Philosophie

EZW: Die Emerging Church-Bewegung

Anika Rönz hat für die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen einen Beitrag über die „Emerging Church-Bewegung“ verfasst (Materialdienst der EZW, Zeitschrift für Religions- und Weltanschauungsfragen, 75. Jg., 7/12, S. 257–263). Ich tauche darin als gemäßigter Kritiker auf. Frau Rönz hat meine Position recht zutreffend zusammengefasst. Vielen Dank.

Hier der Auszug (S. 260–261):

So formuliert beispielsweise Ron Kubsch, Dozent am Martin Bucer Seminar und aktiver Blogger, folgende Vorbehalte: Zum einen problematisiert er den „pluralistischen Denkstil“ von Christinnen und Christen, die der Emerging-Church-Bewegung zuzurechnen sind. Dieser steht für ihn im Gegensatz zur biblischen Forderung nach einem unterscheidenden Denken. Hinzu kommt für ihn eine von der Emerging-Church-Bewegung betriebene Relativierung der Schriftautorität, die sich über das Sola-Scriptura-Prinzip des Protestantismus hinwegsetze und die Bibel nach dem Korrelationsprinzip nach Paul Tillich in einer Wechselbeziehung zwischen biblischer Wahrheit und kulturellen Kategorien auslege. Ebenso wirft er der Bewegung eine Verengung der Sünden- und Sühnopferlehre vor: Indem sie das Sühnopfer Jesu vor dem Hintergrund eines bestimmten Gottesbildes ablehne, verkürze sie die biblische Lehre von Sünde und Sühne. Als einen weiteren Kritikpunkt nennt Kubsch schließlich eine „Religionsvermischung“ und kritisiert hiermit zum einen die Übernahme von Praktiken aus anderen religiösen Traditionen (wie Yoga, Meditation etc.) als auch die schon angesprochene, innerhalb der Bewegung recht verbreitete theologisch-inklusivistische Haltung. Die Aussage beispielsweise, man könne gleichzeitig Hindu sein und Jesus nachfolgen, hält Kubsch für eine „merkwürdige“ Verzerrung des neutestamentlichen Verständnisses. Grundsätzlich sieht er das postmoderne Denken, wie es beispielsweise von Hegel, Nietzsche und Heidegger vertreten wurde, mit dem grundlegenden Gedanken der „Nicht-Existenz einer Metaregel“ im extremen Gegensatz zum Evangelium: „Streng genommen ist das Evangelium innerhalb eines postmodernen Bezugsrahmens überhaupt nicht verstehbar.“

Trotz seiner kritischen Grundhaltung gegenüber der Emerging-Church-Bewegung sieht er allerdings auch positive Elemente: „Vieles von dem, was die EmCh [Emerging Church] heute problematisiert, kommt mir sehr bekannt vor und ich freue mich darüber, dass diese Themen endlich einmal auf der Agenda stehen … Die evangelikale Rückzugsmentalität und die unter uns so weit verbreitete und akzeptierte Kulturfeindlichkeit bedürfen einer Korrektur. Durchaus erfreut nehme ich eine neue Aufgeschlossenheit für den wissenschaftlichen Diskurs wahr.“

Christentum als soziale Utopie

Jakob Augstein liefert in seiner aktuellen „Im Zweifel links“-Kolumne zustimmend eine Kurzversion der Bloch’schen Sozialutopie. Die utopische Hoffnung wird dabei mit ihrer auf Gerechtigkeit ausgerichteten Eschatologie als christliches Erbe verstanden. Die Veränderung der Gesellschaft stellt eine notwendige Etappe und Bedingung im geschichtlichen Prozess der Umsetzung einer endzeitlichen Hoffnung dar. An Bloch anknüpfend, hat übrigens Jürgen Moltmann seinen Wahrheitsbegriff entwickelt. Ungefähr so: Wahrheit ist, was nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt.

