Als ich vor einigen Tagen das Buch:
- J.I. Packer u. Gary A. Parrett: Grounded in the Gospel: Building Believers the Old-Fashioned Way, Baker Book House, 2010
in die Hände bekam, bin ich zunächst erschrocken. Schon in der Einleitung loben die Autoren die Päpste Johannes Paul II. und Benedict XVI. und machen die Jungschararbeit in den evangelikalen Gemeinden mitverantwortlich dafür, dass der Durchschnittschrist von heute seine Glaubensgrundlagen nicht kennt. Je mehr ich mich jedoch in das Buch hineingelesen habe, desto stärker war ich beeindruckt. Die Autoren haben nichts gegen Kinder- und Jugendarbeit per se, sondern plädieren dafür, dass die systematisch-biblische Unterweisung wieder aufgewertet wird. Wir sind sehr geprägt von der Fast food-Kultur, auch im Gemeindeleben. Um der Lehre angemessen Raum zu geben, müssen – so Packer und Parett – die unterhaltsamen Anteile zugunsten der Katechese reduziert werden. Außerdem: Systematisch Lehren kann nicht jeder, sondern nur derjenige, der selbst mit dem christlichen Glauben vertraut ist. Leider spielt diese Qualifikation bei der Auswahl von Mitarbeitern heute oft nur eine untergeordnete Rolle, frei nach dem Motto: Hauptsache, es kümmert sich jemand um die Kinder. Die Autoren wollen gegen den Strom schwimmen und führen sehr überzeugend in die Grundlagen der Katechese ein.
Zu dem Buch, das Packer gemeinsam mit einem ehemaligen Studenten verfasst hat, schreibt der Verlag:
Historically, the church’s ministry of grounding new believers in the essentials of the faith has been known as catechesis – systematic instruction in faith foundations, including what we believe, how we pray and worship, and how we conduct our lives. For most evangelicals today, however, this very idea is an alien concept. Packer and Parrett, concerned for the state of the church, seek to inspire a much needed evangelical course correction. This new book makes the case for a recovery of significant catechesis as a nonnegotiable practice of churches, showing the practice to be complementary to, and of no less value than, Bible study, expository preaching, and other formational ministries, and urging evangelical churches to find room for this biblical ministry for the sake of their spiritual health and vitality.
Die Gospel Coalition schreibt in einer Besprechung des Buches:
Packer and Parrett move from history to explanation to application in their vision to see catechesis restored to the body of Christ. Anyone would benefit from reading Grounded in the Gospel for this is no dry exercise in educational theory within the church. Rather it is a thoroughly informed and passionate plea to fully comprehend the essence and faithfully apply the implications of the Gospel. Pastors, elders, and parents will benefit especially from the vision and strategy of this timely and important book.
Ich kann das Buch, das die Meta-Ebene immer wieder verlässt und allerhand konkrete Vorschläge für eine »Katechesierung« der Gemeinden unterbreitet, sehr empfehlen.
Auf der Grundlage des Zitates: ja, stimmt. Es ist erstaunlich, wie schwierig es geworden ist, den Verantwortlichen in den Freikirchen, die ich kenne, klar zu machen, dass u. a. systematisches Bibelstudium wieder wichtig wird. Vor allem deshalb, weil man sich in der falschen Sicherheit darüber wiegt, dass man ja zu den „Frommen“ gehört, alles schon gehört hat und nicht wie die anderen ist. Die Decke wird immer dünner. Fatal…
(Vorneweg: Ich habe das Buch nicht gelesen, kann also sein, dass mein Beitrag nicht so sehr auf P & P zutrifft. Dann bitte ich um korrektur. Meine Gedanken beziehen sich allgemein auf eine „Katechesierung“ der Gemeinde:) Ich sehe das Problem, das Packer & Parett wohl sehen, durchaus auch – trotzdem bin ich noch ein wenig skeptisch, ob das, was sie als Lösung anbieten, das tatsächlich bringt: Ich finde diesbezüglich die Unterscheidung von N.T. Wright sinnvoll, der zwischen dem eher unbewussten „worldview“ und eher bewusst vertretenen „basic beliefs“ differenziert: Den „worldview“ kann man analysieren, indem man Praxis, Symbole, Antworten auf grundlegende Fragen und die erzählte Geschichte, analysiert. „Basic beliefs“ ist das, was jemand antworten würde, wenn man ihn nach dem fragte, was er glaube – dahinter steht nach Wright aber der „worldview“. Manche „basic beliefs“ hält man für so zentral, dass man meint, man könne den „worldview“ nicht beibehalten, gäbe man einen von diesen „basic beliefs“ auf. Beispiel: Viele würden sagen,… Read more »
@Christoph: So ganz verstanden habe ich Dich nicht. Aber ich ahne, worum es Dir geht. Ich glaube, P&P berücksichtigen das. Sie sprechen u.a. von Frameworks (Anordnung des Stoffes), z.B. die Wahrheit über Gott, die Wahrheit über uns selbst, die Geschichte des Reiches Gottes usw., und Prokatechese, Katechese und weitergehender Katechese.
