Oktober 2013

EU: Entscheidung über Resolution zu sexueller und reproduktiver Gesundheit verschoben

Das Europäische Parlament teilt in einer kurz gehaltenen Presseinformation mit, dass die umstrittene Resolution, die einen einheitlichen europäischen Sexualkundeunterricht sowie Abtreibung als Menschenrecht fordert, heute nicht angenommen wurde (vgl. hier). Bevor der Entschließungsantrag erneut zur Abstimmung vorgelegt wird, soll er überarbeitet werden.

Das Medienmagazin pro schreibt über die hitzige Debatte in Straßburg:

Dass der Ausschuss den Bericht erneut bearbeiten muss, kann als Sieg der Bürgerinitiative „Einer von uns“ gedeutet werden. Auf Facebook schrieben die Lebensschützer: „Das ist großartig!!! Damit kann das Papier frühestens erst NACH der Beendigung der Europäischen Bürgerinitiative one of us / EINER VON UNS wieder aufgenommen werden!!!“ Die Initiative hatte bis zuletzt 1,3 Millionen Unterschriften für eine Petition gesammelt, um die Finanzierung von Abtreibungen und sonstigen Embryonentötungen zu stoppen. Mit der Marke von einer Million Unterstützern hat die Initiative erreicht, dass sich das EU-Parlament mit deren Anliegen beschäftigen muss.

Vor der Abstimmung sorgten Gerüchte für Aufsehen, dass die Lobbyorganisation „International Planned Parenthood Federation“ (IPPF) maßgeblich an dem Bericht beteiligt gewesen sei. Die IPPF ist ein Dachverband von Organisationen, die unter anderem Abtreibung befürworten. In Deutschland gehört beispielsweise pro Familia dazu. Auf Anfrage des Christlichen Medienmagazins pro widersprach eine Vertreterin von IPPF dem Vorwurf: „Wir haben den Berichtsentwurf nicht geschrieben, es ist Edite Estrela, die ihn geschrieben hat.“ Sie zeigte sich „überrascht“ von der Frage, ob ihre Organisation den Bericht verfasst habe. „Parlamentarier sind vollkommen fähig, ihren Job zu erledigen.“ Auf die Frage, ob die IPPF den Bericht in einer sonstigen Form vorbereitet habe, gab deren Vertreterin keine Antwort.

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Nachtrag: Inzwischen berichtet auch die katholische Zeitung Tagespost:

Der Kampf um das Recht auf Leben scheidet im Europäischen Parlament die Geister. Eine Gruppe von Abgeordneten, allen voran die Sozialisten, versucht mit einer Entschließung (Estrela-Bericht) das Recht des ungeborenen Lebens weiter auszuhöhlen und die Bürgerinitiative „One of us“ zu neutralisieren. Der britische Sozialdemokrat Michael Cashmann, einer der Wortführer der Gruppe von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender (LGBT), sprach in einem Interview ausdrücklich von einem „Blitzkrieg gegen den Lebensschutz“. Seine Fraktion hat sich in der Vorabstimmung mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit für den Estrela-Bericht ausgesprochen. Auch die von der EU kofinanzierten Abtreibungsorganisationen machen gegen „One of us“, die bislang erfolgreichste Bürgerinitiative zum Lebensrechtsschutz in der Geschichte der EU, mobil.

Josia-Konferenz 2013: Ein Leben für Gott

Am Sonntag ist die Josia-Konferenz 2013 mit dem Thema „Ein Leben für Gott“ in der August-Hermann-Francke Schule in Gießen zu Ende gegangen. Ich war am Sonntag dabei und habe den Gottesdienst und die Gemeinschaft sehr genossen. Mein Eindruck war, dass Gott durch die Predigten, Lieder, Vorträge und Seminare etliche Leute angesprochen hat.

Vielen Dank an alle, die diese Konferenz mit großem Einsatz geplant und durchgeführt haben! Mitschnitte einiger Vorträge und Seminare werden voraussichtlich in den nächsten Wochen auf der Internetseite von Josia online gestellt. Ein Kurzbericht wird heute 19.55 Uhr bei Bibel TV ausgestrahlt (hier die ideaHeute-Nachrichten mit dem Beitrag in der Mediathek).

