Fundamentalismus ist (nur) militanter Wahrheitsanspruch

fundamentalismus.jpgDer in Bonn ansässige Theologe und Religionssoziologe (Hitlers Kriegsreligion) Thomas Schirrmacher fordert in seinem soeben erschienen Buch »Fundamentalismus: Wenn Religion zur Gefahr wird« eine breite Diskussion über den Fundamentalismusbegriff. »Man sollte nämlich«, so Schirrmacher wörtlich, »nur von Fundamentalismus sprechen, wenn Gewalt im Spiel ist oder eine echte Gefahr für die innere Sicherheit besteht.« Würde man einfach alle Menschen als Fundamentalisten bezeichnen, die glaubten, die Wahrheit zu kennen, gäbe es auf dieser Welt mehr Fundamentalisten als andere. Es ginge nicht an, dass insbesondere die Medien recht wahllos Andersdenkende als Fundamentalisten beschimpften und nie über ihre Definition Rechenschaft ablegen müssten.

Als »Fundamentalisten« werden, meint Schirrmacher, seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in der Öffentlichkeit meist einfach radikale, gewaltbereite, religiös motivierte Extremisten oder einfach gar religiöse Terroristen verstanden. »Was der Volksmund mit ‚Fundamentalismus‘ meint, ist militanter Wahrheitsanspruch und genau das finde ich die kürzeste Definition.«

An vielen Beispielen aus allen großen Religionen versucht Schirrmacher aufzuzeigen, wie sinnlos es ist, Fundamentalismus am Verständnis der Heiligen Schriften festzumachen. Das sei eine Engführung auf den Protestantismus. Schon der Katholizismus kenne nicht die Schrift als oberstes Prinzip, sondern das Lehramt, und viele Religionen hätte gar keine maßgebenden Heiligen Schriften, aber durchaus fundamentalistische Bewegungen, wie der politische Hinduismus in Indien, der Indien von Muslimen und Christen befreien wolle.

Hier kann das Buch:

  • Thomas Schirrmacher: Fundamentalismus – Wenn Religion zur Gefahr wird, SCM Hänssler: Holzgerlingen 2010, 128 S., 7,95 Euro

bestellt werden:

Der »body turn«

Die Genderstudies ordnen sich neu. Der Tagesspiegel interviewte die Münchner Soziologin Paula Villa und neben inzwischen traditionalisierten Argumenten lassen sich Zugeständnisse finden, die noch vor wenigen Jahren als sektiererisch gegolten hätten:

Nach wie vor ist Butler eine ganz zentrale Autorin, aber ich denke, dass die große Zeit der Butler-Euphorie vorbei ist. Butler war ein Fall von Hegemonie, alle mussten sich auf sie beziehen. Aber es hat natürlich auch vor und neben ihr andere, zum Teil viel differenziertere Ausführungen der »Konstruktionshypothese« gegeben. Inzwischen ist in der Geschlechterforschung anderes wieder viel stärker in den Vordergrund gerückt, etwa die Frage nach Ungleichheit, nach gesellschaftlicher Inklusion, nach ökonomischen Verhältnissen. Das Thema Arbeit beschäftigt uns sehr. Ein wichtiges Theorem ist hier »Prekarisierung«, das heißt das »Prekär«-Werden von Biografien und ganzen Schichten durch unsichere Arbeits- und Lebensbedingungen. Auch die Untersuchung neuer Migrationsprozesse ist Teil der neueren Forschung, immer mit der Frage: Wie ist Geschlecht daran beteiligt?

Oder:

TS: Wie steht es um die Gretchenfrage »Körper« in den Genderstudies? Unter dem Einfluss von Judith Butler hat man den biologischen Aspekt von Geschlecht ausgeblendet. Spielt der Körper in der Genderforschung heute eine andere Rolle?

