Sanfte Umdeutung des Evangeliums

Rob Bell versteht es meisterhaft, die Botschaft der Bibel sanft umzudeuten. Als eindrückliches Beispiel für das »Reframing« des biblischen Evangeliums lässt sich seine Auslegung von Matthäus 14,22–36 anführen. In diesem Abschnitt erzählt der Evangelist Matthäus, wie Jesus auf dem See seinen Jüngern entgegengeht. Die Schüler erschraken und schrien vor Furcht. Nachdem Jesus sich zu erkennen gab, sprach Petrus: »Herr, wenn du es bist, so heisse mich über das Wasser zu dir kommen!« (14,29). Weiter lesen wir (14,28–31):

Er sprach: Komm! Da stieg Petrus aus dem Boot, und er konnte auf dem Wasser gehen und ging auf Jesus zu. Als er aber den Wind spürte, fürchtete er sich, und als er zu sinken begann, schrie er: Herr, rette mich! Sogleich streckte Jesus seine Hand aus, hielt ihn fest, und er sagt zu ihm: Du Kleingläubiger! Warum hast du gezweifelt?

Traditionell wird diese Episode so verstanden, dass Petrus Jesus nicht glaubte und deshalb unterzugehen drohte. Der Apostel nahm die Elemente dieser Welt und sich selbst wichtiger als Jesus und seine Zusage »Komm!«. Rob bricht mit dieser Auslegungstradition und behauptet, das mangelnde Selbstvertrauen des Petrus sei das eigentliche Problem gewesen. Petrus zweifelte an sich selbst. Hätte er an sich selbst geglaubt, seine Selbstzweifel also überwunden, hätte er trotz starken Windes auf dem Wasser gehen können.

Nun gäbe es ›exegetisch‹ viel über diese Textinterpretation zu sagen. Ich will hier nur darauf verweisen, dass es ja gerade das Errettende an der Botschaft des Evangeliums ist, dass die Hilfe von außen an uns herantritt. Die Lösungen für unsere Nöte liegen nicht in uns oder dem Appell, an uns zu glauben, sondern außerhalb von uns bei Jesus Christus. Die Quelle für eine geheilte Gottesbeziehung und ein gelingendes Leben ist nicht im Subjekt zu finden (lat. in nobis), sondern außerhalb von uns in Jesus Christus (lat. extra nos). Es ist Christus, der uns – um im Bild zu bleiben – mit seiner Hand rettet.

Der Glaube an sich selbst mag dabei helfen, über Glassplitter zu gehen. Das Unmögliche, nämlich auf dem Wasser laufen, wird auch einem Menschen mit überstarkem Selbstvertrauen unmöglich bleiben. Genau das ist Evangelium: Gott tritt in das Leben von Menschen hinein, die an sich selbst zweifeln. Gerade jener, der von sich selbst enttäuscht ist, also an sich verzweifelt, wird bei Jesus Rettung finden, wenn er ihm vertraut. Auf das »Herr, rette mich!« kommt es an. Wer das glaubt, kann bekennen: »Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn!« (Mt 14,33).

Wie wunderbar hat doch Calvin im Ersten Buch seiner Institutio dazu geschrieben:

Wir empfinden unsere Unwissenheit, Eitelkeit, Armut, Schwachheit, unsere Bosheit und Verderbnis – und so kommen wir zu der Erkenntnis, dass nur in dem Herrn das wahre Licht der Weisheit, wirkliche Kraft und Tugend, unermesslicher Reichtum an allem Gut und reine Gerechtigkeit zu finden ist. So bringt uns gerade unser Elend dahin, Gottes Güter zu betrachten, und wir kommen erst dann dazu, uns ernstlich nach ihm auszustrecken, wenn wir angefangen haben, uns selber zu missfallen. Denn (von Natur) hat jeder Mensch viel mehr Freude daran, sich auf sich selber zu verlassen, und das gelingt ihm auch durchaus – solange er sich selber noch nicht kennt, also mit seinen Fähigkeiten zufrieden ist und nichts von seinem Elende weiß oder wissen will. Wer sich also selbst erkennt, der wird dadurch nicht nur angeregt, Gott zu suchen, sondern gewissermaßen mit der Hand geleitet, ihn zu finden.

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27 Kommentare
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13 Jahre zuvor

Danke für die frohe Botschaft! Schön gesagt, auch wenn es dir in diesem Artikel eher um die Verdrehung derselben Botschaft ging.