Hier schon mal ein paar Bilder:

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Wenn Gott Recht bekommt

Iwand (Dogmatik-Vorlesungen 1957-1960), 2013,  S. 132–133):

Wir müssen uns für gut halten, müssen von der eigenen Gerechtigkeit leben, müssen den Menschen an sich für gerecht und wahrhaftig halten, mag es auch im einzelnen Verstöße gegen diese Idee des Menschen geben. Wir sind nun einmal blind, und was wir aus uns selbst heraus wissen von Sünde und Bosheit, unser moralisches Wissen um unsere Endlichkeit und Schwäche, um unsere sittliche Verkommenheit und grässliche Pervertiertheit gleicht dem Gefühl eines Trinkers, der mal im Rausch seiner Selbstverachtung Luft macht; es hat aber mit dem Glauben und dem Bekenntnis so wenig zu tun wie der moralische Kater mit einer ernsthaften und entschlossenen Umkehr und Abwendung vom Laster. Es ist klassisch zu nennen, wie Luther hier das Bekenntnis der Sünde als ein „cedere et credere“ [Raum geben und glauben] formuliert. Er meint, dass jener Rechtfertigung des Gottlosen von Gott her aus reiner Gnade eine Rechtfertigung Gottes im Menschen aus reinem Glauben entspricht. Gott bekommt nun auch Recht in mir, ich mache mir sein Urteil über mich zu eigen, ich „gebe ihm Raum“ und „glaube“ ihm. Dass Gott Recht bekommt in einem Menschen – das ist der große, weltbewegende, alle Engel im Himmel jauchzen machende Akt, den die Schrift Glauben nennt. Der Mensch hört auf, sein eigener Arzt zu sein; die ewige Wahrheit, das was Gott in Ewigkeit vom Menschen, von uns weiß und denkt, was er für uns tut und veranstaltet, das erfüllt jetzt, im Glauben, einen Menschen. 

Einfach missional sein

Hin und wieder werde ich danach befragt, was eigentlich der Begriff „missional“ bezeichne. Endlich habe ich authentische Antworten. Missional sein heißt „einfach sein“, „ganz sein“ oder „echt sein“.

Im folgenden Video erklären missionale Pastoren und Pastorinnen ihren Ansatz für die Gemeindearbeit. Dabei ist auch: „Für viele Menschen sind wir ihre letzte Haltestelle auf dem Weg aus dem Christentum.“ Hipster!

VD: SH

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PS:  Wer mehr über das Konzept der „missional church“ lernen möchte, wird bei Stefan Schweyer fündig.

Die „Selfies“

Der digitale Mensch macht unablässig Bilder von sich selbst. Das Internet ist die Galerie seiner Porträts. Mit diesen Selfies modellieren wir unser „Ich“ und verwandeln uns alle in Prominente. Mit Nebenwirkungen.

Peter Praschl schreibt in der WELT AM SONNTAG (13.10.13, S. 49):

Jeder braucht eines. Es reicht nicht mehr, bloß zu sein oder so gut wie möglich Leistung abzuliefern. Wer so denkt, landet über kurz oder lang bei den Modernisierungsverlierern. Das Einzige, mit dem du dich davor schützen kannst, ist Ich-Pflege. Du musst es zu einer Marke machen, Aufmerksamkeit für es schaffen, seine Existenz immer wieder von Neuem verkünden. Es ist deine Währung. Erst Ende September haben sich im vorarlbergischen Lech bei einer Veranstaltung, die sich „Philosophicum“ nennt, zwei Dutzend Intellektuelle darüber unterhalten. Ihr erwartbarer Befund: Wir leben in einer narzisstischer werdenden Gesellschaft, in der soziale und familiäre Verbände an Bedeutung verlieren und die Ich-Modellierung immer wichtiger wird. Ihr ebenso erwartbares Urteil über diesen Trend: nicht sehr begrüßenswert, gefährlich, trügerisch – weil der Zwang zur Selbstdarstellung paradoxerweise Uniformität produziert. „Hinter der Vorstellung der Selbstoptimierung steckt gerade nicht die liberale Idee ‚Jeder soll so sein können, wie er will‘, sondern die Idee, dass es eine Norm gibt des schönen Menschen, des leistungsfähigen Menschen, des trainierten Menschen, des belastbaren Menschen, und an dieser Norm haben sich alle zu orientieren“, sagt der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann. Er hat durchaus recht damit.

