Im Rahmen von Vorbereitungen zu einer Vorlesung über Friedrich Schleiermacher und Karl Barth habe ich in den letzen Monaten kleinere und größere Portionen von beiden (und über beide) gelesen. Obwohl Kritiker sowohl der liberalen als auch der neo-orthodoxen Theologie, habe ich besonders bei Barth immer wieder erbauliche Funde gemacht. Einen will hier vorstellen:
In der Festschrit zum 70. Geburtstag beschreibt Martin Eras, wie er als katholischer Student in den 30er Jahren des 20. Jahrhundert Barths Vorlesungen an der Universität in Bonn erlebt hat. Dabei stellt er heraus, wie wichtig es Karl Barth war, dass aus seinen Studenten Prediger des Wort werden. Dogmatik sei nie Selbstzweck, sondern habe der Kirche und ihrer Verkündigung zu dienen. Barth sagte zum Umgang mit der Bibel: „Den Text nicht meistern, sondern ihm dienen!“. (Inwiefern ihm selbst das bei der Auslegung des Römerbriefs gelungen ist, mag jeder selbst beurteilen.) Dann wird eine Vorlesung beschrieben, die Barth 1934 hielt, als er schon unter höchst kritischer Beobachtung der Nationalsozialisten stand (er musste schließlich Deutschland verlassen und ging zurück in die Schweiz). Barth wollte seine Zuhörer ermutigen, auf der Kanzel Bibelausleger zu sein.
Martin Eras berichtet (Antwort, 1956, S. 875):
Der Prediger muß das schlechthinnige Vertrauen haben, daß die Bibel genügt. Die zuhörende Gemeinde liebhaben! Neben Respekt und Aufmerksamkeit für das Schriftwort Bescheidenheit (kein geschwollener Pfaffe), Beweglichkeit, Aufgeschlossenheit für den Kairos, das Entscheidende: das Gebet. „Eine gute Predigt muß auch die Gemeinde in den Duktus des Gebets hineinführen.“ „Das Ziel der Predigt sollte sein, daß die Hörer zu Hause selber nach der Bibel greifen und noch einmal sich auf den Weg begeben.“
Um rechte Prediger aus uns zu machen, hat er uns insbesondere auf die Exegese hingewiesen. So hielt er selber neben unermüdlich seinem dogmatischen Kolleg und den systematischen Seminar- und Sozietätsübungen (über CALVINS Institutio III, die Lehre von der Rechtfertigung, die Theologie der F. C., den Begriff der Theologie bei THOMAS und BONAVENTURA, AUGUSTINS Enchiridion und CALVINS Psychopannychia) immer auch eine exegetische Vorlesung. Er hat uns damals das Johannesevangelium, die Bergpredigt und den Kolosserbrief ausgelegt und, als er den Hörsaal nicht mehr betreten durfte, in der Adventszeit 1934 in seiner Wohnung Luk. 1 in „Vier Bibelstunden“ (Theol. Ex. h. Nr. 19), die er mit den Worten schloß: „Nun gebe Gott uns allen, daß wir die Weihnachtsfeier in dieser ernsten, entscheidungsvollen Zeit feiern dürfen miteinander in der Anbetung des Gottes, der es mit uns allen und mit der ganzen Welt so unendlich gut gemacht hat, wie das Evangelium es sagt und immer wieder neu sagt, und daß wir ins neue Jahr hineingehen dürfen nicht ohne zu singen und zu sagen, wie es Psalm heißt: Schmecket
und sehet, wie freundlich der Herr ist; wohl dem, der auf ihn trauet!“Und in seiner allerletzten Bibelstunde am 10. Februar 1935, mit der er von uns und auch von Deutschland vorläufig Abschied nahm, stellte er seinen und unsern Weg und auch den der Bekennenden Kirche bußfertig unter die Herrnhuter Losung des Tages, Ps. 119, 67: „ Ehe ich gedemütigt ward, irrte ich, nun aber halte ich dein Wort“, und Jak. 4, 6: „Gott widersteht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“, und sagte uns unter anderem: „Das Entscheidende ist das Sich-Halten an Sein Wort. Es muß jetzt viele junge Leute geben, die nicht nur großartig vom Wort Gottes reden, sondern auch das Wort ganz schlicht lesen und die nun wirklich damit umgehen.
Der Prediger muß das schlechthinnige Vertrauen haben, daß die Bibel genügt. Die zuhörende Gemeinde liebhaben! Neben Respekt und Aufmerksamkeit für das Schriftwort Bescheidenheit (kein geschwollener Pfaffe), Man merkt dem Zitat sofort an, wie sehr aus der Zeit gefallen ist, geschrieben in den Zeiten einer selbstsicheren von Staatsmitteln finanzierte Amtskirche, die die „zuhörende Gemeinde“ sonntäglich von Kanzel belehrte. Dagegen gestellt wirken die griechischen und lateinischen Texte einer zwei Jahrtausende alten Verfolgten- und Märtyrerkirche geradezu zeitlos und aktuell. Karl Barth war eine tragische Gestalt. Sein unvollendetes Lebenswerk im 20. Jahrhundert geschrieben für eine Kirche, die de facto nicht mehr existiert. Eine Kirchliche Dogmatik, die eigentlich niemand mehr braucht, geschrieben in einer fast ausgestorbenen Sprache. Seine Kirche ging letztendlich als Verlierer aus dem Kulturkampf hervor und liegt in den letzten Zuckungen. Während freikirchliche Theologen das Monopol auf die christliche Sexualmoral beanspruchen und insbesondere in Amerika gern das Bild von der angeblich moralisch verkommenen Heidengesellschaft zeichnen, lebte das kirchliche Vorbild im Ehebruch. Wie die… Weiterlesen »