Was ist aus der Vrije Universiteit Amsterdam geworden?

Roelof Bouwman beschreibt in einem Artikel, was aus der von Abraham Kuyper gegründeten Freien Universtität von Amsterdam (VU) geworden ist:

Geblieben ist die Freie Universität, Alma Mater einer Reihe prominenter Politiker – von Pieter Sjoerds Gerbrandy bis Jan Peter Balkenende und von Pim Fortuyn bis Dilan Yeşilgöz – aber auch von Geert Mak, Linda de Mol und Lale Gül. Auf den ersten Blick scheint Kuyper nicht vergessen zu sein. Anlässlich des 140-jährigen Bestehens der Universität wurde 2020 sogar ein echtes Kuyper-Jahr ausgerufen. Bei dieser Gelegenheit wurde der Gründer der VU vor allem als „sozialer Unternehmer“ und „Verfechter der Vielfalt“ gepriesen, Charakterisierungen, die seine Zeitgenossen sehr überrascht hätten.

In Wirklichkeit gibt es an der VU keine Affinität mehr zu Kuyper. Die 1879 in der Satzung festgeschriebene „vollständige und ausschließliche Erziehung auf der Grundlage reformierter Grundsätze“ ist längst als Ziel gestrichen worden, und auch die ökumenisch-christlichen Ambitionen, die eine Zeit lang als Zugeständnis an die Anhänger dienten, wurden über Bord geworfen.

Seit 2015 ist ein brahmanischer Hindu als Rector magnificus im Amt, und seit 2016 heißt es in der Satzung lediglich, dass die VU „christliche Wurzeln“ hat. Das eigene Akademische Krankenhaus (ab 2001: VUmc) fusionierte 2018 mit dem Akademischen Medizinischen Zentrum (AMC), und 2023 wurde das Votum bei akademischen Zeremonien abgeschafft: weil es nicht „inklusiv“ genug wäre.

Kürzlich berichteten die Zeitungen, dass die VU die Fakultäten für Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften und Religion & Theologie zusammenlegen wird. Sie werden zu drei Schulen – auf Englisch ausgesprochen – innerhalb einer Fusionsfakultät, die ab 2025 den Namen ‚Social Sciences and Humanities ‚ tragen wird. Der Name der neuen Fakultät wird das Wort ‚Theologie‘ nicht enthalten, berichtete Trouw, „weil die beiden anderen Fusionspartner nichts wollen, was an Theologie erinnert“.

Und das an der Universität von Kuyper, für den die Theologie die Krone der Wissenschaften war und an der die theologische Fakultät – die über Generationen hinweg als „Vikarsfabrik“ fungierte und die ältesten Papiere besitzt. Sollte jemals der Niederländer gewählt werden, dessen publizistisches, politisches und theologisches Erbe am gründlichsten vergeudet wurde, so steht der Sieger fest.

Aus dem Wikipedia-Artikel zur VU geht außerdem hervor, dass die Hochschule zwischenzeitlich unter dem Einfluss Chinas stand. 

Mehr: www.wyniasweek.nl.

Eva Illouz: Von der „Bindung an die eigene Verwundung“

Die Soziologin Eva Illouz hat am 21. Oktober in Berlin den Frank-Schirrmacher-Preises verliehen bekommen. Ich habe mich weder mit ihrem Gesamtwerk noch mit dem Inhalt ihrer Dankesrede eingehend beschäftigt (erschienen als: „Schuld ist das Schlüsselthema der extremen Rechten – und Beleg für die zerstörerische Kraft der Identitätspolitik“, FAZ vom 18.11.2024, Nr. 269, S. 12). Mir fiel allerdings auf, dass sie sich bemerkenswert kritisch zur Identitätspolitik äußert.  Sie schreibt unter anderem: 

Das Problem mit der Opferkultur ist nicht, dass manche sie missbrauchen, wenngleich manche sie missbrauchen. Es ist auch nicht, dass sie Leute zu Jammerlappen macht, die sich nicht selbst zu helfen wissen, wenngleich auch das mitunter der Fall sein mag. Das ist ein Preis, den die Befreiung des Opferstatus wert ist. Es bringt aber drei andere Probleme mit sich. Erstens macht die Verwandlung der Opferrolle in einen existenziellen Zustand auch das Vergehen des Täters zur bleibenden Schuld. Die Schuld wiederum wurzelt in der Gruppe ein, die durch die in der Vergangenheit verübte Unterdrückung definiert wird. Shelby Steele, afroamerikanischer Wissenschaftler der Universität Stanford, beschreibt dies in seinem gleichnamigen Buch am Beispiel der „White Guilt“. Ihm zufolge hat sich die schwarze Politik der Emanzipation im Kampf gegen den Rassismus in eine Politik verwandelt, in der die Weißen die moralische Autorität erlangt haben, Schuld zu tragen und somit als Einzige moralische Akteure zu sein.