Es gibt in der Geschlechterforschung den Grundkonsens, dass man nicht naiv von einem angeblich »natürlich« vorhandenen, rein physiologisch bestimmten Geschlecht ausgeht. Dieser Grundkonsens steht weiterhin fest, allerdings in vielen Schattierungen. Inzwischen haben verschiedene Fachdisziplinen wie Geschichtswissenschaft, Kulturwissenschaft oder Soziologie aber geradezu einen »body turn« vollzogen. Leitend ist derzeit die Frage, wie und wovon der Körper regiert, beherrscht und geformt wird. So untersuchen wir die Entgrenzung der Medizin. Ehemals medizinische Verfahren mutieren heute zu Wellness und Lifestyle. Der Schönheitsboom – oder das, was da Schönheit genannt wird – macht ehemals Medizinisches zu einer Sache von Kosmetik, etwa in der plastischen Chirurgie. Und das wiederum betrifft die Gestaltbarkeit des geschlechtlichen Körpers. Der Körper wird also vor allem in Hinsicht auf das diskutiert, was man heute »Biopolitik« nennt. Das heißt, was ehemals emanzipatorische Selbstermächtigung war – den Körper in die eigene Hand zu nehmen –, das wird heute zunehmend zu einem Gebot der Optimierung.

Hier das Interview: www.tagesspiegel.de.

Donald Wiseman (1918-2010)

wisemann.jpgDas Tyndale House hat darüber informiert, dass Professor Donald Wiseman am Dienstag heimgegangen ist. Wiseman war einer der Gelehrten, der Gottvertrauen und akademische Exzellenz auf faszinierende Weise miteinander verbinden konnte. Die evangelikale Bewegung wird ihn schmerzlich vermissen.

Hier ein Nachruf von Professor Alan Millard:

The passing of Donald Wiseman on 2nd February, 2010, marks the end of an era in the story of Tyndale House and the Tyndale Fellowship. After a year reading history at King’s College, London, W. J. Martin persuaded him that study of the biblical world and its languages would be more valuable to the church and biblical studies, so he turned to Hebrew and Assyriology. Martin had been the major stimulus in the creation of Tyndale House and Donald Wiseman saw its strategic potential. He gave much time and thought to the affairs of the House, serving as Chairman of the Biblical Research Committee, which had the initial responsibility and of the Tyndale House Council, which inherited it, from 1957 to 1986. As Chairman of that and other committees, he guided discussion with wisdom, patience and humour, ensuring sensible decisions were made. When there were doubts in UCCF (then IVF) circles about continuing financial support, he insisted that the House was providing a service which no other evangelical institution offered and had potential for much more. When problems of space for the Library arose, it was Donald who suggested the annexe which was built as The Hexagon in 1984.

He saw the priority for Tyndale House lay in biblical research, supplying positive information and arguments to oppose widely taught liberal views about Scripture. His vision was well expressed by John Stott in 1992, ‚We shall never capture the church for the truth of the gospel unless and until we can re-establish biblical scholarship, hold (and not lose) the best theological minds in every generation, and overthrow the enemies of the gospel by confronting them at their own level of scholarship‘ (Quoted by Tom Noble, Tyndale House and Fellowship, 239).

Like Martin, Donald Wiseman was a great enthusiast and encourager of others, in Britain and abroad. He chaired the Tyndale Old Testament Study Group from 1951 to 1981, taking time and trouble to find young scholars whom he could introduce to the Group so that they would know there were others who could support them in their often lonely research. The Bible is a product of the ancient Near East, so he recognized that it should be read and assessed in the light of knowledge about that world. With that in mind, aware of the value of the archaeological contexts of ancient artefacts, he set up the Tyndale Biblical Archaeology Study Group in 1958, which, although not functioning regularly in recent years, brought together linguists and archaeologists to evaluate and apply new and old discoveries to biblical studies. On his initiative papers were brought together as Notes on Some Problems in the Book of Daniel (1965) and Essays on the Patriarchal Narratives (1980) and he stimulated other publications by fellows of Tyndale House (e.g. David Tsumura, The Earth and the Waters in Genesis 1 and 2, 1989). A volume of essays by members of the Old Testament Study Group was dedicated to him in gratitude for his many years of devotion (R. S. Hess, G. J. Wenham. P. Satterthwaite, eds., He Swore an Oath (1994).

