Hannah Bethke hat in ihrem Artikel „Entmündigung ist kein Seelentrost“ die sogenannte Basisbibel scharf kritisiert und dabei meines Erachtens ein wenig übertrieben (FAZ, 02.02.2021, Nr. 27, S. 9, vgl. auch den Beitrag: Die „Basisbibel“ ist da). Die Richtung ihrer Rezension stimmt aber. Es kann nicht sein, dass den Bibeltexten möglichst viele Anstöße genommen werden. Manche Anstöße muss man den Lesern zumuten, da nur auf diese Weist der Ursprungstext treu wiedergegeben wird und das Denken der Leser hinterfragt werden kann.
Bethke schreibt:
Es ist ja ehren wert, junge Generationen zum Lesen der Bibel und überhaupt von Büchern bringen zu wollen. Die Frage ist nur, ob das gelingen kann, wenn die Sprache so sehr verein facht wird, dass sie ihren Charakter verliert und mitunter sogar etwas ganz anderes aussagt. Warum sollte junge Leser das mehr reizen, als sich auf einen geheimnisvollen Text einzulassen, der viel leicht nicht immer gleich beim ersten Lesen verständlich ist, aber von einer anderen Zeit erzählt, und zwar gerade nicht durch den Filter heutiger Sprachgewohnheiten, sondern unvermittelt eigentümlich? Warum sollten junge oder neue Leser keine Freude daran haben, über einen Satz nach zu denken, der schwer zu verstehen ist, aber gerade durch die Tiefe der Reflexion zu neuen Erkenntnissen führt?
Als „Erstbegegnung“ mit dem Text, wie die EKD sie empfiehlt, eignet sich die Basisbibel gerade nicht. Man nimmt den Lesern des digitalen Medienzeitalters, die hier angesprochen werden sollen, die Möglichkeit einer tief wirken den, ungefilterten Lektüre, wenn man ihnen sofort die vereinfachte Variante vorsetzt. Man unter stellt ihnen nicht nur Bildungsferne, sondern auch Desinteresse am vertieften Lesen. Mehr noch: Man entmündigt sie, wenn sie schon, noch ehe sie es versucht haben, von allen Schwierigkeiten des Denkens befreit werden sollen.
Der Religionspädagoge Prof Dr. Bernd Beuscher hat dann in einem Leserbrief noch eine Schippe draufgelegt (FAZ, 05.02.2021, Nr. 30, S. 18). Obwohl ich seine Bedenken ebenfalls nicht völlig teile, liegt er meiner Auffassung nach richtig, wenn er darauf verweist, dass bei einer Übersetzung eben nicht alles der Zielkultur „unterworfen“ werden darf.
Beuscher sagt:
Jesus und Luther haben sich also nicht dem Zeitgeist und den sprachlichen Gepflogenheiten angepasst, sondern Tacheles geredet. Sprache ist ein bildgebendes Verfahren. Das Leben erzählt seine Geschichten. Bibelgeschichten sind Lebensgeschichten. Lebensgeschichten sind Glaubensgeschichten. Es geht beim „Dolmetschen“ der Bibel darum, das Hebräisch-Existentielle und Griechisch-Existentielle ins Deutsch-Existentielle oder in existentielles Deutsch zu übersetzen. Luther hat die Krisenfrage, was im Leben zählt, existentiell so klar und von allem Klerikalen entschlackt formuliert, dass er die Menschen ins Herz traf.
Die Basisbibel hat die theonome Dimension gelöscht. So ist aus einer „Theologie des Wortes“ eine „Theologie der richtigen Wörter“ geworden. Sie ist moralischer Kitsch, der das Märchen von der Selbstgerechtigkeit erzählt. Dann wird aus dem Nächsten der Mitmensch, aus Auferstehung die Auferweckung und aus Barmherzigkeit Mitleid. Wer mit der Basisbibel die Erstbegegnung mit dem Christentum hat, bekommt den Eindruck, Kirche sei Humanismus mit frommem Flair und konfessorischem Touch. Aus dem „fleischgewordenen Wort“ (Johannes 1) ist „wortgewordenes Fleisch“ geworden.
