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