Slavoj Žižek und der christliche Atheismus

Der Philosoph und Psychoanalytiker Slavoj Žižek meint, Papst Franziskus könne man auch als Atheist verehren, denn er stünde für ein Verständnis von Liebe, dass auch für Menschen zugänglich sei, die nicht an Gott glauben. Er schreibt:

„In Anlehnung an die bahnbrechende Idee von Pater Raffaele Nogaro über die dringende Notwendigkeit, Christus selbst zu befreien, schlage ich vor, dass Christus als verschwindender Vermittler in jeder echten Liebe wirkt – er ist immer anwesend, wenn es Liebe zwischen Menschen gibt: „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich unter ihnen“ (Matthäus 18,20). Christus ist also weder Subjekt noch Objekt der Liebe, er ist die Liebe selbst: „Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht, denn Gott ist die Liebe“ (Johannes 4,8): „Jesus hat das erste Gebot des alten Gesetzes ‚Du sollst deinen Gott, den Meister, lieben‘ (Deuteronomium 6,5) durch ein Gebot ersetzt, das als unmittelbaren Empfänger der Liebe nicht Gott, sondern den Nächsten nennt.“ Nogaro zitierte in unserem Gespräch Dietrich Bonhoeffer, der zum Schluss in diese Richtung geht: „Ein Christ ist nicht ein religiöser Mensch, sondern einfach ein Mensch, ‚ein Wesen für andere‘, wie Jesus.“

Aber von welcher Art der Liebe sprechen wir hier? Im Dialog zwischen Jesus und Petrus in Johannes 21,9 werden zwei verschiedene Wörter für „Liebe“ verwendet: agapaô (die Verbform des Substantivs agape) und phileô (die Verbform des Substantivs philia). Der Dialog läuft folgendermaßen ab: Jesus fragte: „Agapâis du mich?“ Petrus antwortete: „Ich phileô dich.“ Jesus fragte: „Agapâis du mich?“ Petrus antwortete: „Ich phileô dich.“ Jesus fragte: „Phileis du mich?“ Petrus antwortete: „Ich phileô dich.“ Ich stimme mit denjenigen überein, die behaupten, dass diese Änderung des fraglichen Verbs auf die gnädige Herablassung Jesu auf jene Ebene hinweist, auf der Petrus an diesem Punkt bereit war, zu antworten. Philia ist die Liebe zu einem anderen Menschen, in Abwesenheit Christi als verschwindendem Vermittler.

Genau genommen gibt es in der Heiligen Schrift vier Begriffe für die Liebe: Eros (sexuelle Liebe), Storge (elterliche, familiäre Liebe), Philia (ungeschlechtliche Zuneigung/Freundschaft) und Agape (die bedingungslose Liebe, die Menschen vereint, die ihr Leben einer Sache widmen). Auf der Ebene der Agape spielen Gefühle (sexuell oder nicht) keine Rolle mehr, was bleibt, ist einfach der Heilige Geist, eine egalitäre Gemeinschaft von Kameraden, die sich einer Sache verschrieben haben.“

Ich habe gerade nicht die Zeit, um detailliert auf diese Aussagen einzugehen. Aber es fallen auf Anhieb vier Dinge auf, die ich zumindest erwähnen möchte:

Erstens wird deutlich, dass Slavoj Žižek als Psychoanalytiker irgendwie von Erich Fromm beeinflusst ist, einem Vertreter der Frankfurter Schule. Fromm hat sinngemäß das biblische „Gott ist die Liebe“ (1Joh 4,8) umgekehrt und humanistisch-transzendent gedeutet: Da wo Liebe ist, ist Gott. Der Glaube an einen Gott ist der Glaube an das höchste in uns selbst. (vgl. Die Kunst des Liebens u. Psychoanalyse und Religion).

Zweitens übernimmt Slavoj Žižek, so wie viele Prediger auch, die semantische Unterscheidung zwischen agapaô und phileô (vgl. Nygren). Demnach beziehe sich agapaô immer auf eine höhere oder göttliche Liebe und phileô auf eine sinnlichere oder horizontale Liebe. Das gilt als widerlegt. So schrieb beispielsweise D.A. Carson (Die komplexe Lehre von der Liebe Gottes, 2022S. 29, [#ad]):

Selbst innerhalb des griechischen Alten Testaments ist es keineswegs eindeutig, dass sich die Wortgruppe agapaô immer auf eine „höhere“ oder edlere oder weniger emotionale Form der Liebe bezieht. Zum Beispiel vergewaltigt Amnon in 2.Sam 13 (LXX) seine Halbschwester Tamar inzestuös. Er „liebt“ sie, wird uns gesagt. Seine Tat ist ein bösartiger Akt, offensichtlich sexuell, emotional und gewalttätig – und sowohl agapaô als auch phileô werden verwendet.

Damit ist ist auch widerlegt, dass es im Spektrum von Agape keine Leidenschaft gibt.