Augstein:

Die christliche Kultur ist in ihrem Wesen eine utopische Kultur. Im Hintergrund des Christentums ist immer das Murren zu vernehmen. Mit diesem schönen Wort bezeichnet Luther den Ausdruck der wütenden Sehnsucht nach einer besseren Welt. Der Prophet Amos empört sich, „dass sie die Gerechten um Geld und die Armen um ein Paar Schuhe verkaufen“. Und sein Kollege Jesaja prophezeit: „Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten.“

Das Christentum ist die Religion der Unterdrückten. Und man sollte nicht vergessen, dass Jesus selbst gleichsam der erste Kommunarde war, von dem es in der Apostelgeschichte heißt: „Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele; auch keiner sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemein.“

Das ist immer noch lebendig, jederzeit abrufbar. Wenn sich ein neuer Papst den Namen des Heiligen Franziskus „auferlegt“ – so heißt es in der lateinischen Formel – also den Namen eines Mannes, der sein Hab und Gut unter die Armen teilte, dann versteht in der Ära der menschenfeindlichen Gier des Finanzkapitalismus die ganze Welt diese Botschaft. So korrupt kann die Kirche nicht sein, so verdorben kein Priester, dass das verschüttet würde. Und das erinnert uns auch daran, was wir Heutigen eigentlich mit einem Mann anfangen würden, der mit Tieren spricht. Keine Frage, die Ärzte wüssten eine Lösung: drei Wochen geschlossene Abteilung, täglich 25 mg Zyprexa – und dann wäre Schluss mit der ganzen Heiligkeit.

Ernst Bloch hat an einer berühmten Stelle im „Prinzip Hoffnung“ geschrieben: „Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen.“

Mehr: www.spiegel.de.

Der Häretiker Thomas Nagel

41dvfCkcIPL BO2 204 203 200 PIsitb sticker arrow click TopRight 35 76 AA300 SH20 OU03Der ursprünglich aus Belgrad stammende Thomas Nagel gehört zu den renommiertesten Philosophen der Vereinigten Staaten und hat mit Büchern wie Das letzte Wort die Vernunft gegen die Angriffe des Subjektivismus verteidigt. Bei ihm kann man folgende Sätze finden: „Kommt es zu philosophischen Auseinandersetzungen über die Objektivität irgendeiner Form des Denkens, muß das letzte Wort bei einigen uneingeschränkten Gedanken über das Sosein der Dinge liegen – bei Gedanken, die stets dableiben, einerlei, wie sehr wir uns bemühen, aus ihnen herauszutreten oder sie bloß als zufällige psychische Veranlagungen zu betrachten“ (Thomas Nagel, Das letzte Wort, S. 8).

In seinem bisher letzten Buch Mind and Cosmos: Why the Materialist Neo-Darwinian Conception of Nature Is Almost Certainly False hat sich Nagel gegen eine naturalistische Welterklärung ausgesprochen. Der Verlag schreibt:

In Mind and Cosmos Thomas Nagel argues that the widely accepted world view of materialist naturalism is untenable. The mind-body problem cannot be confined to the relation between animal minds and animal bodies. If materialism cannot accommodate consciousness and other mind-related aspects of reality, then we must abandon a purely materialist understanding of nature in general, extending to biology, evolutionary theory, and cosmology. Since minds are features of biological systems that have developed through evolution, the standard materialist version of evolutionary biology is fundamentally incomplete. And the cosmological history that led to the origin of life and the coming into existence of the conditions for evolution cannot be a merely materialist history. An adequate conception of nature would have to explain the appearance in the universe of materially irreducible conscious minds, as such. No such explanation is available, and the physical sciences, including molecular biology, cannot be expected to provide one. The book explores these problems through a general treatment of the obstacles to reductionism, with more specific application to the phenomena of consciousness, cognition, and value. The conclusion is that physics cannot be the theory of everything.

Wie es einem ergeht, wenn er das Getöne des Establishments hinterfragt, zeigt der Artikel „The Heretic: Who is Thomas Nagel and why are so many of his fellow academics condemning him?“ von Andrew Ferguson: www.weeklystandard.com.

 

V.S. Poythress: Logik

51t9aOv XKLVern Sheridan Poythress hat einen christlichen Entwurf zur Logik vorgelegt. Der Verlag schreibt über das neue Buch mit 736 Seiten: Logic: A God-Centered Approach to the Foundation of Western Thought.

For Christians looking to improve critical thinking skills, here is an accessible introduction to the study of logic as well as an in-depth treatment of the discipline from a professor with six academic degrees and over 30 years experience teaching. Questions for further reflection are included at the end of each chapter as well as helpful diagrams and charts for use in college and graduate-level classrooms. Vern Poythress has undertaken a radical recasting of the study of logic in this revolutionary work from a Christian worldview.