Steele vergleicht den schwarzen Kampf gegen die „weiße Schuld“ mit der Art von Militanz eines Malcolm X, die in seinen Worten authentisch war, weil sie die Schwarzen aufforderte, sich von den Weißen abzuwenden und die geistigen und moralischen Mittel zu finden, um die Verantwortung für ihre Befreiung zu übernehmen. Die Opferkultur dagegen will die „Bindung an die eigene Verwundung“ nicht aufgeben, weil sie nicht auf die Schuld der anderen Seite verzichten will und sich so durch die Schuld des Täters selbst konstituiert. Sie will keine Rechnungen begleichen. Während Duelle oder Racheakte eine Rechnung begleichen und einen Schlussstrich unter ein Vergehen ziehen, verfügt die Opferkultur über keine vergleichbaren Mechanismen, um einen Verletzungskreislauf zu beenden. Die Opferrolle ist vielmehr Teil der eigenen Identität. Sie kann nicht zwischen der historischen Wahrheit und der historischen Wunde trennen, wie Dipesh Chakrabarty sagt. Die Identität wird durch die Erinnerung an die Wunde bestimmt und verlangt darum, dass der Täter die Erinnerung ebenfalls bewahrt.

Ich finde, das ist eine sehr kluge Beobachtung. In der Identitätspolitil wird die Opferrolle zum Teil der eigenen Identität. Es entsteht ein Teufelskreis: „Die Identität wird durch die Erinnerung an die Wunde bestimmt und verlangt darum, dass der Täter die Erinnerung ebenfalls bewahrt.“ Genau dieser Kreislauf wird vom Evangelium durchbrochen. Wer seine Identität „in Christus“ findet, muss sich nicht mehr über die erlittende Schuld definieren. Er findet – mit Gottes Hilfe – sogar die Freiheit und Kraft, den „Verletzungskreislauf“ zu verlassen und den anderen aus seiner Schuld zu entlassen. „Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern“ (Mt 6,12).    

Gesunder Menschenverstand bei Transgender-Themen

Die eher links orientierte NEW YORK TIMES erwähnt in einem überraschend ausgewogenen Artikel von Pamela Paul zum Thema „Transgender“ die zunehmende Skepis in vielen europäischen Ländern bezüglich Geschlechtsangleichung:

In den letzten Jahren wurden die Konzepte der Geschlechtsidentität und der Möglichkeit, im falschen Körper geboren zu sein, bereits in der Grundschule eingeführt. Eine Umfrage der Washington Post ergab jedoch, dass 77 Prozent der Amerikaner nicht wollen, dass Lehrer diese Ideen im Kindergarten bis zur dritten Klasse besprechen, und mehr als die Hälfte sind dagegen, dass über Transidentität sogar in der Mittelschule gesprochen wird.

Das Parteiprogramm der Demokraten enthält ein Versprechen, sich für eine geschlechtsangleichende Betreuung von Minderjährigen einzusetzen. Für Menschen, die sich mit dem Thema nicht auskennen, mag dies wie eine Therapie klingen, damit sich Kinder in ihrem Körper wohlfühlen; in der Praxis bedeutet dies in der Regel, dass Kindern erlaubt wird, einen neuen Namen und neue Pronomen anzunehmen, und in vielen Fällen wird ihnen ermöglicht, ihren Körper so zu verändern, dass er dem des anderen Geschlechts ähnelt. Dieser Prozess kann pubertätshemmende Medikamente, geschlechtsübergreifende Hormone und in einigen Fällen auch Operationen umfassen. Mehr als 14.000 amerikanische Kinder wurden zwischen 2019 und 2023 geschlechtsspezifischen medizinischen Eingriffen unterzogen.

Während sich ein Großteil Europas vom Modell der Geschlechtsangleichung zurückgezogen hat, gibt es Hinweise darauf, dass die Befürworter dieses Ansatzes in den Vereinigten Staaten die Wissenschaft von der Politik beeinflussen lassen.

Mehr: www.nytimes.com.

VD: WH

Gesetzentwurf zum Schwangerschaftsabbruch

Eine Abgeordnetengruppe zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten drei Monaten versucht, den Paragrafen 218 im Schnellverfahren zum Ende der Wahlperiode abzuschaffen. DIE WELT berichtet dazu:

Mit dem Vorstoß solle versucht werden, „den Paragrafen 218 jetzt noch im Schnellverfahren zum Ende der Wahlperiode abzuschaffen“, sagte Merz. „Das ist skandalös, was der Bundeskanzler da macht.“ Es handele sich um ein Thema, „das wie kein zweites das Land polarisiert, das wie kein zweites geeignet ist, einen völlig unnötigen weiteren gesellschaftspolitischen Großkonflikt in Deutschland auszulösen“.

Schwangerschaftsabbrüche sind derzeit laut Paragraf 218 des Strafgesetzbuches rechtswidrig. Tatsächlich bleiben sie in den ersten zwölf Wochen aber straffrei, wenn die Frau sich zuvor beraten lässt. Ohne Strafe bleibt ein Abbruch zudem, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird. Über die Abschaffung des Paragrafen 218 wird seit Jahren gestritten.

Nach dem Vorschlag der Abgeordneten sollen Abtreibungen bis zur 12. Woche rechtmäßig werden. Die Pflicht zur Beratung bliebe bestehen, allerdings ohne die derzeit geltende Wartepflicht von drei Tagen zwischen Beratung und Abtreibung. Wenn eine Abtreibung ohne Beratungsbescheinigung vorgenommen wird, soll sich künftig nur der Arzt strafbar machen. Die Frau bliebe straffrei.

Mehr: www.welt.de.