His experience and knowledge marked Donald as a major contributor to, and Editor of, the New Bible Dictionary (1962, 1982, 1996) and The Illustrated Bible Dictionary (1980). For many years he was Editor for Tyndale Old Testament Commentaries and gave his skills to a variety of other Christian publications.

Donald was always ready to help a cause he thought would be fruitful in the service of his Saviour, preaching and teaching and holding informal groups for Bible Study. The number who faced the claims of the Gospel through meeting him cannot be told, neither can the number whose lives and careers he has influenced or guided.

As one of the latter, I give thanks for his life, his service and his fellowship.

Alan Millard

VD: RB

Martin Luther und die Vernunft

AndersonCov.jpgDie Vernunft ist die »höchste Hur, die der Teufel hat« (WA 51, 126). Viele meinen, mit diesem Zitat sei die Position Luthers zur Vernunft beschrieben.

Dass Luther keinesfalls vernunftfeindlich eingestellt war, sollte jedem einleuchten, der seine sorgfältig vorbereitete Verteidigungsrede auf dem Reichstag zu Worms studiert. Luther sagte 1521 dort nämlich:

Wenn ich nicht mit Zeugnissen der Schrift oder mit offenbaren Vernunftgründen besiegt werde, so bleibe ich von den Schriftstellen besiegt, die ich angeführt habe, und mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort.

B.A. Gerrish’s Studie über die Vernunft bei Luther hat die Wahrnehmung der Vernunftkritik des Reformators besonders stark geprägt. Nun hat David Andersen eine Untersuchung vorgelegt, die die Ergebnisse von Gerrish hinterfragt. Paul Helm schreibt in seinem Vorwort zur Studie, die von Alister E. McGrath und John Warwick Montgomery begleitet wurde:

The result of this many-sided approach to the Reformer is a refreshingly positive re-evaluation of Luther‘s estimate of reason and of the often-reproduced portrait of Luther as fideistic and pessimistic. This new orientation also succeeds in revealing the complexity of Luther‘s thought, its nuances as well as its tensions, and the fact that he thinks of reason and faith on various levels. Reason is majestic, but it is to be subordinate to the will of God. It is majestic, but it is also fragmented and distorted by the Fall.

Das Inhaltsverzeichnis kann zusammen mit einem Vorwort von John Warwick Montgomery hier herunter geladen werden: Andersen_Luther.pdf

Das Buch:

  • David Andersen: Martin Luther The Problem of Faith and Reason: A Reexamination in Light of the Epistemological and Christological Issues, Preface by John Warwick Montgomery and Foreword by Paul Helm, Bonn, VKW, 2009, 196 S.

kann hier erworben werden:

Film über Augustinus

Er lebte eine wilde Ehe, wurde Vater, war afrikanischer Intellektueller und schließlich ein großer abendländischer Kirchenvater: Augustinus von Hippo. Sein Leben gibt ausreichend Stoff für einen Film. Der italienische Fernsehsender RAI strahlte kürzlich einen Zweiteiler über den Bischof aus:

Hinter der Produktion steckt niemand weniger als der Papst. Papst Benedikt XVI. hatte um die Produktion dieses Filmes über den heiligen Augustinus gebeten, jenem unermüdlichen Sucher nach einem Sinn für sein Leben und seine Geschichte.
Die Gedanken des heiligen Augustinus bilden den Leitfaden des Films: Sein Lebenslauf gehört zu jenen beeindruckenden, in denen es ein Vorher und ein Nachher gibt. Man sieht den begabten jungen Anwalt Augustin von der gleichen Unzufriedenheit erfüllt, die heute noch viele Menschen, erfolgreiche eingeschlossen, umtreibt. Er zeigt die gleiche intellektuelle Neugier wie die kulturell gebildeten Menschen von heute und stellt die gleichen Fragen, die die jungen Leute von heute immer noch stellen: »Warum hat Gott mich erschaffen?«, »Warum gibt es das Böse?«, »Was kommt nach dem Tod?«.

