„Silence“

Wer den Skandalfilm „Die letzte Versuchung Christi“ (1988) oder „Shutter Island“ (2010) und zuletzt „The Wolf of Wall Street“ (2013) gesehen hat, dürfte überrascht sein, zu hören, dass sich der Regisseur Martin Scorsese von Jugend an suchend mit dem christlichen Glauben auseinandersetzt. Ein nachhaltiger Impuls zur Suche stammt aus dem Jahr 1988. Nach einer Sondervorführung von „Die letzte Versuchung Christi“ (in dem Film wird Jesus eine Beziehung zu Maria Magdalena unterstellt), überreichte Erzbischof Paul Moore dem Filmemacher eine Ausgabe von Shūsaku Endōs historischem Roman „Schweigen“. Das Buch hinterließ einen tiefen Eindruck. „Das Thema, das Endō hier behandelt, ist in meinem Leben seit meiner frühesten Jugend präsent“, so der Regisseur. „Ich wurde in einer streng katholischen Familie groß und beschäftigte mich stark mit Religion. Die Spiritualität des römischen Katholizismus, in die ich als Kind eintauchte, ist das Fundament meines Lebens, und diese Spiritualität hing mit dem Glauben zusammen.“ Während Scorsese den Roman las, fand er sich zu seiner eigenen Überraschung mit tiefgreifenden Fragen des Christentums konfrontiert, mit denen er „noch immer“ ringt, wie er sagt. „In der heutigen Phase meines Lebens grüble ich ständig über Themen wie Glauben und Zweifel, Schwäche oder das Schicksal des Menschen nach – und Endōs Buch berührt diese ganz direkt.“

„Silence“

Mit dem Film „Silence“, der auf dem Buch von Endō beruht, hat der Meisterregisseur nun ein Werk in die Kinos gebracht, das fast keine große Frage ausläßt. Der Film thematisiert, was Theologen, Religionsphilosophen oder Missionare umtreibt. Um einige Themen zu nennen: Was ist Wahrheit? Wie können wir das Evangelium kontextualisieren? Wie sollen sich Christen in Verfolgungssituationen verhalten? Zerstört die christliche Mission fremde Kulturen? Gibt es nach dem Abfall vom Glauben eine weitere Chance zur Umkehr? Und natürlich die übergroße Frage: Warum schweigt Gott?

Die Handlung

Der Film dreht sich um Pater Sebastião Rodrigues (Andrew Garfield) und Pater Francisco Garpe (Adam Driver), die 1638 von Portugal ins für die westliche Welt völlig abgeschottete Japan aufbrechen, um der Wahrheit hinter den Gerüchten nachzugehen, dass ihr berühmter Lehrer Cristóvão Ferreira (Liam Neeson) seinem Glauben abgeschworen habe. Ferreira, ein Vorbild für viele junge Priester in Portugal, soll nicht nur dem Christentum den Rücken zugekehrt, sondern sogar zum Buddhismus übergetreten sein und eine Japanerin geheiratet haben.

Nachdem Rodrigues und Garpe im Hafen Macaus angekommen sind, zeichnet sich das Bild der christlichen Mission in Japan durch Gespräche mit Augenzeugen immer düsterer. Christen sind in Japan von ständiger Verfolgung der Feudalherren bedroht und werden durch Folter zum Glaubensabfall gezwungen.

In einer Kneipe finden die Priester den einzigen Japaner von Macau. Obwohl Kichijirō ein zwiespältiger Trunkenbold ist, scheint nur er sie unentdeckt nach Japan führen zu können. Angeblich stammt Kichijirō aus einer christlichen Familie. Während diese ihrem Glauben treu blieb und grausam hingerichtet wurde, verleugnete er das Christentum und wurde von seinen Peinigern in seinem Heimatdorf zurückgelassen. Er hatte es dann fluchtartig wegen plagender Schuld- und Schamgefühle verlassen. Nun betäubt er sein schlechtes Gewissen im Rausch.

Doch Kichijirō tut scheinbar alles, um sich zu rehabilitieren: Kurz nach der Landung in einer entlegenen Küstenregion nahe Nagasaki bringt er die beiden Jesuiten mit den ärmlichen Dorfbewohnern Tomogis zusammen, die alle dem von den Missionaren gebrachten Katholizismus treu geblieben sind und ihren Glauben im Geheimen praktizieren. Für sie sind die beiden Priester sprichwörtlich ein Geschenk Gottes: Endlich haben sie Geistliche, die ihnen die Sakramente spenden. Die Jesuiten selbst sind von dieser Aufgabe tief bewegt, auch wenn sie zunehmend begreifen, dass die Dörfler eine Art improvisiertes Christentum praktizieren und womöglich nicht alle Inhalte des Glaubens voll verstehen.

