Noch kein Grund für Jubel in Mar Gabriel

Das Gerichtsurteil zugunsten des Klosters Mar Gabriel und gegen die Gebietsansprüche von drei Gemeinden im Südosten der Türkei gibt nach Meinung der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) keinen unmittelbaren Anlass zur Freude (siehe zum Urteil die Meldung bei kath.net).

Mit dem Urteil wurden lediglich die seit den 30er Jahren dokumentierten Verwaltungsgrenzen der Gemeinden festgestellt. Bei den auf Juni vertagten Gerichtsverfahren geht es dann um die Feststellung von Flurstücken innerhalb der Klostergrenzen, die als Wald oder brachliegende Flurstücke deklariert werden können. Nach türkischem Recht müssen Wald oder brachliegende Flurstücke dem Staat übereignet werden, auch dann, wenn sie sich innerhalb der Klostergrenzen befinden. Die IGFM hält es daher für zu früh, von einem Entgegenkommen gegenüber religiösen Minderheiten zu sprechen, sondern verlangt weiterhin höchste Aufmerksamkeit.

Mitte 2008 wurde bekannt, dass im Südosten der Türkei (Region Mardin) kurdische und arabische Clans begannen, Landbesitz alteingesessener Christen zu besetzen. Die zurzeit in der Region durchgeführte Kataster-Erfassung berücksichtigte dabei lediglich die neuen Besitzverhältnisse ohne genauere Überprüfung bzw. Hinterfragung von behaupteten Besitztiteln. Erleichtert wurde dieses Vorgehen dadurch, dass die syrisch-orthodoxen Christen in der Regel nicht über schriftliche Besitztitel verfügen.

Dem Kloster Mar Gabriel wurde der Landbesitz gleich von drei Gemeinden streitig gemacht, darunter mit der abstrusen Behauptung, dass vor der Errichtung des Klosters an gleicher Stelle früher eine Moschee gestanden haben soll. Das Kloster ist seit 397 n.Chr. urkundlich erwähnt, also Jahrhunderte vor Mohammeds Geburt.

Warum Ida kein »missing link« ist

Der amerikanische Fernsehkanal History Channel sprach von einem »revolutionären wissenschaftlichen Fund, der alles verändern wird«. Das ZDF und BBC sendeten ausführliche Dokumentationen, und Google zeichnete einen Tag später Idas Knochen in seinem Suchfenster nach. Alles war klar: Ida sei das »missing link« (dt. Bindeglied von einer großen Lebewesengruppe zur nächsten), aus dem die Menschen und Affen hervorgegangen seien.

Chris Beard vom Carnegie Museum of Natural History sieht das anders:

So, Ida is not a »missing link« – at least not between anthropoids and more primitive primates. Further study may reveal her to be a missing link between other species of Eocene adapiforms, but this hardly solidifies her status as the »eighth wonder of the world«.

Instead, Ida is a remarkably complete specimen that promises to teach us a great deal about the biology of some of the earliest and least human-like of all known primates, the Eocene adapiforms. For this, we can all celebrate her discovery as a real advance for science.

Hier die ganze Geschichte: www.newscientist.com.

Gianna Jessen

gjessenweb.jpgGianna Jessen hat eine Spätabtreibung überlebt und ist seit Jahren unterwegs, um den Menschen zu erzählen, wie wertvoll das Leben ist. Außerdem singt sie und lief sogar 2005 beim großen London Marathon mit.

Gianna ist eine bewundernswert mutige Frau. Ihre Worte sind kostbar und fallen – Gott sei Dank – nicht nur auf steinigen Boden. Es lohnt sich, in diesen Vortrag reinzuhören, den sie 2008 in Australien vor erlesenen Kirchenvertretern und Politikern hielt.

Hier der Vortrag mit deutschsprachigen Untertiteln:

Gianna Jessen unterhält eine eigene Website. Dort können auch Anfragen für Vorträge hinterlegt werden: www.giannajessen.com.

»Sucht der Stadt Bestes«

Die Evangelische Allianz in Deutschland (DEA) hat in einer umfassenden Stellungnahme unter dem Titel »Sucht der Stadt Bestes« erstmals ihre politischen Grundüberzeugungen im Zusammenhang veröffentlicht. Der Verband, dem sich nach Schätzungen ca. 1,4 Millionen Christen aus Landes- und Freikirchen zugehörig fühlen, will mit dem Dokument über die gesellschaftlichen Ziele der Bewegung informieren.