Hier mehr: www.zenit.org.

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Nachtrag vom 15.02.2010: Der Film soll zu Ostern im deutschen Fernsehen ausgestrahlt werden: www.br-online.de.

Wie wir in Zukunft sterben werden

Petra Thorbrietz erwartet langfristig eine Legalisierung der Sterbehilfe:

Sterbehilfe wird die Sterbebegleitung an vielen Stellen ablösen. Euthanasie wird für mehr Menschen … nicht mehr Tötung bedeuten, sondern Erlösung aus einem immer längeren Leben voller chronischer Krankheiten, vielleicht auch aus Einsamkeit. Das mag schockieren, doch die Zeichen sprechen eine deutliche Sprache.

Was wir aber wirklich brauchen, so Thorbrietz, ist die persönliche Zuwendung auch um Alter:

Die Betreuung am Lebensende wird sich weiter professionalisieren, das ist gegenüber dem heutigen Stand erst mal positiv. Doch diese Entwicklung ist überwiegend an körperlichen Symptomen orientiert. Wer mehr will – Ansprache, soziale Unterstützung, Sinngebung – muss dafür vielleicht demnächst gezielte Vorsorge treffen, mit speziellen Versicherungen für das Lebensende oder genossenschaftlichen Fürsorgekonzepten. Was wir bewahren sollten, ist das, was hinter organisierter und professionalisierter Zuwendung steht – die Bereitschaft und die Offenheit für das, was entsteht, wenn Menschen füreinander da sind, zum Beispiel in der Hospizbewegung. Der Begegnung mit dem Tod können wir nicht ausweichen, schon gar nicht in Telefonhäuschen. Auch wenn wir manchmal versucht sind, den Hörer einfach aufzulegen.

Hier mehr: www.focus.de.

Steckt Microsoft, trotz guter Zahlen, in der Krise?

Dick Brass, von 1997 bis 2004 Vizepräsident bei Microsoft, macht sich große Sorgen um seinen ehemaligen Arbeitgeber:

What happened? Unlike other companies, Microsoft never developed a true system for innovation. Some of my former colleagues argue that it actually developed a system to thwart innovation. Despite having one of the largest and best corporate laboratories in the world, and the luxury of not one but three chief technology officers, the company routinely manages to frustrate the efforts of its visionary thinkers.

Hier der vollständige Artikel: www.nytimes.com.

Augustinus-Ausgabe aus dem Kreis um Martin Luther?

In Paris hütet ein Privatgelehrter eine von alter Hand kommentierte Augustinus-Ausgabe. Gehört sie nach Wittenberg? Die FAZ schreibt:

Vor allem mit Hilfe des vor einigen Jahren verstorbenen Tübinger Kirchenhistorikers Heiko Oberman, seines Kollegen Gerhard Hammer und des Manuskript-Experten Karlfried Froehlich von der Universität Princeton gelang es allerdings, einige der Marginalien des besonders üppig annotierten achten Bandes als Texte von Martin Luther, Philip Melanchthon und Wenzeslaus Linck zu identifizieren. Es sind insbesondere die augustinischen »Enarrationes in Psalmos«, denen der Glossator Kommentare aus Luthers »Summarien über die Psalmen und Ursachen des Dolmetschens« und Lincks »Kurtz Summaria oder außzüge der Psalmen« gegenüberstellt. Schlüsseltexte von Melanchthon wiederum finden sich vor allem bei Augustinus‘ Anmerkungen zu den Psalmen 31 und fünfzig. Bis heute sind allerdings kaum mehr als die Hälfte der Randbemerkungen ihren Quellen zugeordnet.