Es gibt sicher einige Kritikpunkte an der Basisbibel. Doch hab ich den Eindruck, dass Frau Bethke und Herr Beuscher nur wenig Kontakt mit Teenagern und Jugendlichen haben. Oder nur mit einigen wenigen aus dem gehobenen Bildungsbürgertum. Aus meiner Arbeit als Jugendreferent kann ich berichten, dass die Lesekompetenz in unserem Land eine Katastrophe ist. Da können Gymnasiasten der 6. Klasse kaum lesen (Wort für Wort kämpfen sie sich beim laut lesen mühsam durch einen Text und haben danach keine Ahnung, was sie gelesen haben), von Nicht-Gymnasiasten gar nicht erst zu reden… Ich bin sehr froh um die Basisbibel, weil so die meisten meiner Teens und Jugendlichen nicht 10 min brauchen um einen Vers zu lesen und weitere 5 min um ihn zu verstehen. Hier ist die Basisbibel wirklich gut für den Erstkontakt geeignet. Die genannten Kritikpunkte scheinen mir ein Meckern auf sehr hohem Niveau. Z.B. Können wohl die meisten Teens im Konfi-Alter mit dem Begriff Barmherzigkeit nichts anfangen oder kennen ihn… Weiterlesen »
Ich wünsche mir, ich könnte diese Kritik der BasisBibel anschließen, weiß aber, dass FredundErik recht haben. Nur so viel möchte ich zu Mitleid / Barmherzigkeit sagen: Barmherzigkeit ist mehr. Der Samariter zeigte wohl Mitleid, das war aber nur ein Teil seiner Barmherzigkeit. Arbeitet man anschaulich genug, kriegen die Kinder das hin. Dafür ist leider ein zugänglicher Text nötig. Man kann auch dann den wichtigen Vers in einer „erwachseneren“ Übersetzung bringen, oder „wenig zugänglich, dafür aber wissenschaftlich genauere“ Übersetzung, je nach Publikum. Mache ich mit meinen Kindern seit Jahren.
Für den „Erstkontakt“ gab es früher Kinderbibeln. Einfach Sätze, bunte Bildchen, und das hat funktioniert. Das würde auch bei Gymnasiasten der 6. Klasse funktionieren, wenn die eine Lesekompetenz wie ein Zweitklässler haben. Und wer nach der Kinderbibel dabeibleiben und mehr lernen möchte, den kann man auch mit Luther, Elberfelder oder Schlachter „überfallen“. Das bereichert den Wortschatz, und wenn ein Schüler einmal den Begriff „Barmherzigkeit“ begriffen hat, erkennt er ihn auch an anderen Stellen der Schrift wieder, lernt das Konzept der Barmherzigkeit kennen und kann es selbst anwenden. Es ist schlimm genug, wenn man den Kindern heute alle Steine aus dem Weg räumt, so dass darunter die Allgemeinbildung erheblich leidet, und dann die Bibellehrer vergessen haben, dass schon Adam nach dem Sündenfall „im Schweiße seines Angesichtes“ sein Brot erarbeiten mußte. Das Erarbeiten eines schwierigen Textes und die Vokabularerweiterung stärken auf Dauer das selbständige Denkvermögen. Je früher man es den Kindern beibringt, desto besser. Denn wer denken kann, ist auch gegenüber zeitgeistlichen… Weiterlesen »
Ich sehe keinen Widerspruch zwischen den bisherigen Kommentaren, nur verschiedene Seiten der pädagogischen Aufgabe. Gerade weil ich sowohl Stephans und FredundEriks Meinung bin, denke ich, dass das Beispiel hier – Mitleid/Barmherzigkeit – ganz interessant ist. Denn Stephan beschreibt das Ziel, FredundErik das Problem, und ich einen Lösungsvorschlag, der bei meinem Achtjährigen geht, noch nicht bei manchen Hauptschülern mit 14, und ein Spektrum dazwischen. Das didaktische Ziel muss bleiben, ordentliche Übersetzungen in die Hände unserer jungen und kirchenfernen zu bringen. Die Frage hier könnte man so formulieren: methodisch, wie kommen wir hin, und ist die BasisBibel Teil der Antwort?
Ein Problem ist dass Kinder von klein auf belogen werden es wird Ihnen vom Nikolaus Weihnachtsmann Christkind Osterhase Zahnfee Bullshit erzählt und wenn Sie das erfahren stecken Sie nicht unbegründet den christlichen „Gott“ oder Jesus in die gleiche Lügenmärchenschublade kann man Ihnen ja nicht verdenken.