Hier kann man mal reinschauen:

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Die Gender-Toiletten

Der Gender-Wahnsinn ist weiter auf dem Vormarsch: In Massachusets dürfen Jungs jetzt die Mädchentoiletten benutzen, wenn sie vorgeben, „transgender“ zu empfinden. Niemand darf sie kritisieren oder raus schicken. In England werden ebenfalls „gender-neutrale“ Toiletten eingeführt.

Ich empfehle den Kurzkommentar von Jeremy Tedesco. „Die Dinge sind definitiv außer Kontrolle geraten.“ Hier:  blog.alliancedefendingfreedom.org.

VD: MG

Christliche Philosophie

Ich habe im Sommer 2010 auf das Symposium „Möglichkeit und Aufgabe christlichen Philosophierens“ hingewiesen, das von der STH in Basel (Schweiz) veranstaltet wurde. Freundlicherweise sendet der ERF die Vorträge nun sukzessive aus. Der ERF schreibt:

Wie vernünftig ist der christliche Glaube? Muss er das überhaupt sein? Kann und darf das, was ein Mensch glaubt, zu dem im Widerspruch stehen, was er denkt? – Um diese Fragen geht es in der zweiten Folge der Reihe über „Christliche Philosophie“.

Auf dem Programm steht ein Vortrag von Hans Christian Schmidbaur, Professor für Dogmatik an der Facoltà di Teologia di Lugano (Schweiz), aufgezeichnet auf der Philosophie-Studientagung, die im September 2010 an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel durchgeführt worden ist. Unter der Überschrift „Wein und Wasser – Thomas von Aquins Verhältnisbestimmung von Theologie und Philosophie“ schlägt Schmidbaur einen Bogen von Denkern der Scholastik wie z. B. Johannes Scotus Eriugena, Anselm von Canterbury und Thomas von Aquin bis hin zu Philosophen des 17. (Blaise Pascal) und 20. Jahrhunderts (Karl Jaspers).

Hier die Internetadresse: www.erf.de.

VD: SS

Zur Entstehung gendergerechter Schreibweisen

SchülerInnen, Studierende, Professor_Innen, Absolvent*Innen – es gibt eine Menge Vorschläge, wie man gendergerecht schreiben kann. Warum das sinnvoll sein soll und doch sinnlos sein kann, dazu informiert ungewollt der ausführliche Artikel „Die Entstehung von gendergerechten Schreibweisen“.

Im Trend liegt das  „gender-gap_ “ als neue Strategie der Aneignung zur Infragestellung des binären Geschlechtersystems. Das „gender-gap_ “ schreibt _ als Leerstelle_ in Form eines Unterstrichs.

Der Unterstrich, später gender_gap (soziales Geschlecht_Leerstelle) genannt, soll alle Menschen mit einschließen, auch diejenigen, die sich nicht als vermeintliche Frauen oder Männer definieren. Er soll das zwei-Geschlechtersystem in Frage stellen, weil es einige Transgender (Transsexuelle, die das Geschlecht wechseln wollen oder sich keinem Geschlecht zugehörig fühlen) und intersexuelle Menschen (Menschen deren biologische Geschlechtsmerkmale sich nicht eindeutig einem der beiden Geschlechter zuordnen lassen) nicht einschließt.

In den letzten Jahren verbreitet sich das gender-gap mehr und mehr. Wurde es am Anfang vor allem von queer-feministischen Kreisen verwendet, adaptieren es mehr und mehr Linke und selbst an Universitäten findet sich sein Gebrauch mittlerweile sporadisch wieder.19 Kritik an dieser Schreibweise gibt es derweil z.B. aus feministischer Ecke. Luise Pusch findet heute, dass das Binnen-I zur Aufnahme von Frauen eine bessere Alternative als ein angehängtes Suffix wie beim Schrägstrich/- oder Unterstrich_ ist. Den Unterstrich für Menschen, die sich nicht einem der beiden anerkannten Geschlechter zugehörig fühlen, zu verwenden, findet sie entwürdigend. Außerdem funktioniert diese Schreibweise nicht in allen Sprachen, z.B. dem Englischen, wo es gar keine männlichen und weiblichen Endungen gibt. Deshalb plädiert sie wie viele Andere für eine Entsexualisierung der Sprache durch Verwendung von Formen wie Studierende, Angestellte und Lehrbeauftragte.

