Die amerikanische Philosophin Judith Butler, die das Unbehagen der Geschlechter als »Gender Trouble« diskursfähig gemacht hat und Geschlecht wie Identität bloß als Rollen definiert, auf die niemand festgelegt ist, weil man sie wählen und wechseln kann, wäre begeistert gewesen. Die Schauspielerin Jana Schulz spielt mit den Geschlechterrollen. Sie ist damit eine Schauspielerin für das 21. Jahrhundert:
Nach über drei Stunden, in denen Jana Schulz fast durchweg in schmutziger Männerunterwäsche und desolater Gemütsverfassung auf der Bühne gerackert hatte, war zwar nicht klar geworden, was der Geschlechterwechsel eigentlich bezwecken sollte, da er dem Stück keinerlei inhaltlichen Mehrwert brachte. Aber es kann sein, dass die Regisseurin in erster Linie einer extrem plausiblen Überlegung gefolgt war: Dass sie für dieses Crossover-Experiment nie wieder eine bessere Schauspielerin finden würde. Das Verfahren ist freilich nicht ganz neu: Griechische Männer übernahmen in der Antike die Frauenrollen, und auch Frauen schlüpften irgendwann in Männerrollen – man denke an Angela Winkler als Prinz Hamlet bei Peter Zadek. Derlei Manöver ließen sich indes stets durch soziale Gepflogenheiten oder konzeptuelle Überlegungen erklären. Bei Jana Schulz hingegen wurde daraus ein irrwitziger Balanceakt, getragen vom reinen Spaß an der Freud‘ gestalterischer Herausforderungen. „Corriger la fortune“, wie es in „Minna“ heißt, und wer im Publikum bereit war, diesem schönen Schwindel auf den Leim zu gehen, konnte eine atemberaubende Grenzwanderung nicht nur zwischen realer Person und literarischer Figur erleben, sondern überdies zwischen Rolle und Klischee, zwischen Geschlecht und Bild.
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