Russland: Zweite Haftstrafe für Meinungsäußerung gegen Ukrainekrieg aus religiösen Gründen

Ioann Kurmoyarov, ein orthodoxer Priester, der die russische Invasion der Ukraine auf seinem YouTube Kanal verurteilte, wurde am 31. August 2023 wegen „Verbreitung falscher Informationen über die russischen Streitkräfte“ zu drei Jahren Haft in einem Arbeitslager allgemeinen Regimes verurteilt. Bei diesem Urteil eines Gerichts in St. Petersburg gegen den 55-jährigen Kurmoyarov handelt es sich um die zweite Verurteilung einer Person wegen aus religiösen Gründen vorgebrachten Einwänden gegen den Ukrainekrieg. Im März wurde Mikhail Simonov aus demselben Grund zu sieben Jahren Haft verurteilt.

In mehr als sechzig Videos auf seinem Kanal „Orthodoxe Virtuelle Pfarrer“ argumentierte Ioann Kurmoyarov, dass alle Christen gegen die Invasion sein sollten und beschuldigte die russischen Truppen, Verbrechen zu begehen. In seinem Schlusswort beim Prozess erklärte er: „Nach meiner Meinung kann ein Christ dem Leiden von Menschen, insbesondere von Kindern, nicht gleichgültig zusehen, unabhängig davon, wodurch es verursacht wurde“. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ist noch nicht bekannt, ob der Staatsanwalt, der sieben Jahre Haft für Kurmoyarov gefordert hatte, Berufung gegen das Urteil einlegen wird. Zusätzlich zu der Haftstrafe wurde gegen Kurmoyarov ein Verbot ausgesprochen, zwei Jahre lang etwas ins Internet zu stellen.

Am 31. Mai hatte Kurmoyarov aus der Untersuchungshaft in einem offenen Brief geschrieben: „Ich habe die Militärische Sonderoperation als persönliche Tragödie erlebt, denn auf beiden Seiten des Konflikts stehen einander Menschen desselben Bluts und Glaubens gegenüber, oft Angehörige derselben orthodoxen Kirche“ … „Wie jeder normale Mensch und umso mehr als Christ wollte ich alles in meiner Macht Stehende tun, damit dieser Konflikt so bald wie möglich endet und Friede kommt.“ Ioann Kurmoyarov wurde bereits im Juni 2022 festgenommen und nach dem neuen Artikel 207.3, Teil2, Absätze G und D des Strafgesetzbuchs angeklagt. Diese Gesetzesstelle wurde nach der Invasion eingeführt, um die öffentliche Verbreitung von „Falschinformationen“ über die russischen Streitkräfte „aus selbstsüchtigen Motiven“ und „aus Gründen politischen, ideologischen, rassischen, nationalen oder religiösen Hasses bzw. Feindschaft oder aus Hass oder Feindschaft gegen eine Gruppe der Gesellschaft“ zu bestrafen. Die Höchststrafe dafür beträgt 10 Jahre Haft.

Der Priester befindet sich noch bis zur Rechtskraft seines Urteils in einem Gefängnis in St. Petersburg, wo er bereits seine Untersuchungshaft verbracht hat. Er beklagte, dass ihm dort eine angemessene medizinische Behandlung verweigert wird, und dass er auf ein „vorbeugendes Register von zu Extremismus und Terrorismus neigenden Häftlingen“ gesetzt wurde, obwohl die Anklage gegen ihn nichts mit Extremismus oder Terrorismus im Sinne des russischen Rechts zu tun hatte.

Sein Status als Priester des Moskauer Patriarchats wurde Kurmoyarov bereits am 1. April 2020 wegen eines Konflikts mit der Diözese Novosibirsk entzogen, wo er von 2018 bis 2020 als Lektor des Seminars gewirkt hatte. Die Ursache des Konflikts war seine öffentliche Kritik an der Errichtung der Russischen Hauptkirche der Streitkräfte anlässlich des 75. Jahrestages des Sieges über Nazideutschland.

Seit Ausbruch des Krieges wurden bereits in mehreren Fällen Geldstrafen gegen Personen verhängt, die Kritik am Ukrainekrieg geäußert hatten.

Am 8. August 2023 kam es zu einer Razzia in der Wohnung des Baptistenpastors und ehemalischen Vorsitzenden des russischen Baptistenbundes Yury Kirillovich Sipko, dem dieselben „Vergehen“ zur Last gelegt werden, wie Ioann Kurmoyarov. Man konnte ihn jedoch nicht festnehmen, da er Russland bereits verlassen hatte. Daraufhin wurde er auf die Fahndungsliste des Innenministeriums gesetzt.
 Am 29. Juni 2023 wurde der Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen Andrey Kapatsyna, Angehöriger einer Pfingstgemeinde, zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt, weil er einen Kampfeinsatz in der Ukraine verweigert hatte. Er hatte gegenüber den Kommandanten erklärt, er könnte gemäß seiner religiösen Überzeugung keine Waffen ergreifen und gegen andere Menschen einsetzen.

Quelle: Forum 18, Oslo (Bericht vom 8. September 2023, Deutsche Fassung: Arbeitskreis Religionsfreiheit der ÖEA).

Siehe zum Thema auch einen Beitrag der FAZ

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