Die FAZ hat gestern den Aufsatz „Unbeschreiblich weiblich und männlich“ von Emanuel Derman publiziert (FAZ vom 18.02.2013, Nr. 41, S. 30). Da Geschlechterzuschreibungen – so Derman – immer schwieriger werden, müssen wir „befreite Sexkimos“ neue Wege gehen und Schemen entwickeln, in denen sich alle – ich nenne es: „wiederfühlen“. Derman verweist auf Studenten, die von sich sagen, „ihre Identität variiere in der Zeit“, also „von Tag zu Tag oder von Woche zu Woche“. Bei so viel Bewegung ist der Vorschlag, in Zukunft das Geschlecht mit einer Leerstelle zu kennzeichnen, vielleicht gar nicht grotesk. So bleiben die Publikationen immer authentisch.

Hier der Beitrag über gendergerechtes Schreiben von Studis Online: www.studis-online.de.

G. Rohrmoser: Was heißt Privatisierung des Glaubens?

Günter Rohrmoser schreibt in Die Wiederkehr der Geschichte (1995, S. 220):

Und was heißt Privatisierung des Christentums? Jeder kann es mit dem Christentum halten, wie er will. Seine Entscheidung ist völlig beliebig und ganz der privaten autonomen Wahlfreiheit unterworfen. Es kann gar kein Zweifel darüber bestehen, daß das Ende, das das Christentum auf diese Weise erleiden wird, anonym und lautlos sein wird. Das Christentum wird eines Tages verschwunden sein, ohne daß wir es überhaupt bemerkt haben. Das Besondere dieser Situation im Unterschied zu anderen Phasen der Krise des Christentums liegt nun darin, daß die größten Gefahren für das Christentum heute von den Hirten und von den Theologen selbst auszugehen scheinen.

Der religiöse Pragmatismus des William James

William_James.jpgWilliam James (1842–1910) war ein amerikanischer Psychologe und Philosoph und gilt zusammen mit dem Logiker Charles Sanders Peirce als Gründer des erkenntnistheoretischen Pragmatismus und als Pionier der Religionspsychologie. Unter Pragmatismus versteht man eine Theorie, für die Wahrheit nicht in der Übereinstimmung einer Aussage mit der Wirklichkeit besteht. Wahrheit heißt aus pragmatischer Sicht, dass eine Aussage wahr ist, wenn sie nützlich für das menschliche Handeln ist. Wahr aus Sicht des Pragmatismus ist das, was funktioniert. Für die Religion heißt das nach James: „Der Pragmatismus erweitert das Gebiet, auf dem man Gott suchen kann. Der Pragmatismus ist zu allem bereit. Er folgt der Logik oder den Sinnen und lässt auch die bescheidenste und persönlichste Erfahrung gelten.“

James knüpft an Friedrich Schleiermacher an und verortet den Glauben hinter den Dogmen im mystischen Gefühl. Der religiöse Pragmatismus ist auch heute noch weit verbreitet, was leicht zu erkennen ist, wenn man den folgenden DLF-Beitrag hört:

Kant und die Theologie (Teil 2)

Im Oktober 2012 kam es in der chilenischen Presse zu einem Schlagabtausch zwischen dem Kantianer Pfarrer Richard Wagner und dem Philosophieprofessor Daniel von Wachter. Ich geben den Disput in zwei Teilen mit freundlicher Genehmigung wieder. Hier die Replik von Daniel von Wachter auf den Beitrag von Richard Wagner:

Die Anti-Vernünftigkeit Kants und die Umdeutung des Gottesbegriffs

Daniel von Wachter

Herr Wagner trägt in diesem Artikel eine Lehre Immanuel Kants und die Auffassung vor, man könne durch das Universum keine Erkenntnis über Gott gewinnen. Das folgende ist eine Gegendarstellung.

Aufklärung

Herr Wagner stellt seine Position als die „aufgeklärte“ dar, welche bedauerlicher- und seltsamerweise „immer noch“ nicht alle angenommen hätten, was entweder ein Mangel an Kenntnis dieser Position oder ein Mangel an Vernunft sein müsse. Das ist die Rhetorik derjenigen Bewegung des 18. und 19. Jahrhunderts, die sich in aller Bescheidenheit „Die Aufklärung“ und ihre Gegner als die Abergläubischen, Unvernünftigen und Dogmatischen dargestellt haben. Es ist normal zu glauben, daß man selbst recht hat und die anderen irren – das liegt in der Natur einer Überzeugung. Aber die bloße Behauptung, die Vernunft gepachtet zu haben, sollte keinen vernünftigen Menschen überzeugen. Es kommt auf die Argumente, die Begründungen an, und bei jenen Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts sind die Begründungen ebenso dünn wie die Behauptungen der eigenen Aufgeklärtheit laut. Die Rhetorik des Man-kann-heute-nicht-mehr-X-glauben oder des Wir-haben-das-Mittelalter-überwunden will, ohne sich die Mühe des Begründens zu machen, den Eindruck erwecken und darauf hinwirken, daß der Glaube an den Schöpfergott, an Wunder, an die Existenz der Seele, an die Willensfreiheit und an objektive Moral aussterben werde. Doch das werden sie ebensowenig wie die materialistischen Gegenpositionen aussterben werden. Es bleibt die Aufgabe eines jeden Menschen, nach der Wahrheit zu suchen.

