Christentum als soziale Utopie

Jakob Augstein liefert in seiner aktuellen „Im Zweifel links“-Kolumne zustimmend eine Kurzversion der Bloch’schen Sozialutopie. Die utopische Hoffnung wird dabei mit ihrer auf Gerechtigkeit ausgerichteten Eschatologie als christliches Erbe verstanden. Die Veränderung der Gesellschaft stellt eine notwendige Etappe und Bedingung im geschichtlichen Prozess der Umsetzung einer endzeitlichen Hoffnung dar. An Bloch anknüpfend, hat übrigens Jürgen Moltmann seinen Wahrheitsbegriff entwickelt. Ungefähr so: Wahrheit ist, was nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt.

Augstein:

Die christliche Kultur ist in ihrem Wesen eine utopische Kultur. Im Hintergrund des Christentums ist immer das Murren zu vernehmen. Mit diesem schönen Wort bezeichnet Luther den Ausdruck der wütenden Sehnsucht nach einer besseren Welt. Der Prophet Amos empört sich, „dass sie die Gerechten um Geld und die Armen um ein Paar Schuhe verkaufen“. Und sein Kollege Jesaja prophezeit: „Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten.“

Das Christentum ist die Religion der Unterdrückten. Und man sollte nicht vergessen, dass Jesus selbst gleichsam der erste Kommunarde war, von dem es in der Apostelgeschichte heißt: „Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele; auch keiner sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemein.“

Das ist immer noch lebendig, jederzeit abrufbar. Wenn sich ein neuer Papst den Namen des Heiligen Franziskus „auferlegt“ – so heißt es in der lateinischen Formel – also den Namen eines Mannes, der sein Hab und Gut unter die Armen teilte, dann versteht in der Ära der menschenfeindlichen Gier des Finanzkapitalismus die ganze Welt diese Botschaft. So korrupt kann die Kirche nicht sein, so verdorben kein Priester, dass das verschüttet würde. Und das erinnert uns auch daran, was wir Heutigen eigentlich mit einem Mann anfangen würden, der mit Tieren spricht. Keine Frage, die Ärzte wüssten eine Lösung: drei Wochen geschlossene Abteilung, täglich 25 mg Zyprexa – und dann wäre Schluss mit der ganzen Heiligkeit.

Ernst Bloch hat an einer berühmten Stelle im „Prinzip Hoffnung“ geschrieben: „Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen.“

Mehr: www.spiegel.de.

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8 Kommentare
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Roderich
11 Jahre zuvor

Klingt irgendwie antisemitisch, was der schreibt. 😉 Aber Spaß beiseite. in der Ära der menschenfeindlichen Gier des Finanzkapitalismus Eher leben wir in der Ära der menschenfeindlichen Gier der Einzelmenschen. Und des Staates. Und natürlich auch mancher Einzelmenschen, wenn sie in höheren Firmenpositionen sind. Der Ordoliberalismus hat deswegen ja klar gemacht: man muss die Rahmenordnungen so setzen, dass der einzelne, wenn er sich rational verhält (also seinen eigenen Gewinn maximieren will) sich automatisch zum Wohle des Ganzen verhält. Damit ist das Profitstreben in keiner Weise gutgeheißen. Aber es wäre einfach unrealistisch, ein besseres Menschenbild zu unterstellen. Auch ist nicht alles „Streben nach Eigennutz“ gleich Sünde. Wenn es in der Schule für alle Menschen gleiche Noten gäbe, dann gäbe es einfach keine Motivation mehr, sich besonders ins Zeug zu geben – es ist doch normal, dass man die Früchte seiner Arbeit genießen will. Bei Augstein war die „linke Vision“ (marxistische Vision) zuerst, von seinem Vater gleich mit in die Wiege gelegt bekommen,… Weiterlesen »

Raschu
11 Jahre zuvor

Hallo Ron, in welcher Schrift schreibt Moltmann das?

Raschu
11 Jahre zuvor

Ich meinte seine Aussagen zum Wahrheitsbegriff, auf die Du hingewiesen hast. In der Theologie der Hoffnung habe ich davon nichts ausführliches gelesen. Höchstens mal implizit.

Raschu
11 Jahre zuvor

: vielen Dank für den Hinweis. Ich kann mich erinnern die Stelle gelesen zu haben, aber da alles nur Verheißung und Zukunftsmusik ist – Hermann Fischer spricht treffend von einer „Total-Eschatologisierung“ – war ich mit meinen Gedanken auch eher schon am Ende des Buches 😉 und habe es übersehen.

In gewisser Weise ist das auch logisch, da Evangelium, Offenbarung, Gottesreich, … allesamt im nebulösen Eschaton aufgehen. Wahrheit wäre nach Moltmann dann vielleicht eher dort, wo wir in Not, Leid und Lüge dieser Welt Wahrheit, sprich Mitleid und Befreieung, hineinsprechen.

Liebe Grüße, Raphael

Roderich
11 Jahre zuvor

@Hartmut, Die Verleumdungen (besonders aus den Reihen der “Christen”), der Neid der halbherzigen, das Unverstanden-sein, die Einsamkeit usw., alles das läßt Persönlichkeiten entstehen, die einmal fähig sein werden die Regierung nach Gottes Meinung und Sinn zu stellen. Einsamkeit, Unverstanden-sein, etc. können, müssen aber keine Folge von Geistlichkeit sein. Sie können auch die Folge von Persönlichkeitsstörungen sein. Oder eine Mischung von beidem. Man kann es eben nicht verallgemeinern. Ich will nur nicht, dass man das Dasein als „Sonderling“ per se verherrlicht. Wie ich aus anderen Postings von Dir verstanden habe, hast Du im Moment keine Gemeinde. Es ist wahr – das kann an den bösen anderen liegen, es kann aber auch an Dir liegen. Also Vorsicht, dass man sich selbst nicht in die Opferrolle stilisiert. Und Vorsicht vor geistigem Hochmut (!!!). Auch führt „Druck“ etc. nicht automatisch zum Wachstum. Es kann auch zu Bitterkeit, Rückzug (in die Isolation (!)), etc. führen. (Also, um es konkret zu machen: ich habe das dumpfe… Weiterlesen »

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