Drittens kommt, anders als Žižek es oben behauptet, der Begriff érōs in der Bibel (streng genommen) nicht vor, auch wenn dort natürlich auch auf die leidenschaftliche und erotische Liebe bezug genommen wird. Zu finden ist érōs lediglich in der LXX (also der griechischen Übersetzung des hebräischen AT) in Spr 7,18 u. Spr 24,51.

Viertens empfehle ich im Blick auf die religionslose Interpretation des Christseins bei Bonnhoeffer die Untersuchung Widerstand und Versuchung: Als Bonhoeffers Theologie die Fassung verlor (2022, [#ad]). Frisch deutet den erstrebten und in Widerstand und Ergebung dokumentierten Versuch eines religionsfreien Glaubens bei Bonhoeffer als Anfechtung. Frisch im O-Ton: „Man kann nicht dem metaphysischen Gott den Laufpass geben und sich zugleich von guten Mächten wunderbar geborgen in diesem Gott wiederfinden“ (S. 59, siehe die Buchbesprechung hier: RalfFrisch_Bonhoeffer.pdf).

Die postmoderne Vereinnahmung von James K.A. Smith

Wer bisher daran gezweifelt hat, dass sich James K.A. Smith (Calvin University, USA) für die Anliegen der LGBTQ+-Lobby geöffnet hat, ist in den letzten Wochen eines Bessere belehrt worden. Smith hat einen knappen, aber klaren Brief veröffentlicht, in dem er fordert, dass seine Hochschule sich von der kirchlichen Denomination, der sie angehört, trennt. Der Grund: Die Denomination, die Christian Reformed Church of North America, sei in Fragen der Sexualethik enger geworden und lasse die wünschenswerte Vielfalt nicht mehr zu, die eine zukunftsfähige Hochschule benötige, um anschlussfähig zu sein.

Wer mehr darüber wissen möchte, sollte den Kommentar von Stephen McAlpine lesen: James K.A. Smith „sagte uns, dass man ist, was man liebt. Und er sagte, dass das, was man liebt, durch das geprägt wird, was man tut. … Unsere Sehnsüchte formen uns zu Handlungen, die wiederum unsere Sehnsüchte verankern, die unsere Handlungen verstärken. … An diesem Punkt wird Smith in seine eigene Schlinge hineingezogen.“

Im Unterschied zu Stephen McAlpine bin ich von der Entwicklung nicht überrascht. Da sich James K.A. Smith schon vor vielen Jahren dem Postmodernismus verschrieben hat (vgl. sein Who’s Afraid of Postmodernism: Taking Derrida, Lyotard, and Foucault to Church, 2006), war es nur eine Frage der Zeit, bis das, was er liebt, auch seine Ethik prägt.

Falls jemand mehr darüber wissen möchte, kann er sich durch die Abhandlung Warum das Christentum für François Lyotard eine Emanzipationserzählung informieren.

Der Sozialismus kehrt zurück

In vielen westlichen Ländern vollzieht sich eine Entwicklung, die schleichend und weitgehend unbemerkt geschieht: die Rückkehr des Sozialismus. Damit ist nicht die vollständige Verstaatlichung von Unternehmen und Fabrikanlagen gemeint, wie sie Karl Marx forderte. Soweit sind wir noch nicht. Aber die völlige Gleichheit und soziale Gerechtigkeit werden zunehmend über die persönliche Freiheit gestellt. Die „Gesellschaft“, was auch immer das ist, soll die Probleme lösen. 

Wie kommt es zu dieser Rainessance? Morten Freidel schreibt in der NZZ:

Ein Grund ist, dass die Kargheit und die Grausamkeit sozialistischer Staaten in Vergessenheit geraten. Die Millionen Toten, die Stalin und Mao auf dem Gewissen haben, werden zu einer abstrakten Kennziffer. Die Schrecken des Sozialismus verblassen, seine Verheissungen erstrahlen dafür in den leuchtendsten Farben. Das erklärt seinen Aufstieg aber nur teilweise.

Der eigentliche Grund liegt tiefer: Viele Menschen haben vergessen, was Freiheit wirklich bedeutet. Das liberale Prometheus-Institut fragte junge Deutsche vor wenigen Tagen in einer repräsentativen Umfrage, wie sie dazu stehen. Auf den ersten Blick war ihnen die Freiheit besonders wichtig. Aber dieser Eindruck täuscht.

Was junge Leute unter Freiheit verstehen, hat damit nur bedingt etwas zu tun. Sie sahen darin vor allem die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen, zum Beispiel zu reisen. Seltener hingegen die Abwesenheit von Zwang und Verantwortung für das eigene Handeln. Mit anderen Worten: Viele junge Menschen lehnen die Zumutungen der Freiheit ab. Sie wollen frei sein, aber nicht für ihre Entscheidungen haften. Nur ist eine Freiheit ohne Haftung keine. Sie führt direkt in die Vormundschaft des Staates.

Mehr: www.nzz.ch.

