André Kieserling fast für FAZ ein Papier zusammen, dass Andrew Abbott über das Leseverhalten von jüngeren Geisteswissenschaftler publiziert hat. Fazit: Es wird viel geschrieben, kaum noch gelesen und nicht mehr exakt zitiert:
Die Folgen für das Leseverhalten sind Abbott zufolge verheerend. Sie bestehen darin, dass eine wissenschaftliche Jugend, die ihr Heil in unablässigem Publizieren sucht, einerseits die Menge des zu Lesenden rasch anwachsen lässt, andererseits nun auch selbst nicht mehr zum Lesen kommt. Die stärkste Evidenz dafür, dass es sich wirklich so verhält, sieht Abbott in gut belegten Änderungen des Zitierverhaltens. In der Wachstumsphase der Universitäten verhielt es sich in zwei von drei Fällen so, dass die gelesenen Texte nicht pauschal, sondern genau, nämlich unter Verweis auf bestimmte Seiten oder Seitenfolgen, zitiert wurden. Im nahezu vollständigen Verfall dieser Praxis in den Jahrzehnten seither sieht Abbott ein Symptom dafür, dass eigene Lektüreleistungen vielfach nur vorgetäuscht werden. Die imponierenden Literaturverzeichnisse am Ende wissenschaftlicher Arbeiten simulieren eine Teilnahme an wissenschaftlicher Kommunikation, die gar nicht stattfand, weil dem publizistisch betriebsamen Youngster die Zeit dafür fehlte.
Dass aber zum Autor einer Wissenschaft tauge, wer zum Lesen ihrer Texte nicht kommt, wird niemand erwarten. Dem Publikum, das sie nicht finden werden, hätten die Publikationen dieser Nichtleser denn auch nur wenig zu bieten. Ihrer sozialen Funktion nach oft nur ein ängstliches Bewerbungsschreiben, mit dem der Autor seine intellektuelle Offenheit nach allen Seiten bekundet, bleibt ihr Erkenntnisanspruch vielfach nur Prätention. So sieht es jedenfalls Andrew Abbott, der hier allerdings mit besonderer Autorität als langjähriger Herausgeber einer der angesehensten Zeitschriften seines Faches urteilen kann.
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Die überwiegende Mehrheit in unserer Gesellschaft liest meiner Wahrnehmung nach sehr wenig. Auch die Fähigkeit sinnerschließend und verstehend zu lesen scheint mir beständig abzunehmen. Kontraproduktiv ist da auch die Flut an unnützen Informationen und Informationsmüll via elektronischer Medien.
Genau D A S war mein Eindruck während fünf Jahren Englisch- und Geschichtestudium. Beruhigend und beunruhigend zugleich, dass ich es jetzt von „außen“ bestätigt sehe …