Jael
13 Jahre zuvor

Wohltuend das zu lesen in der heutigen Zeit!

Bettina Klix
13 Jahre zuvor

Danke, Ron.
Unterboten wird Rob Bells Deutung der Geschichte von dem, was ich neulich in einer evangelischen Kirchenzeitung las. Da wurde dieses Erlebnis aus der Sicht des Petrus als ein bloßer *Traum* geschildert, in einem noch dazu schlecht geschriebenen fiktiven Brief. Wenn es ein Jugendlicher als Übung verfasst hätte, gut. Aber es war ja ein *Volltheologe*.
Ich war fassungslos. Da war dann gar nichts mehr übrig.

Roderich
13 Jahre zuvor

@Bettina – da gibt es leider noch viel mehr davon. Die theolog. Fakultaeten an staatlichen Unis sind mehrheitlich mit bibelkritisch ausgerichteten Professoren besetzt, d.h. die Schueler, die dort „produziert“ werden und spaeter Pfarrer und „Volltheologen“ werden, glauben oft der Bibel selber nicht.
Absurd, grotesk, schlimm – wenn man die Folgen bedenkt.

Schandor
13 Jahre zuvor

„Die Quelle für eine geheilte Gottesbeziehung und ein gelingendes Leben ist nicht im Subjekt zu finden (lat. in nobis), sondern außerhalb von uns in Jesus Christus (lat. extra nos).“

Und wäre dem nicht so, sondern wäre diese Quelle in nobis zu finden, dann wäre das ein echtes Dysangelium, und wir wären wesentlich schlechter dran als die Mortifikationsmeister und Selbstquälungsakrobaten Orientaliens, die Rob Bells Dysangelium an sich selbst wahr machen: Selbstaufgabe bis zur absoluten Selbstgewinnung. Angeblich geht es diesen „Esoterikern“ um das Loskommen vom eigenen Ich — und dabei merken sie witzigerweise nicht einmal, dass sie überhaupt nur noch von sich und vom „ich“ sprechen.

Rob Bell schafft es — und darin liegt seine eigentliche Leistung –, dass man über ihn spricht. Damit erschöpft er sich aber auch schon. Wer diesen Show“master“ auch noch ernst nimmt, ist selber dran schuld, findet
Schandor

13 Jahre zuvor

[…] Artikel TheoBlog: Sanfte Umdeutung des Evangeliums Young, Restless, Evangelical: Von unsauberer Argumentation und guter Herausforderung Share […]

Johannes Strehle
13 Jahre zuvor

„Wer diesen Show”master” auch noch ernst nimmt,
ist selber dran schuld, findet
Schandor“

Das ist einerseits richtig.
Auch die geistliche/geistige Unmündigkeit
ist im Sinne von Kants Definition der Aufklärung selbstverschuldet.
„Faulheit und Feigheit sind die Ursachen …
Es ist so bequem, unmündig zu sein.“

Andererseits weiß jeder Christ mit Leitungs- und Führungsverantwortung:
Die Aufklärung und schon garnicht die Kirche haben etwas daran geändert,
dass „ein so großer Teil der Menschen … gerne zeitlebens unmündig bleibt;“
und „es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen.“

Wer also Rob Bell zum Beispiel als Verleger oder Veranstalter
ein öffentliches Forum bietet,
wird das vor Gott verantworten müssen.
Und wer zum Beispiel als Chefredakteur oder Gemeindeleitung
nicht über Rob Bell aufklärt und unmissverständlich Stellung nimmt,
wird das vor Gott verantworten müssen.

Schandor
13 Jahre zuvor

@J. S.

Ja, das leuchtet ein. Danke für die Korrektur.

lg
Schandor

13 Jahre zuvor

Guter Beitrag!!!

Jürgen
13 Jahre zuvor

@ Johannes Strehle

Ja und? Was und wer hält diese Verantwortlichen davon ab, an jeder Stelle und zu jeder Zeit z. B. Rob Bell die Bühne auf dem Willow Creek Congress frei zu halten und kräftig die Werbetrommel zu schlagen? Sag mal etwas dagegen, zu deinen Vorstehern, oder warne vor Lokalgrößen wie H. Sommerfeld, dann trifft dich der Bannstrahl. Ich weiß wovon ich rede, bin mittlerweile selbst in Quarantäne gelandet. Das ist doch nur noch frustrierend…