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The Philosophical Roots of Gender Ideology

Das Interview zum Thema „The Philosophical Roots of Gender Ideology“ mit Prof. Doug Groothius empfehle ich gern (leider nur in englischer Sprache): 

 

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The Gospel of Jesus’ Wife

War Jesus verheiratet? Diese Frage bekam im Jahr 2012 Auftrieb, als die Harvard-Professorin Karen L. King einen Papyrus vorgestellt hatte, in dem signalisiert wird, dass Jesus zusammen mit einer Frau lebte. Das Thema wurde von der Presse dankbar aufgenommen. Es gab zum Beispiel Beiträge im DLF, im SONNTAGSBLATT und natürlich bei EVANGELISCH.DE

Ein paar Jahre später ist Ernüchterung eingetreten. Seit 2020 wissen wir, dass der deutschstämmige Erotikproduzent Walter Fritz für das Papyrus verantwortlich war.  Ich zitiere nochmals Anselm Schubert (Christus (m/w/d), München: C.H. Beck, 2024, S. 231–232):

Wie der schwule sollte auch der verheiratete Jesus sein eigenes Evangelium bekommen. 1945 waren im ägyptischen Nag Hammadi umfangreiche Reste frühchristlich-gnostischer Texte gefunden worden. Wir hatten bereits gesehen, dass darin immer wieder ein besonderes Verhältnis zwischen Christus und Maria Magdalena angedeutet wird, Maria Magdalena als Lieblingsjüngerin, als Lehrerin der Jünger oder sogar als «seine Gefährtin» beschrieben wird und Jesus sie küsst, da er sie «mehr liebte als alle Jünger», 133 Das Philippusevangelium deutet an einer Stelle überdies an, es gebe «den Menschensohn, und es gibt den Sohn des Menschensohnes».

Während die wissenschaftliche Forschung darauf hinwies, dass die frühchristliche Gnosis kaum etwas so negativ bewertete wie Körperlichkeit, Geschöpflichkeit und Sexualität und deshalb von Anfang an annahm, dass die Verse eine metaphorische und mystische Bedeutung hatten, mehrten sich seit Bekanntwerden der ersten Übersetzungen um 1970 populär- und pseudowissenschaftliche Darstellungen, die nun reißerisch behaupteten, Jesus habe mit Maria Magdalena ein Kind gezeugt. Diese Debatte berief sich einerseits auf die pseudepigraphischen Evangelien des 19. Jahrhunderts, andererseits auf die neuen Funde und stand eng in Verbindung mit der feministischen «Entdeckung» Maria Magdalenas (…).

2012 verkündete die amerikanische Koptologin Karen L. King die Entdeckung und Entzifferung eines Papyrusfragments, das ein unbekannter Sammler ihr vorgelegt hatte. Das kaum visitenkartengroße Fragment umfasste nur wenige, bruchstückhaft erhaltene Zeilen; aber es war deutlich zu erkennen, dass Jesus an einer Stelle «meine Frau» erwähnt und es wenig später hieß: «sie kann mein Jünger sein». Nach dieser Aussage hatte King das Fragment «Gospel of Jesus‘ Wife» genannt, und unter diesem Namen erfreute sich der Fund für kurze Zeit globaler Aufmerksamkeit. King ließ das Fragment im folgenden Jahr physikalisch und chemisch untersuchen: Sowohl Papyrus als auch Tinte schienen echt. Dennoch meldeten sich Zweifel an der Echtheit des Fragments, denn ein solcher Beweis, dass Jesus eine Frau gehabt hatte, schien einfach allzu sehr dem Zeitgeist zu entsprechen. Hinzu kam, dass nicht nur die Schrift unbeholfen wirkte, der gesamte Bestand des kurzen Textes schien aus Formulierungen des koptischen Thomasevangeliums zu bestehen. Wenig später stellt man fest, dass eine grammatikalische Besonderheit offensichtlich auf einer fehlerhaften Onlineausgabe des Thomasevangeliums aus dem Jahr 2002 beruhte. 2020 identifizierte der Journalist Ariel Sabar den unbekannten Sammler schließlich als den Deutschen Walter Fritz – einen in Florida lebenden Erotikaproduzenten und ehemaligen Koptologiestudenten aus Berlin. 

Der „Jesus“ von Morton Smith

Im Jahre 1973 veröffentlichte Morton Smith, ein angesehener Althistoriker, ein Manuskript, das er 1958 im Kloster Mar Saba südöstlich von Jerusalem entdeckt haben wollte. Das Manuskript enthielt den Teil eines Briefes, der Clemens von Alexandria zugeschrieben wurde. Die Entdeckung Smith’s löste viele Diskussionen über Jesus aus. Edwin M. Yamauchi schrieb damals für CHRISTIANITY TODAY:

Mit beachtlicher Gelehrsamkeit legt Smith ein starkes Argument für die Echtheit des Briefes vor, in dem behauptet wird, dass die karpokratianischen Gnostiker ihre Lehren aus einem geheimen Markus-Evangelium ableiteten. Es wird behauptet, dass Markus nach dem Tod des Petrus in Rom nach Alexandria kam und ein spirituelleres Evangelium für diejenigen verfasste, die sich vervollkommnen wollten. Zu den aus diesem Evangelium zitierten Passagen gehört die Beschreibung der Auferweckung eines toten Jünglings durch Jesus. Nach seiner Auferstehung kam der Jüngling mit nur einem Leinentuch über seinem nackten Körper zu Jesus, „und er blieb die Nacht bei ihm, denn Jesus lehrte ihn das Geheimnis des Reiches Gottes.“

Smith geht jedoch weit über die Beweise hinaus, indem er behauptet, dass dieses angebliche Evangelium älter ist als das kanonische Markus-Evangelium, und spekuliert, dass die ursprüngliche Essenz des Christentums erotische Magie war. Clemens‘ Brief scheint nicht mehr als ein Zeugnis für ein weiteres apokryphes Evangelium zu sein. Nur diejenigen, die bereit sind, das Schlimmste über das Christentum zu glauben, werden seine radikalen Ansichten über die bis dahin unbekannte Natur Christi als Vermittler erotischer Magie begrüßen.

