Terror und Selbstinszenierung

Karl-Heinz Ott behauptet in der NZZ, Terroristen sind Virtuosen der Selbstinszenierung. Der Schrecken vervielfältigt sich, je mehr Zuschauer daran teilhaben. So  werden wir als Publikum zum unfreiwilligen Komplizen des Terrors. Die Täter bekommen viel mehr Aufmerksamkeit als die Opfer und ihre Angehörigen, die oftmals allein mit den Folgen des Terrors fertig werden müssen.

Zitat:

Der in Paris lebende tunesische Psychoanalytiker Fethi Benslama plädiert dafür, dass man die Namen und Fotos von Terroristen fortan nicht mehr veröffentlicht. Bezeichnenderweise lassen sie am Tatort immer häufiger ihre Pässe zurück, damit ihre Gesichter ohne jede Verzögerung um die Welt gehen. Alle sollen wissen, wer sie sind, alle über sie reden. Sie gieren nach einem Ruhm, der sich zwar in Abscheu ausdrückt, doch nichtsdestoweniger schwer zu überbieten ist. Superlativischer kann ein Leben kaum enden, als wenn Millionen Zuschauer dessen finalen Exzess mit eigenen Augen verfolgen: um jene Berühmtheit zu erlangen, von der Andy Warhol sagt, dass jeder sie einmal im Leben wenigstens fünfzehn Minuten lang erleben will.

Bei der RAF dauert diese Art von Ruhm sogar bis heute an. Bereits als deren Fahndungsfotos überall aushingen, konnten sich die Baaders, Ensslins und Raspes über alle Massen bedeutend vorkommen. Und wir widmen ihnen seither immer neue Abhandlungen, Dokumentationen und Bücher, womit wir ihnen eine Menge Ehre antun, während die Opfer, wie so oft, im Orkus verschwinden. Lediglich die Täter scheinen es wert, dass man sie mit Biografien bedenkt, literarisch umkreist und künstlerisch umtanzt. Medial siegen so gut wie immer die Mörder.

Benslamas Vorschlag lässt sich nicht allein aus fahndungstechnischen Gründen schlecht realisieren, er steht allem entgegen, was zum Selbstverständnis der medialen Öffentlichkeit gehört. Die demokratische Selbstverpflichtung auf Berichterstattung schafft eine Aporie, die kaum einen Ausweg kennt. Dennoch trifft Benslama genau den richtigen Punkt. Denn die vielen Kameras sind die wichtigsten Komplizen der Attentäter und bringen ihr blutiges Spiel erst zur Vollendung. Sie sorgen für eine weit effizientere Publicity als alle Videobotschaften und Bekennerschreiben.

Mehr hier:  www.nzz.ch.

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Adnan
7 Jahre zuvor

Bei den meiste terroristischen Vorfaellen ist die Anzahl der Toten und Verletzten nicht höher als z.B. bei Unfaellen, die allenfalls in lokalen Medien Beachtung finden. Die Risikowahrnehmung von terroristischen Handlungen wiederum ist in der Bevölkerung völlig verzerrt, der Strassenverkehr (und vermutlich auch das Passivrauchen) ist um Grössenordnungen gefaehrlicher als der Terrorismus, der statistisch gesehen eine völlig vernachlaessigbare Gefahr relativ zu den Gefahren des taeglichen Lebens darstellt. Medienschaffende haben aber mit Terroristen eine win-win Situation, da sie durch die verzerrte Wahrnehmung von Gefahr eine staerkere Beachtung in der Bevölkerung finden. Ein Teil der Politiker sind ebenfalls, wenn man so will, in einer win-win Situation mit Terroristen, da sie diese als Vorwand zur Verschaerfung von Gesetzen nutzen können, die ohne den Vorwand wegen starker Einschraenkung von Freiheiten der Bürger von diesen nicht hingenommen würden. Die enorme Ausweitung der Überwachung (z.B. im Internet) beispielsweise wird immer wieder mit Terrorismus begründet, obwohl wie gesagt der Terrorismus eine vernachlaessigbare statistische Gefahr relativ zu den Gefahren… Weiterlesen »

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