Vom Reiz des Götzendienstes

Bei der Debatte über die „Gott ist queer“-Predigt (vgl. hier und hier) musste ich mehrfach an Ludwig Feuerbachs Kritik der christlichen Religion denken. Feuerbach war davon überzeugt, dass der Mensch ganz auf den Menschen geworfen ist und deshalb Gott nur eine Projektion sein kann. In seinen eigenen Worten heißt das (Vorlesungen über das Wesen der Religion, 3. Aufl., Bd. 6, Gesammelte Werke, Berlin: Akademie Verlag, 1984, S. 212):

Denn nicht Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, wie es in der Bibel heißt, sondern der Mensch schuf, wie ich im „Wesen des Christentums“ zeigte, Gott nach seinem Bilde. Und auch der Rationalist, der sogenannte Denk- oder Vemunftgläubige, schafft den Gott, den er verehrt, nach seinem Bilde; das lebendige Urbild, das Original des rationalistischen Gottes ist der rationalistische Mensch. Jeder Gott ist ein Wesen der Einbildung, ein Bild, und zwar ein Bild des Menschen, aber ein Bild, das der Mensch außer sich setzt und als ein selbständiges Wesen vorstellt.

Wenn – im Gefolge der Schleichermachschen Theologie – das biblische Gottesbild nur Ausdruck dessen ist, was Menschen über Gott empfinden, hat Feuerbach recht und dann darf der Schriftbefund gern mit weiteren Projektionen bereichert werden. Dann darf man auch sagen: Gott ist queer. Das ist einfach ein weiteres Gefühl, das dem „Gefühlsspeicher“ der Bibel hinzugefügt wird. Der Mensch schafft sich eben einen Gott – so würde Feuerbach sagen – nach seinem eigenen Begehren.

Angesichts von 2Mose 20,3–4 ist das ein gefährliches Manöver, denn dort lesen wir: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist.“

Warum sind die Produkte unserer menschlichen Götzenfabriken so attraktiv? David Wells hat diese Frage so beantwortet (God in the Wasteland, 1994, S. 53–54):

Warum sind den Menschen die Ersatzgötter lieber als Gott? Der wohl wichtigste Grund ist, dass man sich so der Rechenschaftspflicht gegenüber Gott entzieht. Wir können den Götzen zu unseren eigenen Bedingungen begegnen, weil sie unsere eigenen Schöpfungen sind. Sie sind sicher, vorhersehbar und kontrollierbar; sie sind, in Jeremias farbenfroher Sprache, die „Vogelscheuchen im Gurkenfeld“ (10,5). Sie sind tragbar und vollständig unter der Kontrolle des Benutzers. Sie haben nichts von der Bedrohung durch einen Gott, der vom Sinai herab donnert und dessen Vorsehung in dieser Welt uns so oft unverständlich und gefährlich erscheint. Menschen, die „im Zentrum ihres Lebens und ihrer Loyalität bleiben, autonome Architekten ihrer eigenen Zukunft“, … vermeiden dadurch die Konfrontation mit Gott und seiner Wahrheit. Sie müssen nur sich selbst gegenübertreten. Das ist der Reiz des Götzendienstes.

Aber die Früchte des Ersatzes von Gott durch das eigene Ich – in welcher Form auch immer – und der damit verbundene Verlust der Rechenschaftspflicht gegenüber Gott, können sehr bitter werden. G.K. Beale hat argumentiert, dass die Anklage des Propheten Jesaja gegen Israel wegen seines Götzendienstes beispielhaft für die gesamte alttestamentliche Anklage gegen das Volk Gottes wegen seiner Treulosigkeit ist. Die Ironie besteht darin, dass diejenigen, die Götzen anbeten, so leblos werden wie die Götzen, die sie anbeten, und dass diejenigen, die sich in der Anbetung dieser Götzen entflammen, von den Feuern des göttlichen Gerichts verzehrt werden. Sie bilden sich ein, die große geistige Wirklichkeit zu erkennen, sind aber in Wirklichkeit unheilbar blind. Und so ist es in jedem Zeitalter. Nachdem sie Gott verdrängt haben, können die Sünder die Tiefe ihrer Sünde nicht mehr ermessen, auch wenn sie ein gequältes Gewissen haben. In der Folge des geistigen Zerfalls wird typischerweise „das Schuldbewusstsein verdrängt und ins Unterbewusstsein getrieben“, sagt Emil Brunner, und „dort nimmt es die seltsamsten Formen an“. Der Zorn Gottes beispielsweise „drückt sich in den Gestalten der Furien und der rächenden Gottheiten aus“. Diese Furien tauchen in Obsessionen auf, die zutiefst böse sein können und die immer zerstörerisch sind.

