Antisemitismus

Antisemitische Ressentiments finden sich im Islamismus, sind verankert im Rechtsextremismus und brechen sich in Teilen des linksextremistischen Milieus Bahn. Zu einfach wäre es allerdings, judenfeindliche Einstellungen radikalen Gruppierungen allein zuzuschreiben, denn sie existieren auch in der Mitte der Gesellschaft. Wer sich für das Thema interessiert, sollte sich mal Aus Politik und Zeitgeschehen 28–30/2014 ansehen.

In dem Beitrag „‚Man wird doch noch mal sagen dürfen …‘ Antisemitismus in Hoch- und Populärkultur“ geht die Autorin Lena Gorelik auch auf das Gedicht „Was gesagt werden muss“ von Günter Grass ein, das am 4. April 2012 in den Tageszeitungen „Süddeutsche Zeitung“, „La Repubblica“ und „El País“ erschienen ist. Jacob Augstein hatte damals Grass wortstark verteidigt.

Jakob Augstein, Journalist und Verleger, anerkannter Sohn des „Spiegel“-Begründers Rudolf Augstein und leiblicher Sohn des Schriftstellers Martin Walser, Chefredakteur der Wochenzeitung „Der Freitag“ und Kolumnist auf „Spiegel Online“, befand zwar, dass das Gedicht „Was gesagt werden muss“ aus literarischer Sicht nicht groß sei, kommentierte aber folgende Zeile von Grass „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“ mit den Worten: „Dieser Satz hat einen Aufschrei ausgelöst. Weil er richtig ist. Und weil ein Deutscher ihn sagt, ein Schriftsteller, ein Nobelpreisträger, weil Günter Grass ihn sagt. Darin liegt ein Einschnitt. Dafür muss man Grass danken. Er hat es auf sich genommen, diesen Satz für uns alle auszusprechen. Ein überfälliges Gespräch hat begonnen.“ Der Journalist, der sich beim Literaten für einen vermeintlichen Tabubruch bedankte, landete auf der Negativliste des Simon-Wiesenthal-Centers, in der „Top-Ten“ antisemitischer und antiisraelischer Verunglimpfungen für 2012 auf dem neunten Rang, was zu Empörung in der deutschen Presselandschaft führte. Diese Empörung – neben Augstein fanden sich auf der Liste unter anderem Führer der ägyptischen Muslimbruderschaft und die iranische Regierung um Mahmud Ahmadinedschad – ist verständlich.

Nichtsdestotrotz kann und muss man diskutieren, warum Jakob Augstein bei der Beschreibung von Gaza auf aus anderen Zusammenhängen entliehene Begriffe wie „Lager“ zurückgreifen muss. Bei Literaturnobelpreisträgern, Journalisten und Publizisten, die, so möchte man annehmen, das Wort und das Spiel mit Worten lieben und auch beherrschen, darf man erwarten, dass sie sich genau, und zwar ganz genau, überlegen, mit welchen Begriffen sie, erst recht bei brisanten Themen, um sich werfen. Auch hier gibt es eine dünne Linie zwischen Begriffen, die akzeptabel sind, und jenen, die den Eigenschaftszuschreibungen zuzurechnen sind, die den Antisemitismus kennzeichnen, wenn sie die Juden (und hierfür muss vorab der Staat Israel mit dem jüdischen Volk gleichgesetzt werden) als machthungrig, gefährlich, hinterhältig, zerstörerisch, verschwörerisch, nachtragend oder geldgierig beschreiben. Dazwischen, auf der ganz dünnen Linie, stehen all jene Begriffe und Bilder, die nicht per se antisemitisch sind, aber jederzeit so aufgeladen, interpretiert und aufgenommen werden können.

Die Ausgabe kann hier in verschiedenen Formaten heruntergeladen werden: www.bpb.de.

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