Mehr aus ein Zellhaufen

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Mit dem Abschlussbericht der von der Bundesregierung eingesetzten Kommission „Reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ ist die Debatte um das Thema Abtreibung wieder hochaktuell und medial präsent. Das Buch Mehr aus ein Zellhaufen von Sabina M.M. Scherer ist daher zur rechten Zeit erschienen. Es bietet dem Leser eine strukturierte Übersicht über populäre Positionen und Argumente in dieser oft hochemotionalen Auseinandersetzung. Die Autorin spannt einen weiten Bogen und behandelt ein breites Spektrum an Themen, die in dieser Debatte eine Rolle spielen.

Johannes Gonser hat das Buch gelesen und rezensiert: 

Das Buch von Sabina Scherer ist ein konsequent praxisorientierter Beitrag zur Debatte um den Schwangerschaftsabbruch und kann hier auf ganzer Linie überzeugen. Ihre Einwände gegen die ausgefeilten philosophischen Argumente für ein Recht auf Abtreibung sind meiner Einschätzung nach jedoch nicht immer folgerichtig und stehen teilweise auch in Spannung zur mutmaßlich eigenen Überzeugung. Vielleicht ist es beabsichtigt, aber an einigen Stellen hätte ich mir von der Autorin auch eine klarere eigene Positionierung gewünscht. Scherer lässt bspw. die Frage offen, ob zur Wahrung der Würde einer Frau nach einer Vergewaltigung eine Abtreibung als Option bestehen sollte. In Anbetracht der ansonsten im Buch vorgetragenen Argumentation dürfte dies jedoch kaum zu rechtfertigen sein.

In den meisten Gesprächen werden die von mir geäußerten Bedenken jedoch vermutlich nicht zum Tragen kommen und daher kann ich diesem Werk nur eine weite Verbreitung wünschen. Außer dem Buch Genug geschwiegen! Schwierigen Abtreibungsfragen selbstsicher begegnen ist mir jedenfalls keine Publikation im deutschsprachigen Raum bekannt, welche vor allem junge Menschen in einer leicht verständlichen Sprache einen Leitfaden für einen wertschätzenden und konstruktiven Dialog in der Abtreibungsfrage an die Hand geben möchte. Wer sich daher in dieser Weise in den Diskurs einbringen möchte, findet hier sehr empfehlenswerte Hilfestellungen.

 

England: Nur biologische Frauen sind Frauen

Wer ist eine Frau im Sinne des Gleichstellungsgesetzes? Diese Frage hat jetzt der Oberste Gerichtshof Großbritanniens entschieden. Die Antwort gefällt Gruppen wie Amnesty International überhaupt nicht. Die Autorin J.K. Rowling, die die Kläger auch finanziell unterstützt hatte, begrüßte hingegen das Urteil. Es ist ein Sieg des gesunden Menschenverstandes. 

DIE WELT berichtet: 

Wenn es um die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen geht, zählt in Großbritannien das biologische und nicht das soziale Geschlecht. Das hat das oberste Gericht des Landes entschieden.

Wie die Richter des Supreme Courts in London einstimmig feststellten, zielt das britische Gleichstellungsgesetz (2010 Equalities Act) in erster Linie auf den Schutz biologischer Frauen. Das bedeute jedoch nicht, dass Transfrauen nicht auch indirekt davon profitierten, betonte der Vorsitzende Richter Patrick Hodge.

„Die Definition von Geschlecht im Gleichstellungsgesetz von 2010 stellt klar, dass das Konzept von Geschlecht binär ist, eine Person ist entweder eine Frau oder ein Mann“, hieß es in dem Urteil. Regelungen zum Schutz von Frauen schließen demnach per Definition Männer aus.

Mehr: www.welt.de.

Babys mit 10 Prozent Ermäßigung

Ein Schwulenmagazin bietet Babys mit 10 Prozent Rabatt an. WELT-Politikredakteur Frederik Schindler beschreibt den Menschenhandeln der Leihmütteragenturen: 

Ein Thema, das mich ebenfalls beschäftigt, behandeln die Kollegen leider gänzlich unkritisch: Leihmutterschaft – also die in Deutschland verbotene Praxis, bei der eine Frau eine Schwangerschaft für Andere austrägt und das Kind nach der Geburt an die „Bestelleltern“ abgeben muss. Für die dahinterstehenden Agenturen – beispielsweise aus den USA, der Ukraine oder Georgien – ist es ein blühender Geschäftszweig, basierend auf vollkommen ungleichen Machtverhältnissen.

Bereits vor sieben Jahren befremdete mich auf „queer.de“ der Aprilscherz einer angeblichen „Verlosung einer Leihmutter an ein schwules Paar im Wert von 36.000 Euro“. Abgebildet war damals eine thailändische Frau, in der Bildunterschrift hieß es: „Nuttanun Kanjanapiboon aus Buriram könnte bald Dein Kind austragen.“ Die Ausbeutung armer und schutzbedürftiger Frauen als Gebärmaschinen sowie Babys als Opfer von Menschenhandel hält die Redaktion des LGBT-Portals offenbar für einen Witz.

