Was ist rettender Glaube für John Piper?

John Piper betont in seinen Schriften seit vielen Jahren das Gefühlsleben des gläubigen Christen. Er steht mit dieser Pointierung in der Tradition von Jonathan Edwards. Ich war und bin dankbar für die damit verbundenen Impulse für das Glaubensleben.

In seinem Buch What Is Saving Faith? (#ad, dt. Was ist rettender Glaube?) untersucht Piper die Beziehung zwischen dem rettenden Glauben und der Liebe zu Christus genauer. Anhand von Dutzenden von Stellen aus dem Alten und Neuen Testament und unter Berücksichtigung des Zeugnisses führender reformierter Theologen vertritt er die umstrittene These, dass die Wertschätzung Christi zum Wesen des rettenden Glaubens gehört. Während der rettende Glaube im Protestantismus traditionell notitia (Wissen), assensus (Zustimmung) und fiducia (Vertrauen) einschließt, ergänzt Piper diese Anatomie also durch Affekte (oder die Liebe).

Pipers Glaubensanatomie nähert sich damit dem katholischen Verständnis an. Das dürfte auch ein Grund dafür sein, dass er sich explizit von der katholischen Lehre von der fides caritate formata abgrenzt. Fides caritate formata ist ein lateinischer Ausdruck, der in der katholischen Theologie eine zentrale Rolle spielt. Wörtlich übersetzt bedeutet er „Glaube, der durch die Liebe geformt ist“. Im Unterschied zum ungeformten Glauben (fides informis) schließt der geformte Glaube Hoffnung und Liebe mit ein. Zu finden ist diese Glaubensanatomie etwa im Konzil von Trient, wo das Wesen der Rechtfertigung beschrieben wird (Kap. 7, DH 1528–1531):

Daher erhält der Mensch in der Rechtfertigung selbst zusammen mit der Vergebung der Sünden durch Jesus Christus, dem er eingegliedert wird, zugleich alles dies eingegossen: Glaube, Hoffnung und Liebe. Denn wenn zum Glauben nicht Hoffnung und Liebe hinzutreten, eint er weder vollkommen mit Christus, noch macht er zu einem lebendigen Glied seines Leibes. 

Ist Piper die Abgrenzung von Trient überzeugend gelungen? Schon Harrison Perkins hat in seiner Rezenion von What Is Saving Faith? darauf hingewiesen, dass Piper etwas in den Glauben hineinzieht, was im reformierten Lager als Frucht des Glaubens verstanden wurde und wird. Auch die von ihm herangezogenen historischen Befunde helfen nicht weiter, denn:

Da Piper Glaubensakte als konstitutive Aspekte des Glaubens und nicht als dessen Auswirkungen oder Ergebnisse definiert, unterstützen nur sehr wenige seiner historischen Zitate seinen Standpunkt – wenn überhaupt. Sicherlich enthalten sie seine Formulierungen, aber sie erörtern in der Regel affektive Glaubensakte als Ergebnisse des Glaubens. 

Guy P. Waters ist in seiner wertschätzenden Buchbesprechung ähnlich skeptisch. Weder können Pipers exegetische Untersuchungen der einschlägigen biblischen Begründungstexte überzeugen, noch ist die notwendige Unterscheidung von Glaube und Liebe gelungen:

Piper hat völlig Recht, wenn er darauf besteht, dass Glaube und Wertschätzung Christi niemals voneinander getrennt werden dürfen. Aber es gibt einen anderen Fehler, dem WSF [What Is Saving Faith?] verfällt, nämlich die Vermischung von Glaube und Liebe. Das heißt, an einigen Stellen verwischt WSF tatsächlich die Grenzen zwischen Glaube und Liebe. Auf diese Weise versäumt es WSF, die biblische Integrität beider Gnaden zu wahren.

Diese Unschärfe hat Auswirkungen auf unser Verständnis der biblischen Lehre über die Rechtfertigung. Piper besteht zu Recht und wiederholt darauf, dass der Sünder allein auf der Grundlage der Gerechtigkeit Christi gerechtfertigt wird, die dem Sünder zugerechnet und allein durch den Glauben empfangen wird, unabhängig von den Werken des Gesetzes. Aber die Einführung der Wertschätzung Christi bzw. der Liebe zu Christus als ein Element des rettenden Glaubens, wie es WSF fordert, kompromittiert diese aufrichtig vertretene Überzeugung. Und während Piper sich bewusst und lobenswerterweise von der römischen Rechtfertigungslehre distanziert, distanzieren sich die These und die Argumentation von WSF weder ausreichend von Rom, noch stützen sie die reformatorischen Überzeugungen von WSF.