An diesem Punkt sollte klar sein, dass Weltlichkeit nicht einfach eine unschuldige kulturelle Eskapade ist, und noch weniger eine Angelegenheit, bei der es sich lediglich um unbedeutende Verhaltensverstöße oder die Übertretung trivialer Regeln der Kirche oder der erwarteten Praktiken der Frömmigkeit handelt. Weltlichkeit ist eine religiöse Angelegenheit. Die Welt, wie die Autoren des Neuen Testaments sie beschreiben, ist eine Alternative zu Gott. Sie bietet sich selbst als ein alternatives Zentrum der Treue an. Sie liefert einen gefälschten Sinn. Sie ist das Mittel, das Satan in seinem Kampf gegen Gott einsetzt. Teil dieser „Welt“ zu sein, bedeutet, Teil der satanischen Feindschaft gegen Gott zu sein. Deshalb ist die Weltlichkeit so oft götzendienerisch, und deshalb sind die biblischen Sanktionen gegen sie so streng. „Wisst ihr nicht“, fragt Jakobus, „dass die Freundschaft mit der Welt Feindschaft mit Gott ist? Wer also ein Freund der Welt sein will, macht sich zum Feind Gottes“ (Jak 4,4).

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16 Kommentare
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Udo
1 Jahr zuvor

In der Diskussion wird gerade auch von Thorsten Dietz der Eindruck erweckt, dass man sich solchen theologischen Ausführungen anschließen müsste, um sich gegen Diskriminierung zu wenden. Anscheinend sind alle Kirchen in unserem Land ausländerfeindlich und vor allem feindlich gegenüber Schwarzen und brauchen die rettende Offenbarung eines neuen Gottesbildes?
Noch interessanter, ganz postmodern, die sächsische Landeskirche: „Die Abschlusspredigt sollte nicht bewertet werden“. Damit waren natürlich nur kritische Bewertungen gemeint. „Schonzeit für Unsinn“, das neue Motto der evangelischen Kirchen in Deutschland?

Mick
1 Jahr zuvor

@Udo: gib doch mal „Butter bei die Fische“, wo Thorsten Dietz das so gesagt hat. Ich habe einen Artikel von ihm zur Frage „Ist Gott queer?“ gefunden, da schreibt er: „Umgangssprachlich gilt queer heute oft als Sammelbegriff für alle, die lesbisch, schwul oder trans sind. Manche empörten sich daher über diese Aussage und empfanden sie als einen Satz, der Gott einengt und Menschen ausgrenzt. Im Kontext der neueren Debatte steht das Wort queer vor allem für die Kritik an feste Normalitätsidealen. Queer ist ein Gegenbegriff zu patriarchalischen Rollenvorstellungen, in denen Männer mehr zählen als Frau. Queer stellt die strikte Aufteilung aller Menschen in männlich oder weiblich ohne Sinn für Ausnahmen in Frage. Queer ist die Zurückweisung einer Vorstellung, für die Heterosexualität normal und alles andere pervers ist. Queer bedeutet dann: Anders ist normal. In der neueren Theologie wird auf das biblische Zeugnis von Gott verwiesen: „Gott bin ich, nicht ein Mann“, heißt es in Hosea 11,9. Gott stehe jenseits der… Weiterlesen »

Mick
1 Jahr zuvor

…. ups, eben erst gesehen dass Dietz‘ Aufsatz von Ron oben schon verlinkt war ….

Schandor
1 Jahr zuvor

Was für ein Schrott.

Johannes
1 Jahr zuvor

@Mick: In Hosea 11,9 steht in allen einschlägigen Bibelübersetzungen (Bibelserver) „Mensch“ und nicht „Mann“. In der KJV steht zwar „man“, aber aber in diesem Zusammenhang eindeutig ebenfalls mit „Mensch“ zu übersetzen ist, sonst müsste „a man“ stehen. Von daher passt der Vers nicht zur Verteidigung der Predigt.

Eustace Scrubb
1 Jahr zuvor

Hm, könnte das vielleicht einmal jmd mit Grundtextkenntnissen kommentieren?
Bei Strong finde ich „ish“ und mW ist das die männliche Form des (aus dem jiddischen) heute teilweise noch gebräuchlichen „Ische“ (Frau).

Ben
1 Jahr zuvor

Einerseits behauptet man Anschlussfähigkeit ans tradierte Christentum („Gott ist queer“ = Gott ist für die Unterdrückten/maginalisierten, alle Menschen spiegeln Gottes wesen wieder), anderseits werden zentrale Elemente grundlegend umdefiniert (Geschlecht-Menschenbild, Sexualmoral).