Vieles deutet darauf hin, dass der unbekannte Scribent seine Arbeit um 1536 beendet hat. Peter Way schließt das aus datierten Hinweisen auf zeitgenössische Ereignisse. Die letzte Notiz bezieht sich auf die Enthauptung von John Kardinal Fisher am 22. Juni 1535. Heinrich VIII. hatte sie befohlen. Sie findet in Form eines kurzen Nachrufs auf Fisher neben dem Vorwort im ersten Band der Edition Erwähnung. Für Way ist dieses Datum mehr als nur ein Kuriosum. Es ist Teil seiner Indizienkette, die mitten in die Denkstuben der Wittenberger Reformatoren führt: Der Annotator muss ein Mann mit Zeit, Geduld und außergewöhnlicher Bildung gewesen sein.

Offenbar hat er neben bemerkenswerten sprachlichen Fähigkeiten auch über profunde editorische Kenntnisse verfügt. Immerhin hat er ungefähr 50.000 Einzelkorrekturen vorgenommen. Für seine Arbeit muss er Zugang zu einer guten Bibliothek gehabt haben. Aber nicht nur das: Er muss in der Lage gewesen sein, auf Originalmanuskripte der großen Reformatoren zuzugreifen. Etliche der Textstellen, die in den Marginalen auftauchen, lagen zum Zeitpunkt ihrer Niederschrift noch nicht in vervielfältigter Form vor: »Wie aber hätte jemand aus ihnen zitieren können, wäre er nicht einer jener Scholaren gewesen, die Luther an der Wittenberger Leucorea um sich geschart hatte?«

Hier mehr: www.faz.net.

Thema der ETS-Tagung 2010: Die Glaubensgerechtigkeit

Das Thema der nächsten großen ETS-Tagung (17.–19. November in Atlanta, U.S.A.) lautet »Justification by Faith«. Als Hauptredner werden erwartet: John Piper (Pastor of Bethlehem Baptist Church, Minneappolis), N.T. Wright (Bishop of Durham) und Frank Thielman (Presbyterian Professor of Divinity, Beeson Divinity School).

Wer auch gern einen Vortrag halten möchte, kann sich hier bewerben: www.etsjets.org.

Was ist evangelikaler Fundamentalismus?

Was ist Fundamentalismus? Und inwiefern kann man diesen Begriff auf konservative Christen anwenden? Gleich zwei Bücher sind vor kurzem zu diesem Thema erschienen. Der Theologe und Religionssoziologe Thomas Schirrmacher erklärt in seinem Buch, wie man sich selbst vor Fundamentalismus schützen kann. In der Broschüre des Theologen Reinhard Hempelmann (EZW-Texte 206) werden Herkunft und verschiedene Strömungen des Evangelikalismus analysiert. Beide Materialien stellt das Christliche Medienmagazin pro hier kurz vor: www.pro-medienmagazin.de.

Ich habe bisher nur das EZW-Heft von Dr. Hempelmann überfliegen können. Den historischen Teil finde ich, soweit gelesen, informativ und sachlich. Gern lass ich mir natürlich sagen (S. 35):

Im christlichen Fundamentalismus kommen Aspekte zum Tragen, die den Protestantismus von Anfang an bestimmt haben: die Orientierung am Wort Gottes (sola scriptura), die Konzentration auf das Elementare und Fundamentale, das unbedingte Vertrauen auf den einen Gott, der sich in Christus den Menschen zuwendet.

Dass das Zitieren von Bibelsprüchen »nicht selten zum Ersatz für das eigene Nachdenken« geworden ist, mag sein (S. 38). Leider finde ich neben vielen zutreffenden Beobachtungen auch theologische Vorurteile, wie zum Beispiel (S. 35):

Falsch an ihm [dem christlichen Fundamentalismus] ist, dass er die Vielfalt des biblischen Zeugnisses nicht hinreichend wahrnimmt, dass er die christliche Freiheit leugnet, dass er Stilfragen zu Grundsatzfragen macht. Falsch an ihm ist, dass er die Verbindung von Glaube und Vernunft nicht ausreichend berücksichtigt.