Heute wissen wir mehr über die Arbeitsweise von Morton Smith. Ich zitiere aus Christus (m/w/d) von Anselm Schubert (München: C.H. Beck, 2024, S. 229–231):

Nur wenige Jahre später erfuhr die Debatte um die Männlichkeit Jesu eine unerwartete Verschärfung. Der amerikanische Neutestamentler Morton Smith (1915-1991) veröffentlichte im Jahr 1973 das Fragment eines «Geheimen Markusevangeliums», das er angeblich 1958 in der Bibliothek des bei Jerusalem gelegenen Klosters Mar Saba gefunden hatte. Der kurze Text gab sich als Kopie eines Briefes des Clemens von Alexandria an einen Unbekannten aus. Demnach existiere in Alexandria ein geheimes Evangelium aus der Feder des Markus, das Ketzer mit ihren Lügen verfälschten. Um sie zu widerlegen, gibt Clemens den echten Wortlaut eines Passus aus dem Evangelium wieder. Demnach habe Jesus einen Jüngling von den Toten auferweckt: «Und nach sechs Tagen beauftragte ihn Jesus, und am Abend kommt der Jüngling zu ihm, nur mit einem Hemd auf dem bloßen Leibe bekleidet. Und er blieb bei ihm jene Nacht, denn es lehrte ihn Jesus das Geheimnis des Reiches Gottes.» Smith interpretierte das nächtliche Ritual als Taufe, nach welcher der Täufling sich sexuell mit Jesus vereint habe, um gemeinsam mit ihm ins Reich Gottes entrückt zu werden. Erstmals stand in der akademischen und theologischen Debatte die quellengestützte Vermutung im Raum, es könne in der Urkirche einen homosexuellen Initiationsritus oder die Vorstellung vom Reiche Gottes als sexueller Erfüllung gegeben haben.

Das «Geheime Markusevangelium» gab den latenten Debatten um das Verhältnis von Christentum und Homosexualität neue Nahrung. Ähnlich wie Smith sah der niederländische Neutestamentler Sjef van Tilburg (1939-2003) 1993 die Beziehung Jesu zum sogenannten Lieblingsjünger im Johannesevangelium als ein homoerotisches Lehrer-Schüler-Verhältnis, wie man es aus der griechisch-hellenistischen Welt kenne. William E. Phipps überarbeitete sein Buch und erwog später unter Berufung auf das «Geheime Markusevangelium», dass Jesus schwul gewesen sein könnte. Noch 2009 vertrat der methodistische Theologe Theodore W. Jennings (1942-2020) in seinem Buch «The Man Jesus Loved» die These, das «Geheime Markusevangelium» bestätige die «hidden tradition» eines homosexuellen Jesus. Da Smith nur Fotos der vermeintlichen Abschrift bot, bestanden von Anfang an Zweifel an der Authentizität des angeblichen ClemensBriefes und damit an der Existenz des «Geheimen Markusevangeliums».

Heute nimmt man überwiegend an, dass Smith sich mit dem kirchlichen und wissenschaftlichen Establishment einen Scherz erlaubt und die Fälschung selbst angefertigt hat. Smith, selbst homosexuell, hatte den Ruf eines hochgebildeten, aber schwierigen Zeitgenossen, der sich zeitlebens an der Homophobie der christlichen Verkündigung abarbeitete. Neuere Analysen legen nahe, dass er seine Fälschung mit allen Mitteln der Textkritik anlegte, ihre Auffindungsfiktion nach Motiven eines damals bekannten Spionageromans gestaltete und möglicherweise sogar Hinweise auf seine eigene Autorschaft im Text verschlüsselte. Smiths Fälschung – der Text wie seine Inszenierung – erscheint heute als eine Parodie des Wissenschaftsbetriebs: als eines jener Pastiches, die die Gendertheoretikerin Judith Butler später als wichtigste Möglichkeit pries, den heteronormativen Diskurs punktuell zu unterlaufen und so in seiner Kontingenz zu entlarven.

Woke – Psychologie eines Kulturkampfes

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Wer die Woke-Kultur besser verstehen möchte, dem sei das Buch Woke – Psychologie eines Kulturkampfes von Esther Bockwyt empfohlen. Esther Bockwyt studierte Psychologie und Rechtspsychologie an den Universitäten Marburg, Köln und Bonn. Sie arbeitet als freiberufliche psychologische Gutachterin. Nebenbei analysiert sie gesellschaftliche Entwicklungen und hat meines Erachtens die Grundannahmen und -anliegen der Woke-Bewegung sehr gut erfasst und verständlich dargestellt. 

