Friedrich Dürrenmatt im Gespräch (1968)

Nicht jeder wird nachvollziehen können, dass ich Friedrich Dürrenmatt schätze. Ich halte ihn für einen großen Schriftsteller und Dramaturgen. Dürrematt, der in einem reformierten Pfarrhaus aufwuchs, hat übrigens einmal geschildert, wie er seinen kindlichen Gottesglauben verloren hat.  Lothar Veit beschreibt das in seiner Seminararbeit Ein gläubiger Zweifler:

Dürrenmatt erzählt nun eine Episode aus seiner Kindheit, die für seine Religiosität (oder Areligiosität, das wird noch zu klären sein) prägend gewesen sein muß. Gemeinsam mit anderen Kindern saß Dürrenmatt in der Sonntagsschule und sang gläubige Lieder, „ahnungslos, was wir da behaupteten“. Gottes Liebe wurde Dürrenmatt als etwas Vollkommenes beigebracht, eine „über jeden Verdacht erhaben(e)“ Liebe. Der Kinderglaube an eine vollkommene Liebe erfährt jedoch einen herben Rückschlag, als in der Nähe der Sonntagsschule der „Blaukreuz-Inspektor“, der auf dem Wege zum Sonntagsessen der Familie Dürrenmatt war, in seinem Auto von einer Eisenbahn überfahren und getötet wird. Zu allem Überfluss ereignete sich dieser Unfall, so schreibt Dürrenmatt, „während es aus den offenen Fenstern fröhlich herüberscholl: ‚Gott ist die Liebe, drum sag ich’s noch einmal, Gott ist die Liebe, er liebt auch mich‘“.

Nachfolgend ein Interview mit Friedrich Dürrenmatt aus dem Jahre 1968, das Einblick in sein „Theaterdenken“ erlaubt und ausserdem zeigt, wie schön TV sein könnte. In einem gewissen Sinn ist das Interview auch eine beißende Kritik unserer Unterhaltungskultur (deren Dumpfheit Dürrenmatt damals nur erahnen konnte).

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13 Kommentare
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10 Jahre zuvor

Lieber Ron, ich kann es gut verstehen. Ich mag Dürrenmatt auch sehr, er war einer jener großen Denker, die uns heute viel lehren könnten. Wenn wir bereit wären, auf sie zu hören. Auch Max Frisch hat mich eine Menge lehren können.

Lukas
10 Jahre zuvor

Auch ich lese gerne immer mal wieder in Dürrenmatts »Stoffen«, wo mir nebst den bizarr-apokalyptischen Visionen (»Winterkrieg in Tibet«) am besten die autobiographischen Stellen gefallen. Als ich vor kurzem wieder einmal durch seine Erinnerungen schweifte, durch die Konflikte mit seinem gläubigen Vater, einem treuen Pfarrer, und seine zunehmende Entfremdung vom Glauben, legte ich das Buch zur Seite und dachte: Was soll’s? Ich halte es mit dem Vater. Der ist zwar unbekannt, hat aber das Richtige gewählt und etwas gemacht mit seinem Leben. Aber beim Sohn bin ich mir da nicht so sicher. Ein befreundeter Dichter erzählte mir einmal amüsiert, er habe ein Buch über einen Missionar gesehen, der für einige Zeit zu Gast war im Hause Dürrenmatt, als Friedrich Dürrenmatt schon weltbekannt war. In dem Kapitel, das »Bei Dürrenmatts zu Besuch« oder so ähnlich überschriftet war, spielen die Eltern die Haupt- und Ehrenrolle – und dann wird mit nur einem Nebensatz erwähnt, sie seien übrigens die Eltern des weltberühmten Dramatikers.… Weiterlesen »

Roderich
10 Jahre zuvor

Wow, der Spruch war gut… (von Beat Rink). Hat es in sich 🙂
Aber wer ist dann die „nicht-Provinz“? Muss die „nicht-Provinz“ denn nicht ab und zu auch mal prominent werden, um etwas zu bewirken? Nun ja, es reicht ja, wenn Gott etwas bewirkt.

Alexander
10 Jahre zuvor

Kennt ihr von Dürrenmatt die Kurzgeschichte „Der Tunnel“?

JcS
10 Jahre zuvor

Besonders spannend ist auch seine Beziehung zu Karl Barth…

ernst
10 Jahre zuvor

Da Dürrenmatt Pfarrerssohn war, mithin durch und durch mit Fragen von Religion und Metaphysik vertraut, ist auch seine Literatur natürlich sehr geprägt durch dies Fragen und Vorstellungen. Er galt ja auch jahrelang als ´heißer´ Kandidat für den Literatur-Nobelpreis, den er allerdings (wie manch anderer großer Autor) nie erhalten hat.
In den letzten Jahrzehnten ist es nun ruhiger um sein Werk geworden; manches darin wirkt in der Tat wie etwas ´überholt´ und aus der Zeit gefallen.
Aber nie langweilig, für den, der sich darauf einlässt: Die Erzählung „Der Tunnel“ ist ja gewissermaßen eine ´Parabel´ auf unsere Welt oder die Moderne, und sie endet – mit einer beklemmenden Theodizee!

ernst
10 Jahre zuvor

Nachtrag: Gerade die „Seminararbeit“ gelesen; als Leistung im Hauptseminar (sic!) sehr dürftig (gelinde gesagt).

Alexander
10 Jahre zuvor

Eine lesenswerte Parabel auf die Moderne, wie ernst schon sagte. Den berühmten Schlusssatz, der auf die Frage: Was sollen wir tun?, fällt (Nichts. Gott ließ uns fallen, und so stürzen wir denn auf ihn zu …), hat D. in der späteren Fassung gestrichen. Dort steht am Ende nur: Nichts.

Johannes Strehle
10 Jahre zuvor

Ein interessantes Interview.
Welche Einstellung hatte Dürrenmatt denn zu den 68ern?

Ich schätze Dürrenmatt auch sehr.

Die Kriminalromane sollte man gelesen haben,
„den Richter und seinen Henker“ muss man gelesen (und als Film gesehen)haben.
Ich bin jedenfalls in Familie, Erziehung und Führung im Beruf
immer wieder auf diesen Stoff zu sprechen gekommen.
„Die Physiker“ und „der Besuch der alten Dame“
sind Pflichtstücke für jeden Jugendlichen,
ebenso wie „Biedermann und die Brandstifter“ von Frisch,
möglichst im Theater oder aber im „Film-Theater“.
Diese Stücke müssen diskutiert werden
(nicht zuletzt Dürrenmatts „21 Punkte zu den Physikern“,
seine Philosophie im Zusammenhang mit seiner Biographie),
dürfen aber nicht im Deutschunterricht verödet werden.
Den „Tunnel“ kenne ich nicht, bin aber sehr gespannt.

Ich würde sehr gern mehr über Dürrenmatts Eltern,
ihre Theologie und ihr Leben erfahren.
Pfarrhäuser und Sonntagsschulen haben viele Scherbenhaufen hinterlassen.

Johannes Strehle
10 Jahre zuvor


„Ich kann mich an ein Interview mit dem Stern erinnern
und habe es jetzt im Netz gefunden.“
Herzlichen Dank, Johannes

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