Das Gerücht über die Juden
Boris Schumatsky ist in Moskau aufgewachsen und lebt als Schriftsteller und Publizist in Berlin. Er hat für die NZZ ein Essay verfasst, indem er berschreibt, wie er den Antisemitismus von Stalin, Judith Butler, Greta Thunberg oder Malcolm Ohanwe wahrnimmt.
Theodor Adorno nennt den Antisemitismus „das Gerücht über die Juden“, denn er ist mehr als nur Hass gegen Fremde, sondern ein Narrativ, eine Erzählung aus Worten, die töten. Diese Erzählung ist endlos, hier nur eine Kostprobe davon, was ich nach dem Massaker höre:
Ich höre Judith Butler. Sie hatte schon 2006 die Hamas und den Hizbullah zu einem „Teil der progressiven Linken“ erklärt. Heute sagt sie in einem Interview mit „Democracy Now“, es handle sich um keine Terroristen, sondern um „bewaffneten Widerstand“. Das ist inhuman, aber nicht antisemitisch. Butler sagt, Israels Krieg gegen die Hamas sei ein Genozid, auch wenn er anders aussehe als der Holocaust. Israel töte gezielt Menschen, die einer „rassischen“ Gruppe angehörten. Die Zivilisten in Gaza werden von israelischen Bomben getötet, von der Hamas als Schutzschilde benutzt und von Butler rhetorisch missbraucht, um das Gerücht zu verbreiten: Die blutrünstigen Israeli seien die Nazis von heute. Das ist die alte Ritualmordlegende, nur modernisiert, das ist Antisemitismus.
Ich lese Malcolm Ohanwe. Der deutsche Fernsehmann schreibt, das Massaker sei die Antwort auf die „masslose und willkürliche Gewalt“ der Israeli. Das ist keine neue Logik, schon die Shoah wurde oft als Reaktion auf den „jüdischen Bolschewismus“ bezeichnet und damit entschuldigt. Ohanwe steht in der alten Tradition, die Juden für ihr Leid verantwortlich zu machen. Das ist Antisemitismus.
Ich sehe, wie Greta Thunberg in einem Post eine proisraelische Weltverschwörung der Medien unterstellt und für einen Account wirbt, der Israel des Genozids in Gaza beschuldigt. Vielen ist in Thunbergs Posting eine Stoff-Krake aufgefallen, der Code für jüdische Weltregierung. Die Aktivistin sagt, sie habe das nicht gewusst, und vielleicht wusste sie auch nicht, welche antisemitischen Quellen sie Millionen ihrer Fans empfahl. Aber was sie weiss oder nicht weiss, ist irrelevant, es zählt, was sie tut. Shares sind Taten, „dog whistles“, die versteckten Codes, sind Taten, und all das ist Antisemitismus.
Mehr hier: www.nzz.ch.