Mehr: www.welt.de.

Zoë Jenny: Weltverbesserer sind lernresistent

Lehrer mit Latzhosen, Stirnband und „Atomkraft? Nein danke“-Ansteckern sahen Kinder oft nur als Spielzeug, meint die Schriftstellerin Zoë Jenny. Sie erklärt im Rückblick auf ihre Zeit in einer reformpädagogischen Schule: „Im Zuge der sexuellen Revolution wurden die Erwachsenen vor allem von einem befreit: von ihrer Verantwortung.“

Die Vorstellung, dass man an dem Schlechten in der Welt auch selber schuld sein könnte: Es übersteigt das geistige Fassungsvermögen der Gutmenschen, dass sie vielleicht in Wahrheit gar nicht so gut sind. Die Weltverbesserer sind vor allem eines: lernresistent. Lieber zeigt man sich empört.

Wie Claudia Roth, die allen Ernstes zurückmaulte, dass man den über alles erhabenen Grünen – die sich nach wie vor als Retter der Welt verstehen – sicher nichts über Moral erklären müsse. Klar, denn das Böse und Monströse ist ja immer woanders. In der Psychologie nennt man das Projektion. Im Extremfall gipfelt es in der Metapher des Narziss, der selbstverliebt ins Wasser starrt, auf sein Spiegelbild – und dabei ertrinkt. Die Grünen sind geradezu besessen von ihrem Spiegelbild.

Mehr: www.welt.de.

EU will Sexualerziehung vorschreiben

Wenige Monate vor Ende der Legislaturperiode des Europäischen Parlaments hat der Frauen- und Gleichstellungs-Ausschuss einen alarmierenden Entschließungsantrag vorgelegt. Darin wird die Einführung einer europaweiten Sexualerziehungspflicht in Grund- und Sekundarschulen sowie ein uneingeschränktes Recht auf Abtreibung als neues Grundrecht gefordert. Diese Entschließung  soll bereits am 22. Oktober im EU-Parlament beschlossen werden.

Hintergrundinformationen und Handlungsanregungen gibt es hier: www.familien-schutz.de.

VD: TV

Paulus in neuer Sicht?

41ZDZbp8DBLMit der „Neue Paulusperspektive“ (NPP) wurde in den letzten vier Jahrzehnten ein neues Kapitel der Paulusinterpretation eröffnet. Die Exegeten dieser Richtung sind sich mehr oder weniger darin einig, dass die Paulusauslegung besonders seit der Reformation einseitig individualistisch und das Judentum fälschlicherweise als Gesetzesreligion verstanden wurde. Die Gesetzespolemik des Apostels richte sich weder gegen die Tora noch gegen deren angeblichen jüdischen Missbrauch im Sinne einer Werkgerechtigkeit, sondern gegen die Beschränkung der göttlichen Erwählung auf das Volk Israel. Viele neue Paulusinterpreten stellen der lutherisch-reformatischen Rechtfertigungslehre eine partizipatorische gegenüber. Das Evangelium ist demnach keine Botschaft der Errettung von Sünde und persönlicher Schuld, sondern Ver­kündigung der Tatsache, dass Gläu­bige vollberechtigte Mitglieder des göttlichen Bundes sind. Die Rechtfertigungslehre wird entsprechend nicht mehr in der Anthropologie oder Soteriologie, sondern in der Ekklesiologie angesiedelt. N.T. Wright schreibt beispielsweise (What St. Paul Really Said, S. 119):

Bei „Rechtfertigung“ ging es im ersten Jahrhundert nicht darum, wie jemand eine Beziehung zu Gott aufbauen kann. Es ging um Gottes eschatologische, sowohl zukünftige als auch gegenwärtige Definition davon, wer tatsächlich ein Mitglied seines Volkes ist. Um es mit Sanders’ Worten auszudrücken: Es ging nicht so sehr um das „Hineinkommen“ oder das „Darin-Bleiben“, sondern darum, „wie man sagen kann, wer drin ist“. In der christlich-theologischen Fachsprache ausgedrückt, ging es weniger um Soteriologie als um Ekklesiologie, weniger um Errettung als um die Gemeinde.

