Die Moralpsychologie untersucht rein deskriptiv die tatsächlichen moralischen Wertvorstellungen von Menschen, meidet aber selbst ethische Aussagen. Jordan Mejas berichtet heute für die FAZ über eine Tagung von Moralpsychologen im östlichen New England (U.S.A.). In seinem amüsant geschriebenen Artikel »Feierliches Hochamt im Tempel der Vernunft« schildert Mejas, wie Psychologen, Biologen, Neurologen, »und allenfalls solche Philosophen, die sich auf Experimente und Einsichten der Hirnforschung stützen«, kontrovers über Moralbegründungen debattierten. Fast nichts ist in der »Babywissenschaft« unumstritten: Gibt es einen freien Willen?, Sind Moralvorstellungen in uns eingebaut oder durch Erfahrung erworben?, Sind Moralvorstellungen universell oder privat-intuitiv?.
Bei aller Vielfalt der Positionen herrschte in zwei Fragen offenbar Harmonie. Einig waren sich die Moralpsychologen nämlich darin, dass (a) Moral ein Naturphänomen ist (wir also in einer moralischen Welt leben) und (b) wir unsere Moralität keinem Gott zu verdanken haben.
Die säkulare Wissenschaft beherrschte die Konferenz. Als es an ihrem Ende jedoch zu einem ersten Konsens kommen sollte, gingen die Schlussfolgerungen gehörig auseinander. Schon auf die Frage, ob Religion als Teil der Evolution anzusehen sei, blieb die klare Antwort aus. Einig waren sich die Teilnehmer immerhin darin, dass auf Gott zu verzichten sei. Ihm, so das einhellige Resultat ihrer gewiss noch nicht abgeschlossenen oder womöglich nicht abschließbaren Untersuchungen, hat der Mensch die Moral nicht zu verdanken. Dass sie ihm angeboren ist, wollte derart kategorisch allerdings auch nicht jeder behaupten. Nur über den Befund, dass Moral ein Naturphänomen ist, herrschte Einigkeit, wenn auch bloß bis zu einem gewissen Grade. Denn ausschließlich zu verstehen sei das sicherlich nicht. Neben der Natur macht sich in der Moral eben auch die Kultur bemerkbar, und wo die Wirkung der einen aufhört und die der anderen beginnt, ist alles andere als ausgemacht.
Hier der Tagungsbericht: www.faz.net.
Der wissenschaftliche Zugang zum Themenbereich der Ethik ist schon per Definition beschränkt: Jegliche Begriffe oder Konzepte, die sich nicht auf eine formal-logische Form abbilden lassen, entziehen sich der mathematischen Präzision der wissenschaftlichen Methode. Und ob das von Popper formulierte Falsifikationsprinzip effektiv auf Theorien im Bereich der Ethik angewendet werden kann, ist zumindest nicht offensichtlich.
Solange dieses Spannungsfeld zwischen der Stärke der wissenschaftlichen Methode und ihrer immanenten Grenzen nicht von den Beteiligten selbst zumindest wahrgenommen wird, wird sich alles, was dabei herauskommt, dem Zugriff einer strengen wissenschaftlichen Prüfung gemäß Popper entziehen.
Um das zu sehen, muss man weder Theist noch Theologe sein. Die Auseinandersetzung mit der Wissenschaftstheorie selbst kann schon die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis zu Tage bringen, unabhängig davon, wo man selbst steht.