Hans Joachim Iwand schreibt über Glaube und Werke bei Luther (Glaubensgerechtigkeit, Gesammelte Aufsätze II, 1980, S. 84–86):
Gerade weil das Gesetz tötet [vgl. 2Kor 3,6], stellt es den Christus erst recht heraus als „den Tod des Todes“, als den Sieger über Tod und Hölle. Darum sagt Luther: „Die evangelische Verzweiflung, zu der das Gesetz hintreiben soll, ist nicht böse und bleibt nicht immer, sondern sie macht gleichsam Bahn für den Empfang des Christusglaubens, wie geschrieben steht: Den Armen wird das Evangelium verkündigt.“ [Jes 61, 1; Mt 11,5 par.] Die Verzweiflung an dem eigenen Tun vor Gott ist also gerade das Gegenteil von jener Verzweiflung, die den Menschen in den Untergang treibt, zu der Verzweiflung an der Vergebung der Sünden. Denn diese „Höllenfahrt der Selbsterkenntnis“, in der der Mensch erkennt, wie es um ihn steht, bringt ihm die Wahrheit. Die bittere Wahrheit über sich selbst ist der Preis, aber die selige Wahrheit über Gott ist der Lohn. Und das ist die Frage, vor die uns Luther stellt: Ob wir meinen, ohne diese beiden Wahrheiten ans Werk gehen zu können und zu sollen. Kann denn ein auch nur irgend denkbares Mehr an Leistung diesen Mangel an Wahrheit aufheben? Wird nicht in dem aus dem Wahn geborenen Werk der Wurm stecken, der es zerfrit? Wird nicht das Werk, das diese Wahrheit im Rücken hat, ein ganz anderes sein – mag es auch nach außen hin dem Gesetzeswerk gleichen wie ein Ei dem anderen? Muß nicht der aus dem Gesetz lebende Mensch immer wieder versuchen, mit seinen Werken dem Menschen ein Denkmal zu setzen, vielleicht dem frommen, dem heiligen, dem weisen Menschen – aber eben doch dem Menschen? Verdirbt nicht diese Unterschrift: Hoc ego feci – das habe ich getan -, jedes Werk? Müßte nicht der Mensch hinter seinem Werk, wenn es wirken soll, ebenso zurücktreten in die Unsichtbarkeit wie Gott, der auch hinter seinen Werken verborgen ist [vgl. Jes 45,15]? So versteht Luther das Werk des Glaubens. Es ist nicht substantiell verschieden vom Werk des Gesetzes, aber es fehlt der Ruhm, den der Mensch darin sucht [vgl. Röm 3,27]. Denn der Glaube kann nicht leben, ohne zu wirken, aber er lebt nicht davon, daß er wirkt, sondern davon, daß Gott wirkt, daß Christus „nicht müßig ist“.