In der Stellungnahme wird der freiheitliche Verfassungsstaat der Bundesrepublik Deutschland ausdrücklich bejaht. Dabei lehnt die Evangelische Allianz Forderungen nach einem »christlichen Staat« ab, betont die bewährte Trennung von Kirche und Staat, fordert aber auch die Parlamentarier und die Regierung auf, sich der christlichen Wurzeln der modernen Demokratie zu erinnern, sie zu fördern und sich davon leiten zu lassen. Wörtlich heißt es in der Stellungnahme:

Die klare Unterscheidung zwischen dem geistlichen Auftrag der Kirche und dem weltlichen Auftrag des Staates ist elementar. Nach unseren Überzeugungen darf sich weder der Staat anmaßen, als totalitäre Ideologie alle Lebens bereiche seiner Bürge zu bestimmen, noch die Kirche, weltliche Herrschaft im säkularen Staat ausüben zu wollen.

Die Evangelische Allianz spricht sich zudem gegen jede Form der Diskriminierung aufgrund von ethnischer Herkunft, Religion, Geschlecht oder geschlechtlicher Orientierung aus. Praktizierte Homosexualität und andere Formen der außerehelichen Sexualität gelten als grundsätzlich unvereinbar mit der für den christlichen Glauben maßgebenden biblischen Ethik. Der Verband plädiert für das Lebensrecht eines jeden Menschen und spricht sich daher gegen Abtreibung und die Tötung von menschlichen Embryonen sowie aktive Sterbehilfe aus. Explizit plädiert die Evangelische Allianz für den Schutz von Ehe und Familie. Es heißt:

Ehe und Familie sind nach unserer Überzeugung gottgegebene Ordnungen und elementar für das harmonische Zusammenleben der Menschen. Sie sind Eckpfeiler der Stabilität der gesamten Gesellschaft. Die Ehe ist ein lebenslanger Bund zwischen Mann und Frau, der von Liebe, Fürsorge, Treue und Solidarität geprägt sein soll.

Die vollständige Stellungnahme kann hier herunter geladen werden: www.ead.de.

Neue Antidiskriminierungsrichtlinie des EU-Parlaments

Eine neue Antidiskriminierungsrichtlinie, die im April vom Europäischen Parlament angenommen wurde, könnte demnächst christliche Kirchen, Schulen und Sozialdienste in Europa verpflichten, Mitarbeiter zuzulassen, die die für die jeweiligen Werke geltenden Glaubensgrundlagen nicht teilen. Die neue Richtlinie ergänzt bereits bestehende Diskriminierungsverbote und wurde vom Parlament mit 360 zu 277 Stimmen angenommen. Wird sie von den Mitgliedsstaaten einmütig ratifiziert, erhält sie Gesetzesstatus.

Die umfassende Richtlinie über Gleichbehandlung verbietet Diskriminierung auch in Bereichen außerhalb des Arbeitsmarktes, unter anderem in den Bereichen Sozialschutz, Bildung sowie Zugang zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, wie z. B. Wohnraum, Transport sowie Gesundheit.

Mats Tunehag, Präsident der Schwedischen Evangelischen Allianz, sagt dazu treffend:

Alle – nicht nur Christen – sollten über diese Einschränkung der Rede- und Gewissensfreiheit besorgt sein. Einige Mitgliedstaaten verstehen diese Probleme.

Der letzte Satz lässt hoffen.

Hier der Bericht der Zeitschrift CT: www.christianitytoday.com.

Marburg: Die wahren Motive

blog.jpgDie Gegner des Marburger Kongresses für Psychotherapie und Seelsorge wollen nicht nur die Evangelikalen einschüchtern, sie radikalisieren die Kritik am Christentum allgemein.

Mit Diskursfreiheit oder Aufklärung hat das nichts zu tun, es handelt sich um billige Propaganda.

Von Sorge um die Meinungsfreiheit zeugt dagegen die Initiative einiger Marburger, denen ich Erfolg wünsche (obwohl ich Foucault für einen Demagogen und Schwindler halte): marburg-fuer-aps.blogspot.com.

Eta Linnemann gestorben (1926–2009)

Am 9. Mai 2009 ist die emeritierte Theologieprofessorin Eta Linnemann im Alter von 82 Jahren gestorben. Die Schülerin des Neutestamentlers Rudolf Bultmann (1884–1976) hat sich nach einer persönlichen Hinwendung zu Jesus Christus von der historisch-kritischen Bibelauslegung distanziert (vgl. Idea).

