Psychoanalyse

Apologetik, Film, Psychologie

Freud – jenseits des Glaubens

Soweit ich weiß, sind sich Sigmund Freud (1856–1939) und C.S. Lewis (1898–1963) nie persönlich begegnet. Was aber wäre passiert, wenn sie miteinander über den Glauben diskutiert hätten? Der Film „Freud – jenseits des Glaubens“ sucht genau darauf eine Antwort. Dietmar Dath schreibt in seiner Filmbesprechung: 

Die professionelle Umgebung macht Hopkins sichtlich gute Laune: „I spent most of my life examining fantasies“, raunzt sein Freud, jetzt werde es Zeit „to make sense of . . . reality“, was immer das sei, die Wirklichkeit. Lewis kennt sie auch nicht, er gehört schließlich zu einer besonders realitätsresistenten Autorengruppe, den Inklings, genau wie Tolkien, der einen kurzen Gastauftritt hat. Hopkins hätte ihm gefallen, denn der genießt mit exquisit moribunder Betonung das Wörtchen „spooky“, als hätte er es soeben erfunden.

Die Redeschlacht zwischen Lewis und Freud leidet etwas darunter, dass die einschlägigen Positionen der historischen Vorbilder durch allgemeinmenschliche Motivationen ersetzt sind (Verbitterung, Hoffnung und so weiter). Als Lewis behauptet, per biblischem Quellenstudium zu seinem Bekenntnis gefunden zu haben, erwidert Freud keineswegs mit dem für ihn naheliegenden Verdacht, es könne sich um das handeln, was er „Rationalisierung“ getauft hat. Umgekehrt fällt Lewis, als Freud obstinat die bittere Impraktikabilität des Nächstenliebegebotes anprangert, verblüffenderweise die soteriologisch korrekte Antwort nicht recht ein: Eben weil niemand so selbstlos und gut ist wie der barmherzige Samariter, brauchen wir Christi Sühnopfer und können uns nicht durch Werke selbst erlösen.

Hier mehr und ein Trailer: 

Wissenschaft

Der Fall Freud

Ich lese aus beruflichen Gründen derzeit Sigmund Freud und Literatur der Freud-Gegner. Einer der schärftsten Freud-Kritiker ist der Soziologe Han Israëls. Israëls kann mich nicht mit allen Thesen und Argumenten überzeugen. Aber seine Kritik an den Forschungsmethoden Freuds ist schon sehr substantiell. Zum Beispiel zeigt er, dass Freud oft selbst die Versuchsperson war, mit der er seine „Entdeckungen“ begründete (z.B. im Blick auf die Wirkung von Kokain oder den Ödipuskomplex). Wenn man bedenkt, wie wirkmächtig tiefenpsychologische Theorien heute noch sind, stimmt das wirklich nachdenklich.

Hier mal ein Beispiel aus dem Buch Der Fall Freud (1999, S. 125–126):

In den Studien über Hysterie aus dem Jahre 1895 vertraten Freud und Breuer die Ansicht, daß Hysterie meist durch sexuelle Faktoren verursacht werde und sich die Krankheitssymptome beseitigen ließen, wenn es gelinge, die Erinnerung des Patienten an die Situation wachzurufen, in der ein solches Symptom erstmals aufgetreten war. Eine Hysterikerin namens »Anna O.« war die erste Patientin, die – lange vor der Veröffentlichung ihres Falles – von Breuer auf diese Weise behandelt worden war. Ein Jahr nach den Studien über Hysterie, 1896, behauptete Freud dann, die Ursachen hysterischer Symptome lägen sehr viel tiefer, nämlich in unbewußten Erinnerungen an einen sexuellen Mißbrauch in der frühen Kindheit der Patienten, und formulierte damit erstmals seine Verfuhrungstheorie.