Bei der Vielfalt der Meinungen unter dem Dach der NPP verliert man schnell die Übersicht. Ivana Bendik liefert nun mit ihrer 2008 in Basel angenommenen Dissertation Paulus in neuer Sicht? einen forschungsgeschichtlichen Überblick zur NPP. Sie geht den Anfängen dieser Perspektive nach und stellt die Positionen ihrer prominentesten Vertreter zugänglich dar. Damit liegt eine kritische Vermittlung der jüngeren Forschungsgeschichte in deutscher Sprache vor. Hilfreich sind daneben weiterhin die Einführung von Christian Strecker („Paulus aus einer ‚neuen Perspektive‘: Der Paradigmenwechsel in der jüngeren Paulusforschung“, Kirche und Israel 11 (1996), S. 3–17) und der von M. Bachmann im Jahr 2005 herausgegebene Sammelband  Lutherische und Neue Paulusperspektive (siehe zudem hier).

Die Untersuchung, die von Prof. Ekkehard W. Stegmann betreut wurde, enthält vier Teile. Zunächst werden die Hauptvertreter der Paulusforschung aus der Zeit von Ferdinand Christian Baur (1792–1860) bis Albert Schweitzer (1875–1965) vorgestellt. Besonderes Augenmerk richtet die Autorin dabei auf den Gedanken des Äonenwechsels. Im zweiten Teil behandelt sie einflussreiche Vertreter der NPP. Sie beginnt mit Rudolf Bultmann (1884–1976), der zwar nicht zur NPP gehört, aber mit seinem existenztheologischen Ansatz die jüngsten Entwicklungen mit vorbereitet hat. Sie bescheinigt ihm einerseits, wie Schweitzer die Eschatologie des Paulus zur Geltung gebracht zu haben. Andererseits wirf sie ihm vor – ebenfalls ähnlich wie Schweitzer –, das antike Judentum übergangen zu haben. Was Schweitzer und Bultmann dem Judentum anlasten, „wirft Paulus der Menschheit generell unter den Bedingungen des schuldbehafteten alten Äons vor“ (S. 18). Weiter beschäftigt sich Bendik mit Johannes Munck (1904–1965), Krister Stendahl ( 1921–2008), Ed Parish Sanders (* 1937) und James D.G. Dunn (* 1939).

Im dritten Teil formuliert die Autorin dann ihre Wertschätzung und Kritik. Die neuen Betrachtungsweisen der NPP unterlaufen die theologischen Interpretationen durch das Aufgebot religionsgeschichtlicher Argumente, die bisherige Schlüsseleinsichten der paulinischen Exegese aufweichen. Die neuen Rahmenbedingungen (Bendik überschreibt diesen Teil ihrer Untersuchung mit einem Zitat von Stendahl: „shift the frame“) erlauben es den Exegeten, das Zentrum der paulinischen Theologie in der universellen Erlösungslehre zu sehen. Sie „verstehen die individualistische Rechtfertigungslehre als ein Nebenprodukt derselben“ (S. 150) und knüpfen wesentlich an der soziologischen Perspektive Muncks an. Anstelle des Sünders rücken die Völker ins Zentrum. Wird in der traditionellen Paulusauslegung der Sünder durch Erlösung ein Gerechtfertigter, „kommen in den Darstellungen der New Perspective die Völker durch Rechtfertigung zu Erlösung, d.h. zu den Rechten an der Heilszusage Gottes an Israel“ (S. 151). Das Gesetz war – wie Sanders erfolgreich gezeigt hat – schon für die Juden nicht dafür gedacht, in den Gnadenbund hineinzukommen, es ermöglicht vielmehr Israel und den Heidenvölkern das Verbleiben im Kreis der Erwählten. Während für Juden wie Heiden der Glaube den Eintritt in den Bund kennzeichnet, ist das Halten des Gesetzes Signum des Bleibens im Bund (vgl. S. 151, 160–161). Sie bemängelt an der NPP, dass ihre Vertreter trotz der Chancen, die sich durch die religionsgeschichtliche Argumentation ergeben, immer wieder in alte Begründungsmuster zurückfallen und einer Antithese von Judentum und Christentum erliegen. Auf der Suche nach geschichtlicher Wahrheit operiere die NPP unkritisch mit übergeschichtlichen Begriffen wie Kirche, Christentum, Religion, Glaube, Identität oder Abgrenzung (vgl. S. 152).