Einige Vorlesungen, die ich bei ihr hören konnte, werde ich in dankbarer Erinnerung behalten. Nicht immer war ich ihrer Meinung, aber sie hat meine Liebe zum Wort Gottes gestärkt und mir Mut gemacht, Gottes An- und Zuspruch in der Bibel aufmerksam wahrzunehmen.

Vor einigen Wochen habe ich noch mit Eta Linnemann telefoniert. Sie war aus zwei Gründen recht betrübt. Zum einen war ihr Personal Computer gerade abgestürzt und sie hat dabei Teile eines Buchmanuskriptes verloren. Zum anderen, und das schien ihr wichtiger zu sein, äußerte sie sich betroffen und traurig darüber, dass viele bekenntnisorientierte Christen sich einer milden Bibelkritik gegenüber geöffnet haben. Darüber hinaus erzählte sie mir viele spannende Geschichten über Rudolf Bultmann. Die allerdings gehören nicht in diesen Blog.

Ihr Buch Original oder Fälschung: Historisch-kritische Theologie im Lichte der Bibel kann übrigens hier als PDF-Datei herunter geladen werden: bitflow.dyndns.org.

»Authentische Lebensbeichten«

Um herauszufinden, was für wen gefährlich sein könnte, lud die »Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten« nun zum Thema »Liebeslieder waren gestern: Zur Jugendschutz-Problematik von Porno- und Gangsterrap« ein. Unter den Referenten waren Soziologen, Psychologen, Pädagogen und Sachbuchautoren, im Publikum saßen Rechtsanwälte, Jugendschützer, Lehrer, Polizisten. Martin Wittmann hat für die FAZ darüber berichtet.

So wie man vom Egoshooter-Spielen nicht zum Amokläufer wird, wird man vom Pornorap-Hören nicht unbedingt zum Sexisten oder gar Vergewaltiger. Aber nichts Genaues weiß man nicht. Einer der Zuhörer, ein Pädagoge, drückte die Verwirrung so aus: »Ich kann die Argumentationen gut nachvollziehen, aber was sage ich nun Eltern, die zu mir kommen und wissen wollen, was sie ihren Kindern erlauben sollen und was nicht.«

Unbestritten ist Rap die derzeit populärste und kommerziell erfolgreichste Jugendkultur. Die in skandalversessenen Medien völlig überrepräsentierten (wie der Leiter des Archivs der Jugendkulturen, Klaus Farin, kritisierte) Unterformen des Rap wurden Pornorap beziehungsweise Gangsterrap getauft. Beide leben von der Härte der Texte, die für Kontroversen sorgt. Eltern und Lehrer wettern gegen die diskriminierenden und gewaltverherrlichenden Aussagen der Lieder, während Musikkritiker dieser Art Rap die Kreativität absprechen. Die Rapper hingegen verweisen auf »authentische Lebensbeichten« und den Markt. Der gibt ihnen recht – Sido ist einer der erfolgreichsten deutschen Künstler, Bushido hat seine chauvinistische Machobiographie millionenfach verkauft.

Nur ein Kommunikationswissenschaftler hat sich für ein Verbot ausgesprochen. Die anderen Fachleute meinten, dass Verbote nur die Eltern beruhigte und die Jungen um so mehr reizte. Vorerst wird also alles so bleiben, wie es ist. Warum? Natürlich fehlen die Studien, an denen abzulesen ist, wie gerappte Verherrlichungen von Vergewaltigungen und vertextete Gewaltphantasien die Entwicklung der heranwachsenden Hörer beeinflussen.

Wer nicht weiß, um was es bei »Gewaltrap« geht, kann gern mal reinhören: youtube.de.

Hier der vollständige Artikel: www.faz.net.

Nachtrag vom 27.10.2010: Hier ein Textauszug aus dem Lied »Drogen, Sex, Gangbang« von Bushido:

Ich hab Aggro gegen die Frauen! Zieh dich nackig aus und fang an zu saugen! Meine Wohnung soll sauber sein! Nutte ich hab Hunger! Nimm dein Kochlöffel und koch mir endlich Hummer! Fotze! Ich ficke dein Arsch während du kochst! Wie siehst du eigentlich aus? Geh ins Bad und mach dich hübsch! Dumme Nutte! Ich bin Frauenfeind! King Orgasmus One Sonny Black Frank White! Ich geh fremd, weil man lebt nur einmal! Scheiss auf Beziehung jede Frau ist eine Hure! Frauen schreien, wenn ich ihr Arschloch ficke! Halt dein Maul sonst gibts gleich ne Schelle! Mach was ich dir sage und zick hier nicht rum! Leg dich hin und nimm mein Schwanz in den Mund!