Hier ein Auszug (Woke, 2024, S. 15–17): 

Die Ursprünge der heutigen Wokeness sind in der Philosophie der Postmoderne der 60er-Jahre zu finden, beispielsweise bei Michel Foucault4 , wobei manch einer beklagt, dass jener und andere für die heutigen woken identitätspolitischen Auswüchse zu Unrecht herhalten müssen. Jedenfalls stammt aus dieser philosophischen Strömung die Annahme, dass alles menschliches Streben auf Macht ausgerichtet sei. Wissen, Sprache und gesellschaftliche Ordnungen seien letztlich immer und ausschließlich Ausdruck von Machtverhältnissen und eine objektive Wahrheit werde von diesen Verhältnissen untergraben: der Ursprung woker Ideologie.

Diese postmoderne Philosophie ist dabei ein Gegenentwurf zur Moderne und ihrer Philosophie der Aufklärung, auf der westliche Demokratien seit ungefähr 200 Jahren fußen. Die Moderne ist von der Philosophie des Liberalismus geprägt und in diesem Sinne fußen westliche Demokratien auf den Werten des Individualismus, also darauf, der Freiheit des Individuums Priorität einzuräumen, sie als Grundlage zu bestimmen. Darauf, dass das Individuum nach seinem Glück und der Erfüllung seines Lebens strebt. Der Mensch als Individuum ist Träger von Rechten, Pflichten und Verantwortung. Bereits in der Antike angelegt, entfaltete der Individualismus später in Europa seit der Renaissance seine Kraft, forciert durch humanistische, aufklärerische Bewegungen. Europäische Philosophen entwickelten die geistigen Fundamente, auf welchen die heutigen liberalen europäischen Gesellschaften fußen und sich im deutschen Grundgesetz wie in der amerikanischen Verfassung in der unveräußerlichen Würde des Menschen deutlich formuliert wiederfinden.

Kollektivistische Ideologien wie der Nationalsozialismus oder der Kommunismus zerstörten die liberal-demokratischen Rechtsstaaten zwischenzeitlich, indem sie einem Volk oder einer Klasse Vorrang vor dem Individuum gaben, »Gemeinnutz vor Eigennutz« predigten und hiermit den Grundstein für menschenverachtende und inhumane (Kultur-)Praktiken legten.

Der Mensch ist in der Philosophie und gelebten Demokratie der Moderne Individuum und hat zugleich Anteil am Universellen, am allgemeinen Menschsein, das alle Menschen gleichermaßen teilen. Alle Menschen sind trotz aller individuellen Unterschiede als Menschen in ihrem Menschsein gleich und gleichberechtigt. Freiheit, Gleichheit der Chancen, aber auch die aufklärerischen Werte der Vernunft und die wissenschaftliche Methode, die Rechtsstaatlichkeit mit Machtbegrenzung durch das Recht mit seiner Gewaltenteilung und die freie Marktwirtschaft sind die Grundpfeiler westlicher – auf der Philosophie der Moderne – fußender Demokratien. Die postmodernen Entwicklungen hingegen brechen mit einigen dieser Werte. Grundlegend in dieser Philosophie sind die Annahmen von Relativismus und Sozialkonstruktivismus, also die Annahmen, dass Realität immer auch anders erzählt werden könne und dass Realität sozial konstruiert wird. Und zwar dadurch, wie Menschen sozial miteinander interagieren, und über die Geschichten, die Menschen über die Wirklichkeit erzählten. Diese Geschichten bilden ein jeweiliges Narrativ und seien allein durch existierende Machtverhältnisse bestimmt. Alles sei nur eine Erzählung, die mit anderen Erzählungen, also Sichtweisen, konkurriere. Zwei mal zwei muss nicht vier sein, es kann auch, je nach Umständen, fünf oder irgendetwas anderes sein.

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Gott steigt herab, um mit uns Menschen zu reden

Gott steigt herab, um mit uns Menschen zu reden.  Diese „Akkommodation“ (dt. Anpassung) Gottes an die Erkenntnisfähigkeiten von uns Menschen wird von Johannes Calvin mit drei Bildern erklärt. Alister McGrath schreibt dazu (Johannes Calvin, Zürich: Benziner, 1991, S. 174–175): 

Anhand dreier zentraler Bilder entwickelt Calvin den Gedanken von der göttlichen Anpassung an menschliche Fähigkeiten bei der Offenbarung. Gott ist unser Vater, der bereit ist, die Sprache der Kinder zu benutzen, um zu uns zu sprechen. Er paßt sich der Schwäche und Unerfahrenheit der Kinder an. Er ist unser Lehrer, der weiß, daß er sich auf unsere Stufe herabbegeben muß, wenn er sich uns mitteilen will. Er paßt sich unserer Unwissenheit an, um uns zu unterweisen. Er ist unser Richter, der uns unsere Sundhaftigkeit, unsere Verstocktheit und unseren Ungehorsam vor Augen führt. Wie vor Gericht der überzeugende Gebrauch der menschlichen Rede dazu dient, ein wahres Urteil sicherzustellen, so ist Gott darum bemüht, uns von unserer Sünde zu überzeugen und zu überführen. Sein Urteil soll unser Urteil werden, indem wir erkennen, daß wir in der Tat Sünder sind, die weit von Gott entfernt sind. Calvin beharrt darauf, daß wahre Weisheit in der Gottes- und Selbsterkenntnis liegt. Durch die Erkenntnis, daß wir Sünder sind, erkennen wir, daß Gott unser Erlöser ist. 