Gruß, Jürgen

Schandor
13 Jahre zuvor

@Jürgen

Oooooh…
Sorry, wer ist H. Sommerfeld? Eine Art Ivo Sasek?

lg
Schandor

Johannes Strehle
13 Jahre zuvor

Ja, das ist frustrierend.
Diese Frustration durchzieht die ganze Bibel.
Abraham dürfte zum Beispiel ziemlich frustriert gewesen sein,
dass Sodom nicht zu retten war,
obwohl er Gott auf 10 Gerechte „heruntergehandelt“ hatte.
Und Lot dürfte ziemlich frustriert gewesen sein,
als seine Schwiegersöhne ihn auslachten.
Doch das Volk Gottes ist schlimmer.
Deswegen wird es zum Beispiel Sodom
am Tag des Gerichts erträglicher ergehen als Kapernaum.

Jürgen
13 Jahre zuvor

@Schandor

Guck z. B. einmal hier: http://narjesus.wordpress.com/2011/04/21/gemeinsam-fur-berlin-endgultig-in-emergenter-hand/ und auch hier: http://www.paradies-projekt.de/

Das sagt schon viel. Dieser Mann ist immer mehr als „Berater“ in Freikirchen zu finden. Bei uns war er auch schon und er wird auf unserer Bundeskonferenz 2011 der Hauptredner sein.

Gruß, Jürgen

13 Jahre zuvor

@Jürgen

Bist Du aus Berlin? Um welchen Gemeindebund handelt es sich denn diesmal?

Unsere Hamburger Gemeinde im Mülheimer Verband hat H.S. ja auch als Berater (für Evangelisation) engagiert, und man merkt deutlich, wie die Gemeinde seit 2010 Schritt für Schritt „emergenter“ geworden ist und auch politisch mehr und mehr nach links rückt. Auch die Hamburger Allianz / „Gemeinsam für Hamburg“ (GfH) hatte ihn dieses Jahr als Eröffnungsredner der Allianz-Gebetswoche eingeladen, und da im kommenden November nun ein Kongress von GfH mit Johannes Reimer als Hauptredner stattfinden wird, darf man dreimal raten, wohin auch da die Reise gehen wird…

siehe: http://narjesus.wordpress.com/2011/04/30/hamburg-2011-zwei-konferenzen-zwei-entwicklungen/

Auch in Bremen kommt es zu bedenklichen (emergenten) Entwicklungen, dazu werde ich demnächst etwas schreiben.

Gruß, Torsten

Jürgen
13 Jahre zuvor

@Torsten

Nein, aus der Braunschweiger Gegend und es handelt sich um den FBGG. Das Traurige ist ja, dass H. Sommerfeld aus unseren eigenen Reihen kommt d.h., er hat sich vor ca. 10 Jahren losgesagt, sich zunächst in charismatischen Kreisen herumgetrieben, um dann in Berlin Fuß zu fassen. Nun ist er zurück und „berät“ uns. Da viele ihn von früher kennen, bekommt er automatisch einen Vertrauensvorschuss.

Gruß, Jürgen

Alsterstewart
13 Jahre zuvor

@Torsten
Es ist doch so: Viele Gemeinden in norddeutschen Großstädten klammern sich an den vermeintlich letzten Strohhalm, den sie erblicken. Und da erscheint die emergente Sicht der Dinge verführerisch neu, verführerisch unaufgeregt und verführerisch friedlich: Man kann auch rechtgläubig sein, ohne die störenden christlichen Dogmen….. Und dann kommt ein Rob Bell, Brian McLaren oder sonst einer und erklärt uns die Welt.

In meiner eigenen Gemeinde (BFP)in Hamburg sind die Schriften der EmC zwar verbreitet, deren Kernaussagen aber nicht Bestandteil der Verkündigung und Lehre. Und so wird es bleiben, da die Gemeindeleitung vorsichtig ausgedrückt nicht-emergent ist. Eine gesunde theologische Basis ist ein gutes Abwehrmittel gegen die emergente Versuchungen.

Jürgen
13 Jahre zuvor

Danke für den Link. Es ist wie es ist: die Schrift wird solange hinterfragt bis es passt oder alle reinpassen.

Gruß, Jürgen

13 Jahre zuvor

Das Interview wurde erkennbar aus einer Perspektive geführt, die Symphatie mit Bell’s Theologie hat. Kritische Fragen wurden überhaupt nicht gestellt.

