Wilhelm Niesele schreibt in seinem Buch über die Theologie Calvins (München: Kaiser, 1957, S. 197):
Wer in Calvin den Urheber aller modernen Kirchenspaltung sieht, zeigt, dass er von ihm keine Zeile gelesen hat. Auch das ganze Verhalten Calvins spricht dagegen. Er hat auf den Religionsgesprächen, an denen er teilgenommen hat, das Augsburgische Bekenntnis unterschrieben. Er hat trotz erheblicher Lehrunterschiede die Freundschaft zu Melanchthon gehalten. Mit großer Leidenschaft hat er sich für die Einheit des Protestantismus eingesetzt und die Streitlutheraner zurückgewiesen, weil sie die Kirche des Evangeliums zu zerreißen drohten. Als der Reformator aus Genf vertrieben worden war, wollten seine Anhänger in der Gemeinde nicht mehr an Abendmahlsfeiern unter Leitung der Pastoren, die ihm feindlich waren, teilnehmen. Calvin hat seine Freunde brieflich geradezu beschworen, von diesem Vorhaben abzulassen, damit die Einheit der Gemeinde keinen Schaden leide. Es besteht kein Grund, die Kirche zu verlassen, wenn die Predigt einige Unrichtigkeiten enthält und unklare Lehren verbreitet werden; »denn es gibt wohl keine Kirche, die nicht etwas von Unwissenheit behält«.