Martin Luther (1519):
Dann aber wirfst du deine Sünde von dir auf Christus, wenn du fest glaubst, dass seine Wunden und Leiden deine Sünde seien, damit er sie trage und bezahle, wie es Jes 53 heißt: Gott hat unser aller Sünde auf ihn gelegt, und bei Petrus: Er hat unsere Sünde auf seinem Körper getragen am Holz des Kreuzes. Paulus sagt: Gott hat ihn zu einem Sünder gemacht für uns, auf dass wir durch ihn gerechtfertigt würden. Auf diese und dergleichen Worte musst du dich mit ganzem Mut verlassen, um so viel mehr, je härter dein Gewissen dich martert. Denn wo du das nicht tust, sondern meinst, dein Gewissen durch deine Reue und Genugtuung stillen zu können, wirst du niemals zur Ruhe kommen und zuletzt doch verzweifeln. Denn wenn wir mit unseren Sünden in unserem Gewissen umgehen, sie bei uns bleiben lassen und sie in unserem Herzen ansehen, dann sind sie uns viel zu stark und leben ewig. Aber wenn wir sehen, dass sie auf Christus liegen und er sie durch seine Auferstehung überwindet, und wir das mutig glauben, so sind sie tot und zunichte geworden. Denn auf Christus können sie nicht bleiben, sie sind durch seine Auferstehung verschlungen. Du siehst jetzt keine Wunden und keine Schmerzen an ihm, das heißt: keine Zeichen der Sünde. Daher spricht Paulus, dass Christus gestorben ist um unserer Sünde willen und auferstanden ist um unserer Gerechtigkeit willen, das heißt: In seinem Leiden macht er Bekanntschaft mit unserer Sünde und tötet sie so, aber durch seine Auferstehung macht er uns gerecht und frei von allen Sünden, wenn wir denn dasselbe glauben.
Zitiert aus: Martin Luther, Ein Sermon von der Betrachtung des Heiligen Leidens Christi, in: J. Schilling, A. Beutel, D. Korsch, N. Slenczka, u. H. Zschoch (Hrsg.), T. Dietz (Übers.), Glaube und Leben: Moderneres Deutsch, Bd. 1, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2012, S. 39. Der Band ist übrigens enthalten in der deutschen Ausgabe der Bibelsoftware Logos Gold.