Wir sahen in den vorangegangenen Kapiteln, daß Freud sein Plädoyer für die Verabreichung von Kokain bei der Morphiumentwöhnung mit dem Hinweis auf einen therapeutischen Erfolg zu stützen versucht hatte, den es in Wahrheit niemals gegeben hatte. Bei seinen frühen Theorien über Hysterie tat Freud dasselbe: sowohl bei der gemeinsam mit Breuer formulierten Theorie als auch bei der Darstellung seiner Verführungstheorie konnte Freud es nicht lassen, sein Publikum über das erzielte Ausmaß des therapeutischen Erfolges zu beschwindeln.

Hatten er und Breuer 1893 sowie 1895 noch behauptet, ihre neue »kathartische« Methode führe zum sofortigen und endgültigen Verschwinden der hysterischen Symptome, schrieb Freud bei der Vorstellung seiner Verführungstheorie im Jahre 1896, die neue Theorie sei der Einsicht geschuldet, daß sein vorheriger Ansatz in der Mehrzahl der Fälle zu keiner Veränderung in der hysterischen Symptomatik geführt habe. Dieses offenherzige Eingeständnis früheren Scheiterns ist übrigens ein einmaliges Ereignis im Leben Freuds geblieben.

Im Jahre 1896 behauptete Freud, er habe eine stattliche Anzahl hysterischer Patientinnen vollständig heilen können, indem er ihnen vergessene Erinnerungen an frühen sexuellen Mißbrauch ins Bewußtsein zurückgerufen habe. Aus der Privatkorrespondenz jener Zeit geht jedoch hervor, daß Freud sich schmerzlich der Tatsache bewußt war, in Wahrheit noch keine einzige Analyse wirklich erfolgreich abgeschlossen zu haben. Als ihm dies auch anderthalb Jahre nach Veröffentlichung der Verführungstheorie noch nicht gelungen war, verlor er den Glauben an seine Theorie. Öffentlich hat er jedoch niemals zugegeben, bei der Darstellung seiner Verführungstheorie über das Ausmaß des therapeutischen Erfolgs geblufft zu haben.

Ein kurzes Interview mit Han Israëls gibt es übrigens hier: www.juedische-allgemeine.de.

Feuilleton, Postmoderne, Wissenschaft

Sigmund Freud und die Religion

Will man heute Freud angemessen gedenken, so braucht es ein gehöriges Maß “Entmythologisierung”. Besondere Beachtung verdiene laut Bonelli, Leiter der Forschungsgruppe Neuropsychiatrie an der Sigmund Freud Universität Wien, Freuds Verhältnis zur Religion sowie seine ausgeprägte Wissenschaftsgläubigkeit. Die Nachrichtenagentur KATHPRESS hat mit ihm gesprochen und meldet:

“Freud hat Religion schlichtweg abgelehnt, sie gar als Pathologie behandelt.” Religion sei für ihn immer “ein Reibebaum” gewesen: “Er hat sie abgelehnt, aber zugleich hat ihn Religion auch fasziniert”. Der Grund für diese Ablehnung sei “schlichtweg der Zeitgeist” gewesen: Es entsprach der Stimmung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dass Technik alles und Religion nichts war. “Darwin hat die Entstehung des Menschen erklärt, alles schien technisch machbar.” Gefangen im geschlossenen System Freud sei ganz dieser Weltanschauung verfallen gewesen, so Bonelli. Das werde nicht zuletzt bei Freuds Skizze der menschlichen Psyche als “psychischer Apparat” deutlich. “Bei Freud gibt es keinerlei Freiheit”, bringt Bonelli das Problem auf den Punkt: “Der Mensch ist eine Maschine, alles hat seinen Grund im Ich, Es oder Über-Ich”. Hinzu komme, dass Freuds Thesen – entgegen seinem eigenen Beharren auf strenger Wissenschaftlichkeit – bis heute “weder beweisbar noch falsifizierbar sind”, so Bonelli, sondern “ein eigenes, in sich geschlossenes System” darstellen. Dieses System habe Freud so sehr gegen Kritik immunisieren wollen, dass er sogar einzelne Fälle, die er selbst zur Stützung seiner Thesen heranzog, “gefaked” hat, so Bonelli. Damit jedoch sei klar, dass Freud nicht etwa nüchterner Beobachter gewesen sei, sondern “seine Weltanschauung, vor allem seinen Materialismus, tief hineingesenkt hat in seine Theoriebildung”. Als Person sei Freud ein schwieriger Charakter gewesen, so der Psychiater Bonelli weiter – “wie man es oft bei narzistischen Persönlichkeiten feststellen kann”: So verbat der aus jüdischer Familie stammende erklärte Atheist Freud etwa nach der Heirat mit seiner Frau Martha, einer gläubigen Jüdin, dieser jede Form der Religionsausübung. Seinen Kindern gegenüber sei Freud eher distanziert gewesen, wenngleich er sich für sie und ihre Entwicklung aus wissenschaftlich-psychologischer Sicht interessiert zeigte. Seinen Schülern und Mitarbeitern sei Freud “mal großväterlich, mal wie ein Tyrann” erschienen, der keine anderen Meinungen neben seinen eigenen duldete, so Bonelli.