Ihre eigene Paulusdeutung skizziert Ivana Benedikt im letzten Teil des Buches. Sie glaubt, der immer wieder behauptete Paradigmenwechsel habe gar nicht stattgefunden. Nach lautstarker Rehabilitation des Judentums werde nämlich Paulus in der NPP letztlich doch wieder gegen den Judaismus für das Christentum in Anspruch genommen. „Den Vertretern der New Perspective gelingt es … keineswegs, das klassische Paradigma zu verlassen. Die alte Antithese Judentum – Christentum, die sich in der Frage des Gesetzes zuspitzt, geistert in allen vorgestellten Entwürfen weiter herum“ (S. 151). Tatsächlich deute Paulus mit Hilfe der Tora seine Zeit als durch Christi Tod und Auferstehung erwirkte eschatologische Äonenwende. An das Judentum anknüpfend verkündigte der Apostel ein Evangelium, unter dem alle Völker von und vor Gott wieder zusammengeführt würden. Er rief also nicht zum Religionswechsel auf, sondern zeigte, dass durch Christus eine neue Epoche für alle Menschen in Erscheinung getreten ist. Sie schreibt (S. 194–195):

Paulus geht es weder um das individualistische Problem eines gnädigen Gottes noch um ethnische Probleme der Missionsgeschichte. Auch wenn alle diese Aspekte in den Briefen vorzufinden sind, bilden sie nicht das Axiom seiner Theologie. Die Ausgangslage liegt einzig und allein in der apokalyptischen Wende der Gegenwart und des Apostels Bemühen, mithilfe der Tora das zu erklären, was sich schon längst im göttlichen Plan durchgesetzt hat oder sich in Bälde durchsetzen wird. Von Geschehnissen der Äonenwende sind auch die Völker mitbetroffen. Sie sind jedoch nicht die alleinigen Protagonisten des endzeitlichen Dramas. Ihr Schicksal wurzelt in der Dynamik des Handelns Gottes mit Israel und ist von diesem im höchsten Masse abhängig. Der neue Äon trifft die Menschheit an sich und diese besteht aus der Sicht des Paulus aus Israel und den Völkern. Für die eschatologische Stellung eines oder einer Gerechten vor Gott ist jedoch die ethnische Zugehörigkeit bedeutungslos (Gal 6,15; 1 Kor 7,19).

So manches an dieser Einführung bleibt mir rätselhaft. Nur ein kleines Beispiel: Ist es wirklich kontrovers, dass Paulus den Juden das Evangelium verkündigte? (vgl. S. 194). Meiner Meinung nach ist der neutestamentliche Befund diesbezüglich überwältigend eindeutig, sogar dann, wenn ein Exeget Vorbehalte gegenüber der Apostelgeschichte hegt (siehe z.B. Apg 18,4; Röm 1,16; 11,13–15; 1Kor 9,20). Die vorgeschlagene Rechtfertigungslehre kann kaum überzeugen. Bendik lehnt eine Rechtfertigung als Übergangslehre für die Heidenvölker, wie sie von der NPP entwickelt worden ist, zurecht ab. Auch weist sie – was bei ihren Vorbehalten gegenüber der abendländischen Theologie nicht überrascht – eine forensische Rechtfertigungslehre zurück. Sie behauptet dagegen eine effektive Rechtfertigung, in der durch Glauben die sündige Menschheit in unschuldige pneumatische Wesen transformiert werde und der Kampf des Einzelnen mit seinem alten Adam der Vergangenheit angehöre (S. 187–188). Doch die effektive anthropologische Verwandlung, die sie dafür unter Berufung auf 1Kor 15,50 in den Anschlag bringt, ist für den begnadeten Sünder Paulus keine Gegenwartserfahrung, sondern Verheißung, die sich endgültig erfüllt, wenn von Christus errettete Menschen ihren himmlischen Auferstehungsleib empfangen.

