Finnlands Schulen gelten seit der ersten Pisa-Studie für Deutschland als Vorbild. Doch das ist eine Illusion. Jetzt stellt sich heraus, dass der Erfolg vor allem auf straffen Strukturen und Strenge beruhte. Thomas Sebastian Vitzthum schreibt für DIE WELT:
Alle waren sie da. Gleich nachdem das Wunder geschehen war, kamen sie. Die Bildungsexperten, Bildungspolitiker, Bildungserklärer und Bildungsverklärer. Heerscharen. Alle Parteien und Verbände. Sie alle sind in den letzten 15 Jahren mindestens einmal nach Finnland gereist. Das gehörte sich so, seitdem das Land in der ersten OECD-Bildungsstudie Pisa (Link: http://www.welt.de/themen/pisa-studie/) des Jahres 2000 den Spitzenplatz eingenommen und sich Deutschland tief im dunklen Mittelfeld wiedergefunden hatte.
Die Abordnungen besuchten also die von staatlichen Vorgaben weitgehend unabhängigen Schulen, die so Wundersames vollbracht hatten. In denen es angeblich so gerecht, so heimelig und egalitär zugeht. Wo Lehrer sich nicht vorne an die Tafel stellen und referieren, während die Schüler protokollieren. Sondern wo die Pädagogen sich als Organisatoren von Gruppenarbeit verstehen, die Schüler anregen von anderen Schülern zu lernen und wenig Hausaufgaben vergeben.
Die schöne neue Schulwelt wurde bewundert und kopiert, weil sie in das Gesellschaftsbild vieler Parteien passte, dem Zeitgeist entsprach und sogar erfolgreich schien. „Wir Grünen wollen Schulen nach finnischem Vorbild schaffen. Wir nennen dieses Modell Neue Schule.“ Dieser Satz stammt aus dem Wahlprogramm der niedersächsischen Grünen 2010. Heute regiert die Partei in dem Bundesland und nicht nur dort.
Doch die Grünen, wie alle übrigen, sind einem Trugbild erlegen. Das finnische Wunder ist nicht von Dauer. Vieles deutet darauf hin, dass die Ursachen, die zu diesem Wunder führten, ganz andere waren, als die, von denen seit mehr als einem Jahrzehnt die Rede ist. Die Anerkennung der wahren Gründe müsste eigentlich einen Schock bewirken, wie ihn Pisa hierzulande ausgelöst hatte.
Die Lektüre lohnt sich auch für jene, die intuitiv schon immer ahnten, dass da etwas nicht stimmt.
Hier: www.welt.de.
Leider klärt der Artikel in Die Welt nicht die grundlegende Kritik an Schulsystemen. V. a. bezüglich PISA blieb bisher die Frage (mehr oder weniger) offen, was wir unter Bildung verstehen, was wir an Bildung für notwendig halten im Hinblick auf unser Menschen- und Weltbild und ob PISA das überhaupt messen kann. Momentan – und so argumentiert leider auch der Artikel – ist Bildung das, was PISA misst.
vg
Peter