Danke, dass zumindest hier mal (in meinen Augen völlig berechtigte) Kritik aus der FAZ zur BasisBibel wiedergegeben wird. Kritik zur BasisBibel sieht man momentan so gut wie nirgendwo, denn die Deutsche Bibelgesellschaft hat in einer bislang im christlichen Bereich nie gesehenen Influencer- und Social-Media-Kampagne haufenweise mit verschenkten BasisBibeln Pfarrer, Pfarrerinnen und viele echte oder selbsternannte Influencer dazu gebracht, positive und oberflächliche Filmchen und Blogbeiträge über die neue BasisBibel zu publizieren. Dass die Übersetzungen und Erklärungen der BasisBibel oft fragwürdig, vereinfachend oder gar falsch sind, fällt in diesen Influencer-Filmchen und -beiträgen unter den Tisch, genauso wie die miserable Buchqualität und der damit verbundene zu hohe Preis. Und dass dies alles eigentlich mit kostenlosen Bibeln bezahlte Werbung ist und keine echte und eigene Meinung, erfährt der Leser/Video-Betrachter natürlich auch nicht!
Dann ein Kommentar als Grundschullehrer:
Ich verwende in der Grundschule auch die Elberfelder Bibel 2006, aus der die Kids lesen und sich Inhalte erarbeiten.
Sprachliche Vereinfachungen sind für Kinder und Jugendliche sinnvoll. Bei der BasisBibel ist es nicht dabei geblieben. Da sind einige Stellen dabei, die ihre Bedeutung verändert haben – und das hat wirklich nichts mit leichterer Lesbarkeit zu tun.
Ich möchte den Lesern ungern den Hinweis vorenthalten, dass Prof. Stefan Krauter aus Zürich die Basisbibel mit recht starken (altsprachlichen) Argumenten verteidigt hat (FAZ, 08.02.2021, Nr. 32, S. 2). Auszug: Wer Altgriechisch kann, sieht auf den ersten Blick, dass die von Bethke inkriminierten Übersetzungen richtig sind. Das gilt etwa für Hebräer 11,1 (in der Lutherbibel gewiss schön, aber mehr als frei) und ebenso für die zweite Seligpreisung: makarios heißt tatsächlich „glücklich“ (und eher nicht „selig“) und penthountes „Trauernde“ (und sicher nicht „die da Leid tragen“). Insgesamt schafft es die Basisbibel besser als bisherige Bibelausgaben in „heutigem Deutsch“ (zum Beispiel die „Gute Nachricht Bibel“), ohne Paraphrasen und in den Text eingefügte Erklärungen auszukommen.Die Lutherbibel – eher nicht in der Version von 1984, sondern in der absichtlich wieder mehr an die Ausgabe von 1546 angenäherten Fassung von 2017 – ist ein Juwel der deutschen Sprache, in vielfachen Vertonungen ein Kulturgut und nicht zuletzt ein Kernstück evangelischer Identität und daher für gottesdienstliche Lesungen… Weiterlesen »
Nun gibt es ja zwischen „Auferstehung“ und „Auferweckung“ durchaus in der hebräischen Glaubenswelt Unterschiede – zugegebenermaßen weiß kaum jemand um den hebräischen Glauben, dass die Seele noch einige Zeit nach dem Tod mit dem Körper verbunden ist, und daher Auferstehung und Auferweckung durchaus andere „Dimensionen“ haben.
Wir haben also Kritik von Prof. Beuscher hinsichtlich der sprachlichen Ungenauigkeiten und Verteidigung von Prof. Krauter aufgrund der höheren sprachlichen Genauigkeit (?).
Nach meiner Erinnerung (die kann täuschen) hat Luther m.E. recht genau und gut abgegrenzt die Begriffe Auferstehung und Auferweckung benutzt, denn es steckt dahinter ja eine wichtige theologische Aussage.
Ron, danke für den Hinweis, aber er hat mich nicht schlauer gemacht. 😉
@Stephan: Auferweckung finde ich auch unglücklich.
Liebe Grüße, Ron
„Auferweckung“ kommt in der Basisbibel 0 mal, „Auferstehung“ dagegen 36 mal vor. Soviel zur Sachlichkeit/Validität der vorgebrachten Kritik (Das Wortfeld „auferweck*“ 67x, „aufersteh/auferstand“ 75x)
Von daher: Danke Ron für das Teilen des letzten Diskussionsbeitrags, der uns gemahnen sollte, nicht einfach irgendwas nachzubeten oder unserer persönlichen Lieblingsübersetzung anzuhängen, sondern wirklich zum Urtext zu gehen.