Nach der Lehre von der Menschwerdung erniedrigt sich Gott auf unsere Stufe, um uns ebenbürtig zu sein. Er ist als unseresgleichen mitten unter uns. Calvin weitet dieses Prinzip auf die Sprache und Bilder der Offenbarung aus: Gott offenbart sich in Worten und Bildern, die wir verstehen können. Sein Ziel und Zweck ist die Verständigung, der Brückenschlag über die große Kluft zwischen ihm als dem Schöpfer und den Menschen als seiner Schöpfung. Für Calvin sind der Wille und die Fähigkeit Gottes, sich zu erniedrigen und sich unserer Beschränktheit anzupassen, ein Zeichen seiner Barmherzigkeit und Fürsorge.

Das „Gadamer-Forum“

Mit einer Festveranstaltung wurde am 24. Oktober 2024 das Hans-Georg Gadamer-Forum für Philosophische Hermeneutik an der Bergischen Universität Wuppertal eröffnet. Das Gadamer-Forum soll der internationalen Forschung zu Gadamers Werk und zur philosophischen Hermeneutik einen institutionellen Ort geben. 

Die FAZ schreibt (06.11.2024, Nr. 259, S. N5): 

Es verging ein Jahrzehnt, bis 1960 sein Hauptwerk „Wahrheit und Methode“ die Summe seiner philosophischen Hermeneutik vorstellte. Als vornehmliche Aufgabe verstand Gadamer nicht nur, Fragen der philosophischen Überlieferung aufzugreifen, sondern sich über menschliche Erfahrungen klar zu werden, die nicht im rationalistischen Sinne nachprüfbar sind. Maßgebliches Medium ist ihm die Sprache und hierbei der Dialog als grundsätzliches Element: ein sprachliches Miteinander, das gemeinsam zu entwickeln sei. Hierbei bietet im Horizont der unaufhaltsamen Wandelbarkeit der Welt das Gespräch mit der reichen Überlieferung stabile Bezugspunkte des philosophischen Verstehens.

Im Gegensatz zu Heidegger, der eine „Destruktion“ und einen „Abbau“ der Traditionen anstrebte, um eigentliche Grundstrukturen der Philosophie freizulegen, verfolgte Gadamer deren Rehabilitation: Ein gegenwärtiges Philosophieren könne sich nur in bisher eröffneten Möglichkeiten entfalten und habe insofern den Charakter einer stets neu zu leistenden Verschmelzung der Horizonte von Gegenwart und Vergangenheit des Denkens. Wer verstehen will, müsse „mit der Sache, die mit der Überlieferung zur Sprache kommt, verbunden“ sein. So sei das philosophische Gespräch stets von der Geschichte getragen.

Diese philosophische Hermeneutik neu zur Sprache zu bringen hat sich das Hans-Georg Gadamer-Forum für philosophische Hermeneutik an der Bergischen Universität Wuppertal zum Ziel gesetzt. Mit dem Beginn einer digitalen Edition der Korrespondenzen des Philosophen, die in Kooperation mit dem Deutschen Literaturarchiv Marbach (DLA) und der Hans-Georg Gadamer-Gesellschaft in Heidelberg entsteht, wurden in diesem Jahr schon erste Schritte getan.

D. Bonhoeffer: Ich bin der Herr, dein Arzt

In einer Predigt von Pfarrer Dietrich Bonhoeffer aus dem Jahre 1941 heißt es: 

Nicht daraus macht die Bibel dem Menschen einen Vorwurf, dass er mit seiner Krankheit zum Arzt geht, sondern daraus, dass er mit ihr nicht auch zu Gott geht. Es ist kein Zufall, dass Christus in auffallender Nähe zu den Kranken gelebt hat, dass Blinde, Gelähmte, Taubstumme, Aussätzige, Geisteskranke sich unwiderstehlich zu ihm hingezogen fühlten und seine Gemeinschaft suchten. Warum hat Christus diese Leute nicht zum Arzt geschickt? Gewiss nicht, um dem Ansehen der Ärzte zu schaden oder um seine eigene besondere Kunst oder suggestive Kraft zur Schau zu stellen, sondern um es deutlich werden zu lassen, dass Gott und Krankheit, dass Christus und die Kranken ganz eng zusammen gehören. Christus will der wahre Arzt der Kranken sein. „Ich bin der Herr, dein Arzt“ (2. Mose 15,26). Das sagt Gott, das sagt Christus. Der Schöpfer und Erlöser der Welt bietet sich dem Kranken zum Arzt an. Wollen wir dieses Angebot unversucht lassen, nachdem wir auf so viele, geringere Angebote mit mehr oder weniger Erfolg eingegangen sind?

Mehr: 7-Wochen-mit-2021_Predigt.pdf.