Fraktionen fordern Schutz des Klosters Mor Gabriel in der Türkei

kloster.jpgDie Bundestagsfraktionen fordern die Bundesregierung in drei Anträgen auf, sich gegenüber der türkischen Regierung für den Schutz des Klosters Mor Gabriel in Südostanatolien einzusetzen. Die fast gleichlautenden Anträge der Linksfraktion (16/12848), der Grünen (16/12867), sowie der gemeinsame Antrag von CDU/CSU, SPD und FDP (16/12866) betonen, das 1.600 Jahre alte Kloster sichere das kulturelle Erbe der syrisch-orthodoxen Christinnen und Christen und stelle heute das geistliche und kulturelle Zentrum Syrisch-Orthodoxer in Südostanatolien dar. Eine Verschlechterung jeglicher Rahmenbedingungen für die Existenz des Klosters würde nach Ansicht der Abgeordneten den Fortbestand dieser Kultur akut gefährden.

Hintergrund sind drei Gerichtsverfahren, in denen das Kloster Mor Gabriel sich derzeit befindet. In einem Verfahren beanspruchen angrenzende Dörfer sowie das Schatzamt des Distrikts Midyat große Teile des Klosterlandes. Das Kloster selbst klagt zudem in zwei Verfahren gegen eine Mitte 2008 durchgeführte Katastererfassung, durch die seine Besitzungen stark beschnitten wurden. Die Linke sowie die Koalitionsfraktionen und die FDP betonen in ihren Anträgen, es müsse davon ausgegangen werden, »dass die gegnerischen Parteien jeweils eine Schließung des Klosters beabsichtigen beziehungsweise das Ziel verfolgen, das klösterliche Leben zukünftig unmöglich zu machen«. Alle Antragsteller verweisen aber darauf, dass sich Vertreterinnen des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien am 27. Februar 2008 ein Bild von der »akuten Gefährdung« des Klosters machen konnten. Die Abgeordneten seien sich nach dem Besuch in der Prognose einig, dass ein Prozessende zu Ungunsten des Klosters »weitreichende Einschnitte in die syrisch-orthodoxe Kultur bis hin zur akuten Existenzgefährdung nach sich ziehen würde«.

Mildernde Umstände für Ehrenmörder?

Die »Internationale Gesellschaft für Menschenrechte« (IGFM) bezeichnete die Entschuldigungen für Ehrenmörder durch den ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Winfried Hassemer, als »unerträglich«.

Hassemer hatte sich in einem Interview mit Spiegel Online vom 13. Mai für mildernde Umstände für Ehrenmörder eingesetzt. Er fände, »bei einer derartigen Tat müssen auch der soziale Kontext und die Sozialisation des Täters bedacht werden. Er lebt vermutlich nach anderen sozialen Mustern. Deshalb muss man auch einen Verbotsirrtum in Erwägung ziehen.« Daher rege er an, »den Blick zu weiten« und versuche, »das entschuldigende Element zu stärken«.

Der Geschäftsführende Vorsitzende der IGFM, Karl Hafen, betonte dazu: »Eine solche Verharmlosung von Ehrenmorden ist unerträglich. In allen uns bekannten Fällen war ein Verbotsirrtum völlig ausgeschlossen. Mildernde Umstände für Ehrenmorde kommen einer Verhöhnung der Opfer gleich.« Hafen unterstrich, dass eine muslimische Frau das gleiche Recht auf Leben und Würde habe wie jeder andere Mensch – unabhängig von der Sozialisation ihres Ehemannes.

25. Todestag von Francis Schaeffer

Freundlicherweise hat mir Justin Taylor erlaubt, die Übersetzung seines Interviews mit Os Guinness auf Deutsch zu veröffentlichen. Peter Burghard hat Hildegund Beimdicke für eine Übersetzung gewinnen können. Ein dickes Dankeschön an alle drei!

– – –

Ein Interview mit Os Guinness anläßlich des 25. Todestages von Francis Schaeffer

Kürzlich konnte ich Os Guinness Fragen stellen, inwieweit sein Leben von Francis Schaeffer geprägt und beeinflusst wurde.

Justin: Wann sind Sie das erste Mal Francis Schaeffer begegnet?