Trotz solcher Anfragen lohnt sich die Lektüre des Buches. Eine Beobachtung finde ich übrigens geradezu brillant. Im Blick auf das vornehmlich soziologische Deutungsraster der NPP schreibt Ivana Bendik (S. 152):

Mit der soziologischen Perspektive rückt das Interesse an gruppendynamischen Prozessen in den Vordergrund und verdrängt das Nachdenken über die Zusammenhänge von Sündenmacht – σὰρξ – Gesetz unter den Bedingungen des alten Äons, die einen wichtigen Bestandteil der paulinischen Deutung der Endereignisse ausmachen.

  • I. Bendik, Paulus in neuer Sicht?: Eine kritische Einführung in die „New Perspective on Paul“, Stuttgart: Kohlhammer, 2010, Euro 24,00

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Sieben Tipps für junge Prediger

Pastor Jeramie Rinne hat kürzlich ein paar Tipps für junge Prediger bei der Gospel Coalition (GC) veröffentlicht. Auf Anregung von Andreas Dück hat Helene Peters den Artikel übersetzt. Pastor Rinne und die GC haben nun die Erlaubnis erteilt, den Beitrag hier zu veröffentlichen. Vielen Dank an alle!

 Sieben Tipps für mein jüngeres „Prediger-Ich“

Jeramie Rinne

Ein befreundeter Ältester unterrichtet an einer örtlichen Predigerschule. Hin und wieder lädt er mich ein, seinen Studenten die Sicht eines Pastors über die Gottesdienst-Vorbereitung, Predigt und Gemeindearbeit zu vermitteln. Erst kürzlich fragte mich einer der Studenten während meines Vortrags: „Wenn Sie in der Zeit zurückgehen könnten und sich selbst als jungen Prediger Ratschläge geben könnten, was würden sie ihrem jüngeren Prediger-Ich sagen?“

Ich unterrichte nun schon seit 15 Jahren. Ich weiß nicht, ob das schon genug Zeit ist, um mich zu einem Jedi-Ritter-Prediger zu machen, der weise genug ist, Neulinge zu unterweisen. Aber es scheint lang genug zu sein um mir zu überlegen, welchen Rat ich mir selbst geben würde, könnte ich in der Zeit zurückgehen. Hier sind sieben Empfehlungen für junge Prediger, die ich aus eigener Erfahrung und aus der Beobachtung von jüngeren Kollegen in den letzten anderthalb Jahrzehnten geschlossen habe.

1. Predige das Wort
Dieser erste Ratschlag sollte eigentlich nicht genannt werden müssen, was wahrscheinlich bedeutet, dass wir ihn sehr oft nennen sollten: Predige das Wort. Am Anfang des Gemeindedienstes sollte die Auslegungspredigt stehen. Was bedeutet Auslegungspredigt? Es bedeutet, dass der Sinn des Textes der Sinn der Predigt ist, und dieser soll dann auf die Versammlung angewendet werden.

Während ich die Fragen der Studenten beantwortete, hatte ich das Gefühl, dass viele von Ihnen mit dem Zweifel kämpften: „Werde ich wirklich 10, 15 oder 20 Stunden jede Woche darauf verwenden, mit den gelernten Methoden, die Bedeutung des Textes herauszufinden?“ Ich hoffe sie werden es, und ich hoffe, die Leser dieses Textes auch. Je länger ich Pastor bin, desto mehr beeindruckt es mich, wie ständiges Predigen des Wortes sich auf die breite und tiefe geistliche Gesundheit der Versammlung auswirkt. Lass Woche für Woche regelmäßige Auslegung den Herzschlag und die Atmung sein, welche den lebensspendenden Geist durch den Leib Christi befördert.