Immanuel Kant

Herr Wagner glaubt an die Lehren Immanuel Kants und meint zudem, diese müßten jeden Vernünftigen überzeugen. Dazu muß sich jeder selbst ein Urteil bilden. Doch es ist keineswegs so, wie Theologen manchmal meinen, daß man „seit Kant“ dieses oder jenes nicht mehr glauben könne. Es kommt in der Philosophie selten oder nie vor, daß eine Position unhaltbar wird und ausstirbt. Das liegt wohl nicht zuletzt daran, daß in der Philosophie auch starke irrationale Beweggründe wirken.

Zur Auflockerung sei meine Einschätzung Kants genannt, mit der ich nicht allein stehe, und wenn ich es täte, wäre sie deshalb noch lange nicht falsch: Kant litt unter einem neurotischen Sicherheitsbedürfnis. Er wollte keine Metaphysik dulden, welche Gründe und Wahrscheinlichkeiten abwägt. „Ich verbitte mir das Spielwerk von Wahrscheinlichkeit und Mutmaßung“, schrieb er. In der Metaphysik dürfe es um nichts weniger denn „apodiktische Gewißheit“ gehen. Die Existenz von vom Menschen unabhängigen Gegenständen war ihm deshalb unerträglich. Daher machte er seine pubertäre „kopernikanische Wende“ und sagte, nicht unser Denken richte sich nach den Gegenständen, sondern die Gegenstände richten sich nach unserem Denken. Wir erschaffen die Gegenstände. Das ist ein Musterbeispiel von Irrationalität, denn der vernünftige Mensch hält seine Wahrnehmungserlebnisse, seine Eindrücke weder für unfehlbar, noch verwirft er sie völlig, geschweige denn, daß er glaubt, die Gegenstände hingen von ihm ab. Passend zu seiner Irrationalität hat Kant in die deutsche Philosophie den dunklen, unklaren Stil eingeführt, der manchen zwar beeindruckt, aber das wissenschaftliche Niveau senkt.

Können wir durch das Universum Erkenntnis über Gott gewinnen?

Herr Wagner nennt die Überlegungen über Gott als Ursache des Universums „rührend-naiv“. In wenigen Zeilen will er – an entsprechende Behauptungen im Werke Kants angelehnt – zeigen, daß gleichermaßen schlüssige Gedankengänge über die letzte Ursache zu widersprüchlichen Ergebnissen führen. Das soll zeigen, daß wir durch solches Denken keine Erkenntnis über Gott gewinnen können.

Doch wie schon unzählige Kritiker Kants dargelegt haben, sind die genannten Gedankengänge keineswegs schlüssig. Kaum ein Philosoph sagt, alles müsse eine Ursache haben. Die Frage ist, ob das Universum eine Ursache hat, nämlich Gott. Entweder das Universum (in seiner gesamten zeitlichen Ausdehnung) oder Gott hat keine Ursache. Die Diskussion über diese Themen ist heute ausführlicher und gründlicher denn je. Da gibt es viele Positionen, aber wenn man da in seiner Position einen Widerspruch hat, muß man halt etwas an der Position ändern. Unvermeidliche Widersprüche gibt es da keine.

Herr Wagner trägt die Kantische These vor, Kausalität sei nichts in der Welt, sondern eine Weise, wie wir unsere Erfahrungen ordnen. Das glaube wer will, doch fragen Sie sich bitte, was vernünftiger ist: zu glauben, daß es eine unabhängig von unserem Denken bestehende Tatsache ist, daß das Erdbeben das Herunterfallen der Autobahnbrücke des Vespucio Norte verursacht habe, oder daß diese Verursachung nur etwas in unserem Kopf sei. Um Kants Lehren zu beurteilen muß man so direkt und einfach fragen: Ist es vernünftig, das zu glauben? Hier kommt der im Titel von Wagners Artikel genannte Kaiser ins Spiel: die Frage ist, ob der Kaiser nackt und Kant und die Kantianer unvernünftig sind.