Auch der angeboten »Fundamentalismusbegriff« überzeugt mich nicht (S. 31):

Ein Grundprinzip fundamentalistischer Strömungen ist das Prinzip der Übertreibung. Einsichten des Glaubens werden so übertrieben, dass sie das christliche Zeugnis verdunkeln, ja verkehren. Dies bezieht sich zwar zuerst auf das gesteigerte Schriftprinzip – verbunden mit einem Verbalinspirationsdogma –, darüber hinaus aber auch auf andere Ausdrucksformen und Motive der Frömmigkeit.

Überraschend schwach finde ich folgenden Vorschlag (S. 38):

Um einen Wort- oder auch Geistfundamentalismus aufzubrechen und zu öffnen, bedürfte es einer tieferen Wahrnehmung des Verhältnisses von Wort und Geist. Der »Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig« (2. Kor 3,6), meinte Paulus. Fundamentalistische Strömungen sind blind für diese Unterscheidung zwischen Buchstabe und Geist, mit der Folge, dass die christliche Freiheit verdrängt, eingeschränkt und geleugnet wird.

War das das Anliegen von Paulus? War dieser »Aufbruch« die Errungenschaft des Protestantismus. Stellvertretend für andere zitiere ich hierzu Calvin (Institutio I, 9):

Wer die Schrift verwirft und sich dann irgendeinen Weg erträumt, um zu Gott zu kommen, der ist nicht eigentlich dem Irrtum, sondern der Raserei verfallen. So sind neuerdings einige Schwindelköpfe aufgetreten, die sich hochmütig für geisterfüllte Lehrer ausgeben — aber sie verachten alles Lesen der Schrift und machen sich über die Einfalt derer lustig, die nach ihrer Meinung an toten und tötenden Buchstaben hangen. Ich möchte nur fragen, was das denn für ein Geist sei, durch dessen Wehen sie so hoch daherfahren, daß sie die Lehre der Schrift als kindisch und unwesentlich zu verachten sich erkühnen! Sollten sie antworten, das sei Christi Geist, so ist das lächerliche Verblendung. Denn sie werden ja dann doch wohl zugeben, daß die Apostel Christi und die anderen Gläubigen in der Urkirche von keinem anderen Geiste erleuchtet gewesen sind. Aber dieser Geist hat keinen von ihnen die Verachtung des Wortes Gottes gelehrt, sondern sie haben nur größere Verehrung gelernt, wie ihre Schriften deutlichst bezeugen. So war es schon vom Propheten Jesaja vorhergesagt. Wenn er nämlich ausspricht: »Mein Geist, der in dir ist, und meine Worte, die ich in deinen Mund gelegt habe, sollen nicht von deinem Munde weichen noch von dem Mund deines Samens ewiglich« (Jes. 59,21), so bindet er das Volk des Alten Bundes nicht an eine äußerliche Lehre, als ob es noch in den Anfangsgründen steckte, nein, er lehrt, das werde das rechte und volle Heil der neuen Gemeinde unter der Herrschaft Christi sein, daß sie nicht weniger durch das Wort Gottes als durch den Geist regiert würde! Hier wird deutlich, daß jene Windbeutel in schändlichem Frevel auseinanderreißen, was der Prophet zu unverletzlicher Einheit verbunden hat. Man muß hierzu noch beachten, daß Paulus, der doch bis in den dritten Himmel entzückt worden ist, nicht aufhörte, in der Lehre des Gesetzes und der Propheten fortzu schreiten, wie er denn auch den Timotheus, einen Lehrer von so einzigartiger Vor bildlichkeit, zum Festhalten am Lesen der Schrift ermahnt (1Tim. 4,13). Und wie denkwürdig ist das Lob, das er der Schrift darbringt, wenn er sagt, sie sei »nützlich zur Lehre, zur Ermahnung, zur Besserung, daß ein Knecht Gottes vollkommen sei …« (2Tim. 3,16)! Was ist es doch für ein teuflischer Wahn, von einer bloß zeitlichen und vorübergehenden Geltung der Schrift zu phantasieren – wo sie doch die Kinder Gottes bis zum äußersten Ziele führt! Auch sollten doch jene Schwärmer angeben, ob sie eigentlich einen anderen Geist empfangen haben als den, den der Herr seinen Jüngern verheißen hat. Ich glaube zwar, daß sie vom tollsten Wahn gequält sind – aber das in Anspruch zu nehmen, so toll werden sie doch nicht sein! … Das Amt des Geistes, der uns verheißen ist, besteht also nicht darin, neue und unerhörte Offenbarungen zu erdichten oder eine neue Lehre aufzubringen, durch die wir von der überlieferten Lehre des Evangeliums abkommen müßten – sondern sein Amt ist eben, die Lehre in uns zu versiegeln, die uns im Evangelium ans Herz gelegt wird!