Wenig verwunderlich, schließlich wird in sonstigen Berichten des Magazins zu dem Thema allermeistens lediglich die fehlende Legalisierung in den meisten Ländern beklagt. Und es ist ja tatsächlich eine kritikwürdige Ungleichbehandlung, wenn die Leihmutterschaft in vielen Ländern heterosexuellen Paaren offensteht, während sie für gleichgeschlechtliche Paare ausgeschlossen ist. Wer an Gleichberechtigung interessiert ist, sollte die Leihmutterschaft allerdings nicht öffnen, sondern für alle Gruppen verbieten.

Argumente, die aus feministischer Perspektive gegen die Praxis vorgebracht werden, finden auf „queer.de“ kaum Gehör. Die Kritik von Frauenrechtlerinnen wird ausgerechnet von denjenigen ignoriert, die sich in ihrer journalistischen Arbeit schwerpunktmäßig mit Diskriminierung beschäftigen.

Das passt zu einem queer-aktivistischen Ansatz, in dem der Einsatz für die Rechte biologischer Frauen und der damit verbundene Kampf gegen sexuelle Gewalt und Gewalt im Namen der Ehre, weibliche Genitalverstümmelung, Prostitution, Pornografie, die Objektifizierung und Sexualisierung von Frauenkörpern sowie eine Tabuisierung von Menstruation und weiblicher Sexualität wahlweise als angeblich rassistisch, ausschließend gegenüber „Sexarbeiterinnen“ oder transfeindlich gebrandmarkt wird. Jahrzehntelange Kernanliegen feministischer Bewegungen fallen so hinten runter.

Mehr: www.welt.de.

Ist der „späte“ Augustinus ein Missverständnis?

In der Augustinusforschung der letzten 100 Jahre wird immer wieder die so genannte „Diskontinuitätsthese“ ins Spiel gebracht und diskutiert. Diese These entstand als Gegenbewegung zu einer bis dahin eher einheitlich gedachten Augustinusrezeption.

Ein erster Vertreter der Diskontinuitätsthese war Hermann Dörries (1895–1977). In seinem Buch Die Entstehung der augustinischen Gnadenlehre (1930) diagnostizierte er einen Wandel in Augustinus’ Gnaden- und Freiheitsverständnis vor und nach der Auseinandersetzung mit Pelagius. Um das Jahr 412/413 habe es die markante Wende in Augustins Theologie gegeben. Auch der bekannte Biograph Peter Brown verteidigt die Diskontinuität zwischen dem frühen und dem späten Augustinus (Augustinus von Hippo, 1982).

Die Diskontinuitätsthese steht im Spannungsfeld zur „Kontinuitätsthese“, die einen scharfen Bruch oder mehrere sanfte Brüche in der Gnadentheologie des Kirchenvaters verneint. Einer der bekanntesten Vertreter der kontinuierlichen Entwicklung der Gnadentheologie bei Augustinus ist Volker Drecoll, der Herausgeber des Augustinus Handbuchs (2007).

Vor einigen Jahren hat Kenneth Wilson in einer Promotionsarbeit die Diskontinuitätsthese noch weiter radikalisiert, indem er nicht nur einen Bruch durch das Werk Ad Simplicianum de Diversis Quaestionibus (dt. An Simplicianus über verschiedene Fragen) behauptet, sondern mittels Redaktionskritik dieses Werk ins Jahr 412 transferiert (die allg. angenommene Entstehungszeit liegt bei 396/397 n. Chr.). Nach Wilson war also Augustinus schon über 60 Jahre alt, als er seine prädestinatorische Theologie entwickelte. Im deutschsprachigen Raum hat z.B. Roger Liebi für diese radikale Diskontinuitätsthese von Ken Wilson geworben (vgl. Hat Augustinus die abendländische „Ursünde“ erfunden?).

In den deutschsprachigen Akademikerkreisen hat sich besonders Kurt Flasch für einen radikalen Bruch innerhalb der Theologie Augustins ausgesprochen. Der Philosophiehistoriker hat sich schon früh vom christlichen Glauben verabschiedet und gilt als fundierter und unaufgeregter Kritiker des christlichen Glaubens (vgl. sein Warum ich kein Christ bin, 2013 u. sein Interview über den Glaubensverlust hier). In zwei neuen Veröffentlichungen hat er inzwischen auf Ken Wilsons These reagiert und damit seine Kritik an der der Ursündentheologie untermauert. Hartmut Leppin schreibt in seiner Rezension von Augustins letztes Wort: Prädestination und Augustin neu lesen: Diskussionsbeitrag zu Kenneth M. Wilson (beide erschienen im Verlag Vittorio Klostermann, 2024):

Die Reaktionen auf Wilsons Arbeit waren teils skeptisch, teils enthusiastisch zustimmend. Kurt Flasch hat aufgrund der Lektüre Wilsons seine bisherige Auffassung revidiert – und bekennt das freimütig. Welche Konsequenzen sich daraus ergeben, diskutiert er in zwei kurzen, mit pointierten Titeln versehenen Büchern. In „Augustins letztes Wort“ widmet Flasch sich späteren Schriften des Kirchenvaters, vor allem jenen zur Prädestination, aus denen er weitere Passagen übersetzt, sowie abendländischen Texten, auf die Augustin einwirkte, namentlich solche von Thomas von Aquino und Johannes Calvin, aus dessen Werk Flasch eine Sammlung einschlägiger lateinischer Zitate zusammenstellt.