Hier ein DLF-Gespräch über Freud mit Raphael Bonelli:

Allgemein, Feuilleton

Das rote Buch

rotebuch.jpegAls geheimnisvolles Rotes Buch ging es in die Literatur über C.G. Jung und die Psychoanalyse ein. Niemand bekam es zu Gesicht, da sein Urheber angewiesen hatte, es nicht zu veröffentlichen. Diesem Wunsch wurde viele Jahre entsprochen. Vor einigen Jahre wurde das Werk trotzdem der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Herausgegeben wurde es vom Patmos-Verlag. Obwohl es 198 Euro kostet, ist das von Jung mit Zeichnungen versehene Werk inzwischen in der 9. Auflage erschienen.

Der DLF hat einen Beitrag über das Buch publiziert:[podcast]http://podcast-mp3.dradio.de/podcast/2012/02/22/dlf_20120222_0949_4da31a54.mp3[/podcast]

Dass in dem Werk Sätze wie „Der alte liebe Gott ist gestorben und es ist gut so“ oder „In uns ist der Weg, die Wahrheit und das Leben“ stehen, erfährt man in diesem Interview: Sternstunde Philosphie – Das Rote Buch von C.G. Jung .

Wer Jung versteht, versteht das moderne esoterische Christentum, in dem das „Selbst“ – wie bei Anselm Grün – Gott genannt wird.

Bücher

Verrückende Psychoanalyse

51i+RByWQqL._SL160_.jpgDer Philosoph Christoph Türcke hat das Neue Testament psychoanalytisch gelesen (da ist er wahrlich nicht der erste) und die Ergebnisse seiner Lektüre in einem eigenen Buch veröffentlicht.

Alan Posener schreibt in WELT ONLINE über das Buch:

Folgendes :

Der Philosoph Christoph Türcke behandelt das Neue Testament als eine Art Traumerzählung; erst durch eine Psychoanalyse des Textes werde das eigentlich Gemeinte sichtbar. Das krankt wie jede Psychoanalyse daran, dass immer herauskommt, was der Analytiker will. Türcke will die Geschichte eines Traumas erzählen: Weil Jesus vom geliebten Johannes dem Täufer, seinem geistig-geistlichen Vater, verstoßen worden sei, habe er eine »Obsession« entwickelt, den Täufer zu übertrumpfen und das Reich Gottes herbeizuzwingen.
Ein typischer »Beweis« sieht so aus: Der Evangelist Johannes spricht von einem Lieblingsjünger, der er selbst sein soll. Das sei, so Türcke, »ein historisch ganz unglaubhaftes Konstrukt«. Aber »man muss es nur ein klein wenig verrücken, und schon schießt historische Wahrheit daraus hervor«: nämlich dass der »Lieblingsjünger Johannes« eine »Deckerinnerung« sei. Und zwar dafür, dass Jesus einst »der Lieblingsjünger des Johannes« gewesen sei – des Täufers.

Naja.

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