Die selbstgemachte Klimakatastrophe

Auch wenn mancher Eisberg schmilzt: Eine Reihe von Katastrophenmeldungen über die Erderwärmung wecken zunehmend Zweifel. So war etwa die Prognose über die Gletscherschmelze am Himalaja haltlos, wie die UN-Forscher jetzt eingestehen mussten. Der Ruf des Weltklimarats ist erschüttert.

Ulli Kulke schreibt für DIE WELT:

Es war nur Zufall, wirkt aber heute wie ein schlechter Scherz: Am 26. März 2009 wurden zwei Interviews mit Hans Joachim Schellnhuber veröffentlicht. Der Nachrichtenagentur dpa gegenüber sprach der Chef des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) recht selbstbewusst von der »einmaligen Situation, dass wir mit den streng wissenschaftlichen Methoden sehr weit in die Zukunft blicken können. Wir sind in der Lage, mit Modellen zu erkennen, dass bei fortschreitender Erwärmung in 100 Jahren alle Himalaja-Gletscher verschwunden sein dürften.« Am selben Tag aber erschien auch ein eher persönliches Gespräch mit Schellnhuber in der »Zeit«. Dort erzählte Deutschlands bekanntester Mitarbeiter des UN-Weltklimarates (IPCC) von seiner Hoffnung, dass seine eigenen düsteren Prognosen über die Erderwärmung und ihre Folgen nicht wahr würden, „dass sich die Wissenschaftsgemeinschaft in der Klimafrage kollektiv geirrt hat“. Er fuhr fort: »Verstehen Sie mich richtig, es gibt keinerlei Anzeichen dafür.« Was sich wie Koketterie las, erscheint jetzt, zehn Monate später, als bizarres Omen.

Heute nämlich wissen wir: Schellnhuber hoffte nicht ganz vergebens. Zumindest die Prognosen über die Gletscher im Himalaja waren haltlos. Das musste der IPCC vor eineinhalb Wochen eingestehen. Doch die Gletscher waren offenbar nur ein Teil jener Entwicklung, in der die Glaubwürdigkeit des Weltklimarates nun insgesamt abstürzt. In den vergangenen zehn Tagen wurde bekannt, dass für eine ganze Reihe von Aussagen und Vorhersagen des Rates, bei Licht besehen, der wissenschaftliche Beweis fehlt. Das gilt nicht nur für Fußnoten der IPCC-Berichte, sondern auch für gewichtige Behauptungen wie die, dass die Klimaerwärmung die Gefahr von Naturkatastrophen erhöht habe.

Mir fällt dazu ein Zitat von Jean François Lyotard ein (Das Postmoderne Wissen, S. 135):

Man kauft keine Gelehrten, Techniker und Apparate, um die Wahrheit zu erfahren, sondern um die Macht zu erweitern.

Hier der vollständige Artikel: www.welt.de.

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