Tagsüber müssen sich die Priester verstecken. Erst in der Dunkelheit können Rodrigues und Garpe ihre seelsorgerischen Aufgaben wahrnehmen. Nach katholischer Lehre braucht es für den Zuspruch der Vergebung die Beichte bei einem Priester. Endlich sind sind sie da. Die Bauern bekennen ihre Sünden. Auch wenn die Priester nicht immer verstehen, um was es geht, erteilen sie die Absolution. (Als Protestant musste ich während dieser Szene an Luther denken. Dieser schrieb: Gott „schüttet also seine Christen noch viel reichlicher und decket ihnen mit Vergebung der Sünden alle Winkel voll, auf dass sie nicht allein in der Gemeinde Vergebung der Sünden finden sollen, sondern auch daheim im Hause, auf dem Felde, im Garten, und wo einer nur zum andern kommt, da soll er Trost und Rettung haben.“)

Als sich die befreundeten Priester auch bei Tageslicht hervorwagen, werden sie Zeuge eines grausamen Zwischenfalls: Samurai-Truppen marschieren in Tomogi ein und zwingen die Bewohner zur Glaubensprüfung. Sie müssen auf Bildern von Jesus, Maria oder Kruzifixen herumtrampeln, um damit zu beweisen, dass sie nicht dem Christentum folgen. Kichijiro, dem Pater Rodrigues erst zuvor noch die Beichte abgenommen hatte, verleugnet seinen Glauben erneut und läuft eilig davon. Letztlich werden drei aus dem Dorf, die sich der zynischen Kontrolle verweigert haben, zum Tod durch Kreuzigung verurteilt. Fassungslos sehen die beiden Pater mit an, wie die Märtyrer in der Meeresbrandung gekreuzigt werden. Sie sterben unter dem Anprall der Wellen langsam und unter großen Qualen vor Erschöpfung. Ihre Leichen werden verbrannt und die Asche wird verstreut, um sie einer kultischen Verehrung zu entziehen. Verzweifelt beginnt Rodrigues in seinen Gebeten angesichts des erlebten Leidens seiner Glaubensbrüder das Schweigen Gottes ins Feld zu führen.

Die eigentliche Aufgabe der Jesuiten ist allerdings noch nicht erfüllt: Das Schicksal von Pater Ferreira ist weiterhin ungeklärt. Gegen das sehnliche Bitten der Dorfbewohner verlassen Rodrigues und Garpe das Dorf Tomogi und teilen sich auf, um jeder für sich, weiter ins Land vorzudringen. Hier spitzt sich dann die Handlung dramatisch zu.

Erste Eindrücke

(1) Um es gleich zu sagen: „Silence“ ist ein beeindruckender Film. Ich kann mich nicht daran erinnern, einen Kinosaal jemals beklommener verlassen zu haben (und Spielbergs Film „Schindlers Liste“ hatte mir schon einiges abverlangt). Die Wucht der Bilder, die kurzen aber präzisen Dialoge, die offenbarten leiblichen und seelischen Qualen, haben mir fast den Atem genommen.

(2) Die Schauspieler glänzen durchweg. Ob Adam Driver (Garpe), Liam Neeson (Ferreira, er spielte Oskar Schindler in Schindlers Liste) oder Yōsuke Kubozuka (Kichijirō), sie spielen grandios. Andrew Garfield (Rodrigues) hat einen Oscar verdient.

(3) Für den Film braucht es Nerven wie Stahl. Schon die Eingangsszene zeigt die Brutalität, mit der die Inquisition die Christen gefoltert und gemordet hat. Die einheimischen Gläubigen werden mit kochend heißem Wasser aus Vulkanquellen übergossen. Besonders grausam war die Technik des ‚ana-tsurushi’, die im Film zu sehen ist: Das Opfer wurde von einem Gerüst mit dem Kopf nach unten in eine Grube gehängt, der Körper fest verschnürt, um die Blutzirkulation zu hemmen. Während es unerträglichen Druck auf den Kopf litt, tropfte ihm langsam Blut aus Mund und Nase oder einer Schnittwunde. Bis der Tod eintrat, dauerte es oft bis zu einer Woche. Ich kann nicht nachvollziehen, dass der Film ab 12 freigegeben wurde.

