Heike Schmoll bringt den wachsenden Antisemitismus auch mit der Geschichtsvergessenheit in Verbindung, die inzwischen an den Schulen zur Selbstverständlichkeit geworden ist. In Berlin und in Hamburg ist die Lage besonders schlimm. „Gerade für Schüler aus Familien mit Migrationsgeschichte wäre der Geschichtsunterricht eine Gelegenheit, nicht nur das Juden- und Christentum besser zu verstehen, sondern auch die Geschichte des Einwanderungslandes zu begreifen.“ Aber in der 5. und 6. Klasse der Grundschule und in den anderen weiterführenden Schularten wird nur noch das Mischfach Gesellschaftswissenschaften unterrichtet, das Geschichte, Geographie, Politik und Ethik umfasst.
Sie schreibt (FAZ vom 01.12.25, Nr. 48, S. 57):
Am auffälligsten, so die Fachwissenschaftler in ihrer Kritik, sei die fehlende Grundeinführung in die Geschichte der Religion. In den wählbaren Vertiefungsmodulen im ersten Halbjahr war Religion bisher nur noch als Teil des Oberthemas „Umbrüche, Transformationen und Krisen“ in den Blick gekommen. Bei der Vormoderne wurden als mögliche Schwerpunkte „Entstehung und Ausbreitung des Islams“ und „Die Reformation im Europa als Ausgangspunkt für Transformation“ genannt. Die Weichenstellung für die erste radikale Transformation, die im spätrömischen Reich einsetzende Verbindung von Staat und christlicher Religion, die in Byzanz und im Westen über mehr als ein Jahrtausend fortgesetzt wurde, wurde dagegen nicht einmal auf dem Gymnasium eingeführt. Das bedeutet, dass die historischen Grundlagen aller drei abrahamitischer Religionen ausfallen. Das ist umso fataler, als es in Berlin auch keinen Religionsunterricht als Wahlpflichtfach wie in anderen Bundesländern gibt. Die derzeitige Berliner Koalition wollte ihn laut Koalitionsvertrag einführen, doch daran hat von Anfang an niemand geglaubt. Inzwischen spricht niemand mehr davon.
Für eine respektvolle Interaktion von Schülern unterschiedlicher Herkunft und die Entwicklung ihrer historischen Identität sind solche Grundlagen allerdings unerlässlich. Historische Kenntnis allein wird nicht ausreichen, um antisemitische Gesinnungen zu verhindern, aber politische Bildung auch nicht. Es tut sich eine riesige Kluft zwischen den Sonntagsreden mit dem gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus gerade an Schulen mit mehrheitlich muslimischer Schülerschaft und der schulischen Wirklichkeit auf.
Aus der jüngsten Shell-Studie geht hervor, dass die Gottesfrage für Jugendliche mit christlichem Hintergrund dramatisch abfällt (auf 38 Prozent), bei muslimischem aber konstant hoch bleibt (72 Prozent). Über die Qualität der religiösen Unterweisung wird man andernorts Rückschlüsse ziehen müssen, aber der Befund als solcher ist Anlass genug, das Wissen über Christentum und Judentum gerade bei Kindern aus Migrantenfamilien, aber auch bei den vielen Agnostikern zu vertiefen. Genau das geschieht an den Schularten unterhalb des Gymnasiums in Berlin genauso wenig wie eine Unterweisung in der älteren und mittleren Geschichte.
Siehe auch Cicero Online vom 30. November: „Geschichtsunterricht soll weiter ausgedünnt werden Historische Unbildung als politisches Programm. In Berlin und Brandenburg soll Geschichte vor 1800 nicht mehr im Unterricht vorkommen. Ein weiteres Indiz dafür, wie sich der Westen von seiner eigenen Geschichte entfremdet.“