Os: Ich begegnete ihm das erste Mal im Jahre 1965 als Student in London. Durch einen gläubigen Freund und durch das Lesen von Büchern von Dostoevsky, G.K. Chesterton und C.S. Lewis war ich Christ geworden. Fairerweise muss ich sagen, dass es zu jener Zeit in England außergewöhnliche gute Textauslegung und tiefgehende theologische Vorträge zu hören gab. Dennoch fehlte der Anstoß, Christsein zu durchdenken oder es im Kontext der allgemeinen Kultur zu sehen. Man war als Student Teil des »swinging London« und der pulsierenden 60er, aber ich wusste um keinen Christen, der hätte einordnen können, was da wirklich geschah. Schließlich nahm mich ein Freund zu einem Mann in Kniebundhosen mit, so wie es die Schweizer Männer in den Alpen tragen, der mit hoher Stimme eigene Wortschöpfungen wie »Linie der Verzweiflung« in den Raum stellte und dem immer wieder lustige Versprecher und Wortverwechslungen unterliefen. Dennoch, Schaeffer sollte mich erst faszinieren und mich schließlich fesseln. Er war der erste Christ, den ich traf, der mit dem Anliegen und der Gabe ausgerüstet war, Zusammenhänge sichtbar werden zu lassen und uns unsere, für die meisten Zeitgenossen so verwirrende, turbulente Zeit verständlich zu machen. Zwei Jahre später reiste ich selbst in die Schweizer Alpen. Die ersten drei Wochen dort im Sommer 1967 war ich innerlich so aufgewühlt wie kein anderes Mal in meinem Leben. Danach war ich nie wieder der Alte.

Justin: Welchen Einfluss hatte er auf Ihre Persönlichkeit?

Os: Später hatte ich das Vorrecht, drei Jahre im Chalet von Francis und Edith Schaeffer zu wohnen und lernte sie so sehr gut kennen. Wenn ich ehrlich bin, dann verehrte ich Edith Schaeffer. Ich in bin der Tat nie so einer außergewöhnlichen Frau begegnet. Mit Francis Schaeffer war das etwas anders, da war ich nicht immer im Konsens. Aber auch ihm verdanke ich unendlich viel und er hat mich massiv geprägt – trotz unterschiedlicher Positionen. Sein Einfluss war dabei keinesfalls allein intellektueller Art. Hier verdanke ich eigentlich mehr meinem Mentor Peter Berger. Auch habe ich nicht viele seiner Bücher gelesen, weil ich die Inhalte bereits vor ihrer Veröffentlichung in seinen Vorlesungen hören konnte und die anschließenden Diskussionen darüber miterlebte. Schaeffer hat mich auf diese Weise weniger durch seine Worte geprägt, aber ich betone oft, dass ich niemand begegnet bin, dem es so leidenschaftlich um Gott wie auch den Menschen ging und der gleichzeitig leidenschaftlich der Wahrheit verpflichtet war. Dies ist eine sehr seltene Kombination und Schaeffer verkörperte sie. Leider wird das oft nicht bedacht und so werden ihm viele seiner gelehrten Kritiker mit ihrem Urteil , wer er eigentlich war, nicht gerecht und von daher ist das Bild, das sein Sohn kürzlich von ihm gezeichnet hat, derart verzerrt und emotional.

Justin: Wir sind alle in der einen oder anderen Form Vorbilder für andere- entweder positiv oder negativ. Welche wichtigen Punkte im Leben von Francis Schaeffer sind nachahmenswert und was kann zu unserer Warnung dienen?

Os: Francis Schaeffers Lieblingsbuch war Geistliches Leben: Was ist das? (R. Brockhaus Verlag, leider vergriffen). Es enthält die Geschichte seiner leidenschaftlichen, ja verzweifelten Suche nach der Realität des Glaubens. Diese Eigenschaft war so großartig bei ihm. Es gab keine Kluft zwischen seinem Gottvertrauen, seinem Gebetsleben, seinem Ringen um Überzeugungen, seinen Vorlesungen, seinen Predigten, seiner Liebe zu den Bergen, seinem Humor, seiner Freude am Schönen etc. Mit all seinen Fehlern, die er auch besaß, war er mit ganzer Seele »Mensch«. Nietzsche pflegte zu sagen: »Alle Wahrheiten sind mir blutige Wahrheiten« und das Gleiche könnte man auch von Schaeffer sagen. In einer Zeit, wo man christliche »Größen« und Bestsellerautoren feiert, die wenig Tiefe zu bieten haben oder gar heuchlerisch sind und viele Christen in Leitungspositionen aus sehr fadenscheinigen Gründen bewundert werden, war Francis Schaeffer im wahrsten Sinne des Wortes authentisch.