2. Vertraue dem Wort
Lass mich hier etwas tiefer gehen. Predige das Wort nicht nur, sondern vertraue dem Wort. Selbst bei ausgeübter Auslegung kann dein Herz sich unbemerkt auf andere Dinge stützen, um die Versammlung zu beeinflussen. Du kannst dich insgeheim auf deinen Humor, dein Alter, deine Gelehrtheit, Herkunft, deinen Stil, auf die Technologie oder auf deine Tätowierungen verlassen, welche wirklich die Leute erreichen sollen. Wenn ich in der Zeit zurückgehen könnte und zu meinem jüngeren Ich reden könnte, würde ich mir selbst sagen, dass ich aufhören soll, zu versuchen witzig zu sein. Ich verwende immer noch Humor in meinen Predigten; dass gehört irgendwie zu meiner Persönlichkeit. Aber mein Humor dient dem Text heute mehr. Gott hat mir gnadenvoll geholfen meine Menschenfurcht und mein tiefes, inneres Verlangen nach Anerkennung zu überwinden. Er hat es mit einem größeren Bewusstsein für die Kraft seines Wortes, Sünder zu retten und Heilige zu stärken, ersetzt.

3. Predige eher kurze Predigten
Manchmal weise ich jüngere Prediger an, kürzere Predigten von höchstens 25-30 Minuten zu bringen. Warum? Weil sie lernen sollen zum Punkt des Textes zu kommen.

Wir haben alle weitausschweifenden Predigern zugehört. Ich war selbst so einer. Diese ausschweifenden Prediger, zerren uns durch die Windungen von einem Gedanken oder Vers zum nächsten, ohne eine klare Struktur oder Richtung. Wenn der Pastor seine bildlichen Wanderungen auf der Bibel basiert, kann die Versammlung wahre Goldschätze darin finden, sofern sie aufmerksam genug sind. Aber die Menschen werden leicht die Aufmerksamkeit verlieren, auch wenn sie höflich weiter so aussehen, als ob sie zuhören würden. Wenn man sich zu Beginn daran hält, sich kürzer zu fassen, diszipliniert man sich gleichzeitig dazu, sich auf die Hauptaussagen zu konzentrieren und sich nicht festzufahren, oder sogar abzudriften. Sobald man die Fähigkeit entwickelt hat, die Botschaft des Textes deutlich zu vermitteln, kann man langsam damit beginnen, etwas mehr Zeit anzuhängen. Ich begann damit 30 Minuten zu predigen, heute tendiere ich eher zu 45 Minuten. Aber über viele Jahre hinweg habe ich mehr rhetorische Fertigkeiten erlernt, um die Versammlung so lange bei der Predigt zu halten.
Hüte dich vor dem Trugschluss, dass längere Predigten treuere Predigten bedeuten. Manchmal sind längere Predigten einfach nur schmerzhafter.

4. Sprich wie eine normale Person
Versteh was deine Professoren sagen, aber rede nicht wie sie. Rede wie die Leute in deiner Gemeinde. Mach deine Predigten nicht undurchsichtig durch den theologischen, biblischen und historischen Jargon, den du in deinen Bibelstunden gelernt hast. Ich befürworte kein verdummtes Predigen; ich dränge auf verständliches Predigen. Definitiv sollen schwergewichtige theologische Wahrheiten gepredigt werden. Aber bitte erkläre diese. Wenn du die Wirksamkeit von Christi juristischer, stellvertretenden Sühne predigst, dann erkläre den Leuten, was jedes dieser wertvollen Worte bedeutet, und tue das mit der einfachen Sprache der alltäglichen Menschen. Für die Seminarteilnehmer: Seht dies als Inkarnation der Homiletik.