Im zweiten, ausdrücklich als Diskussionsbeitrag gekennzeichneten Werk, „Augustin neu lesen“, dessen Vorwort nur knapp drei Wochen später datiert ist, erörtert Flasch explizit Wilsons Arbeit, ferner Passagen aus „Ad Simplicianum“, einem Werk Augustins, das als grundlegend für die Gnadenlehre gilt und das Wilson in zentralen Teilen umdatiert hat. Zudem behandelt er lange, neu übersetzte Abschnitte aus den „Bekenntnissen“, die nach bisheriger Meinung mit jenen Teilen zusammenhingen. In beiden Werken verbinden sich die höchst qualitätsvollen Übersetzungen (hier leider gewöhnlich ohne lateinisches Original) mit eindringlichen Interpretationen, die auf eine systematische Auseinandersetzung mit der verästelten Forschung verzichten, dieser auch nicht bedürfen. (FAZ vom 05.04.2025, Nr. 80, S. 12)

Inzwischen liegt außerdem eine umfangreiche Untersuchung zu Augustinus und dem Pelagianismus vor, in der ebenfalls die Spannung von Kontinuität und Diskontinuität berührt wird. David Burkhart Janssen hat 2024 seine Dissertation Inimici gratiae Dei: Augustinus’ Konstruktion des Pelagianismus und die Entwicklung seiner Gnadenlehre nach 418 veröffentlicht (Brill u. Schöningh, 2024). Janssen war mehrere Jahre Assistent am Lehrstuhl von Drecoll in Tübingen und hat das Dissertationsprojekt unter dessen Betreuung durchgeführt.

Inimici gratiae Dei (dt. Feinde der Gnade Gottes) ist mit über 900 Seiten eine sehr gründliche Auseinandersetzung zum Thema Gnadentheologie. Janssen hat die Quellen akribisch untersucht und die Entwicklung der antipelagianischen Gnadenlehre so detailiert nachgezeichnet wie m.W. bisher niemand sonst.

Für alle, die sich mit neuen Perspektiven auf Pelagius oder Augustinus beschäftigen, ist es eine wahre Fundgrube. Die Kirchengeschichtsschreibung sah bis zur Jahrtausendwende den Pelagianismus überwiegend kritisch. Adolf von Harnack sagte noch: „Aber man wird urtheilen müssen, dass ihre Lehre [d.h., die der Pelagianer] den Jammer der Sünde und des Uebels verkennt, dass sie im tiefsten Sinne gottlos ist, dass sie von Erlösung nichts weiss und wissen will“ Dogmengeschichte, Bd. 3, 1890, S. 183).

In den letzten Jahren hat es mehrere Rehabilitierungsversuche der pelagianischen Theologie gegeben. So wird Augustinus vorgeworfen, in seinen späten Jahren Manichäer gewesen zu sein (der so genannte Manichäismusvorwurf). Am Bekanntesten ist The Myth of Pelagianism von Ali Bonner (2018). Bonner hat behauptet, dass im 4. Jahrhundert Pelagius eine Mehrheitsmeinung vertreten habe und vielmehr Augustinus mit seiner Betonung des geknechteten Willens und der Vorherbestimmung die Ausnahme gewesen sei. Bonner behauptet sogar, dass die Positionen, die Pelagius durch seine Gegner zugeschrieben bekam, in seinen Schriften gar nicht zu finden seien und es keine pelagianische Bewegung im engere Sinne gegeben habe. Allerdings konnte sie die Fachwelt nicht überzeugen. Andrew C. Chronister zieht in seiner Buchbesprechung das Fazit: „Alles in allem hat Bonner’s Studie den Leser nicht überzeugt“ (Augustinian Studies, Bd. 51, Ausgabe 1, 2020, S. 119). David Bukrhart Janssen schreibt (S. 27, Fn. 79):

Auch wenn – bis heute – umstritten ist, inwiefern sich Augustinus’ Theologie aus der Tradition speist, ist doch zu statuieren, dass im vierten Jahrhundert unterschiedliche Lehransätze mit einem häufig nicht ganz geklärten Nebeneinander von Gnade und menschlichem Wirken bestanden …; ebenfalls bezogen sich Augustinus und Pelagius wie ihre Vorgänger gemeinsam in diesen Fragen auf das paulinische Corpus.