(4) Die problematische Theologie und die Missionsmethodik von Franz Xaver (1506–1552) und den Jesuiten will ich hier nicht erörtern. Es ist jedoch einen Hinweis wert, dass die Bibel – zumindest im Film – so gut wie keine Rolle spielt. Obwohl ich Filmen gern eine zweite Chance gebe, ist das schon jetzt für mich die Erklärung für das vorgebliche Schweigen Gottes. Ich kann mich sogar an eine Szene erinnern, in der (vermeintlich) Jesus doch spricht. Im Schweigen vernimmt Rodrigues seine Stimme, die zum Glaubensabfall aufruft. Die Heilige Schrift, die ja Verfolgung und Martyrium deutlich anspricht, bezeugt auf breiter Grundlage, dass es gerade das Wort Gottes ist, dass in Stunden schwerster Anfechtung und Not Orientierung, Halt und Trost gibt. Gott spricht durch sein Wort.

(5) Der Film stellt Fragen, viele gute Fragen. Antworten gibt er nicht. Deutet er Antworten an, sind sie unorthodox und mystisch. Trotzdem kann „Silence“ zum tiefschürfenden Gespräch anstiften.

(6) Wieder einmal ist deutlich geworden, wie wichtig solide Begründungen der Religionstoleranz sind und das sie geschützt werden muss.

(7) Die japanische Inquisition hat den Gläubigen einen „Abfall vom Glauben“ leicht gemacht. Die Apostasie wird scheibchenweise serviert: „Das ist nur eine Formsache. Es reicht eine Geste, mehr wollen wir nicht.“ Doch die erste Überschreitung hat die Herzen der Menschen gebrochen und weitere Schritte vorbereitet.

(8) Mehr als einmal habe ich mich während des Films gefragt: Was hätte ich wohl in dieser Situation getan? Wäre ich standhaft geblieben?

Als der Film „Taxi Driver“ 1976 in New York uraufgeführt wurde, war das ein Ereignis der amerikanischen Popkultur. Aus dem jungen Robert de Niro wurde über Nacht ein großer Darsteller und Scorsese gilt seit dem als gefeierter Kultregisseur. „Taxi Driver“ entwickelte sich zum Referenzwerk postmodernen Filmstils und die Kritiker haben sich beim Ringen um die richtige Interpretation die Finger wundgeschrieben. Diese Aufmerksamkeit wird „Silence“ nicht bekommen. Ein Ereignis ist der Streifen über Glaube, Zweifel, Martyrium und Apostasie allemal.

Ron Kubsch

– – –

Der Film kommt am 2. März 2017 bundesweit in die Kinos.
FSK ab 12 freigegeben.
162 Minuten.
Internet: www.silence-film.de.

 

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Bild: © 2017 Concorde Filmverleih GmbH

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5 Kommentare
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Jutta
7 Jahre zuvor

Brauchen wir wirklich solche Filme, wenn wir wissen, wie unsere Geschwister af der ganzen Welt verfolgt werden und leiden ? Der Herr sagt seinen Jüngern, dass sie sich nicht sorgen sollen, wenn sie in prekäre Sitautionen kommen. Der Heilige Geist wird ihnen helfen und anleiten, was sie zu sagen haben. Ich empfehle dringen zu lesen: Das Glück des verlorenen Lebens. https://www.evangeliums.net/buecher/rezension_das_glueck_des_verlorenen_lebens.html Es ist nicht möglich, solche Vorgänge zu spielen – und mag das noch so beeindruckend sein. Im übrigen bin ich bei Schindlers Liste – oja, ich habe früher gerne und viel Kino geschaut – stutzig geworden, ob es denn sein muss, dass man KZ Szenen nachspielt .. wie kann man dieses Leid „spielen“ ??? Das war eine Situation, in der ich angefangen habe, am Sinn dieses Berufes, den ich ja selbst ausgübt habe vor langen Jahren, wenn auch natürlich längst nicht in dieser Klasse .. – machen Theaterstücke und Filme, was diese existentiellen Themen betrifft, wirklich Sinn ? Muss… Weiterlesen »

Armin
7 Jahre zuvor

Hallo Jutta,
Also ich habe mit einem guten Film kein Problem. Wenn ich ein Buch lese, habe ich automatisch Bilder im Kopf. Sogar wenn ich Bibel lese, ist das da. Wenn ich über Paulus im Gefängnis lese, stelle ich mir das ja auch vor…
Wenn ich Hiob lese, kommen auch Bilder hoch. Was ist daran schlimm? Auch in meinem Kopf beim lesen, werde ich dem Leid nicht gerecht, oder kann manches auch nur erahnen. Soll ich jetzt auch nicht mehr lesen? Mit Sicherheit nicht!

