Martin Luther als Ausleger der Heiligen Schrift

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Ich habe in den letzten Tagen so zwischendurch mit großem Interesse das Buch:

  • Mathias J. Kürschner: Martin Luther als Ausleger der Heiligen Schrift, Gießen u. Basel: Brunnen, 2004

gelesen.

Das Abschlussplädoyer von Kürschner spricht mir so aus dem Herzen, dass ich es hier gern zitiere:

Die Ganzheitlichkeit der in Luthers Programm Oratio-Meditatio-Tentatio eingeschlagenen Schriftauslegung speist sich aus einer Weltsicht, wie sie in unserer Zeit in manchen Kultursegmenten zumindest als eine Ahnung über die menschliche Grundsituation zum Vorschein kommt. Man ahnt, dass dem eigentlich Problematischen an wesentlichen Fehlentwicklungen in unserer Welt nicht durch verfeinerte Techniken beizukommen ist, durch eine Eschatologie des Fortschritts, sondern dass das eigentliche Problem der Fortschreitende selber ist: der Mensch, der sich im Grunde seiner selbst nicht sicher sein kann, weil er vor sich selbst nicht sicher ist. Luther hat von diesen Dingen weit mehr verstanden als viele theologische Zeitgenossen heute, wenn er dem Schriftausleger in der Erwartung eines göttlichen Widerfahrnisses Entlastung von sich selbst verschafft, von seinen notorisch lügenhaften Umdeutungen der Schrift einerseits und der Verabsolutierung seiner eigenen Gedanken andererseits, und ihn damit mit einer Realität konfrontiert, durch die er ausrufen darf: »So lebe nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.«

Gleichzeitig ist damit dem Machtstreben des Menschen Einhalt geboten, das durch die Anwendung immer neuer Techniken von seiner eigenen Unreformierbarkeit ablenkt. Durch das permanente Aufbringen von neuen Fragestellungen und der Erschaffung neuer verfremdender Kategorien, verdichtet im für die neuzeitliche Wissenschaft konstitutiven Medium der Methode, bemächtigt sich der unheilbar Kranke der Heiligen Schrift. Luthers negative Antwort auf eine Methodisierbarkeit der Schriftauslegung liegt in der Tentatio: Sie lautet »absterben« – an sich selbst, seinen Ideen, Erfahrungen, Gottesbildern verzweifeln und sich im Wunder der Wiedergeburt der theologischen Vernunft ganz neu in Christus wieder zu finden. Nur durch diesen Bruch ist »Verstehen der Sache« möglich. All das ist als »Programm« völlig untauglich. Oder wäre es vorstellbar, dass an theologischen Fakultäten anstelle des Erlernens immer weiter verfeinerter methodischer Zugangsweisen der Bußruf zum »Absterben« in den Mittelpunkt rückt? Das ist der Stoff aus dem Komödien sind, oder sollte man besser sagen »Tragödien«?

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