@Jörg: Ich glaube, es bezieht sich auf Verse wie:
Liebe Grüße, Ron
Im NT gibt es 2 Wortfelder zum Gegenstand: anistämi ἀνίστημι im Medium (von der Wurzel „stehen“, also wie bei uns „Auferstehung“) und egeiro ἐγείρω (Grundbedeutung „aufwecken“, also unser „Auferweckung“). In zB Jes 26,19 (LXX) kommen beide in einem synonymen Parallelismus vor.
Also auf welcher Grundlage wird ein sachlicher Unterschied zwischen Auferstehung und Auferweckung angenommen? Eine Literaturangabe wäre super.
Mit Literatur aus dem Kopf kann ich gerade nicht dienen, aber für die Auferstehung / Auferweckung des Lazarus (Joh 11) gibt es einige interessante Auslegung, die sich insbesondere damit beschäftigen, warum Jesus die Reise hinauszögerte und so ausgerechnet erst am 4. Tag handelte (habe ich leider vor zu langer Zeit gelesen, als dass ich die Quelle der Auslegung jetzt noch wüßte). Im damaligen jüdischem und hellenistischen Weltbild war die Seele noch 3 Tage nach dem Tod mit dem Körper verbunden. Es war also für Jesus wichtig, hier deutlich zu machen durch das Zögern bis zum vierten Tag (der Körper war ja schon im Zerfall begriffen), dass es hierbei um eine Auferstehung ging. Eine Auferweckung (vor Ablauf von 3 Tagen) wäre wohl „zu leicht“ gewesen und hätte kleingeredet werden können, und aus dem Kontext wird ja deutlich, dass die Gläubigen später, irgendwann mal, eine Auferstehung erwarteten. Und hier gibt Jesus durch sein Handeln die Zusage, dass das geschehen wird. Nun ist… Weiterlesen »
Aber gerade Schlachter übersetzt doch in Luk 9:21 mit „auferweckt werden“, nicht wie Luther mit „auferstehen“. Überhaupt halten sich bei Schlachter beide Wiedergaben die Waage, während Luther deutlich häufiger aufersteh* benutzt.. KÖnnte es nicht sein, dass Du da etwas hineinliest, was die Schrift gar nicht sagen will? Gehn wir zu Joh 11: Jesus selbst benutzt das Bild und die Sprache von Schlaf und Aufwecken für Lazarus Tod (Joh 11:11-13) – was nicht passen würde, wenn Deine Auslegung sich an der Wortwahl festmachen ließe. Jesus benutzt aufer“weck“en offensichtlich für ein Geschehen von 3-Tage-Plus. In V. 23-25 spricht er vom selben Geschehen als Aufer“steh“ung – und mit der gleichen Terminologie wie über das Geschehen am Ende der Zeiten. Und in 12:1 wird davon gesprochen, dass Jesus Lazarus aufer“weck“t hat. Das heißt, dasselbe Geschehen wird hier – wie in der Jesaja-Stelle – sowohl mit dem Wortfeld „steh“ als auch mit dem Wortfeld „weck“ beschrieben (griechisch wie deutsch!). Und zusätzlich noch mit einem seltenen… Weiterlesen »
Da ist Schlachter in Lk 9,22 leider nicht konsistent. In der Ausgabe von 1951 (die ich üblicherweise nehme) steht auferstehen, in der 2000er steht „erweckt“, das griechische Wort ist jedoch egeiro = auferstehen. Bei Joh 11 wird es „wackelig“, betrachte das mal eher als Niederschrift für mich selbst und nicht als Versuch der Erklärung für andere. In V11 sagt er (noch sind die drei Tage nicht um, ggf. ist der interessante Aspekt) von „eingeschlafen“, wobei man koima auch mit Tot übersetzen könnte, dann aber noch im selben Vers von aufwecken (exypnizo). Der V12, die Replik der Jünger, deutet auf die Wortbedeutung „eingeschlafen“ hin im V11 im Verständnis der Jünger, V13 klärt jedoch auf, dass Jesus „tot“ und nicht eingeschlafen meint. Das ist eine Feststellung, die der Evangelist erst später begriffen hat, noch nicht zum Zeitpunkt des Geschehens. V23: er wird auferstehen (anistemi), im Sinne von „er wird aufstehen“, „sich erheben“. V24: gleiche Wortwahl von Martha, hier in Bezug auf die… Weiterlesen »