Bezeichnend fand ich auch das der Prediger mit Geschwistern nicht die Gläubigen gemeint hat sondern seine queere Community.

Eustace Scrubb
1 Jahr zuvor

Danke @RonKubsch

Mick
1 Jahr zuvor

: Die Übersetzungsfrage, ob in Hosea nun „Mann“ oder „Mensch“ steht, ist meines Erachtens nicht wirklich zielführend und auch nicht tragend für die Argumentation von Dietz, das könnte man im zitierten Text m.E. austauschen ohne dass es eine substantielle Änderung ergibt.

Johannes
1 Jahr zuvor

@Mick: Doch, das ist sogar ein entscheidender Unterschied: In Hosea geht es um die Unterscheidung zwischen göttlicher und menschlicher Sphäre, nicht aber um eine Geschlechtszuordnung Gottes. Begriffe wie „queer“ (zumal es sich um einen „Modebegriff“ handelt) können Gott niemals gerecht werden. Genau deshalb handelt es sich bei dieser Kategorisierung im Prinzip auch um einen Verstoß gegen das 2. Gebot.

Mick
1 Jahr zuvor

@Johannes: Probieren wir es aus. „Gott bin ich, nicht ein Mensch“, heißt es in Hosea 11,9. Gott stehe jenseits der Geschlechterdifferenz. Er ist weder männlich noch weiblich. Und zugleich sind Männer und Frauen zu seinem Bild geschaffen (Genesis 1,27), alle Menschen spiegeln etwas wider von Gottes Wesen. Genau das meint der Satz „Gott ist queer“. Gott passt nicht hinein in unsere Schubladen. Gott steht jenseits der binären Geschlechterlogik und ist uns nahe zugleich. Darum war diese Aussage für viele queere Menschen so tröstlich. An der Argumentation ändert sich nichts. Es geht – wie du geschrieben hast – nicht um eine Geschlechterzuordnung Gottes. Es wäre völlig widersinnig, Gott ein menschliches Geschlecht oder gar eine menschliche sexuelle Orientierung zuzuordnen. Das macht Dietz in seinem Text auch nicht (wie gesagt, ich beziehe mich nur auf diesen, nicht auf die Kirchentagspredigt). Der Satz soll gar keine Definition der Geschlechtlichkeit Gottes liefern, und wenn er so verstanden wäre, wäre er völlig absurd. Dietz legt ihn… Weiterlesen »

Chris
1 Jahr zuvor

Hi! … dass Gott sich allen Menschen zuwendet – auch und zugespitzt ganz besonders denen, die sich als ausgestoßen und nicht liebenswert betrachten, weil sie in die „normalen“ Schubladen nicht reinpassen. Mit Verlaub, aber genau diese Haltung hatten nach meiner Bekehrung ausnahmslos alle Leute aus dem christlichen Bereich, denen ich als Schwuler die ersten Jahre begegnet bin, bis ich nach und nach zu den freikirchlichen Gemeinden fand – und das, obwohl dieser ganze LGBTQ-Kram vor knapp 17 Jahren die Menschen in den Kirchen noch nicht so dermaßen extrem beschäftigt hat. Ich weiß, dass es so schrecklich pathetisch und schwülstig klingt, aber bei all diesen Leuten, die mir zu jener Zeit andauernd einen „so lieben und netten Gott“, der ja „alle Menschen ganz doll lieb hat“ präsentierten und predigten, war ich immer durch den Heiligen Geist unruhig, auch wenn ich ihnen erstens nichts bewusst Böses unterstellen möchte und ich mich zweitens natürlich auch geschmeichelt gefühlt habe, denn wer will nicht hören,… Weiterlesen »

Matze
1 Jahr zuvor

Hallo @ Chris,
Zu Deinem Beitrag kann man nur laut „Amen“ rufen und es hilft die am besten ausformulierte Theologie nichts, wenn man den Kern nicht so beschreiben kann wie Du!!

Und ergänzend dazu: es grenzt mittlerweile an Arroganz wie mancher Theologe sein Spezialwissen unverständlich verpackt anstatt so zu reden, dass es einfache Leute verstehen. Das muss doch der Sinn von Theologie sein, dass die Wahrheit gut verständlich vermittelt wird. Ich komme mir manchmal vor wie bei einigen Ultra Fußballfans in meinem Umfeld. Da verstehe ich auch nix.

Helge Beck
1 Jahr zuvor

„Es wäre völlig widersinnig, Gott ein menschliches Geschlecht oder gar eine menschliche sexuelle Orientierung zuzuordnen.“ Absolut. Menschliches Geschlecht und menschliche sexuelle Orientierung sind aber Teil der menschlichen Natur.

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