Der beste Weg ist, Glaube und Liebe weder zu trennen noch zu vermischen, sondern Glaube und Liebe zu unterscheiden. Der Gläubige muss Christus über alles schätzen, aber als notwendige Frucht und Beweis des rettenden Glaubens. Dieser Weg dient als heilsames Korrektiv für das seelsorgerliche Dilemma, das Piper zu Recht Sorgen bereitet, nämlich den weit verbreiteten Irrtum, man könne an Jesus Christus glauben, aber Jesus Christus nicht über alles lieben. Und er untermauert Pipers reformatorische Überzeugung, dass der Sünder allein durch den Glauben gerechtfertigt wird, unabhängig von den Werken. 

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5 Kommentare
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Jan Malcolm
2 Tage zuvor

Da „sola fide“ nicht in der Bibel steht, darf man auch einem John Piper zustehen, anders zu glauben. Dann ist er vielleicht nicht „reformiert“, aber das ist kein Weltuntergang.

Daniel
2 Tage zuvor

Wie verhält sich dieses Anliegen, eine „vertragliche Minimalanforderung“ für die Erlösung zu definieren, zum höchsten Gebot? Mir scheint es, dass man hier den menschlichen Rechtfertigungswunsch (wie kriege ich einen gnädigen Gott?) gegen Gottes Wunsch (dass man ihn von ganzem Herzen, mit ganzer Seele, Kraft und Verstand liebt, Lk 10,25ff) auszuspielen droht. Mit der ersten Perspektive geht es mir vor allem um meinen Freispruch, die zweite Perspektive hat Gottes Beziehungswunsch als Anliegen. Ich bin den Reformatoren von Herzen dankbar, dass sie die Initiative und den Erfolg des Erlösungswerks allein bei Christus verorten. Mir kommt es aber immer wieder so vor, als wäre die Spuren ihres Jurastudiums deutlich erkennbar… und damit die Gefahr, dass man den juristischen Vorgang über den Beziehungs-Aspekt stellt. Es geht mir nicht darum, Gott nicht mehr als Richter zu sehen (2 Kor 5,10). Meine Hoffnung ruht auf Christus als gnädigem und gerechten Richter und als an meiner Stelle Verurteilten. Nur geht man nach dem Freispruch nicht unbedingt mit… Weiterlesen »

Last edited 2 Tage zuvor by Daniel
Udo
1 Tag zuvor

Es ist mein Gebet, dass Christus aufgrund des Glaubens in euren Herzen wohnt und dass euer Leben in der Liebe verwurzelt und auf das Fundament der Liebe gegründet ist.“
Epheser 3,17 

Jan Malcolm
1 Tag zuvor

Ich bin den Reformatoren von Herzen dankbar, dass sie die Initiative und den Erfolg des Erlösungswerks allein bei Christus verorten. Mir kommt es aber immer wieder so vor, als wäre die Spuren ihres Jurastudiums deutlich erkennbar…

Um überhaupt die eigene reformierte Kirche errichten zu können, musste man sich in Zeiten mächtiger (kirchlicher) Konkurrenz erst mal die „behördliche Genehmigung“ konstruieren, die natürlich direkt aus dem Himmel kommen sollte mangels weltlicher Autoritäten. Der ganze Rechtfertigungsbohei ist daher auf diese materielle Welt gerichtet und bedient sich naturgemäß ihrer Mittel.

und damit die Gefahr, dass man den juristischen Vorgang über den Beziehungs-Aspekt stellt.

Heute in Zeiten der Religions- und Bekenntnisfreiheit wirken diese Versuche völlig aus der Zeit gefallen, denn den Weg zum eigenen Seelenheil muss letztlich jeder selbst glauben.

Stephan
42 Minuten zuvor

Da „sola fide“ nicht in der Bibel steht, …“

Doch, es steht in der Bibel. Joh 3,16 als bekannteste Bibelstelle dazu, dann z.B. Joh 6,47ff, Joh 12,44ff …

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