Der Schöpfer

Herr Wagner will – Autoren wie Schleiermacher und Bultmann folgend – die Aussage „Gott ist der Schöpfer des Universums“ uminterpretieren in eine Aussage über Wert, Sinn oder Gefühl. Er behauptet wohl, daß sie nichts über eine Ursache des Universums sage, daß sie sich durch keine Beobachtungen des Universums belegen lasse. Damit wendet er sich gegen alle Überlegungen dazu, daß die Lebewesen, unser Körper oder andere Aspekte des Universums Hinweise auf Gott gäben. Doch zu sagen, die Aussage „Gott ist der Schöpfer des Universums“ sei eine Aussage nur über Sinn und Gefühl, ist so absurd und verwirrend wie zu sagen, die Aussage „Die Ampel ist rot“ bedeute in Wirklichkeit: „Ich will nicht mehr weiterfahren.“ Es ist offensichtlich falsch, d.h. es widerspricht den normalen Regeln der Sprache. Nach den normalen Regeln der Sprache bedeutet „Gott ist der Schöpfer des Universums“ das, was der normale Nicht-Theologe darunter versteht: Daß Gott das Universum erschaffen hat und es erhält. Theologen machen seit zwei Jahrhunderten diese Sinnveränderungsverrenkungen, weil sie nicht direkt und klar sagen wollen, was sie meinen, z.B. daß es nicht wahr sei, daß Gott der Schöpfer des Universums sei.

Die Frage ist, ob es einen Gott gibt. Wenn es ihn gibt, ist er der Schöpfer und Erhalter des Universums. Christliche Philosophen haben seit eh und je gründlich und auf dem jeweiligen Stand der Naturwissenschaft dargelegt, daß vieles im Universum, etwa der Menschliche Körper oder der Urknall für die Existenz Gottes spricht. Es sind Indizien für die Existenz Gottes. Das heißt, daß die Annahme der Existenz Gottes diese Dinge erklärt und es weniger wahrscheinlich ist, daß sie von niemandem geschaffen wurden.

Wagners Aussage, wir hätten „keine allgemein überzeugende philosophische Metaphysik“ und Kant habe die vergangene Metaphysik „zertrümmert“ ist, läßt Kants neurotisches Sicherheitsbedürfnis durchscheinen: Natürlich haben wir keine metaphysische Auffassung, die von allen – z.B. sowohl von mir als auch Herrn Wagner – angenommen wird, aber wir haben heute gründliche philosophische Untersuchungen der Indizien für und gegen die Existenz Gottes. Wer das nachprüfen möchte, sehe sich einmal die Sparte „Metaphysics“ auf philpapers.org an. Kant und Herrn Wagner ist das zu wenig „allgemein überzeugend“ und nennt den Streit deshalb einen „aussichtslosen Streit um des Kaisers Bart“. Zeigte die Metaphysik „allgemein überzeugend“, ob es einen Gott gibt, gäbe es dazu weder im Mercurio noch in der Philosophie Diskussionen. Alle Irrationalität würde überwunden. Herr Wagner bräuchte keine Artikel mehr schreiben, und ich auch nicht. Die Menschen müßten nicht mehr mit der Gottesfrage und dem Sinn ihres Lebens ringen. Wenn es einen Gott gibt, wäre das nicht in seinem Sinne, denn wir hätten dann keine Freiheit, ihn und das Evangelium anzunehmen oder abzulehnen, ihn zu lieben oder nicht. Die Existenz Gottes und die Wahrheit des Evangeliums sind nicht zuletzt durch die von Herrn Wagner als aussichtslos bezeichneten Überlegungen (ich empfehle, sie durch das Lesen des Buches „Gibt es einen Gott?“ des Oxforder Philosophen und Theologen Richard Swinburne zu vertiefen) hinreichend gewiß, so daß wir gerufen sind, Vergebung durch Christi Tod zu erflehen und Gott unser Leben zu verschreiben. Aber sie sind nicht so offensichtlich, daß wir nicht die Freiheit hätten, das Evangelium abzulehnen.

Prof. Dr. Dr. Daniel von Wachter

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