VD: BK

Warum der Neue Bund die Vergebung der Sünden ermöglicht

Joel R. White schreibt in „Der eine Bund hinter den Bünden“ über die Wirkung des stellvertretenden Sühneopfers (Armin Baum u. P.H.R. van Houwelingen (Hrsg.), Kernthemen neutestamentlicher Theologie, Giessen: Brunnen, 2022, S. 41–57, hier S. 51–52):

Der entscheidende Impuls dafür, dass sich die neutestamentliche Gemeinde als Gottesvolk im neuen Bund verstand, kam nicht von Paulus, sondern von Jesus. Seine Worte beim Abschiedsmahl sind in den synoptischen Evangelien (Mt 26,2629; Mk 14,22–25; Lk 22,14–20) und bei Paulus (1 Kor 11,23–26) überliefert worden. 30 Sie liegen in zweifacher Gestalt vor, einer markinisch-matthäischen und einer paulinisch-lukanischen. Alle vier Berichte belegen, dass Jesus in seinen Einsetzungsworten von einem Bund sprach. Paulus und Lukas machen explizit, dass es sich dabei um den neuen Bund handelt: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird“ (vgl. Lk 22,20; 1 Kor 11,25). Dass hier auf Jer 31,31–34 angespielt wird, liegt auf der Hand. Markus (Mk 14,24), gefolgt von Matthäus (Mt 26,28), fügt der Aussage Jesu hinzu, dass sein Blut „für viele” vergossen wird. Er greift damit Jesu Aussage in Mk 10,45 auf, dass er sein Leben als Lösegeld „für viele“ gibt. Dadurch wird eine konzeptuelle Verbindung zur jesajanischen Vorstellung von einem leidenden Gottesknecht hergestellt, der als Sühneopfer dargebracht wird und „viele” gerecht macht (Jes 53,10–11), 31 Jesus selbst deutete an, wie einer der rätselhaften Aspekte des neuen Bundes in Erfüllung gehen sollte. Wie wir oben bereits gesehen haben, lässt Gottes Verheißung an Jeremia an eine einmalige Vergebung der grundsätzlichen „Sünde“ des Bundesbruchs denken. Das ist im Kontext des alten Bundes mit seinen sich ständig wiederholenden Versöhnungsriten geradezu unvorstellbar. Aber indem Jesus die Verheißung Jeremias mit der Konzeption vom leidenden Gottesknecht in Verbindung bringt, macht er deutlich, wie diese Vergebung geschehen kann: Er selbst wird das Opfer, das den Bruch des Bundes bzw. die Unfähigkeit des Volkes Gottes, den Bund einzuhalten, sühnt. Er begründet den neuen Bund durch seinen Tod am Kreuz.

So versteht es jedenfalls der Autor des Hebräerbriefs, der sich in Hebr 8,1–10,18 intensiv mit der Thematik des neuen Bundes auseinandersetzt. Er argumentiert, dass der Sinaibund eine Art Abbild eines besseren Bundes war (Hebr 8,5). Die Tatsache, dass von Jeremia ein neuer Bund angekündigt wurde (Jer 31,31–34 LXX wird in Hebr 8,8–12 in seiner Gesamtheit zitiert), impliziert, dass dem Sinaibund ein Defekt anhaftete – sonst bräuchte man keinen neuen Bund (Hebr 8,7) – und dass der erste Bund nach dem Kommen Christi ausgedient hat (Hebr 8,13). Der Hebräerbrief fährt fort, indem er die Kultstätte und die dort zu verrichtenden Opfervorgänge (Hebr 9,1–10) und im Kontrast dazu das Opfer Christi (Hebr 9,11–14) beschreibt. Unter Verweis auf Ex 24,8 betont er, dass ein Bund nur durch Blutvergießen geschlossen wird, weil es nur so Vergebung der Sünden geben kann (Hebr 9,15–28). Der alte Bund konnte diese Vergebung nur provisorisch erreichen; Christus hat sie ein für alle Mal bewirkt (Hebr 10,1–14). Somit erfüllte sich in ihm der neue Bund (Hebr 10,15–16), insbesondere die Verheißung Gottes, der Sünde des Volkes nicht mehr zu gedenken (Hebr 10,17–18).

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Selbstbestimmungsgesetz: „Durchgepeitschtes Ideologieprojekt“

Die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dorothee Bär, hat das am 1. November in Kraft tretende Selbstbestimmungsgesetz scharf kritisiert. Es ermöglicht künftig einmal im Jahr die Änderung des Geschlechtseintrages und des Vornamens durch Erklärung gegenüber dem Standesamt.

IDEA schreibt

Mit dem Gesetz habe die Bundesregierung „ein weiteres Ideologieprojekt rücksichtslos durchgepeitscht“, erklärte Bär gegenüber der „Rheinischen Post“. Insbesondere mit Blick auf den Kinder- und Jugendschutz sei das unverantwortlich. Hintergrund: Das Gesetz ermöglicht die Änderung des Geschlechtseintrages auch für Minderjährige. Für unter 14-Jährige kann nur der gesetzliche Vertreter die Erklärung abgeben, über 14-Jährige können dies mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters selbst tun. Sollte dieser nicht zustimmen, kann das Familiengericht die Zustimmung ersetzen, „wenn die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht“, so das Gesetz.

Nach Ansicht von Kritikern können Kinder und Jugendliche die Tragweite der Entscheidung für einen Geschlechtswechsel nicht überblicken.