Im Übrigen finde ich, dass die Trinität oder die Schöpfer-Schöpfung-Unterscheidung ein guter Startpunkt sein könnte. 😉
Liebe Grüße, Ron
Ich finde es gut, wenn man sich bei der Vermittlung systematisch-theologischer Inhalte viele Gedanken über die Anordnung etc. macht. Nur scheint mir dabei die Differenzierung, wie sie z.B. Wright vorgeschlagen hat, eigentlich durchgehend vernachlässigt. Die Frage, die ich mir stelle, ist eben: Wo sind all diese (sicherlich wichtigen) Inhalte einzuordnen: Sind sie Teil des christlichen Woldviews? Oder: Sind sie eher Teil von (durchaus konsequent daraus abgeleiteten) Basic Beliefs? Die Schöpfer-Schöpfung-Unterscheidung nennt Wright beispielsweise (soweit ich mich erinnere) als integralen Bestandteil des Worldviews: Die „christian story“ („Story“ als ein Zugang zur Worldview-Analyse, s.o.) ist nicht erzählbar, wenn dieses Element fallen gelassen wird. Mit der Trinität sieht es m.E. etwas anders aus: Hierbei handelt es sich wohl eher um die Ausformulierung der Zusammenführung von mehreren Gedankensträngen aus dem christlichen Worldview. Grob vereinfacht: Die ersten Christen erlebten den Auferstandenen auf eine bestimmte Art und Weise und verkündigten ihn dementsprechend. Die Gottheit Jesu mag die logische Konsequenz aus der Story gewesen sein, die sie… Read more »
Soweit ich selbst und durch Freunde, Verwandte, Bekannte die evangelikalen Gemeinden in Deutschland überblicke, muss ich den Autoren recht geben, wenn sie „die Jungschararbeit in den evangelikalen Gemeinden mitverantwortlich dafür (machen), dass der Durchschnittschrist von heute seine Glaubensgrundlagen nicht kennt.“ Und wenn sie feststellen: „Leider spielt die(se) Qualifikation bei der Auswahl von Mitarbeitern heute oft nur eine untergeordnete Rolle, frei nach dem Motto: Hauptsache, es kümmert sich jemand um die Kinder.“ (Ausnahmen bestätigen jeweils die Regel.) Erfreulich, dass es wieder ein gutes englisches Buch gibt. Gibt es ein deutsches Äquivalent für Leute wie mich, deren Schulenglisch eingerostet ist und nie die Qualität erreichte, die für unsere Kinder selbstverständlich ist, oder für Leute, die in der ehemaligen DDR aufgewachsen sind und Russisch statt Englisch gelernt haben? Was Christoph Heilig nach N.T. Wright (vermutlich auch nur englisch nachzulesen) über “worldview”, “basic beliefs” und “consequent beliefs” schreibt, finde ich interessant und, wenn ich es richtig verstanden habe, einleuchtend. In der Sache finde ich… Read more »
@Johannes: Danke. Das erwähnte Buch behandelt nicht nur die Katechese von Kindern und Jugendlichen.
Liebe Grüße, Ron
@Christoph: Ich verstehe Dich jetzt viel besser. Vielleicht liegt das auch daran, dass „basic belief“ in der Philosophie eine ganz andere Bedeutung hat. (NT W. ist ja dafür bekannt, dass er Themen und Begriffe neu und eigenmächtig besetzt.) Jetzt weiß ich, warum es Dir geht und ich stimme Dir grundsätzlich zu. Schlatter oder Lütgert sind z.B. diesen Weg gegangen. Das ist natürlich ein weites Feld. Ich glaube allerdings, wir dürfen da nicht zu hohe Ansprüche haben. Wir leben in einer Zeit, in der Gemeindeleuten auch basic beliefs fremd geworden sind.