Zu Kenneth Wilsons These konstatiert Janssen, dass die von ihm vollzogenen Umdatierung von Ad Simplicianum de Diversis Quaestionibus der Quellenlage widerspricht (vgl. S. 20, Fn. 54). Einen radikalen Bruch kann er bei Augustinus in der Gnadenfrage nicht finden, wohl aber eine konsequente und kontininuierliche Fortentwicklung seiner eigenen Sichtweise. Die Untersuchung schließt mit den Worten (S. 778):

Der antipelagianische, „späte“ oder alte Augustinus ist der gleiche Theologe wie der junge, der allerdings das, was er bereits in vielen Jahrzehnten angelegt hatte, in Reaktion auf die Pelagianische Kontroverse spezifizierte, zuspitzte und systematisierte. In den antipelagianischen Schriften begegnet eine situativ bedingte, aber dennoch konsequente und kontinuierliche Fortentwicklung der augustinischen Theologie.

Augustinus hat in besonderer Konsequenz die paulinische Grundansicht durchdacht, dass der Mensch Erlösung nicht aus sich selbst heraus erlangen kann, sondern der Gnade in und durch Christus bedarf. Die Schlussfolgerungen, die Augustinus daraus gezogen hat, insbesondere die Vorstellung von der Sündhaftigkeit und Gnadenbedürftigkeit aller, die Betonung des Kreuzes sowie die Prädestinationslehre, waren damals wie heute umstritten. Die Untersuchung von Augustinus’ Konstruktion und Widerlegung des Pelagianismus zeigt jedoch, dass Versuche, aus seiner Theologie den einen oder anderen Aspekt (etwa die Prädestinations- oder die tradux peccati originalis-Lehre) herauszulösen, weitreichende Änderungen an der soteriologischen Grundaussage des afrikanischen Kirchenvaters zur Folge haben: Der Mensch erlangt Rettung nur durch die Gnade des treuen und barmherzigen Gottes.

Verschwörungserzählung

Die feministische Gendersprache basiert auf einer Verwechslung von Genus und Sexus; es gebricht ihr an Legitimität, meint Gerald Ehegartner (NZZ, 14.04.25, S. 14):

Trotz all diesen Argumenten folgt die Genderlinguistik unbeirrt der trügerischen Verknüpfung von Sexus und Genus. Wer dieses Trugbild weiterhin als real liest, wird sich über die folgende Zählung des Dudens freuen: Etwa 46 Prozent aller Nomen sind feminin, 34 Prozent maskulin und 20 Prozent neutral. Weiters steht der Pluralartikel «die» im Deutschen mit dem femininen Artikel in Verbindung, genauso wie die 3. Person Plural «sie» mit der 3. Person Singular feminin gekoppelt ist. Hätten darob nicht auch die Männer Grund, sich nicht mitgemeint zu fühlen? Aber selbstredend war hier erneut kein «Kampf der Geschlechter» ausschlaggebend, sondern die kollektive Sprachintelligenz wählte unbewusst jenes Genus, das mit dem Plural (Kollektiva) korrespondiert.

Die Behauptung eines linguistischen Patriarchats ist eine moderne Verschwörungserzählung rund um das «generische Maskulinum», die als Grundlage für den ersten künstlichen Umbau der deutschen Grammatik dient. Dieser unterscheidet sich grundlegend von Orthografiereformen oder neuen Wortschöpfungen, da diese nicht in die Sprachstruktur eingreifen. Wir haben es hier mit einer auf fehlerhaften Annahmen basierenden Gesinnungsgrammatik zu tun, die nicht nur das Geschlecht sprachlich durchgehend sichtbar machen möchte, sondern in der Sprache auch eine bestimmte Ideologie abbilden möchte.

Die Gendersprache hat sich für die «Diesseitsreligion» des Wokeismus zu einem Fetisch oder einer Art Sakralsprache entwickelt. Der auf Falschannahmen beruhende Umbau der deutschen Grammatik und die Hinzufügung von Sonderzeichen, die nicht Teil der deutschen Orthografie sind, entziehen dem Bemühen um sprachliche Gleichstellung jedoch die Legitimität in der Sache.

Bekannt ist auch, dass sich die Mehrheit der Bürger und Sprachwissenschafter gegen die Gendersprache ausspricht. Dennoch wird der ideologische Umbau der Sprache nirgendwo sonst auf der Welt so systematisch vorangetrieben wie im deutschsprachigen Raum. Dabei war Deutsch stets eine widerständige, in der Mitte der Bevölkerung verwurzelte Sprache, die sich trotz lang andauernder Geringschätzung als Weltkultur- und Wissenschaftssprache etablieren konnte.

Ulrich Parzany: Das Buch Begründung des Glaubens hat mir entscheidend geholfen

Pfarrer Ulrich Parzany hat das Buch Begründung des Glaubens von Herman Ridderbos schon in den 60er Jahren gelesen. Dass es jetzt neu (und endlich in einer vollständigen Ausgabe) erschienen ist, kommentiert er in einer Rezension Folgendermaßen:

Als Theologiestudent hatte ich mich mit der radikalen Bibelkritik Rudolf Bultmanns und seiner Schüler auseinanderzusetzen. Die Autorität der Bibel wurde durch die Infragestellung der historischen Zuverlässigkeit der biblischen Berichte und durch Bezweiflung des neutestamentlichen Kanons als Wort Gottes untergraben. Damals, 1963, erschien das Buch des niederländischen Theologen, Herman Ridderbos, Begründung des Glaubens – Heilsgeschichte und Heilige Schrift, R. Brockhaus Verlag Wuppertal. Dieses Buch hat mir entscheidend geholfen. Ich hüte es bis heute in meiner Bücherei.