Wenn ein Film das Thema ernst nimmt finde ich das ok.

Jutta
7 Jahre zuvor

Lieber Armin, oh, ich kann Ihr Argument sehr gut verstehen. Aber wenn Sie ein Buch lesen, dann sind es Ihre Bilder .. und keine vorgegebenen. Niemand zwingt Ihnen bestimmte Bilder auf, oder bestimmte Sichtweisen. Jede Kameraeinstellung ist ein „Statement“, eine Manipulation. Sie können sich das vielleicht nicht so vorstellen, ich habe es erlebt. EIn Schauspieler spielt, weil er dafür bezahlt wird. Seine Miete zahlen muss, essen muss, eine Familie versorgen muss… und unter Umständen Reichtum anhäuft. Es ist wie bei einem Fussballstar, Manager usw: wieso ist ein Schauspieler Millionen wert ? … und ein Arzt, eine Krankenschwester, ein Altenpfleger, ein Müllmann … muss sich oft grade so durchs Leben schlagen .. Bei einem Firmenchef kann ich diese Gehälter ja noch mühsam nachvollziehen .. aber bei einem Schauspieler ??? EIn Schauspieler ist ein Götze. Man verkauft sich selbst, man dreht sich nur um sich selbst.. man muss sich ja auf eine Rolle vorbereiten. Ein Regisseur – der übrigens auch Millionen verdient… Weiterlesen »

Jutta
7 Jahre zuvor

https://www.youtube.com/watch?v=Rt3XFsFDmMI

… warum schwieg Gott, als Paulus gefoltert und umgebracht wurde ? .. die anderen Apostel … ?
Warum schweigt ER heute – wo so unglaublich viele Seiner Kinder, die nicht so privilegiert leben wie wir momentan noch in Europa, das langsam aber sicher entchristianisiert und islamisiert wird, .. gequält, vergewaltigt, geschlagen, verbrannt, verstümmelt, in den Terror zurückgeschickt werden ( Berlin-muslimische BamfMitarbeiterin schickt Christen in den Irak zurück ) …
.. wozu also solche Filme anschauen, in denen alles irreal gespielt unecht ist .. ?
Man kann dieses Buch: “ Schweigen “ lesen …

http://japanische-literatur.blogspot.de/2012/01/schweigen-von-shusaku-endo.html

http://www.epochtimes.de/politik/welt/sabatina-james-ueber-die-fluechtlingsluege-geheucheltes-mitgefuehl-und-wirtschaftliche-interessen-a2056978.html

https://www.youtube.com/watch?v=soi2MHFFlf8
Imam wird Christ in Pakistan

https://peteruhlmann.ch/_Resources/Persistent/0930baede193d74f3714bd12c9238d200ac55b38/Corrie%20Ten%20Boom%20gegen%20Vorentrückung.pdf

Tim-Christian
7 Jahre zuvor

@Jutta Als bekennender Cineast muss ich mal eine Lanze für die Filmkunst brechen. Es ist doch wunderbar, wenn auch in diesem Medium die Gottesfrage wach gehalten wird. Als Christen können wir in mehrfacher Weise davon profitieren. Einerseits helfen uns solche Filme, zu verstehen, wie unsere weniger gläubigen Zeitgenossen an der Gottesfrage und dem vermeintlichen Schweigen Gottes leiden. Andererseits konfrontieren uns gute Filme mit Fragen, Anfragen und Zweifeln, die vielleicht im Unbewussten auch in uns schlummern. Wenn man beispielsweise aus „Silence“ kommt und sich die Frage stellt, ob man das Zeug zum Martyrium hat, vielleicht sogar ins Gebet für verfolgte Brüder und Schwestern getrieben wird, dann ist das doch auch ein geistlicher Benefit. Und für Filme wie Bergmans „Das siebente Siegel“ oder „Licht im Winter“, Tarkowskis „Opfer“ oder Malicks „The Tree of Life“ gilt das allzumal. Siehe zum Beispiel hier: https://www.youtube.com/watch?v=wGu8bRlww80 Sogar aus modernen Blockbustern lassen sich mitunter Erkenntnisse über den Zeitgeist gewinnen, wie hier der britische Islamgelehrte Timothy Winter zeigt:… Weiterlesen »

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