Liebe Grüße, Ron
@Johannes: Hier gibt’s eine kurze Einfuehrung in N.T. Wrights Hermeneutik: (24 Seiten, kostenlos online): http://www.churchsociety.org/churchman/documents/Cman_117_2_Stewart.pdf – leider aber auf Englisch.
(So ab S. 14/15 geht’s dann ueber Worldview – basic belief – consequent belief).
@Johannes,
offenbar hat N.T. Wright diese Unterscheidung von „worldview“, „basic belief“ und „consequential belief“ entfaltet im Klassiker „Das Neue Testament und das Volk Gottes“, welche(s)r im Maerz 2011 erscheint bei Francke – hat aber 900 Seiten, und ich denke, auf Ron’s Blog darf man das Buch nicht empfehlen: 😉
http://www.amazon.de/Das-Neue-Testament-Volk-Gottes/dp/3868272429/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1297105286&sr=1-1
Grundsaetzlich sollte man natuerlich die Glaubensinhalte auch erklaeren.
Trotzdem halte ich – auch – das reine Auswendiglernen fuer sehr wichtig. Wenigstens weiss man dann, was man glaubt; das wissen ja die meisten schon nicht mehr.
Im zweiten Schritt sollte man dann auch wissen, WARUM man glaubt, was man glaubt.
@Roderich: Ich lese NTW differenziert, stehe dem kritischen Realismus nah und heiße zudem Widerspruch, Kritik etc. willkommen. 😉
Liebe Grüße, Ron
Eine etwas (wirklich nur etwas…) detailliertere Darstellung findet man hier (http://wesley.nnu.edu/fileadmin/imported_site/wesleyjournal/2005-wtj-40-1.pdf) ab Dokumentseite 105.
@ Roderich und Christoph: Danke für die Hinweise! „Grundsaetzlich sollte man natuerlich die Glaubensinhalte auch erklaeren. Trotzdem halte ich – auch – das reine Auswendiglernen fuer sehr wichtig. Wenigstens weiss man dann, was man glaubt; das wissen ja die meisten schon nicht mehr. Im zweiten Schritt sollte man dann auch wissen, WARUM man glaubt, was man glaubt.“ Zum Auswendiglernen: „Dem Auswendiglernen wird nachgesagt, dass dadurch zwar Informationen im Gehirn gespeichert werden, dass dieser Prozess aber kein aktives Wissen erzeugt. Jeffrey Karpicke und Janell Blunt von der Purdue-Universität in West Lafayette zeigen im neuen „Science“, dass das Auswendiglernen weit besser ist als sein Ruf (10.1126/science.1199327).“ „Karpicke und Blunt schließen …, dass jedes Nachvollziehen von Lerninhalten das Gedächtnis verändert und ein wichtiger Lernprozess ist. Beim Auswendiglernen würden Kategorien für die einzelnen Informationen gebildet, die bei jedem Wiederholen geprüft und verfeinert werden. Lässt sich der Lerninhalt unter einer bestimmten Kategorie nicht mehr wiederfinden, werden neue und bessere Einteilungen gebildet. Dadurch entsteht eine Organisationsstruktur… Read more »
@Johannes, vielen Dank! Das bestaetigt so ein „Gefuehl“ was ich in der Richtung hatte – Auswendiglernen ist gut… !
Manche empfehlen z.B., den ganzen Heidelberger Katechismus auswendigzulernen.
Der Vorteil ist, dass man waehrend des Auswendiglernens den Text automatisch 10 x wiederholt, und dann natuerlich gleichzeitig meditiert und kaut. Psalm 1: „Wohl denen, die Tag und Nacht ueber dem Wort Gottes meditieren…“
(Meine Empfehlung waere: jedes Jahr einen Textabschnitt wie z.B. den ganzen Epheserbrief (ca. 4 Seiten in der Lutherbibel). Das ist gut schaffbar, und man hat auch genug Zeit, den Text zu wiederholen. (Das Wiederholen eines so langen Textabschnittes kostet naemlich auch Zeit.). Das Auswendiglernen selbst wird in jedem Fall zum Segen.
(Und natuerlich sollte man auch versuchen, besser zu verstehen, WARUM man glaubt, was man glaubt… Also Auslegung dazu lesen falls noetig. Das eine tun, das andere nicht lassen).