Mit großer Freude begrüße ich, dass der Verlag VERBUM MEDIEN dieses Buch jetzt neu aufgelegt hat [siehe hier]. Herman Ridderbos (1908–2007) war Professor für Neues Testament an der Theologischen Hochschule in Kampen, Niederlande.

In der Einleitung schreibt Ridderbos: „Die Theologie sieht sich immer wieder vor die Frage nach der Autorität der Heiligen Schrift gestellt. Die meisten Theologen unserer Zeit antworten darauf, dass die Heilige Schrift an sich keine göttliche Autorität besitze und dass diese nur ihrem Inhalt zukomme. Das Kennzeichnende an dieser Auffassung ist nicht, dass sie jede Offenbarung schlechthin leugnet, wohl aber, dass sie einen prinzipiellen Unterschied zwischen Offenbarung und Heiliger Schrift macht. Die Bibel ist demnach nur menschliche Urkunde als Beschreibung göttlicher Offenbarung oder, wie man gegenwärtig zu sagen pflegt, ihr menschliches Zeugnis. … Der Schrift an sich komme keine Offenbarungsqualität zu.“ (S.15f)

Ridderbos vertritt und begründet seine Gegenthese: „Die Heilige Schrift hat eine Geschichte. Sie ist ein Produkt von Gottes Offenbarungshandeln in der Heilsgeschichte. … Die Bedeutung der Bibel und das Wesen ihrer Autorität können also nur dann richtig verstanden werden, wenn man die Schrift eng mit der Heilsgeschichte verbindet…. Die vorliegende Arbeit bemüht sich daher nicht darum, den Glauben auf einen anderen Grund als den der Bibel zu stellen, sie möchte nur das Wesen der Heilsgeschichte näher ergründen, oder anders ausgedrückt: den Zusammenhang zwischen Heilsgeschichte und Heiliger Schrift aufdecken.“ (S.21f)

Mehr: www.bibelundbekenntnis.de.

Peter Stuhlmacher (1932–2025)

Die Nachrichtenagentur IDEA berichtet, dass der Neutestamentler Peter Stuhlmacher vertorben ist:

Der international angesehene Tübinger Theologieprofessor Peter Stuhlmacher ist am 5. April im Alter von 93 Jahren gestorben. Das hat die Evangelischen Nachrichtenagentur IDEA aus seinem persönlichen Umfeld erfahren. Der gebürtige Leipziger lehrte von 1972 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000 an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Zuvor war er vier Jahre in Erlangen tätig.

Durch seine Forschungen über den Apostel Paulus und die „Biblische Theologie des Neuen Testaments“ erwarb er sich Anerkennung über Deutschland hinaus. Mit Kollegen entwickelte er eine „Biblische Theologie“, bei der die wissenschaftliche Bibelexegese durch eine „geistliche Schriftauslegung“ ergänzt wird.

Ich habe seine Bücher gern gelesen und schätzen gelernt.

Wer Stuhlmacher noch einmal hören möchte, könnte sich zum Beispiel seine Vorträge über die Neue Paulusperspektive anhören, die auch als Buch erschienen sind (#ad).  

Mehr: www.idea.de.

Wie christliche Sexualethik unchristlich transformiert wird

Am 4. April hatte ich auf eine kurze Rezension der der Transformativen Ethik von Faix und Dietz verwiesen, die Pfarrer Ulrich Parzany veröffentlich hat. Inzwischen ist eine ausführliche Besprechung von Thomas Jeising veröffentlicht worden, auf die ich gern hinweise. Fazit:

In dieser „christlichen“ Sexualethik findet der geneigte Leser Rechtfertigungen für fast jeden Umgang mit Sexualität. Ich setze „christlich“ in Anführungszeichen, weil ein bewusster Abschied von der kompletten christlichen Tradition vorliegt und nicht nur notwendige Korrektur. Die wiederholte Betonung, man orientiere sich an der Bibel, meint eine selektive Auswahl biblischer Motive, soweit sie die vorgefasste Meinung zu bestätigen scheinen. Die Autoren sehen kein Problem, sich die Sache im Zweifel hinzubiegen. Auch die historischen Exkurse sind tendenziös, beruhen auf wenigen Quellen, die wieder sehr selektiv herangezogen werden. Dabei stellen sich Dietz/Faix als selbstkritisch bescheidende Vermittler dar, während sie tatsächlich mit Vehemenz ihre Agenda durchpeitschen. Diese Art hat etwas von Unehrlichkeit.