Bär sagte weiter, die Ampelkoalition habe „versäumt, einen verlässlichen Rechtsrahmen für die wenigen Tausend Menschen zu schaffen, die mit ihrer sexuellen Identität ringen und mit staatlichen Vorgaben in Konflikt stehen“. Stattdessen sei sie „mit diesem hanebüchenen Gesetz vollkommen über das Ziel hinausgeschossen“.

Spannend ist auch (gerade für Pastoren),  was Jugendliche über das Gesetz denken. Die AUGSBURGER ALLGEMEINE berichtet

Das Meinungsforschungsinstitut YouGov befragte vom 25. bis 27. Oktober mehr als 2.000 volljährige Menschen online. Dabei war der Zuspruch unter den Frauen mit 51 Prozent größer, wie das Institut mitteilte. Unter den Männern sprachen sich demnach 43 Prozent für das Gesetz aus.

Darüber hinaus ging aus der Umfrage hervor, dass jüngere Menschen das Selbstbestimmungsgesetz häufiger befürworten als ältere. So seien es bei den 18- bis 24-Jährigen 56 Prozent und bei den 25- bis 34-Jährigen 63 Prozent gewesen. Den geringsten Zuspruch gab es mit 39 Prozent aus der Gruppe der 45- bis 54-Jährigen.

 

 

 

Vom Nutzen der Disziplin

Die Pädagogin und Psychologin Isabella Gölles erklärt der FAS, warum für sie Disziplin die Schlüsselkompetenz der Zukunft ist – ganz gegen den Zeitgeist. In dem nachfolgenden Auszug sticht heraus, dass es ihrer Meinung nach wichtig ist, dass Kinder sich an Vorgaben halten, die von außen an sie herangetragen werden. Ihr Beispiel ist der Chorgesang, der ja nie nur Ausdruck innerer Gefühligkeit sein kann. 

Zitat: 

Sie kritisieren, dass Erziehung beliebig geworden ist, man den Kindern zu wenig zumutet und ihnen keine klaren Regeln vorgibt. Warum ist das schlecht?

Weil sie dann nicht auf das echte Leben vorbereitet werden. Einen starken Charakter entwickelt man nur, indem man Widerstände selbst überwindet, durch eigenen Antrieb oder durch kleine Hilfen. Und wenn man gar keine Latte gesetzt bekommt, dann nimmt man den Kindern die Möglichkeit, sich zu entwickeln. Oft herrscht bei Eltern eine Form von Gleichgültigkeit; dabei haben sie eine Verantwortung, die Kinder auf das Leben vorzubereiten.

Und wie geht das?

Es gibt eine Flut an Möglichkeiten, denen wir und unsere Kinder in diesen Zeiten ausgesetzt sind. Das, was uns helfen kann, ist eine gewisse Selbststruktur und Selbstkontrolle. Zum Zweiten geht es auch darum, dass wir, um in der Gruppe friedlich miteinander weiterleben zu können, klare Strukturen und klare Regeln brauchen, die auch teilweise antrainiert werden müssen. Wenn man dieses Sichzurücknehmen in der Gruppe nie erfahren hat, weil immer alles frei war, dann kann man es sich sehr schwer selbst erarbeiten.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wenn ein Kind zum Beispiel im Chor singen möchte, gibt es gewisse Vorgaben: Alle müssen gleich singen. Es gibt natürlich verschiedene Stimmlagen, aber eben auch gewisse Strukturen, an die man sich halten muss. Wenn man eine Leistung bringen will oder auch was Schönes entstehen lassen möchte, muss man aufeinander hören und aufeinander achtgeben. Aber auch sich einordnen – nicht unterordnen – in diese Gruppe. Und man muss Leistung bringen, stetig üben und jede Woche zur Probe gehen.

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Einheit in der Verschiedenheit: Das Scheitern der GER

Stephan Schaede zeichnet zum fünfundzwanzigsten Jubiläum in der FAZ von heute (28.10.2024, Nr. 251, S. 6) das letztlich Scheitern der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) nach: 

Niemals zuvor und seither niemals mehr hat es in der Geschichte der Ökumene Ähnliches gegeben. Lutheraner und Katholiken erklärten bestehende Lehrverurteilungen für nichtig – mehr noch: Sie stellten fest, dass die Rechtfertigungslehre keinen kirchentrennenden Charakter mehr habe. Damit schien eine Dynamik entfacht, die auf Kircheneinheit hindrängte. Kein Wunder also und einmalig auch dies, dass das Dokument auf andere Konfessionen ansteckend wirkte: 2006 unterzeichnete der Weltrat methodistischer Kirchen, im Reformationsjubiläumssommer 2017 war es die Weltgemeinschaft der reformierten Kirchen. Am Reformationstag jenes Jahres erklärten auch die Anglikaner ihre Zustimmung, nachdem ihr Konsultativrat schon im April 2016 den Inhalt der GER „begrüßt und bestätigt“ hatte.

Und: 

Der Vorhang fiel, viele Fragen sind seitdem offen. Man kann sich wundern darüber, dass in Deutschland ein Papier gefeiert wurde, in dem sich die Begeisterung vor allem auf die diplomatische Meisterleistung des Anhangs konzentrierte, nicht auf den Text der Erklärung selbst. Man wird auch eingestehen müssen, dass vor 25 Jahren trotz der internationalen Reichweite der Unterzeichnenden der deutschsprachige theologische Diskurs den internationalen auf eigentümliche Weise dominierte. 

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