5. Arbeite an der Anwendung
Predigten von frisch geschmiedeten Predigern können manchmal sehr viele biblische Kommentare und nur wenige Anwendungen beinhalten. Die Bibelschule lehrt uns, wie man einen Text deutet. Aber wie lernen wir, unsere Mitmenschen und ihre Herzen zu deuten? Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um das zu lernen. Arbeite hart an der Kunst der Anwendung. Während deiner Vorbereitung für die Predigt, denke daran, welche Anwendung der Text in sich selbst birgt. Und genauso wichtig ist, dass du deine Zuhörer kennenlernst. Liebe ist das Geheimnis zu guter Anwendung. Während du dich in deine Herde verliebst und sie so kennenlernst, wie ein Hirte seine Schafe kennenlernt, werden deine Anwendungsinstinkte sich verschärfen. Du wirst nicht nur eine biblische Predigt bringen, oder biblische Anwendungen herausstellen; sondern du wirst deiner Gemeinde predigen und die Bibel auf sie anwenden.

6. Hole dir Rückmeldungen
Nichts wird dein Predigen so verbessern, wie durchdachte Kritik. Es ist ermutigend, wöchentliche Komplimente wie: „Gute Predigt heute“, zu hören, während man nach dem Lobpreis im Foyer steht. Aber du brauchst außerdem achtsame, konstruktive Kritik. Wenn du andere begabte Prediger in deiner Mitarbeitergruppe hast, oder unter den Ältesten deiner Gemeinde oder vielleicht auch verständnisvolle nicht-predigende Gemeindemitglieder, dann frage diese nach regelmäßiger Kritik. Wenn du der einzige Pastor bist, befreunde dich mit anderen örtlichen Pastoren, die sich auch der Auslegungspredigt verschrieben haben und bewertet euch gegenseitig. Meine Pastorengemeinschaft hört sich jeden Monat eine der Predigten eines anderen an und kritisiert diese (konstruktiv). Diese Übung ist sehr hilfreich für uns alle. In meinen Anfängen habe ich mir kein Feedback zu meinen Predigten geholt, wenn ich jetzt die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich mich selbst ermutigen, das einzuführen.

7. Sei geduldig
Zu guter Letzt, sei geduldig mit dir selbst. Erlaube dir selbst zu wachsen. Auf der Kanzel gibt es keinen Ersatz für die Zeit, seine Stimme zu finden, seine Fähigkeiten zu entwickeln und aus Erfahrungen zu lernen, auf Gottes Wort und Geist zu vertrauen. Wenn du nicht der hauptsächliche Prediger in deiner Gemeinde bist, sorge für eine wöchentliche Zusammenkunft, um zu predigen und zu lehren, wie etwa eine Jugendgruppe, einen Erwachsenenkurs oder einen Abendgottesdienst. Sieh dein Predigen auf lange Sicht. Ertrinke nicht in Verzweiflung, weil du bei der Predigt einmal ein Katzengewölle von dir gegeben hast. Auch wenn das zwei- oder fünfmal passiert. Sei demütig, rüste dich und versuche es wieder. Alle jungen Prediger (und auch die alten) sollten sich 1.Timotheus 4,13.15 an Ihre Wand hängen: „Widme dich bis zu meinem Kommen ganz dem Vorlesen der Heiligen Schrift, dem Ermutigen der Gläubigen und dem Lehren … Mühe dich um das, was dir aufgetragen ist. Dann werden deine Fortschritte allen offenbar sein.“

Hast du den letzten Teil verstanden? Gott ruft uns Prediger dazu auf, unsere Fortschritte unseren Versammlungen zu zeigen, nicht Perfektion. Ich habe das Predigen definitiv noch nicht „gemeistert“, was auch immer diese Perfektion bedeuten mag. Aber mit Gottes Gnade habe ich in den letzten 15 Jahren beim öffentlichen Lesen der Schrift, beim Predigen und beim Lehren, Fortschritte gemacht. Mit seiner Gnade wird es auch dir so ergehen.

Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Gospel Coalition.
Übersetzung: Helene Peters, FKGW

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Beitrag als PDF-Datei: 7TippsPrediger.pdf

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