In ihrer Kritik einer christlichen Ethik, die geschöpflichen Gegebenheiten Bedeutung beimessen will, sind die Autoren rigoros: alles Biologismus. Biblische Ordnungen, die vom Schöpfer passend zu seiner Schöpfung in ihrem gefallenen Zustand gegeben wurde, haben für sie keine Relevanz. An keiner Stelle gelingt es ihnen, einen eigenen hilfreichen Akzent in herausfordernden ethischen Fragen zu setzen. Offensichtliche Entwicklungen, wie die erhebliche Zunahme psychischer Störungen bei jungen Menschen, die offenbar auch mit Orientierungslosigkeit in Fragen der Identität und Sexualität verbunden sind, werden in ihrer ethischen Dimension nicht wahrgenommen. Es findet sich nicht einmal ein Versuch, eine christliche Antwort zu geben.

Nach evangelischem Verständnis ist biblisch-christliche Ethik Gesetz, also Gottes Weisung für den Menschen, auf der Grundlage des Evangeliums von der Vergebung und ewigen Erlösung durch Christus. Wegweisung oder Orientierung kann die transformative Ethik nirgendwo bieten, weil sie einfach nur kritiklos wiederholt, was jeder allerwärts hören kann. Bei all dem Ausrichten an den Transformationen haben die Autoren scheinbar nicht bemerkt, dass überall Menschen nach Orientierung fragen und Wegweisung suchen. Hier kann eine christliche Sexualethik Hilfe bieten, wenn sie Gottes Gedanken über die Geschlechtlichkeit entfaltet. Sie ist auch dann eine Ethik zum Selberdenken im Sinne des aktiven Nachdenkens der Gedanken Gottes. Was hier vorgelegt wurde, erscheint eher als eine Ethik des Nachplapperns des aktuellen sozialwissenschaftlichen Mainstreams.

Mehr: bibelbund.de.

Wege zur Liebe?

Der zweite Band der sogenannten Transformativen Ethik von Thorsten Dietz und Tobias Faix ist soeben unter dem Titel „Wege zur Liebe“ erschienen. Es geht darin – und damit ist schon der Begriff „Liebe“ zeitgeistig gefüllt – um Sexualität.

Nachdem ich die Buchbesprechung von Ulrich Parzany gelesen habe, musste ich schmunzelnd an eine Rezension von Friedrich Schleiermacher aus dem Jahre 1799 denken. Der wagte es, tatsächlich über Immanuel Kants Anthropologie zu sagen, dass diese vortrefflich als „Negation aller Anthropologie“ zu lesen sei. Ich glaube, wir sollten die Transformative Ethik als die Negation aller biblischen Ethik lesen (wenn wir sie denn überhaupt lesen).

Ulrich Parzany schreibt:

Das Bild von Karte und Gebiet ist für die Autoren in ihren ethischen Überlegungen leitend. Die Bibel ist die alte Landkarte. Unsere heutige Welt ist das Gebiet. Die Wege, die in der alten Karte eingezeichnet sind, gibt es leider heute nicht mehr. Wege, die wir durchs heutige Gebiet suchen, kann man in der veralteten Karte nicht finden. Also spielen die Gebote Gottes keine maßgebende Rolle. Gebotsethik ist für die Autoren etwas ganz Schlimmes. Keine Spur von Nachdenken darüber, dass und wie Jesus die Gebote Gottes in der Bergpredigt oder in Johannes 15,10 („Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe“) oder im Gespräch mit dem reichen jungen Mann (Mat 19,16-19) bestätigt.

Die Autoren orientieren sich dagegen an Judith Butler, deren Gender-Ideologie sie heftig verteidigen, und anderen Ratgebern, die fast jedes sexuelle Verhalten rechtfertigen oder empfehlen. Vorehelich, außerehelich, hetero, homo, queer, polyamorös.

Welche Rolle spielt die Bibel in diesem Buch? Ihre Aussagen werden von den Autoren auf die Prinzipien Liebe, Freiheit und Gerechtigkeit geschrumpft. Diese Prinzipien werden, wenn die Autoren es für nötig halten, auch kritisch gegen konkrete biblische Aussagen angewandt. Unter Berufung auf das Liebesgebot werden in der kirchlichen Argumentation ja schon länger konkrete Gebote Gottes für ungültig erklärt. Gegen den Gebrauch der Bibel als Wort Gottes und Maßstab für Glauben und Leben wird in diesem Buch durchgehend polemisiert.

Was schon im ersten Band behauptet wurde, wird im zweiten konsequent ausgeführt: Die neuzeitlichen Transformationen in Verständnis und Verhalten hinsichtlich Gender und Sexualität werden als Wirken Gottes in der Geschichte bewertet. Ihnen wird quasi eine Offenbarungsqualität zugesprochen. Sie werden deshalb als maßgebend angesehen.

Die Selbstbestimmung des Menschen ist Grunddogma für sexuelles Verhalten. Der wichtigste ethische Maßstab ist Einvernehmlichkeit. Wenn die gewährleistet ist, kann auch Polyamorie positiv bewertet werden. Die Auffassung, sexuelle Intimität sei der Ehe zwischen einem Mann und einer Frau vorbehalten, wird als Zumutung abgelehnt. Nach Auffassung der Autoren ist die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare christlich geboten, ihre Ablehnung nicht akzeptabel.

Mehr: www.bibelundbekenntnis.de.

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