Dennoch, obwohl ein brillanter Denker, der analytisch Zusammenhänge deutlich machen konnte und Bedeutungen erkannte, würde ich ihn nicht als Wissenschaftler bezeichnen, da er leider zu viele Fachzeitschriften und zu wenig Bücher las. Aus diesem Grund neigte er vielleicht hier und da zu sehr seinen Schmeichlern das Ohr und folgte zu sehr der Marktschreierei seiner Verleger und anderen.

Das mag dazu geführt haben, dass er am Ende etwas von einer einstigen Demut eingebüßt zu haben schien, da man ihn als den großen Philosophen und Gelehrten darstellte, der er eigentlich nicht war und was ihn angreifbarer werden ließ. Damit meine ich, dass die akademischen Größen und Experten dadurch leichter in der Lage waren, Schwachpunkte bei einigen Ideen Schaeffers zu entlarven.

Justin: Was könnte man bei Schaeffer ihrer Ansicht nach missverstehen?

Os: Um Francis Schaeffers und seinen Ruf ranken heute viele Gerüchte. Was mich am meisten beunruhigt, betrifft seine Apologetik und seine Bedeutung. Viele, die seine Apologetik zitieren, haben eine witzige hölzerne Verstellung, wie er Menschen begegnete, um sie zum Glauben zu führen. Ich warte immer noch auf das Buch, das der Brillanz Rechnung trägt, mit der er das Evangelium nahe bringen konnte.

Was seinen Einfluss angeht, so hatte er gewaltigen Einfluss auf das Leben einzelner Menschen – mich eingeschlossen. Dennoch meine ich, dass seine herausragende Bedeutung und Berufung war, als »Wächter« oder Türöffner, bzw. Pionier zu wirken. Als nahezu keine Evangelikalen über den Bezug von Christentum und Kultur oder allgemeine gesellschaftliche Zusammenhänge aus christlicher Sicht reflektierten, tat Schaeffer nicht nur genau das, nein, er schlug auch eine Bresche, der viele andere folgen konnten. Viele, die heute sehr laut herausposaunen, wo sie kontroverser Meinung mit ihm sind, wurden vor Jahren von ihm persönlich zum differenzierten Denken angestoßen.

Ein kleiner Mann von Gestalt, doch gewaltig im Einfluss und viele sind nur weiter gekommen, weil sie auf seine Schultern steigen konnten. Ich verdanke Francis Schaeffer mehr als ich hier nennen kann. Ja, ich lebe täglich in seiner Schuld.

Das Interview kann hier auch als PDF herunter geladen werden: interview_os_schaeffer.pdf.

Der »Sitz Gottes« im Gehirn

Georg Rüschemeyer grübelt für die FAZ über die Popularität der bunten Hirnbilder:

Der Versuch, die menschliche Psyche und so komplexe Phänomene wie Angst, Trauer, Liebe oder Frömmigkeit mit beobachteten Aktivierungsmustern im Gehirn gleichzusetzen, wird häufig unternommen. Das Gros der rund 20.000 in Fachzeitschriften publizierten Studien, die seit 1992 mit Hilfe der fMRI-Technik die neuronalen Grundlagen von Wahrnehmung und Denken ergründen wollten, versucht es. Während in frühen Experimenten noch einfache Zusammenhänge erforscht wurden, wie etwa die Aktivierung des visuellen Kortex durch blinkende Lichter, ging es ab Ende der neunziger Jahre mehr und mehr um den menschlichen Geist schlechthin. Was Wissenschaftler meist vorsichtig als »neuronale Korrelate« der untersuchten kognitiven Funktionen bezeichnen, wird in den Medien dann schnell zum »Angstzentrum« oder dem »Sitz Gottes« im Gehirn.

Hier der vollständige Artikel: www.faz.net.

Warranted Christian Belief online

Warrant.jpg Warranted Christian Belief ist wahrscheinlich das reifste Buch des Philosophen Alvin Plantinga (siehe auch Ist der Glaube an Gott rational?).

Plantinga geht in diesem 505-Seiten-Werk der Frage nach, ob der christliche Glaube an Gott vernünftig gerechtfertigt und gewährleistet (eng. warranted) ist. Er kommt zu dem Ergebnis, dass dieser Glaube unabhängig von den Argumenten der natürlichen Theologie basal gewährleistet sein kann, wenn er wahr ist.

Der Text dieses bedeutenden Buches steht nun online: www.ccel.org.

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner