Michael Girke hat für die Literaturbeilage der Tageszeitung junge Welt (Ausgabe Nr. 233, 8. Oktober 2014) das neue Buch Gelegenheiten von Bettina Klix rezensiert. Hier einige Auszüge:
Vor einigen Monaten im Antiquariat meines Vertrauens stolperte mein Blick über einen ungewöhnlichen Titel. Der versprach etwas, ließ erwarten, dass in dem kleinen grünen Buch, welches er schmückte, ähnlich schöne Texte zu finden sein könnten, wie sie die passionierten Stadtwanderer Walter Benjamin und Franz Hessel einst zu Papier brachten. »Sehen Sprechen Gehen« hieß dieses Büchlein, das ich neugierig nach Hause trug – auch weil Bettina Klix, so der Name von dessen Autorin, mir als Filmkritikerin bekannt war. Ihr Buch stellte sich in der Tat als eine lose Sammlung von poetisierten Großstadtbegegnungen und -gesprächen heraus. Der Handlungsort wird nicht mit Klarnamen benannt, dürfte aber wohl jenes Berlin sein, in dem Bettina Klix geboren und das ihre Heimat ist. Walter Benjamin und Franz Hessel hatten die Straßen, Plätze und Fassaden dieser Stadt erkundet, Bettina Klix erkundet, was sich in und zwischen deren Menschen abspielt.
Nach »Sehen Sprechen Gehen« (immerhin schon 1993 erschienenen) keine Veröffentlichung mehr, Klix verschwand aus dem literarischen Leben. Über das Warum kann man nur spekulieren. Vielleicht hatte sie schlicht besseres zu tun, als zu schreiben; eine andere Möglichkeit wäre Misserfolg; noch eine die Schlangengrube Literaturbetrieb. Ganz aufgehört aber hat sie erfreulicherweise nicht. »Gelegenheiten« heißt Bettina Klix‘ neuer Band, und er enthält Erzählungen wie etwa jene über die Ungeschicklichkeit. Der Ungeschickte, heißt es darin, weigere sich auf seine Weise, Dinge so zu benutzen, wie es vorgeschrieben ist. »Das durch ihn erzeugte Unheil, mit dem die Dinge die Untauglichkeit des Ungeschickten darstellen, erlaubt es ihnen, sich endlich einmal zu zeigen.« Das trifft. Und zwar den Umstand, dass unser Alltagsblick dazu neigt, Vertrautes nicht mehr richtig wahrzunehmen. Dass aber ausgerechnet unsere Ungeschicklichkeit, die wir zumeist belächeln oder anders abtun, übersehenen Dingen wieder zu Beachtung verhelfen kann – dieser Gedanke dürfte den Wenigsten je gekommen sein. Woran man wieder merken kann, dass es gut ist, sich ab und an andere Augen einzupflanzen, sprich: zu guter Literatur zu greifen.
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Begegnungen scheinen für Bettina Klix ganz besondere Bedeutung zu haben. In einer der Geschichten berichtet die Erzählerin von einem Gefühl der Unvollständigkeit, dass sie seit langem immer wieder heimsucht und an ihr nagt. Irgendwann sitzt ihr in der U-Bahn eine Frau gegenüber, welche eine Hand verloren hat und dies so gut es eben geht zu verbergen sucht. Aber nun gibt es ein Problem: Wie soll die Frau das Buch, in dem sie liest und dass sie in der verbliebenen Hand hält, unbemerkt umblättern? Die Begegnung reißt etwas auf, löst einen Erkenntnisschauder aus. Die Erzählerin weiß nun: Was sie sich zuvor über sich selbst eingeflüstert hatte (oder hat einflüstern lassen) und was wirklich existentielles Gewicht hat – das klafft beschämend weit auseinander.
Lauter solche flüchtigen »kleinen« Alltagsmomente hält Bettina Klix fest und verdichtet sie zu Handlungen und Epiphanien; mit viel Empfindungsvermögen und mittels einer von allem Effekthascherischen wohltuend freien Prosa.
Wirklich. Bettina Klix ist eine begnadete Beobachterin, eine Augenblicksammlerin eben. Reinschauen.