Namhafte Reformpädagogen der Nachkriegszeit haben – wie schon vor vielen Jahren bekannt wurde – Jugendliche und Kinder sexuell missbraucht. Ein neuer Bericht der Universität Hildesheim erhebt schwere Vorwürfe gegen die wichtigsten Vertreter der Reformpädagogik der Nachkriegszeit, wie etwa Helmut Kentler oder Herbert E. Colla.
Marco Kammholz hat für jungle.world neue Erkenntnisse zusammengestellt:
Je mehr über diese Machenschaften bekannt wird, umso fassungsloser bleiben Wissenschaft und Öffentlichkeit zurück. Mittlerweile ist bekannt, dass Kentler auch selbst sexuell übergriffig gegen von ihm betreute Kinder und Jugendliche geworden ist. Außerdem unterstützte ihn nicht nur die Berliner Senatsverwaltung in Gestalt des Landesjugendamtes. Es gab vielmehr ein größeres Netzwerk als bisher angenommen, das bundesweit sexuelle Kontakte zwischen Erwachsenen und den in Pflegestellen oder Wohngruppen betreuten Jugendlichen und Kindern begünstigt und teils organisiert hat.
Bekannt wurde das vor allem, weil sich in den vergangenen Jahren Betroffene bei den Aufarbeitungsprojekten des erziehungswissenschaftlichen Instituts der Universität Hildesheim gemeldet haben. Eine Forschungsgruppe um die Erziehungswissenschaftlerin Meike Sophia Baader hat nun erneut einen Bericht über Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe veröffentlicht. Die Autoren sprechen darin davon, dass es eine Entgrenzung des sogenannten Experiments gegeben habe, und ziehen den Schluss, „dass der bisherige Fokus auf die Person Helmut Kentler, auf die Pflegekinderhilfe, auf Berlin und auf die Zeit der 1960er und 1970er Jahre zu eng ist“. Es lasse sich vielmehr ein breiteres Netzwerk rekonstruieren, „das die Positionen Helmut Kentlers geduldet, legitimiert, rezipiert und unterstützt hat – und es bis in die Gegenwart tut“. Dieses umfasse neben Reformpädagogen auch Jugendamtsmitarbeiter und Sozialarbeiter. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen Interviews mit Personen, die in reformorientierten Jugendhilfemaßnahmen sexuelle Gewalt erlitten haben. Sie berichten von sexuellen Übergriffen und Grenzverletzungen in verschiedenen Einrichtungen der Jugendhilfe oder der evangelischen Kirche, auch durch namhafte Pädagogen.
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