Liebe Grüße
Andreas

Johannes Strehle
13 Jahre zuvor

@ Alsterstewart

„Viele Gemeinden in norddeutschen Großstädten
klammern sich an den vermeintlich letzten Strohhalm, den sie erblicken.“

Warum müssen sich die Gemeinden an einen Strohhalm klammern?

„In meiner eigenen Gemeinde (BFP)in Hamburg
sind die Schriften der EmC zwar verbreitet …“

Wie hat die Gemeindeleitung darauf reagiert?
Gab es zum Beispiel eine Podiumsdiskussion, ein Seminar … ?

Alsterstewart
13 Jahre zuvor

@Johannes Strehle Es ist unübersehbar, dass viele Gemeinden unter Mitgliederschwund und Bedeutungsverlust leiden. Von Wachstum zu reden ist da eher ein Ausblenden der Realität. Und dann kommt jemand, der anscheinend das Patentrezept in den Händen hält, um den Gemeinden unter die Arme zu greifen. Propagiert dieser auch noch die Vereinbarkeit der möglichen Gemeindekultur mit der sie umgebenden Weltkultur, dann versöhnt das auf den ersten Blick mit der eigenen Misere, spendet Trost, eröffnet vielleicht sogar neue Perspektiven. Dabei legen Bell und andere die Axt an die Wurzeln christlichen Gemeindewesens. Das mag man in Amerika noch hinnehmen können, in Deutschland mit einer 200jährigen Tradition liberaler evangelischer Theologie löst das die Gemeinde im Meer der sich beständig stärker säkularisierenden Gesellschaft auf. Emergente wissen, wie man sich evangelikal ausdrückt, spielen auf der Klaviatur biblischen Christentums – deuten dabei aber die Begriffe um und lösen sie auf. John Piper hat mal gesagt, in ein paar Jahren würde man nichts mehr von der EmC wissen. Ich… Weiterlesen »

Johannes Strehle
13 Jahre zuvor

„Ein weiterer Tiefpunkt in der Geschichte der deutschen Evangelikalen.
Siehe auch den Artikel Rob Bell: “Wir sind Gottes Geschenke für diese Welt”

Wessen Geschenk ist Rob Bell für die Evangelikalen?
Ein Danaergeschenk?

Licht und Salz sollten wir sein.

pro ist leider auch eine von Christen verantwortete Publikation,
die den evangelikalen Pluralismus unkommentiert zu Wort kommen lässt
und damit die laue postmoderne Orientierungslosigkeit fördert.

13 Jahre zuvor

[…] scheint die Katze aus dem Sack zu sein. Rob Bell glaubt gar nicht an den Gott der Bibel. Auf dem TheoBlog erklärt Ron Kubsch anhand von Bells Auslegung zu Matthäus 14,22-36, wie meisterh… Todd Friel meinte in Wretched Radio sinngemäss, Bells Problem sei insbesondere, dass er zwar […]

13 Jahre zuvor

[…] – in die christliche Szene in Deutschland betrifft, und ich wenige Tage vorher in einem Kommentar auf theoblog.de Kenntnis von einem Fall erhielt, wo ein Mitglied einer freikirchlichen Gemeinde wegen seiner Kritik […]

12 Jahre zuvor

[…] sympathetischen Perspektive, aus der heraus es geführt wurde, auf TheoBlog kritisch als “weiterer Tiefpunkt in der Geschichte der deutschen Evangelikalen” bezeichnet wird – zunächst “offen” zur Diskussion gestellt, um dann aber sehr […]

Jutta
11 Jahre zuvor

Es passt zwar nicht ganz, aber ich bin grad so angetan und finde, dass diese Infos bekannt werden sollten – es geht um falsche Propheten, falsche Christusse, Okkultismus, Harry Potter usw…
http://www.youtube.com/watch?v=K6Qy1j2LBmU, englisch, Vortrag von Johanna Michaelsen, die das Buch: The Beautiful Side of the Evil geschrieben hat,

.. davon ausgehend, findet man viele Infos und weitere videos… aber vieles ist nur auf Englisch.
Mir selbst hilft das sehr, wachsam zu bleiben, und ich kann endlich – da ich selbst aus der Esoterik komme, mehr oder weniger ( im Sinne des Praktizierens eher weniger ) formulieren, was mit mir los war und was ich nicht wahrhaben wollte und was falsch und gefährlich daran ist. Dafür bin ich sehr dankbar und ich bin auch für Gnade und Bewahrung dankbar, die völlig unverdient war. Es hätte schlimm mit mir ausgehen können.

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